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Gnade und Bilanz
(Ansprache des Dekans bei der Sponsion- und Promotionsfeier am 21. Februar 2004)

Autor:Niewiadomski Jozef
Veröffentlichung:
Kategoriefak
Abstrakt:
Publiziert in:# Originalbeitrag für den Leseraum
Datum:2004-02-23

Inhaltsverzeichnis

Inhalt

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"Haben wir eigentlich schon einmal die Erfahrung der Gnade gemacht? Wir meinen damit nicht irgendein frommes Gefühl, eine feiertägliche, religiöse Erhebung, eine sanfte Tröstung, sondern eben die Erfahrung der Gnade?"

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Sehr geehrter Herr Rektor, Promotor, liebe Kandidatinnen und Kandidaten, Eltern Verwandte und Freunde unserer Studierenden

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Die Frage, mit der ich meine Ansprache eröffnet habe, hat - exakt vor 50 Jahren der größte Denker unserer Fakultät - Pater Karl Rahner gestellt. Im März werden wir seinen 100. Geburtstag und den 20. Todestag begehen: mit den Rahner-Festtagen.

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Und die Art und Weise, wie er theologische Fragen stellte und sich auch einer Antwort näherte, hat nichts von der Aktualität verloren. Gerade beim Übergang vom akademischen Leben zur Berufskarriere und an der Schnittstelle zwischen Fasching und der Fastenzeit.

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Folgen wir also stückweise diesem brillanten Geist unserer Fakultät und fragen wir, so wie er fragte:

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"Haben wir schon einmal die Erfahrung des Geistigen im Menschen gemacht? Wir werden vielleicht antworten:

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selbstverständlich habe ich diese Erfahrung schon gemacht und mache sie täglich und immer wieder. Ich denke, ich studiere, ich entscheide mich, ich handle, ich pflege Beziehungen zu anderen Menschen, ich lebe in einer Gemeinschaft, ...

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 ich liebe, ich freue mich, ... Ich weiß also, was Geist ist.

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 Aber so einfach ist das doch nicht ...

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Haben wir schon einmal geschwiegen, obwohl wir uns verteidigen wollten, obwohl wir ungerecht behandelt wurden? Haben wir schon einmal verziehen, obwohl wir keinen Lohn dafür enthielten ...

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Haben wir schon einmal geopfert, ohne Dank, Anerkennung, selbst ohne das Gefühl einer inneren Befriedigung?

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 Waren wir schon einmal restlos einsam?

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Haben wir uns schon einmal zu etwas entschieden, rein aus dem innersten Spruch unseres Gewissens heraus, dort, wo man es niemand mehr sagen, niemand mehr klarmachen kann, wo man ganz einsam ist und weiß, dass man eine Entscheidung fällt, die niemand einem abnimmt, die man für immer und ewig zu verantworten hat?

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Haben wir schon einmal versucht, Gott zu lieben, dort, wo keine Welle einer gefühlvollen Begeisterung einen mehr trägt ...?"

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Ja - meine Damen und Herren - indem der große Karl Rahner solche Fragen anhäufte, zeigte er schon die Antwort an. Er weist ja hin auf die Erfahrung des Geistigen im Menschen, auf die Erfahrung der Ewigkeit, ja auf die Erfahrung der Gnade. Es sind dies fundamentale menschliche Erfahrungen.

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Es sind dies aber Erfahrungen, die immer und immer wieder zugeschüttet werden. Die hochkomplexe, moderne Welt, gerade die durch Wissenschaft geprägte Welt - kann auf die Artikulation solcher Erfahrungen nicht verzichten, ohne der Barbarei zu verfallen.

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Und sie kann auch nicht auf jene Menschen verzichten, die es sich zur Lebensaufgabe machen, den Wert dieser Erfahrungen in immer neuen Kontexten auf eine elementare Art und Weise durchzubuchstabieren, Zeitgenossen dafür sensibel zu machen, was in Gefahr steht, vergessen zu werden. Weil durch den Lauf der Dinge zugeschüttet.

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Die primäre Aufgabe der Theologinnen und Theologen ist es in der jeweiligen kulturellen Gegenwart die Rede von der Erfahrung der Gnade zu rehabilitieren, dieser Rede und der damit zusammenhängenden kulturpolitischen Praxis zur Glaubwürdigkeit zu verhelfen und so die Gegenwart auch zu humanisieren.

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Liebe Kandidatinnen und Kandidaten, ich habe die Fragmente des berühmten Essays über die Gnade von Karl Rahner in diese Feier integriert, nicht nur deswegen, weil wir das Rahnerjahr feiern und uns auf der Fakultät an dem Glanz der alten Zeit - wie an einem guten alten Wein - erfreuen. Vielmehr will ich euch diese Sätze als Itinerarium eurer zukünftigen Wege - als Wegweiser - mitgeben. Durch eure Forschungsarbeiten habt ihr ja selber bewiesen, dass ihr fähig seid, diesen gnadentheologischen Dienst an der Gegenwart wahrzunehmen So paradox es kling, man kann alle Arbeiten, die heute durch Graduierung ausgezeichnet werden, als gnadentheologische bzw. gnadenphilosophische Traktate lesen.

