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Gabe und Wiedergeburt
(Universitätspredigt in der Reihe: "Deinen Tod o Herr verkünden wir und Deine Auferstehung preisen wir!")

Autor:Siebenrock Roman
Veröffentlichung:
Kategoriepredigt
Abstrakt:
Publiziert in:Predigt am 8. Mai 2005, Jesuitenkirche Innsbruck zu: Johannes 3
Datum:2005-05-19

Inhaltsverzeichnis

Inhalt

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Unter den Lehrgesprächen, mit denen uns das Neue Testament bis heute an die Urerfahrung mit Jesus Christus anrühren lässt, berührt mich das Nachtgespräch mit Nikodemus, einem Lehrer Israels, der nach der Überlieferung den Gekreuzigten mit ins Grab legte, immer wieder von neuem. So ein Gespräch kann uns ein Leben lang begleiten, weil es in unterschiedlichen Situationen und Lebensaltern neu eröffnet wird und uns auf unerwartete Weise einbezieht.

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Ich gestehe, dass die Aussage, „So sehr hat Gott die Welt geliebt, …“ für mich zum Evangelium im Evangelium geworden ist, die mich in der wunderbaren Vertonung von Heinrich Schütz immer wieder unvergleichlich erfasst; - vor allem, wenn ich sie selber singen darf. Und ich kann sagen: Wenn nichts vom Evangelium überliefert wäre: dieses Wort allein würde mich mit Freude Christ werden lassen; - jeden Tag neu: So sehr hat Gott die Welt geliebt, so sehr, so sehr …! Deshalb ist Gott kein Beobachter, kein Controller der menschlichen Anstrengungen und Versuche, bleibt nicht draußen vor, sondern verwickelt, ja verstrickt sich. Weil Liebe immer außer sich gerät und letztlich nichts scheut und die Etikette der frommen Reglementierung Gottes überspringt und unterläuft, deshalb ist müssen, dürfen und können mit diesem Gott in unserem Leben rechnen.

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Selber singen, selber im Gespräch, offen, ganz Ohr sein und hinein verwickelt werden: dies ist die Grundhaltung dem Wort Gottes gegenüber. Wir hören das Wort nur, wenn wir Beteiligte werden, wenn wir nicht über das Wort richten und urteilen, sondern wenn wir vom Wort des Evangeliums selber gerichtet, aus-gerichtet werden. Denn dies ist die wahre, dem Worte Gottes angemessene historisch-kritische Methode, wenn nicht wir über das Wort, sondern das Wort über uns urteilt, wenn wir, wie Johannes es in seinem ganzen Evangelium zeigt, durch das Wort Gottes in die Krisis, in die Unterscheidung und Entscheidung geführt, nein gezwungen werden. Dazu aber müssen wir uns selber mitbringen und unser eigenes Leben in die Frage an das Wort einfließen lassen.

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Wenn wir das Evangelium so hören, dass wir nicht mehr ausweichen, dann wird es uns bewegen. Solches aber wird von Nikodemus berichtet. Er kommt in der Nacht und setzt sich dem Herrn mit seinem Leben in seinen Fragen aus. So wollen wir uns heute darin ermutigen, selber Nikodemus zu werden, damit auch wir fähig werden, es im Licht auszuhalten. Glauben bedeutet: unverborgen zu leben, bedeutet nicht so sehr erkennen und moralisch handeln, sondern zuerst erkannt werden und unbedingt sein dürfen. Glauben besagt: Im Licht leben wollen und können.

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Die Frage, mit der Nikodemus aus der Nacht kommt, ist so alt wie die Menschheit, und auch wir sollten uns ihrer nicht schämen. Es ist die den Menschen von Anfang bewegende Frage nach endgültigem Sinn und Heil: „Wie komme ich in das Reich Gottes? Wie komme ich in den Himmel?“ Wer könnte, so sagt er, diese Frage beantworten, wenn nicht dieser Lehrer Israels. Und deshalb ist auf einmal die gesamte Hoffnungsgeschichte der Menschheit mit ihren Bildern von Tod und Leben, Wiedergeburt und Heil, Licht und Dunkelheit mit im Gespräch. Aus dieser Fülle jedoch kann ich hier nur zwei Fragmenten ein wenig nachgehen: der Frage nach der Wiedergeburt und die Selbstaussage, dass dieser Jesus die Gabe Gottes sei.

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Wiedergeburt: nichts dürfte in die Tiefe aller religiösen Erfahrung so weit hinein reichen, wie das in diesem Wort anklingende Bewusstsein, dass wir Menschen Gottes von uns aus nicht würdig sind; dass wir gereinigt und auf einem langen Weg neu geboren werden müssen. Wiedergeburt heißt zunächst unendlicher Abstand; unendlich, ja scheinbar unerreichbar fern vom Ziel. Deshalb lautet die Frage nicht, ob wir neu werden müssen – das ist für jedes wirklich religiös-glaubendes Empfinden selbstverständlich, sondern nur, welche Wiedergeburt uns das Reich Gottes, den Himmel sehen lässt. Wir müssen die tiefe Erfahrung der asiatischen Tradition, die auch in Europa immer lebendig blieb, nicht verwerfen, sondern vielmehr vor ihrem Missbrauch in unseren Tagen schützen. Während wir mit den vielen Leben prahlen und dabei immer nur das alte Ich verlängern und in seiner Macht quasigöttlich aufblasen, stellt in den östlichen Traditionen diese Vorstellung ein Schrecken dar. Denn die Hoffnung lautet nie, wieder geboren zu werden, den ewigen Kreislauf des Werdens und Vergehens zu verlängern, sondern Befreiung daraus: Ankommen dürfen, wo Leid und Tod nicht mehr sind. Das Ziel von uns Menschen kann es nicht sein, im unendlichen Kreislauf immer und ewig unsere Runde zu ziehen, nein! Wir blieben ja sonst dem Tod, der Angst, der Begierde, der Gewalt und der uneingelösten Sehnsucht unterworfen. Unendliche Wiedergeburt das wäre die Steigerung der Strafe des Sisyphus. Ist es nicht seltsam, dass unser seltsames Zeitalter uns eine Vorstellung als Heil und Glück vorgauckelt, die für die Weisheit uralter Kulturen blanken Horror darstellt?

