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Der Glaube an den Dreifaltigen Gott und die Katastrophe der Ethik
(Predigt zum Dreifaltigkeitsonntag auf dem Hintegrund von Ex 34, 4b-6.8-9 und Joh 3,16-18.)

Autor:Niewiadomski Jozef
Veröffentlichung:
Kategoriepredigt
Abstrakt:
Publiziert in:18-Uhr Gottesdienst in der Jesuitenkirche am 22. Mait 2005
Datum:2005-05-30

Inhaltsverzeichnis

Inhalt

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Über eines machte sich der gute Mose keine Illusionen: Dass sein Volk ein störrisches Volk ist, widerspenstig und rebellisch, schon willig ins gelobte Land zu wandern, Zukunft zu gestalten, Lebensbedingungen zu verbessern - damit wenn nicht schon ich selber, so doch die Kinder erhobenen Hauptes und mit vollem Bauch aus dem Haus gehen können-, schon willig in die Zukunft zu gehen. Aber nicht unbedingt auf geraden Wegen und auch nicht unbedingt mit vereinten Kräften. Rivalität und Neid, Geltungssucht und Gier, Lüge und Gewalt waren ihm keine Fremdwörter. Deswegen betet er ja zu Gott: “Ziehe doch, mein Herr, mit uns!” Mehr noch: ”Lass uns dein Eigentum sein!”. Gerade, weil wir im Grunde unberechenbar sind bei der Gestaltung unseres Lebens, weil wir uns allzu leicht faszinieren lassen, uns gar verführen lassen, gerade deswegen wollen wir, dass Du mitgehst. Dass also Deine Autorität uns Grenzen setzt. Wir brauchen Weisungen und Gebote, damit nicht alles außer Rand und Band gerät.

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Die steinernen Tafeln standen schon bereit. Doch: Bereit wofür? “Für jenes Minimum an Ethik, das jede Gesellschaft braucht, wenn sie nicht dem Chaos verfallen will”- so wird der aufgeklärte Mensch des 21. Jahrhunderts sagen. Stolz auf den kulturellen Fortschritt der Menschheit wird er darauf hinweisen, dass wir im Grunde in allen Religionen einen ethischen Kern vorfinden, etwas worauf die Menschheit nicht verzichten kann. “Eilen wir also fröhlich der Zukunft entgegen!“ Und was soll das bedeuten? Dem Agnostiker der Gegenwart ist der Sinn dieses Appels klar: “Lassen wir die Pflege der sperrigen Traditionen hinter uns - schon deswegen, weil diese fundamentalismusanfällig sind-, lassen wir die Religionen, vergessen wir aber nicht die Ethik!” Landauf und Land ab werden auch Ethikkommissionen gegründet, die den modernen Weg ins gelobte Land überwachen. Experten grübeln über die Kriterien, die etwa den Pfad zu jenem Land weisen, dessen Konturen schon zum Greifen nahe sind: das Land umfassender genetischer Machbarkeit. Die Träume sind genauso archaisch und kühn, wie die Träume jener hebräischen Sklaven in Ägypten, als sie von jenem Land erzählten, wo Milch und Honig fließen. Der Hunger und die Krankheiten werden beseitigt und der Mensch wird leben, wenn schon nicht ewig, so doch mindestens ewig lange. In zwei Punkten unterscheiden sich allerdings unsere Ethikexperten von Mose: Zum einen wollen sie zwar Weisungen, aber nicht von Gott. Der Gedanke, dass Gott diesen Weg der genetischen Manipulation begleiten soll, ist ihnen ein Gräuel. Zum anderen aber wollen sie Weisungen, aber diese für ein Volk, von dem sie eine ganz andere Meinung haben als Mose. “Störrisches Volk” - so etwas stellt doch eine Beleidigung der Menschenwürde dar. Rivalität, Neid, der Wunsch nach Geltung sind ja zu modernen Tugenden geworden und zum eigentlichen Motor des Fortschritts, Rebellion zur Triebkraft der Demokratie. Aus diesen zwei Gründen setzt sich, selbst bei den Experten, immer mehr Pragmatismus durch. Grundsätze werden formuliert, von denen man weiß, dass sie durch die Praxis in Frage gestellt werden. Es werden Grenzen gesetzt, von denen man weiß, dass man bloß klug genug sein muss, um Auswege zu finden, wie man unbestraft diese Grundsätze überschreitet. Neidig schauen schon die österreichischen Forscher auf ihre Kollegen in Korea und England - therapeutisches Klonen von menschlichen Stammzellen ist bald keine ethische Frage mehr, sondern ein Problem politischer Strategien. Im Grunde eine Katastrophe der Ethik! So eilen wir alle einer Zukunft entgegen, von der wir letztendlich nicht wissen, ob sie nicht mit dem Ende der Menschheit identisch sein wird, oder aber mit den langen höllischen Qualen, weil Menschen sich selber zu Funktionen von Systemen degradieren werden und dadurch auf eine Art und Weise unfrei werden, wie keine Generation zuvor.