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"Über Opfer und Stellvertretung und Harry Potter" schrieb Dietmar Steinmayr seine Diplomarbeit beim Kollegen Siebenrock und bewies, dass die Frage der Lebenshingabe auf eine neue - unvermutete Art - in den kulturellen Dialog der Gegenwart zurückgekehrt ist. Dies in einer Gesellschaft, die anscheinend nur erlebnisorientiert sei.

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Johann Wechner hat in seiner Dissertation - beim Kollegen Scharer - das Thema: Erlebnispädagogik -Modetrend oder neuer Impuls zum Glauben-Lernen. Differenzierende religionspädagogisch-theologische Untersuchungen des Erlebens im Hinblick auf Event und Erlebnispädagogik" bearbeitet und gezeigt, dass die Sehnsucht nach dem Unverfügbar-Gnadenhaften auch die Eventskultur prägt.

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Auf eine andere Art und Weise sucht den gnadentheologischen Akzent Maximilian Paulin in einer Dissertation - die bei mir geschrieben wurde - zu artikulieren: Meinheit oder doch Gewalt. Heinrich Rombach , Rene Girard und das Spiel des Begehrens. Mit den Kunstwort Meinheit will er durch das vorgeschobene M die uralte Sehnsucht der Menschen nach Einheit in einem gezielten Fokus darstellen: als Einheit durch ein Auge gesehen. Er steigt in den Diskurs der Postmoderne ein und sucht im Zeitalter der Nivellierung nach der Differenz - denn Gleichklang heißt letztlich immer Gewalt, selbst - oder gerade - dann, wenn der Gleichklang im Gewande der Relation kommt.

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Uwe Stahl wird in seiner philosophischer Dissertation: Die Systematizitätsdebatte. Über die Natur mentaler Repräsentationen und Prozesse - betreut vom Kollegen Quitterer - noch ein Stück abstrakter. Die Auseinandersetzung mit dem philosophischen Naturalismus stellt einen der Schwerpunkte unserer Fakultät dar; Stahl relativiert die kognitionswissenschaftlichen Erklärungsansprüche; gerade im Kontext der Alltagspsychologie vermag er die Faszination der materialistischen Positionen zu hinterfragen, indem er deren Beweisbarkeit negiert.

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Vom Gipfel der Abstraktion kehren wir zurück zu jenen elementaren Erfahrungen des Menschen, die Karl Rahner auch als die Erfahrung des Geistigen beschrieben hat: der Erfahrungen der Einsamkeit, des Leidens, ja des Sterbens. Elisabeth Sacher - persönlich engagiert in der Hospizarbeit - beschäftigt sich in ihrer Diplomarbeit: Lebenshilfe und Sterbebegleitung - betreut vom Kollegen Leher - mit der modernen Hospizbewegung und sieht gerade in der Solidarität zu den Sterbenden den Aufweis der Präsenz der Gnade in unserem Alltag. Wie schwierig ist es, angesichts des Leidens von Gnade oder Gott zu reden, das weiß unsere Kultur spätestens seit der Verfassung des Ijobbuches. Dessen Erforschung und Kommentierung bleibt eine niemals abgeschlossene Aufgabe der Theologie. Klaudia Englähriger hat in ihren "Studien zur Dynamik der Dialoge des Ijobbuches" ein Exempel der "Theologie im Streitgespräch" als Dissertation - betreut von Kollegen Fischer - vorgelegt. Nach mehrjähriger Arbeit fand sie sich dort wieder - wo vermutlich alle Theologen und Theologinnen sich wiederfinden werden, wenn sie mit dem aufbegehrenden Ijob reflektieren, streiten und protestieren.

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"Der aufbegehrende Ijob findet am Ende der Gottesreden sowohl als Glaubender als auch als Theologe und nach wie vor auf Staub und Asche Frieden mit sich uns seinem Gott" (190).

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 Liebe Kandidatinnen und Kandidaten:

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Bleibt in eurem ganzen Leben stolz auf eure Entscheidung, Theologie bzw. Philosophie an der Theologischen Fakultät zu studieren. Wir leben ja in einer Zeit, die im Zusammenhang mit dem Studium sofort die Frage nach der Rentabilität des Studiums stellt und diese noch sehr verengt mit dem Hinweis auf die Summe, die man damit verdienen kann, beantwortet. Seid stolz auf eure Entscheidung, dass ihr etwas studiert habt, was sich nicht unbedingt sofort bilanzieren lässt - so wie auch die Erfahrung der Gnade nicht bilanzierbar bleibt. Auch euer Studium - selbst wenn es durch eure Eltern mitfinanziert wurde - ist letztendlich nicht bilanzierbar, so wie die Dankbarkeit, die ihr euren Eltern, Freunden, Verwandten, aber auch den akademischen Lehrern gegenüber empfindet, nicht bilanziert werden kann.

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Bleibt also stolz auf eure Entscheidung. Nur wenn ihr selber darauf vertraut, dass das, was ihr studiert habt, die elementarsten Erfahrungen menschlichen Lebens betrifft, Erfahrungen - ohne die es letztlich kein Menschsein gibt - nur dann werdet ihr durch euer Leben überzeugen.

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