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Raymund Schwagers Manuskripte zur „Allgemeinen Sakramentenlehre“ kritisch ediert und kommentiert

Autor:Niewiadomski Jozef
Veröffentlichung:
Kategorieartikel
Abstrakt:
Publiziert in:
Datum:2022-05-25

Inhaltsverzeichnis

Inhalt

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Als Herausgeber von „Raymund Schwager Gesammelte Werke“ (Freiburg i. Br.: Herder 2016–2018) muss ich eingestehen, dass das Außerachtlassen seiner Vorlesungsmanuskripte zur „Sakramentenlehre“ ein Fehler war, setzt doch der spezifisch dramatische Zugang zur Frage der Sakramente dem Ansatz von Schwager so etwas wie das sprichwörtliche Tüpfelchen auf das I. Nun ist gerade eine – vor einem Jahr abgeschlossene – Dissertation erschienen, die den sakramentstheologischen Ansatz von Schwager nicht nur rekonstruiert, sondern diesen auch im Kontext der Debatten der 70-er Jahre verortet, vor allem aber die besagten Manuskripte kritisch ediert. „Transformation des Alltags. Sakramententheologie im Blickwinkel der Innsbrucker Dramatischen Theologie. Mit einer quellenkritischen Edition der Vorlesungsmanuskripte zur Allgemeinen Sakramentenlehre von Raymund Schwager samt den dazugehörigen Overheadfolien“ von Adam Pendel (erschienen als Band 34 der Reihe: „Beiträge zur mimetischen Theorie“ im LIT-Verlag: Münster 2022, 536 Seiten;  ISBN978-3-643-912-3;49,90 Euro) stellt einen wertvollen Beitrag zur Rezeption des originalen, oft tabuisierten Ansatzes dar.

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Zuerst rekonstruiert Pendel vier handbuchartig angelegte Entwürfe der Sakramententheologie, die im letzten Viertel des 20. Jahrhunderts publiziert wurden. Es sind dies die Entwürfe von Theodor Schneider (30–68), Alexandre Ganoczy (68–75), Leonardo Boff (76– 94) und Lothar Lies (94–112). Die Auswahl wird mit den Hinweisen darauf begründet, dass Schwager zur selben Zeit seine Vorlesung über die Sakramente gehalten hat, die Werke auch als Prüfungsliteratur gedient und (wie im Fall von Boff) eine außerordentliche Popularität erlangt haben. Die Rekonstruktion einzelner Entwürfe geschieht nach dem gleichen Schema. Den biographisch angelegten Bemerkungen folgt eine genaue Nachzeichnung des Gedankengangs des jeweiligen Autors. So unterschiedlich die Zugänge dieser Autoren zur Frage sein mögen, eines verbindet sie: die Einschätzung der Frage nach dem Ritus. Der Befund überrascht schon deswegen, weil sich die Riten in der gegenwärtigen Kultur der Hochkonjunktur erfreuen. In den analysierten Entwürfen spielt aber die Frage „kaum eine Rolle“. „Der Ritus wird entweder mit dem negativen Beigeschmack des Ritualismus oder Sakramentalismus – wie bei Schneider, Ganoczy, aber auch teilweise bei Lies – erwähnt oder, wie das der Fall bei Boff ist, er spielt zwar eine wichtige Rolle, wird aber nicht scharf genug in Beziehung gesetzt zu den eigentlichen Sakramenten.“ (110) Pendel vermutet, dass der tiefere Grund für die Ausblendung der Problematik die in dieser Zeit stattfindende Auseinandersetzung um die „authentische Gestalt der nachkonziliaren Liturgie“ mit den Traditionalisten sein könnte. (111f.)  Das zweite Kapitel (113–170) beschäftigt sich mit dem „Ausnahmedenker in Sachen Theorie des Ritus: René Girard“. Im letzten Absatz des ersten Kapitels (112) wird diese Hochschätzung mit dem Hinweis auf die Bewertung der Bedeutung Girards in Sachen Theorie des Opfers durch Schwager begründet. Pendel glaubt: Was für das Opfer gilt, "könnte man auch auf den Ritus beziehen, ist doch der Opferritus ein zentraler Ritus in der Religionsgeschichte.“ Auch die Rekonstruktion dieses Theorieentwurfs wird mit den biographischen Hinweisen eingeleitet. Aufbauend auf den Ergebnissen deutschsprachiger Forschung (Wolfgang Palaver, Mathias Moosbrugger u.a.) zeichnet Pendel anschließend die „anthropologische Basis der Genese der Riten nach und weist auch hin auf die fundamentale Bedeutung der Literatur als Quelle der Erkenntnis. Er schließt sich der These Moosbruggers an, Girard sei im ersten Stadium der Entwicklung seiner Theorie an einer „Aporie der Anthropologie“ angelangt, musste sich deswegen zur Lösung derselben der Ethnologie zuwenden, mit Hilfe derer er dann auch seine Theorie des Ritus entwerfen konnte. Neben den Hauptwerken von Girard ist es vor allem die (im Forschungskreis: „Dramatische Theologie und ihre Methoden“ entstandene) Arbeit von Moosbrugger, die Pendel als Quelle für die Darstellung der Genese der Riten, ihres imitatorischen Charakters und ihrer transformierenden Kraft benutzt. Mehrmals stellt er dabei den Bezug zum Thema seiner eigenen Arbeit her (so etwa beim Verweis auf die „eruptive Transformation der Wahrnehmung der Beteiligten“ am Sündenbockereignis, oder bei der Artikulation des „skeptischen Vorbehalts gegen theologische Füllungen von sakramentaler Praxis…, die den ganzen Komplex des rituellen Handelns auf die praktischen Anweisungen reduzieren“. Wohl zentral für den Fokus mit dem Pendel das Thema angeht, ist die sog. „Opferkontroverse“ zwischen Girard und Schwager. Die Darstellung der antisakrifiziellen Deutung des Todes Jesu durch Girard (121–127) führt Pendel zur wichtigen Prämisse für die theologische Einschätzung des Wertes von sakramentaler Praxis: „Weil Girard den zentralen Wert der biblischen Offenbarung in der Aufklärung über die sakrifizielle Verschleierung der Gewalt sieht, sieht er den Ausweg aus den Sackgassen des Begehrens im Verzicht auf die Gewalt. Deswegen finde die Transformation des Alltags hauptsächlich auf ethischer Ebene statt. Das ist der Wert, den die Botschaft der Propheten und die Bergpredigt Jesu bringen. Kann aber der Wert des Kreuzes auf die Ebene des Wissens reduziert werden?“ (167f.) Mit dieser fundamentalen Frage ist der logische Übergang zum nächsten Kapitel gegeben.