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Jesus aber antwortet auf diese Menschheitsfrage nicht direkt. Die Antwort der Offenbarung liegt zumeist nicht auf der Linie der Frage. Sie hat einen markant davon verschiedenen Einfallswinkel. Jesus stellt sich auch nicht als Lehrer von Gott vor, auch wenn es eines seiner tiefsten Anliegen war, dem Missbrauch des Namens Gottes ein Ende zu bereiten. Ein Missbrauch, der bis heute nicht ans Ende gekommen ist und dessen fürchterlichster heute vor 60 Jahren zu Ende ging. „Gott mit uns“, stand auf den Koppelschlössern der Deutschen Wehrmacht.

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Nein, es geht nicht darum wieder geboren zu werden, begänne das Elend dann nicht unendlich von vorn? Es geht vielmehr darum, von oben in Wasser und Geist neu geboren zu werden: Neue Existenz zu sein. Das ist, worauf Johannes hier anspielt, auch der tiefe Sinn der Taufe. Sei dir bewusst: Dies ist deine letzte Geburt, jetzt entscheidet sich Dein ewiges Schicksal. Und dieses entscheidet sich nicht irgendwie und irgendwann, vielleicht nach dem Leben und dem Tod. Nein, Dein Leben entscheidet sich in der Beziehung zu diesem Jesus heute, in mitten des Lebens; sogar vielleicht in dieser Stunde, jedenfalls jetzt, da Du dieses Evangeliums hörst!

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Woran aber entscheidet sich unser Leben? „Denn so hat Gott die Welt geliebt, dass er seinen eingeborenen Sohn gab, damit alle, die an ihn glauben, nicht verloren werden, sondern das ewige Leben haben.“ An dieser Gabe entscheidet sich Welt und Leben, der gesamte Kosmos. Wer in die Hingabe dieser Gabe, in seine Liebe eintritt, und dadurch eigentlich nicht „wieder“, sondern von oben aus Wasser und Geist geboren wird, der ist gerettet. Dann kann er ins Licht treten, und muss sich nicht verbergen, weil er gut geworden ist, auch in seine Taten. Dann ist er im wahren Leben angekommen. Wer nicht glaubt, wer also in diese Lebensform nicht eintritt, ist deshalb schon gerichtet, weil er das Licht fürchten muss, und er nicht zum Licht kommt. Er verbleibt in der Dunkelheit; und durch das Licht Christi wird dieses Tun offenbar. Im Herz des christlichen Glaubens ist der Mut zur Aufklärung, die Bereitschaft, ins Licht zu treten. Wer dies nicht wagt, glaubt nicht. Glauben heißt, unverborgen leben.

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Religionsgeschichtlich aber stellt dieser 16. Vers aus dem 3. Kapitel des Johannes-Evangeliums eine von uns ChristInnen kaum beachtete Revolution dar. So weit wir die Geschichte der Menschheit überschauen können, haben die Menschen sich vor Gott oder der göttlichen Macht in Acht genommen: sich entweder fern gehalten, mit ihm Geschäfte abgeschlossen; - oder die Götter selber als dem Schicksal unterworfen angesehen. Eben diese Angst Gott gegenüber will dieser nächtliche Dialog überwinden: Gott ist auf die Weise Jesu nahe gekommen. Was aber hier – und im ganzen Evangelium – Liebe heißt, hat nichts mit Sentimentalität oder rosaroter Wolke zu tun: Sondern heißt einfach: Hingabe bis in den Tod, Proexistenz, Erniedrigung. Gott hat die fallende Welt aufgefangen, in dem er sich erniedrigte und so am Kreuz alle an sich ziehen konnte: Seit Jesus, dem Christus ist das Schicksal der Welt mit dem Schicksal und Wesen Gottes verbunden. Sie ist im Heil, weil durch die Liebe Christi das Leben der Welt, unser Leben, eine Gemeinschaft mit dem Leben Gottes selber geworden ist. Von Gott her ist das Schicksal der Welt entschieden: Sie ist gerettet. Es liegt an uns, darauf zu antworten. Zu antworten mit unserem Leben in der Sprache, die Gott in dieser Welt gesprochen hat: Jesus Christus. Deshalb können wir sagen: Wer glaubt, und das bedeutet: Wer liebt, ist gerettet. Wer nicht liebt, ist gerichtet.

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In unser aller Leben gibt es eine Nikodemus-Stunde, eine Stunde, in der ein Lichtstrahl, ein Wort, ein Gesicht, eine Gabe mein Leben berührt: eine Stunde, in der ich wahrhaftig von oben neu geboren werden soll. In diesem heiligen Kairos antworten zu können, dazu möchte uns der Satz des Evangeliums ermutigen, ermahnen und befreien: So sehr hat Gott die Welt geliebt, … Deshalb konnte der Heilige Augustinus die gesamte christliche Weisheit in dem Satz zusammenfassen. Dilige et quod vis fac! (In epistulam Iohannis ad Parthos tractatus 7,8). Liebe, und was du willst tu! Was immer du tust tu und vollbringe es in der Liebe! Tun wir so, wie Gott in Christus getan: Amen!

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