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Kraft der Erinnerung
(Ansprache des Dekans bei der Sponsions- und Promotionsfeier am 21. Mai 2005)

Autor:Niewiadomski Jozef
Veröffentlichung:
Kategoriefak
Abstrakt:
Publiziert in:Im Kongresshaus Innsbruck
Datum:2005-05-31

Inhaltsverzeichnis

Inhalt

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Woran werden Sie sich - liebe Absolventinnen und Absolventen der Kath.-Theologischen Fakultät im Jahre 2055 erinnern, wenn sie mit ihren Kindern und Enkeln oder aber, nachdem auch Priester unter ihnen sind, mit Menschen, die sie getraut haben, in schwierigen Lebenssituationen als Seelsorger begleitet haben, woran werden sie sich erinnern, wenn sie ihr goldenes Jubiläum feiern werden... , ein Fest der Erinnerung an das vor 50 Jahren abgeschlossene Studium? Werden sie es überhaupt als einen Anlass sehen, für eine Feier, für ein Glas Wein, einen dankerfüllten Rückblick? Der Mensch lebt aus der Kraft der Erinnerung. Doch kann diese Erinnerung zum Inbegriff von höllischen Qualen werden, wenn man unversöhnt ist: mit sich selber, mit seiner Umgebung, mit Gott und Welt. Sie kann eben die allgegenwärtige Versuchung des Menschen zu “incurvatio” zementieren. Als “homo incurvatus in se ipsum” - als in sich selbst verschlossenes Individuum geht man zwar den Weg des Lebens weiter, denkt auch zurück, doch nur deswegen um Wunden zu lecken und mit Steinen zu werfen auf jene, die mich scheinbar um die Lebenschancen betrogen haben. Die Kraft der Erinnerung kann aber auch zum Inbegriff von Ostern werden, wenn einem die Augen aufgehen und man erkennt, dass “mir das Herz schon lange brannte”, weil sich etwas entscheidendes in meinem Leben verändert hat, weil ein Mensch, weil Menschen in dieses Leben eingetreten sind, und Sackgassen sprengten. Wie dies bei den beiden Jüngern aus Emaus der Fall war, deren Herz so verbittert war, weil ein Abschnitt ihrer Geschichte gewaltsam zu Ende ging und niemand da war, der sie aus der Resignation herausreißen konnte: “Wir aber dachten dass...”: dass es da anders wird, dass da ein Aufbruch kommt, eine Zukunft... auch durch das Studium der Schrift. Ihr verengter Blick wurde vom hinzukommenden Wanderer geweitet und deswegen konnte dann kommen: “Herr bleibe bei uns, denn es wird Abend und der Tag hat sich geneigt”.

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Josef K. wurde eine solche Heilung nicht zuteil. Immer und immer wieder erinnert er sich bloß daran, dass er eines Tages abgeholt wurde, dass die Geschichte seines Lebens von außen unterbrochen wurde, dass er in ausweglose Systemzwänge und Zusammenhänge verstrickt wurde, dass das Leben an ihm vorbei ging und er unweigerlich zu Tode kommt. Wie viele Menschen unserer Breitegrade erleben sich als Reinkarnation von Josef K., der wohl berühmtesten Figur von Franz Kafka. Ihr Leben lang glauben sie schuldlos schuldig befunden worden zu sein, machen bei ihren Erinnerungsreisen hin und wieder Station, vor allem beim Ortsklerus, den sie in die Rolle der kafkaesken Beamtenschaft rücken, die das Leben zerstören und kommen nie los von ihren Beichtverletzungen und Beichtneurosen. Woran werden sie sich erinnern, sollten sie sich überhaupt erinnern?

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Vielleicht wird unsere Kultur in 50 Jahren dermaßen zu einer Kultur des Todes mutieren, dass die Menschen jegliche Erinnerungskraft verlieren, dass sie ihre Traditionen und ihre Ahnen vergessen. Die uns heute so faszinierende Aufgabe der Inkulturation wird sich von selber erledigen, weil die technische und wirtschaftliche Entwicklung sich so verselbständigt und der Mensch, der heute auf seine Selbstbestimmung und seine Autonomie so stolz ist, schon in 50 Jahren längst zu einer minderwertigen Funktion geschlossener Systeme wird. Werden sie sich erinnern, wenn sie sich überhaupt erinnern werden, in 50 Jahren?

