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Von der hochmütigen Demut

Autor:Niewiadomski Jozef
Veröffentlichung:
Kategoriepredigt
Abstrakt:
Publiziert in:
Datum:2025-09-28

Inhaltsverzeichnis

Inhalt

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Predigt in der Jesuitenkirche am 31. August zu Jesus Sirach 3, 17f. und Lk 14,7-14.

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Irgendwann hielt er es nicht mehr aus: diese Heuchelei in den höchsten Kreisen, die Kultur der Prahlerei, der Verleumdung und des Skandals. Mit einem Wort: die Tatsache, dass „die ganze Gesellschaft von oben bis unten verderbt“ war. Diese Großköpfigen, die immer nur nach den ersten Plätzen gieren und Menschen niedrigen Standes geringer achten. Er selber gehörte zur Elite. Skandalisiert über seine Umgebung verzichtete Hermius auf das hohe politische Amt, das er bekleidete, und zog sich zurück. So als ob er den biblischen Autor beim Wort nehmen wollte: „Je größer du bist, umso mehr bescheide dich, dann wirst du Gnade finden bei Gott“ Sir 3,18). So ging er in die Wüste! Ins Niemandsland. Dort wollte er sich in Demut üben. Dem Brauch der damaligen Zeit entsprechend, bestieg er eine hohe Säule und verbrachte seine Tage mit Fasten und Gebet. Und den Gedanken über Gott und die böse Welt. „Wie musste sich wohl das Böse auf der Welt inzwischen vermehrt haben, nachdem ich selber, der wahrscheinlich letzte demütige Mensch, dieser Welt den Rücken gekehrt habe?“, dachte er. Jeden Tag schwelgte er in seiner Erinnerung an die Skandale und Sittenlosigkeit der Welt. Vor seinen Augen tauchten auch ständig Erinnerungen auf, wie man bei Festlichkeiten um die Ehrenplätze stritt, vor allem aber in der Gesellschaft die Nase hochtrug. Sagte nicht das Evangelium, dass diejenigen die sich selber ständig erhöhen, erniedrigt werden? (Lk14,11) Kein Wunder, dass Hermius sich kaum mehr vorstellen konnte, dass es noch irgendjemanden in der Welt gäbe, der des Himmels würdig wäre. So machte sich die Verzweiflung bei dem demütige Hermius breit. Er erkannte, dass der göttliche Plan mit den Menschen scheitern wird. Und siehe da: Plötzlich glaubte er eine Stimme zu hören: „Steig hinunter auf die Erde. Geh in die Stadt, geh nach Damaskus und suche dort Pamphalon.“ Der erste Gedanke des demütigen Asketen war logisch: „Aha, vermutlich gibt es doch noch einen zweiten demütigen Säulensteher, außer mir“. Nachdem er immer und immer wieder die Stimme vernommen hatte, stieg er schlussendlich hinunter und machte sich auf den Weg. Inzwischen ist er aber alt geworden. Mit Müh’ und Not erreichte der Greis die Stadt. Das pulsierende Leben dort, die Freude, die auf den Straßen der Stadt herrschte, verwirrte ihn und bestätigte ihm bloß seine Überzeugung, dass die Welt in der Zeit, die er in der Wüste verbracht hatte, schlimmer geworden ist. Und es hat ihn fast wie ein Schlag getroffen, als er endlich den Pamphalon, den er solange gesucht hatte, auch getroffen hat. Nein! Es war kein Asket und auch kein demütiger Säulensteher. Vielmehr ein Gaukler, ein Mensch von sehr unstetem Lebenswandel, lustig und sorglos, einer, der sich keine Gedanken über Frömmigkeit machte, sondern tanzte und spielte, damit die Menschen lachen können. Der an der Welt verzweifelte Hermius gelangte zur Überzeugung, dass er zum Opfer teuflischer Verführung wurde. Das Beste, was er nun angesichts dieser Sackgasse tun könnte, wäre der Versuch, den Gaukler zu bekehren. Doch die langen Bekehrungsgespräche brachten etwas Überraschendes hervor. Zuerst staunte er darüber, wie der Gaukler mit einer Selbstverständlichkeit sondergleichen immer wieder seinen Mitmenschen im Leben ein Stück vorwärtshalf. Ganz ohne frommes Pathos streute er Spuren des Guten in diese Welt, weil er etwas von seinem verdienten Geld verschenkte. Nachdem sich der weltverachtende demütige Asket einiges an solchen Alltagsgeschichten anhörte, hat er es begriffen: Er selber habe seine Lebenskraft aus der hochmütigen Demut eines Frömmlers geschöpft. Aus der zum Hochmut gewachsenen Demut, einer Demut, die mit frommer Lust die Nase in der Welt hochträgt. Beim Abschied sagte er zum Gaukler: „Du hast mich getröstet. Du hast mir Freude geschenkt, weil ich durch dich erkannt habe, dass das Himmelreich nicht veröden wird. Weil dank der Barmherzigkeit viele ins Himmelreich gelangen werden, welche die Welt verachtet und die auch ich vergessen habe, ein hochmutiger Einsiedler, der nur sich selber sah.“

