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Die Fragen werden bleiben, doch manche Antwort kann sich ändern. Ansprache zur Sponsionsfeier am Samstag, 5. Juli 2025

Autor:Lumma Liborius
Veröffentlichung:
Kategoriefak
Abstrakt:
Publiziert in:
Datum:2025-07-07

Inhaltsverzeichnis

Inhalt

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Ein Professor zeigte einmal seinem früheren Studenten die Prüfungsaufgaben des aktuellen Semesters. Der ehemalige Student schaute sie sich an und sagte überrascht: Das sind doch dieselben Aufgaben, die sie schon mir gestellt haben. Der Professor antwortete: Das weiß ich. Darauf der Student: Aber wissen Sie denn nicht, dass die Studierenden die Fragen untereinander weitergeben? Und der Professor: Das weiß ich. Aber die Antworten ändern sich jedes Jahr.[1]

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Liebe Absolventinnen und Absolventen[2], liebe Angehörige, liebe Freundinnen und Freunde! Wenn eine Professorin oder ein Professor Semester für Semester, Jahr für Jahr dieselben Prüfungsfragen stellt, dann kann das drei Gründe haben:

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Der erste Grund hat mit der Eigenheit einer Universität zu tun. Wissenschafterinnen und Wissenschafter sind neben der Lehre auch mit Forschung beschäftigt, oft eingebunden in aufwändige Dokumentationen, Publikationen und internationale Vernetzung, verbunden mit engmaschigen Zeitabläufen und hohen Erwartungshaltungen. Manche übernehmen Leitungs- und Verwaltungsaufgaben und gestalten die Weiterentwicklung der Universität. Da bleibt dann manchmal die Kreativität bei der Gestaltung von Prüfungen etwas auf der Strecke, und die Wiederverwendung von Prüfungsaufgaben ist dann eine bequeme, ressourcenschonende Vorgehensweise. – Ich hoffe, dass Sie diese Erfahrung nicht zu oft gemacht haben, auch wenn sie sich vielleicht nie ganz vermeiden lassen wird.

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Ein zweiter Grund: Manches in der Wissenschaft sind unverzichtbare Grundlagen, die sich klar und einheitlich benennen lassen. Fachbegriffe verstehen, wissenschaftliche Methoden korrekt anwenden, die Leistungen der Riesen kennen, auf deren Schultern wir stehen: das alles gehört zum Lernen an der Universität, zum Hineinwachsen ist eine über viele Jahrhunderte entwickelte Kultur des wissenschaftlichen Arbeitens. Manche Prüfungen sind also deswegen immer gleich, weil sie die Standards der Wissenschaft sicherstellen. Man muss sie so beherrschen wie die Regeln des Straßenverkehrs, wenn man ein Auto führen, oder die Gesetze der Statik, wenn man eine Brücke bauen möchte.

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Und schließlich gibt es den dritten Grund, den wir in der kleinen Anekdote zu Beginn gehört haben: die Fragen bleiben, aber die Antworten ändern sich. Das ist es, was Wissenschaft von Ideologien und erst recht von Verschwörungstheorien unterscheidet. Gewiss, manchmal geraten auch etablierte Wissenschafterinnen und Wissenschafter in die Gefahr, betriebsblind zu werden, aber der Wissenschaftsbetrieb in seiner Ganzheit kennt Mechanismen der Weiterentwicklung, des Dialogs und der gegenseitigen Kritik. Forschungsprojekte werden daraufhin überprüft, auf welchen Grundlagen sie aufbauen, ob sie sich der Stärken und Schwächen ihrer Methoden bewusst sind, ob sie überhaupt etwas Neues untersuchen oder ob sie ihre Ergebnisse schon in der Fragestellung vorwegnehmen. Wissenschaftliche Publikationen werden von anderen Expertinnen und Experten zur Kenntnis genommen, mit Rückfragen versehen, in Folgeprojekten weitergeführt oder widerlegt. – Ich hoffe, dass Sie auch diese Erfahrung machen konnten: dass Ihre Lehrerinnen und Lehrer vom eigenen Erkenntnisfortschritt berichtet haben, so dass das, was vor einem Jahr noch eine eindeutige Antwort auf eine Prüfungsfrage war, mittlerweile in neuem Licht erscheint und differenzierter gesehen werden muss.

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Der Prozess des Weiterentwickelns, des In-Frage-Stellens und des Lernens hört in der Wissenschaft nie auf. Er endet auch nicht mit dem erfolgreichen Abschluss eines Studiums. Wenn die Universität Innsbruck Ihnen, liebe Absolventinnen und Absolventen, heute feierlich zu ihren akademischen Graden gratuliert, dann ist das nicht das Ende Ihres wissenschaftlichen Weges, sondern ein Etappenziel. Gewiss, Sie dürfen stolz darauf sein! Aber wenn Sie nun in die unterschiedlichsten Berufsfelder gehen, dann ergeht aus dieser Stunde die Bitte an Sie, auch weiterhin für die Bedeutung wissenschaftlicher Methoden und neuer Erkenntnisse einzustehen. Lassen Sie sich in Ihren Überzeugungen jederzeit in Frage stellen – auch in dem, was Prüfungsstoff im Studium war – und nehmen Sie Kritik ernst. Hören Sie nicht auf zu lernen. Seien Sie wachsam, wenn vorschnelle Urteile gefällt werden. Treten Sie auf, wenn Wissen und Meinung miteinander verwechselt werden.

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Sie sind eingeladen, ihre Zugehörigkeit zur Universität Innsbruck auch als Alumnae und Alumni fortzusetzen. Nicht aus Nostalgie, sondern weil Wissenschaft eine Herangehensweise an die Welt, an das Lernen und an das Erkennen ist, die man, wenn man sie ernst nimmt und sich zu eigen macht, nicht einfach von sich abstreifen und ignorieren kann.

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Die Fragen werden bleiben, doch manche Antwort kann sich ändern. Wenn Sie sich dies aus Ihrem Studium mitnehmen, dann erfüllen Sie die gesellschaftliche Verantwortung, zu der Sie sich gleich in Ihrem Gelöbnis öffentlich bekennen.

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Liebe Absolventinnen, liebe Absolventen, zu Ihren Studienabschlüssen gratuliere ich Ihnen herzlich! Genießen Sie den heutigen Tag, feiern Sie mit Ihren Angehörigen und bleiben Sie der Universität Innsbruck verbunden.

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Anmerkungen

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[1] Diese Anekdote ist eine freie Nacherzählung aus der Sammlung: Witz, Humor und die Kunst, das Leben zu meisten. Stuttgart/Zürich/Wien 1968, S. 719.

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[2] Die Ansprache wurde gehalten für Absolventinnen und Absolventen der Fakultät für LehrerInnenbildung, der Fakultät für Psychologie und Sportwissenschaft, der Katholisch-Theologischen Fakultät und der Rechtswissenschaftlichen Fakultät.

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