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“Ja!! War das aber nicht immer schon so?” - wird der Durchschnittsagnostiker der Gegenwart sagen. “Hat das Volk, das seine Weisung von Gott bekommen hat, diese auch befolgt? Wurde der Bund - kaum promulgiert -, nicht sofort gebrochen? Hat Mose nicht jene Grenzen überschritten, die er selber gesetzt hat und zwar oft als erster? Etwa dann, als er das Techtelmechtel mit der kuschitischen Frau hatte oder den Streit mit seinem Bruder oder aber, als er das schreckliche Gemetzel anzettelte nach der Affäre mit dem Goldenen Kalb? Wo liegt da schon der Unterschied?” Eben, im Grunde nirgends, außer... beim Gottesglauben!

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Liebe Schwester und Brüder! Sollten sie schon gedacht haben, ich hätte das Thema verfehlt, weil mir zum Thema der Heiligsten Dreifaltigkeit nichts einfällt und ich nicht zum wiederholten Mal die Geschichte vom dreiblättrigen Kleeblatt erzählen wollte, und auch nicht vom wandernden Augustinus, der vom kleinen Knaben am Strand zur Bodenständigkeit bekehrt wird: - eher wird der Knabe das Meer mit der Muschel umschöpfen, als dass: der gelehrteste Geist der Epoche die Dreifaltigkeit begreift -, sollten sie gedacht haben, dass ich heute kneife, so haben sie sich getäuscht. Es ist eine Predigt zum Thema: Der Glaube an den Dreifaltigen Gott und dessen Mehrwert im 21. Jahrhundert. Unsere aufgeklärte Zeit hat nämlich mit der biblischen Epoche vieles gemeinsam: Die mehr oder weniger eindeutigen und glücklichen ethischen Weisungen, Gebote und Verbote. Und die Tatsache, dass wir Menschen uns bloß halbherzig daran halten. Selbst die Bravsten unter uns, selbst die bleiben in Zusammenhänge verstrickt, wo Überschreitung von Grenzen zur Routine werden kann. Gemeinsam ist auch die Erfahrung der Aufbrüche und Zusammenbrüche. “Das Land ist zwar gut, es frisst seine Bewohner” - sollten schon die biblischen Kundschafter gesagt haben. So hat der Aufbruch in die gentechnologisch manipulierte Zukunft vieles mit dem biblischen Aufbruch ins gelobte Land gemeinsam. Eines hat allerdings die biblische Kultur nicht nur dieser, sondern aller anderen Kulturen voraus, Und darüber müssen wir uns, die Zeugen für diese Tradition, immer wieder neu Rechenschaft ablegen.

