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Gemeinschaft der Lebenden und der Toten | ||||||||||||||||||||||||||||||||
| Autor: | Niewiadomski Jozef |
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| Veröffentlichung: | |
| Kategorie | predigt |
| Abstrakt: | |
| Publiziert in: | |
| Datum: | 2025-11-03 |
1![]() | Nicht einmal die Künstliche Intelligenz mit all ihrer Technik, geschweige denn Hollywood vermögen dieses Szenario wirklich ins Bild zu setzen: Eine große Schar aus allen Nationen; niemand kann sie zählen. Menschen aller Rassen und Sprachen, aller Schichten und Gruppen – sie alle, sie alle – sind im Himmel. Die heutige Lesung aus der Offenbarung des Johannes (Offb 7,2-4.9-14) präsentiert uns ein faszinierendes Bild des Himmels und der Glaube der Kirche: der Glaube setzt durch die gerade gefeierte Liturgie noch das sprichwörtliche Tüpfelchen auf das I, er setzt dieses Tüpfelchen auf die Vision. Denn: gemäß dem kirchlichen Glauben ist die ganze Kirche bei der Eucharistiefeier zugegen. Müssten demnach nicht all diese Heiligen in unserer Kirche zusammen mit uns versammelt sein? Ein Wahnsinn, könnte man sagen! Müsste mein gläubiges Herz in der unüberschaubaren Menge nicht all jene Menschen wahrnehmen, die mir wichtig waren: Mutter und Vater, die Lebensgefährten und all die Bekannten? Je älter wir werden, umso mehr Menschen haben wir dort... Drüben: Jenseits der Grenze des Todes. |
2![]() | Nein, nein, liebe Schwestern und Brüder, wir sind hier nicht bei einer spiritistischen Sitzung. Die Verstorbenen, unsere Familienangehörige, Freunde und Bekannten, aber auch die uns Fremden, die von allen Vergessenen und gar die Feinde... sie sind alle im Modus des Gebetes hier zu Gast, weil die Kirche eine Gemeinschaft ist..., eine Gemeinschaft der Lebenden und der Toten, eine Gemeinschaft also, die die Grenze des Todes kennt, diese auch ganz schmerzlich wahrnimmt. Eine Gemeinschaft aber, die diese Grenze überwindet. Und wie, werden sie fragen? Sie überwindet die Grenze zuerst dadurch, dass sie uns alle, uns, die Gläubigen, auf den Tod Christi tauft, uns damit mit Christus sterben lässt. Damit der biologische Tod und die Bedrängnis und die Angst –damit all das uns eigentlich nichts mehr antun kann. Weil die Würfel schon gefallen sind: in unserer Taufe! Da sind wir schon – gemäß dem Apostel Paulus mit Christus gestorben. Und weil Christus in seinem Tod so tief fiel, wie kein Mensch in seinem Leben und Sterben zu fallen vermögen wird, kann keiner von uns aus dieser Beziehung herausfallen, ganz gleich, was er tut oder auch unterlässt. Er fängt uns auf. Das Beste kommt also noch: wir alle werden mit Christus auferstehen! Und deswegen sind wir seligzupreisen. |
3![]() | In Christus sind wir also verbunden, verbunden auch oder gerade mit den Toten. Verbunden in Christus, nicht aber im Hinterzimmer eines obskuren Hotels bei einer spiritistischen Sitzung. Verbunden in Christus, aber nicht primär am Friedhof am offenen oder geschmückten Grab. Verbunden durch Christus, aber nicht durch die Lektüre einer Todesanzeige in der Tageszeitung. Durch das Gebet sind wir verbunden! Dass wir alle in Christus verbunden sind, ist keine inhaltsleere Floskel. Lebendig gehalten, vermag dieser Glaube Berge zu versetzen. Er vermag zuerst und vor allem jene Barrieren und Berge abzutragen, die permanent durch Menschen – also auch durch uns – errichtet werden: Im Jenseits! Denn: Wie viele Menschen verfluchen die Toten, und dies tagtäglich? Wie oft wird den Toten gerade in unserer skandalträchtigen Zeit ihre Ehre geraubt? Wie oft werden sie – oft nachdem sie schon jahrelang tot sind – in den Dreck gezogen? Skandalgeschichten sind immer noch eines der beliebtesten Bindemittel gerade über die Gräber hinweg. Und wie viele Menschen tun sich schwer mit der Versöhnung? Der Versöhnung mit jenen Menschen, mit denen sie jahrelang Seite an Seite gelebt haben. Selbst dann, wenn sie Blumen am Grab pflegen und diese gießen und gießen und gießen, damit der Sarg möglichst schnell verfault! Ob wir es wollen oder nicht: Wir alle, auch unsere medial strukturierte Öffentlichkeit, wir alle errichten Zäune und Barrieren im Jenseits. Wir schütten Berge auf, Berge, durch die oft gar jene Toten voneinander geschieden werden, die auf demselben Friedhof begraben liegen. Die Konfliktgeschichte, die Geschichte der ausbleibenden Versöhnung endet ja nicht im Tod. |