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Das dritte Kapitel (171–242) ist Raymund Schwager gewidmet. Nach einer „biographischen Skizze“ wird zuerst die Genese des Dramatischen Ansatzes nacherzählt. Moosbruggers Rekonstruktion der Entwicklung folgend stellt Pendel die zwei ersten Werke Schwagers dar, ergänzt diese durch die „eigenständige“ Rekonstruktion vom dritten Werk: „Glaube, der die Welt verwandelt“ (183–188), um dann zu der wichtigen „Opferkontroverse“ zu kommen. Anknüpfend an die schöne Formulierung von Nikolaus Wandinger und Karin Peter: „Beautiful Minds“ im Dialog analysiert Pendel zuerst die Grundzüge „neuer biblischer Hermeneutik“, wie sie Schwager in seinem „Brauchen wir einen Sündenbock?“ entwickelte. In der dort zu findenden Auslegung des Hebräerbriefes sind auch „fundamentale Überlegungen“ enthalten, die für die Sakramentenlehre von Schwager „von Bedeutung“ sein werden. Es ist die Schwerpunktverschiebung bei der Frage nach dem Priestertum Christi, die bald auch bei der „Opferkontroverse“ eine Rolle spielen wird: der kultische Zusammenhang wird gebrochen durch die Thematik des Glaubens Jesu und auch sein Geschick, das „vom Geschick des verstoßenen und getöteten Propheten her zu verstehen“ ist. Der Schilderung der Opferkontroverse folgt die Nachzeichnung des „5-Akte-Dramas“. Auch in diesem Zusammenhang macht Pendel auf die Implikationen für die Sakramententheologie aufmerksam (so die im dritten Akt artikulierte Verwandlung der victima zum sacrificium und Vorordnung der Hingabe im Abendmahlsaal vor dem Geschehen am Kreuz). Die in diesem Kontext aufgenommenen Reflexionen von Wandiger zur Frage der Konsistenz des Gottesbildes Jesu und der im Kreuz stattgefundenen Transformation der Gerichtsworte leiten zu den systematischen Reflexionen über die Bedeutung der Erlösungslehre für das Verständnis von Sakramenten über.