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Den Zugang zu diesem atemberaubenden Unterschied zwischen den Kulturen und Religionen der Menschheit und dem Gottesglauben der Bibel, eröffnet uns das Wort Gottes in der heutigen Liturgie. “Zieh doch mit uns Herr” bat Mose jenen Gott, der sich selber vorstellte als barmherzig und gnädig, langmütig, reich an Huld und Treue. “Zieh doch mit uns” - das hätte wohl zu bedeuten - was der Agnostiker noch nachvollziehen kann -: Bleibe mit uns als Autorität, als das Wort der Weisung, als Ethikexperte. Aber die Bitte beinhaltet doch viel mehr. Sie beinhaltet auch den Wunsch nach Vergebung angesichts von Pannen und Katastrophen, von Korruptionen und Unfällen. Gerade, weil sich Mose keine Illusionen über sein Volk machte, gerade, weil er ein Realist war, wusste er, dass ethische Prinzipien allein letztendlich wertlos sein werden, wenn die Erfahrung des Scheiterns nicht bewältigt wird: Bewältigt durch Zurechtweisung, Korrektur von Prinzipien, vor allem aber durch Vergebung. Mit seiner Bitte geht also Mose eine tiefgreifende Beziehung ein. Jede Beziehung basiert zwar auf Berechenbarkeit, vor allem aber auf Überraschung. Und so wurde schon Mose selbst und dann sein Volk in der nachfolgenden Zeit überrascht durch das Ausmaß an Bereitwilligkeit dieses Gottes mit dem Volk zu ziehen. Die Beziehung dieses Gottes zu seinem Volk hat nämlich gar nichts gemeinsam mit den modernen Lebensabschnittspartnerschaften, bei denen Menschen oft schon beim Anschein vom Versagen einander den Rücken kehren. Nein! Dem Volk hat es nämlich öfters die Sprache verschlagen, wenn es erfahren mußte, dass selbst dann, wenn nur noch Lug und Trug auf der Tagesordnung stand, wenn Untreue und Abfall nicht die Ausnahme, sondern die Regel waren, wenn sich der Mensch in Sackgassen sondergleichen hineinmanövriert hat, dass selbst dann Gott diesem Volk den Rücken nicht kehrte. Im Gegenteil: Er identifizierte sich mit dem Versager umso mehr. Im wahrsten Sinne des Wortes schien er herabgestiegen zu sein in den menschlichen Dreck. Als menschgewordener Gott hat er sich selber mir dem menschlichen Geschick verbunden, ist gar den menschlichen Tod gestorben. Auf dass die Menschen leben! Jene Menschen, über die man sich keine Illusionen zu machen braucht. Diese Menschen können leben, nicht weil sie sich das Leben selber erwirtschaften, selber produzieren, ob mit oder ohne genetischer Manipulation. Nicht, weil sie sich dieses Leben selber verdienen durch Beachtung von Geboten und Verboten. Diese sind zwar nicht unwichtig, das Leben soll ja nicht im Chaos enden. Sie sind aber nur bedingt hilfreich, schon deswegen, weil sie instrumentalisiert werden, im Dienste menschlicher Rivalität. Die Menschen leben, weil ein anderer ihnen dieses Leben schenkt. Nicht von oben herab, nicht bloß durch seine Weisungen. Er schenkt ihnen das Leben durch erfahrene Sackgassen hindurch, durch Versagen, ja durch den Tod hindurch, weil er selber die Sackgassen und die Katastrophe der Ethik erleidet. Als Mensch wie du und ich. Er steigt herab, wird aber nicht zur Funktion menschlichen Versagens, wird nicht zum unerlösten Erlöser, zum tragisch verstrickten Held, der weder sich selber, noch dem anderen helfen kann.

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Liebe Schwestern und Brüder! Nur Christen können diese Radikalität erhoffen, weil sie an einen Gott glauben, der sich in sich selber eine Gemeinschaft ist. Dreifaltigkeit, das ist nicht eine mathematische Formel zum Thema eins und drei. Dreifaltigkeit, das ist bloß ein anderer Ausdruck für den alltäglichsten Satz: Gott ist Liebe. Gott selbst ist Liebe und Liebe setzt ja mehrere Personen voraus. Sie ist nicht Egoismus zu zweit. Weil Gott eine Gemeinschaft ist, weil er in seinem Sohn in die Welt kam - sich also erniedrigte -, nicht um die Welt zu richten, auch nicht unbedingt um ihr eine bessere Ethik zu geben. Er kam in seinem Sohn in die Welt, um die Menschen zu retten und sie in seine eigene Liebe zu integrieren. Deswegen können wir ja hoffen. Wir sollen uns zwar mit unseren Ethikexperten um eine sinnvolle Zukunft bemühen. Doch eines haben wir ihnen voraus. Wir können hoffen, dass selbst dann, wenn uns - was wir alle nicht wollen und was Gott verhüten möge -, uns eine Katastrophe widerfährt, auch eine Katastrophe der genmanipulierten Zukunft, dass selbst dann diese Welt nicht gottlos bleiben wird. Gott selbst ist ja in diese Welt eingegangen, er wird die Katastrophe mit- und durchleiden und den geplagten Menschen das Heil und Leben schenken.

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Was soll das bedeuten? So auf einen Satz gebracht. Je weniger die Ethik unseren Alltag strukturiert - und das ist die Gefahr für die morgige Welt -, umso mehr wird der christliche Glaube wichtig. Der Glaube daran, dass Gott selber mit uns geht und mit uns selber auch die Rechnung für unser Versagen zahlt. Wir sind ein störrisches Volk, deswegen wollen wir auch, dass der Herr mit uns geht, durch dick und dünn, im Leben und auch im Sterben.

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