4![]() | Aber auch die Geschichte der Versöhnung bricht im Tod nicht ab. Vor allem aber läuft sie nach dem Tod nicht ins Leere. Lebendig gehalten, vermag unser Glaube, der Glaube, dass wir alle in Christus verbunden sind und die Kirche deswegen eine Gemeinschaft von Lebenden und Toten ist, dieser Glaube schreibt eine Gegengeschichte: auf den krummen Zeilen dieser Welt, auf den krummen Zeilen unserer Familiengeschichten, auf den Zeilen der im Hass abgebrochenen Beziehungen. Und warum dies? Wir beten für die Toten und tun Gutes an ihrer statt. Die Kirche tut dies bei jeder Eucharistiefeier, bei der sie für alle betet: für alle, also auch für jene, deren niemand mehr gedenkt. Ob wir uns dessen bewusst sind oder nicht: Durch unser Tun tragen wir, trägt die Kirche zum Abbau von Barrieren im Jenseits bei; durch unseren Glauben versetzen wir Berge, gerade die Berge jenseits des Todes. |
5![]() | Warum dieser eher ungewöhnliche Ton in einer Festtagspredigt? |
6![]() | Liebe Schwestern und Brüder, fragen wir uns ehrlich: Geht all unser Tun, das Tun, das unseren Toten gilt, geht dieses Tun ins Leere? Das Fluchen und das Gebet? Und all die guten Werke? Wenn dies der Fall sein sollte, wenn sich die Toten letztendlich ins Nichts aufgelöst haben, dann stellen der Allerheiligentag und Allerseelen den Inbegriff des Irrsinns dar. Dann wären eigentlich alle, die an diesen Tagen zum Friedhof gehen, alle, die ihre Zeit, ihre Aufmerksamkeit und ihr Geld für die Toten investieren, dann wären sie alle zu bemitleiden. Deswegen ist es gerade an einem Tag wie heute gut, sich diese fundamentale Wahrheit klar vor Augen zu führen: Mit jedem kleinen Zeichen, das wir für unsere Toten setzen, bezeugen wir, dass die Grenze des Todes keine endgültige Grenze ist. |
7![]() | Und wenn dies der Fall ist, dann wird auch die eigentliche Frage, die das Fest Allerheiligen aufwirft, unabweisbar. Nämlich: Was können die Toten für uns tun? Auch in dieser Richtung gibt es in den Meinungen von Zeitgenossen Ambivalenzen. Tausende, Abertausende von Menschen sind fest davon überzeugt, dass sich die Toten rächen können und als Gespenster unseren Alltag stören. Andere halten so etwas für Humbug, haben aber keine überzeugende Alternative, um sich mit den Toten zu versöhnen. Deswegen verdrängen sie auch den Tod und versuchen die Toten zu vergessen. |
8![]() | Sollte aber die Grenze des Todes keine endgültige Grenze sein, mit welchem Fahrzeug kann sie überschritten werden? So überschritten, dass die Fahrt selber beiden den Segen bringt: den Lebenden und den Toten? So paradox es für viele klingen mag, das beste Fahrzeug und die vernünftigste Alternative ist immer noch im Glauben der Kirche zu finden: Und zwar in jener Kirche, in der es auf dieser Erde brave und korrupte Menschen gibt, Sünder und Halbheilige. In jener Kirche, die von Christus im Heiligen Geist unablässig geheiligt wird. Geheiligt auch dadurch, dass jene Menschen, die bereits vollendet sind, also sich im Himmel der Gemeinschaft des Dreifaltigen Gottes erfreuen, dass diese Heiligen für uns beten, auf uns und unsere Bitten hören. Gerade dann hören, wenn wir litaneiartig beten: „Heilige Maria bitte für uns; heiliger Soundso bitte für uns; alle Heiligen Gottes: bittet für uns“. Das Doppelpack von Allerheiligen und Allerseelen vergegenwärtigt unsere christliche Glaubenskultur, es bringt sie geradezu auf die Kurzformel: Wir beten für die Toten und glauben, dass unsere Toten auch für uns beten und für uns den Segen erbitten, uns gar den Himmel offenhalten: gerade dann, wenn uns die Decke auf den Kopf fällt. Deswegen werden wir auch seliggepriesen (vgl. Mt 5,1-12a). Und wir werden seliggepriesen, solange wir diesseits der Grenze des Todes leben. Jenseits der Grenze gibt es dann nur noch die fruitio: den Genuss! Den Genuss der Gemeinschaft des Dreifaltigen Gottes und den Genuss der Gemeinschaft aller, aller Heiligen… Also auch jener Menschen, die mir im diesseitigen Leben wichtig waren. |
9![]() | Am heutigen Tag verleiht Papst Leo dem heiligen John Henry Kardinal Newman, dem großartigsten – zuerst anglikanischen, dann nach seiner Konversion dem katholischen – Theologen des 19. Jahrhunderts, den höchsten kirchlichen Ehrentitel: Kirchenlehrer, doctor ecclesiae. Von ihm stammt eines der schönsten modernen Gebete: „Oh leite mich mit Deinem milden Licht“. Die Schlusssätze dieses Gebetes bringen den Glauben und die Hoffnung der beiden Feiertage: Allerheiligen und Allerseelen brillant zum Ausdruck: „Bisher hast du gesegnet mich, wohlan, so leite mich auch ferner – bis die rauhe, dunkle Bahn einst lichtet sich. Dann stehn am Morgen Sel‘ge vor mir da, die einst ich liebte und dann nimmer sah.“ Das Beste kommt also noch! |
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