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Das vierte Kapitel (243–316) rekonstruiert Schwagers Entwurf der Sakramentenlehre. Der Inhalt basiert auf den (meist) nicht publizierten Materialien aus dem Raymund-Schwager-Archiv (Pendel listet genuin die Materialien mit den dazu gehörenden Archivnummern auf: (243–246). Als Literaturbasis für seine Darstellung wählt er zuerst die beiden erhaltenen Vorlesungsmanuskripte (SS 1991 und SS 1994) zu den Fragen der Allgemeinen Sakramentenlehre, dann aber auch die Manuskripte zur Theologie der Taufe und der Firmung, der Theologie der Ehe und des Ordo. Damit werden alle von Schwager gehaltenen Vorlesungen vorgestellt. Im Anhang wird auch auf das – inzwischen in der Reihe „Raymund Schwager Gesammelte Werke“ Bd. 8, 368–387) edierte Manuskript Schwagers zur Frage der Ordination der Frau – eingegangen (308–312). Die beiden Manuskripte zur Allgemeinen Sakramentenlehre sind auf weiten Strecken identisch. Sie enthalten aber etliche Streichungen und Textverschiebungen, was darauf hinweist, dass Schwager fortlaufend an seinem Entwurf gearbeitet hat. Die letzte Version wird von Pendel fortlaufend paraphrasiert und kommentiert. Logischerweise bilden die Frage des Ritus und der damit zusammenhängenden systematischen Probleme den Schwerpunkt der Darstellung. Pendel zeigt deutlich wo Schwager in seinen Überlegungen bloß den Spuren folgt, die Girard grundgelegt hat, wo er diese Spuren verlässt und auch wo er diese transformiert. Dabei ist zuerst von der „Historisierung, Ethisierung und Ver-Wortung der Riten“, die im Alten Testament passiert, die Rede. Bei den Problemen, die mit dem Neuen Testament zusammenhängen, ist die Theorie Girards hilfreich für die Auseinandersetzung mit der inzwischen wohl klassischen Position von Odo Casel, als auch den „modernen Theorien“, wie etwa der von Drewermann. Mit der Einbettung der Sakramententheologie im Heilsdrama werden die von Girard gelegten Spuren kreativ weiterentwickelt (der wichtigste Punkt dabei betrifft die schon angesprochenen Zusammenhänge zwischen dem Abendmahl und Kreuz (265–268). Auch bei der Behandlung der traditionellen Fragen wirkt sich der kreative Impuls, den Schwager durch die Auseinandersetzung mit Girard bekam deutlich aus. Die Frage nach der Wirkweise der Sakramente („kraft des vollzogenen Ritus“) wird durch die religionskritische Brille, die von der Theorie Girards geliefert wird, neu durchdacht. Bereits am Anfang seiner Auseinandersetzung mit Girard hat Schwager die Sakramente unter der Kategorie des Gebets eingeordnet: sie „wirken als Gebete im Namen Jesu“, schließen damit an das Gebet und das Geschick Jesu an (243). „Die Sakramente werden damit als ein dramatisches Ereignis verstanden, in das jeder eintreten und bei dem jeder mitwirken kann.“ Die im Anschluss an die von Girard stark in den Vordergrund gerückten Perspektive der Transformation des Alltags auf (ritueller) und dann ethischer Ebene präzisiert Schwager indem er die Sakramente zu den Symbolen der Welt in Beziehung setzt. Pendel weist auf die von Schwager eingeführte Redeweise von der „Katastrophe der Ethik“ und die im sakramentalen Geschehen stattfindende Transformation der Katastrophe hin. Damit werden die Sakramente im Unterschied zu bloßen Riten als Geschehen der Versöhnung begriffen. In diesem Kontext sind auch gesellschaftskritische Impulse, die von der Liturgie ausgehen zu sehen. Mit einer kleinen Bemerkung wird diese Position in Beziehung gesetzt zu befreiungstheologischen Aufbrüchen, die im Geringsten und Armen Zeichen der Nähe Gottes entdecken. Schwager hinterfragt das oft postulierte Konkurrenzverhältnis zwischen „dem sakramentalen Zeichen und dem Zeichen der Armen“. Beides ergänzt sich. „Die sakramentalen Zeichen sind direkt für die Gläubigen selber da. Im Vergleich dazu sind die Armen nicht für sich selbst Zeichen, sondern für andere. Durch die Armen ruft uns Christus, ihm zu dienen; und überraschenderweise: je weniger der Arme sich dessen bewusst ist, ein Zeichen zu sein, desto unverfälschter ist sein Zeichen.“ (278f.)

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Die im fünften Kapitel (317–462) erfolgende quellenkritische Edition der Vorlesungsmanuskripte zur Allgemeinen Sakramentenlehre, samt den dazugehörenden Overheadfolien stellt den unverwechselbaren Wert dieser Monographie dar. Nach einer Einleitung durch Mathias Moosbrugger – der die Manuskripte von Schwager katalogisiert und das Archiv mitorganisiert hat – hat Pendel in wochenlanger Arbeit die unterschiedlichen Versionen der Manuskripte verglichen, nach gängigen Kriterien die Verschreibungen und Unebenheiten korrigiert und eine perfekte Edition der Texte vorgelegt. Extra zu erwähnen sind die in die Kritischen Edition integrierten Overheadfolien. Sie erleichtern nicht nur das Verständnis des Grundanliegens von Schwager, sondern sind auch ein wertvolles Zeugnis der Kreativität bei der Gestaltung der akademischen Lehre in den 70-en, 80-en, 90-en Jahren. Auf jeden Fall bis zum Siegesmarsch des Powerpoints. Die Edition stellt einen Forschungserfolg dar, der an das Niveau der Edition „Raymund Schwager Gesammelte Werke“ anknüpft und den Wert des „Raymund-Schwager-Archivs“ als einer Forschungsstätte an der Fakultät aufs Neue bestätigt. Die ganze Arbeit liefert einen weiteren wertvollen Mosaikstein zur Erforschung des Denkmodels Raymund Schwagers.

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