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Liebe Schwestern und Brüder, Nikolai Leskov, ein Zeitgenosse Dostojewskis schrieb diese wunderschöne Geschichte vom Gaukler Pamphalon in seiner Novelle auf. Er schrieb sie als Lobeshymne auf die Kraft göttlicher Gnade, die es vermag, auch den stolzesten Frommen zu bekehren, den Frommen, der in seiner Demut wiederum hochmütig wird, der nur sich selbst in seiner Tugend sieht und deswegen an der Welt, so wie sie halt ist, verzweifelt. Wir leben in einer Welt, die von der Geltungssucht geradezu besessen ist. Der Traum von vielen Zeitgenossen ist simpel: „Bloß einen Tag berühmt zu sein!“ Die eigene Größe und Kraft werden gerne überschätzt. Unsere Öffentlichkeit verführt uns ja ständig dazu. Die Frage, die mich aber immer und immer wieder in diesem Zusammenhang stutzig macht, lautet: Wie oft erliegen wir, wie oft erliege ich, wie oft erliegt auch unsere Kirche der Versuchung einer hochmütigen Demutshaltung? Man muss sich nicht auf die Säule stellen, um die Nase hochzutragen. Sich von der Welt abwendend, von einer Welt, in der man nur den Verfall der Sitten und Verderbtheit sieht, sich von dieser Welt abwendend, glauben wir oft dieser Welt bloß den erhobenen Zeigefinger zeigen zu müssen und bloß ihre Laster zu geißeln, zumindest aber die ganze Fülle an Geboten und Pflichten in Erinnerung zu rufen. Gott hat aber seinen Sohn in die Welt gesandt, nicht damit er den Menschen den erhobenen Zeigefinger zeigt. Gott hat seinen Sohn gesandt, damit er die Menschen rettet.

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Bei aller Begeisterung für die Vielfalt der Religionen dürfen wir Christen nicht vergessen, dass der Weg nach unten der Inbegriff dessen ist, was Gott für die Menschen tut. Für die Menschwerdung des Sohnes Gottes prägte die Tradition den Begriff Humilitas: Bodenständigkeit. Humilitas wird oft übersetzt mit Demut. Bodenständigkeit und der Weg nach unten, auf die Augenhöhe eines anderen Menschen, das Sichhinunterbewegen zu jenen, die schwächer sind, leiden, selber ganz unten sind: stellt ja den Inbegriff christlicher Lebensauffassung dar.

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Übrigens: als der alte Hermius auf seinem Weg zu seiner Säule zum Sterben kommt, verzagt er wieder. Er sieht am Himmelsgewölbe in ganz großen Buchstaben das Wort „Eigendünkel“ geschrieben und denkt sich: „Hier ist meine Grenze!“ Und so quält er sich im Sterben. Doch dann? Dann sieht er den Pamphalon, wie er mit seinem Gauklermantel das Wort wegwischt und ihn, den verzagten Greis, mit hinaufnimmt in den Himmel. „Wie konntest du die Sünde meines Lebens auslöschen?“, fragt der Asket den Gaukler während ihrer Reise in den Himmel. „Ich weiß nicht, wie ich es getan habe. Ich sah nur: du warst ratlos und ich wollte dir helfen, wie ich es verstand. So habe ich immer gehandelt, während ich auf Erden weilte“.

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Liebe Schwestern und Brüder, die theologische Sinnspitze dieser liebenswürdigen Geschichte liegt darin, dass am Schluss derjenige, der ja in seiner hochmütigen Demut meinte, er müsse den Gaukler bekehren, dass er selber von diesem Gaukler gerettet wird. Das ist eine Verdichtung von Hoffnung für all jene, die in frommer Absicht, ihrer hochmütigen Demut, oder aber ihrem demütigen Hochmut ständig an sich selber zu scheitern drohen. Lassen wir uns immer wieder von dem bodenständigen Sohn Gottes nicht nur eines Besseren belehren, sondern auch retten.

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