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Sehr geehrter Herr Rektor, liebe Frau Promotorin, liebe Angehörige und Freunde unserer Absolventinnen. Die Durchsicht der Themen unserer Absolventen, ein Blick auf die Methoden und Ergebnisse hat mich zu diesen einleitenden Gedanken inspiriert und dies nicht nur deswegen, weil Herr Klaus-Peter Stumpf seine Arbeit ausdrücklich betitelte “Erinnert euch an das, was er euch gesagt hat” - eine Arbeit über die Emausgeschichte (bei Univ.-Prof. Dr. Martin Hasitschka). Dies auch nicht deswegen, weil Frau Doris Juen über Theresa von Avila, eine Mystikerin und Karmelitin (bei Univ.-Prof. Dr. Lothar Lies) arbeitete und wir schon heute in einer Welt leben, in der eine lebende Karmelitin der Jugend fremder ist, als der Mond. Von der toten schon ganz zu schweigen, wenn diese auch vor 500 Jahren die abendländische Geschichte nachhaltig verändert hat. Dem großen Ignatius von Loyola durchaus vergleichbar, dessen Exerzitien Generationen von Gelehrten prägten. Die Frage der Erinnerung stellte sich mir auch nicht nur deswegen, weil Frau Eleonora Bösch die Inkulturation dieser Exerzitien in die alltägliche Welt von heute untersuchte (bei Univ.-Prov. Dr. Franz Weber) und Herr Mbangi Mukulu die Erinnerung an die traditionelle schwarzafrikanische Kultur und Religiosität und deren Inkulturation auch in die globale Kultur Afrikas untersuchte (bei Univ.-Prof. Dr. Karl-Heinz Neufeld). Schlussendlich stellte sich mir diese Frage auch nicht nur deswegen, weil Buße und Beichte rapide aus unserem Alltag verschwunden sind, das Bedürfnis nach Versöhnung aber nicht - die Arbeit von Herrn Harald Klingler (bei Univ.-Prof. Dr. Mathias Scharer) über das Sakrament der Versöhnung. Mit der Welt Franz Kafkas über die Herr Ernst Wageneder (bei Univ.-Prof. Dr. Siegfried Battisti) arbeitete, leuchtet uns inzwischen etwas von jener Ausweglosigkeit geschlossener Systemzwänge ein, die in einem naturalistischen Menschenbild (Herr Gerd Christian Forcher mit seiner Arbeit bei Univ.-Prof. Dr. Christian Kanzian) bereits rationalisiert wurde, deswegen auch keinen Grund mehr zu Klage und auch zum Leiden darstellt. Die Not wird halt zum Programm.

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Die Inspiration zu dieser Ansprache kam am Freitag vor eine Woche, als in diesem Haus das große goldene Doktorjubiläum gefeiert wurde und ein Theologe im Namen der Geehrten die Schlussansprache hielt. Unter Dutzenden von Absolventen anderer Fakultäten war er allein. Theologie: Schon damals also eine verschwindende Minderheit? Es verwirrte und verunsicherte ihn, dass er der einzige Theologe im Namen von vielen anderen reden sollte. Der emeritierte Weihbischof Max-Georg Freiherr von Twickel aus Münster sprach ... und er sprach von der Kraft der Erinnerung. Seine Worte wurden für andere zum Sauerteig für diesen Tag. Selbst dann, oder gerade dann, weil ihnen Theologie und Kirche fremd waren oder auch fremd geworden sind, oder auch gleichgültig. Er erinnerte sich an die damalige Theologische Fakultät und drei Aspekte hob er hervor. Er sprach von der spezifischen Atmosphäre dieser Zeit und dazu zählte er die Sachkompetenz der Lehrer, ihre tiefe Menschlichkeit und auch die Tatsache, dass diese Lehrer selbst das glaubten, worüber sie arbeiteten. Er erinnerte also an die authentischen Lehrer und an die Beziehungen, die einmal gestiftet, selbst wenn sie nicht gepflegt werden, im Gedächtnis bleiben, weil sie heilend waren. Bei allem Wandel war dies das Bleibende: die Kraft heilender Beziehungen, die Lehrer in den Studierenden motivieren konnten. Auf diese Atmosphäre unserer Fakultät sind wir ja besonders stolz.

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Ihre Feier findet im Umkreis des Festes der heiligsten Dreifaltigkeit statt. Morgen feiert die Kirche ausdrücklich das Geheimnis des christlichen Gottes. Gott ist Beziehung, Gott ist Liebe. Das ist keine banale Floskel. Das Bekenntnis können nur die Christen ablegen, weil Beziehung mehrere Personen voraussetzt. Gott ist Beziehung, Gott ist Liebe, deswegen kann er auch heilend wirken durch alle Brüche und alle Sackgassen hindurch. Unsere Jesuitenkirche, die Universitätskirche feiert morgen ihr Patrozinium. Mitten zwischen den beiden Flügeln der Theologischen Fakultät steht sie: Der kultische Ort der Erinnerung daran, dass trotz allen Wandelns etwas bleibt. Was? Nicht die Schuldverstrickung und auch nicht die Systemzwänge. Nicht die oberflächliche modisch pseudomystische Vernebelung und auch nicht die Kirchenfrustration. Es bleiben auch nicht die statistischen Daten. Das Einzige was bleibt, ist der letzte Grund der Wirklichkeit und das sind nicht wir. Für viele Menschen klingt das bedrohlich, deswegen verdrängen oder banalisieren sie diese religiöse Wahrheit. Wir Christen bekennen sie ausdrücklich, weil wir als den letzten Grund der Wirklichkeit die Beziehung glauben. Eine heilende Beziehung, eine Beziehung, die dem Gottesgeheimnis selbst entspringt. Das ist der christliche Glaube! Diesen christlichen Glauben sollen wir bezeugen, denn dieses Zeugnis ist heute für unsere Kultur lebenswichtig. Es ist so etwas wie ein Sauerteig, gerade im global village. Denken sie daran, erinnern sie sich an die Tatsache, dass sie an einer Fakultät studiert haben, wo in der Mitte die Kirche zur Heiligsten Dreifaltigkeit steht. Dann werden sie zu einem Sauerteig in dieser Welt von morgen werden und sie werden auch dankbar sein. Und sich dankbar an die Fakultät und an die heutige Feier erinnern.

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