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Berühre mich! Christentum, die leibfreundlichste Religion
(Predigt zum „Weißen Sonntag“/dem Fest der „göttlichen Barmherzigkeit“ auf dem Hintegrund von Joh 20,14–29, gehalten in der Jesuitenkirche am 23./24. April 2022 ...)

Autor:Niewiadomski Jozef
Veröffentlichung:
Kategoriepredigt
Abstrakt:
Publiziert in:
Datum:2022-05-02

Inhaltsverzeichnis

Inhalt

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… vor dem Hintegrund von Joh 20,14–29, gehalten in der Jesuitenkirche am 23./24. April 2022.

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Er traut sich was. Dieser Auferstandene! Und auch die Kirche traut sich was, wenn sie im Jahre 2022 immer noch dieses Evangelium vorliest. Als ob es die Aufklärung nicht gegeben hätte. Und auch den gelehrten deutschen Philosophen Immanuel Kant nicht, der zur Leiblichkeit der Auferstehung nur Eines zu sagen wusste: „Afterglaube!“ Ja, der auferstandene Christus traut sich was, wenn er zum Zweifler sagt: „Berühre mich! Stecke deine Finger in die Wunden der Nägel. Und deine Hand in die Seitenwunde.“ Und wisse: Auferweckung ist leibhaftig. Oder sie ist gar nicht! Nein, ich bin kein Gespenst, der deiner verstörten Phantasie entspringt. Auch nicht das Gespenst deiner Erinnerung an das Versagen und den Verrat. Bin kein Gespenst, das bloß die tiefe Zerrissenheit deiner Seele verdichtet. Ich will nicht die Zerrissenheit verstärken und nicht dein schlechtes Gewissen bekräftigen. In der Oper: „Salome“ von Richard Strauss gibt es zum Thema dieser Predigt eine tiefsinnige Szene. Die Nazarener berichten dem Herodes, dass der Messias die Toten auferweckt. Der Mann, der eine Menge von Mord und Totschlag auf dem Gewissen hat, reagiert bestürzt: „Ich verbiete ihm das zu tun. Es wäre schrecklich, wenn die Toten wiederkämen“. Und sich rächen würden – ergänzt der Prediger.

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„Berühre meine Wunden“, sagt der Auferweckte, ich bin nicht das Gespenst deiner Erinnerung an das Versagen und den Verrat. Will auch nicht dein schlechtes Gewissen verstärken. Vielmehr will ich Frieden stiften. Deswegen werde ich auch mit euch essen und trinken. So wie früher als ich gerade durch meine Leiblichkeit die Lebensfreude, die Lebenslust und die Liebeswürdigkeit meines Gottes demonstrierte. Ich möchte deine ganze Aufmerksamkeit nur noch auf meinen Leib fokussieren. Nicht auf die Zeiten überdauernde Lehre, nicht auf ein Programm und schon gar nicht auf den moralisiert erhobenen – konservativen, oder aber progressiven – Zeigefinger. Nein. Ganz bewusst möchte ich deinem Zeigefinger meine Wunden, meine verklärt erscheinenden Wunden anbieten. An diese soll er sich heften, anstatt in der Moralinsäure zu baden.

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Liebe Schwestern und Brüder, so paradox es auch klingen mag: Mit dieser Botschaft wird das Christentum zur leibfreundlichsten Religion. Der Leib wird im heutigen Evangelium zum privilegierten Ort erklärt, an dem Gotteserfahrung am Abgrund des Todes erlebt wird. Und warum dies? Weil der gerade Leib der Ort ist, an dem die Liebe buchstäblich mit Händen greifbar wird. Wenn Hände die Güter aus Solidarität austeilen. Wenn Liebende sich liebkosen. Wenn neues, werdendes Leben gefühlt, ja mit Fingerspitzen betastet wird. Aber der Leib ist auch der Ort, an dem Ohnmacht, Leid und Ausgeliefertsein erlebt werden. Den Leib erfahren wir alle mit jedem Atemzug. Und je älter wir werden, umso widerspenstiger erfahren wir ihn, umso dunkler und fremder wird er uns werden. Ob die gelehrten Zyniker, die über die Hoffnung der Christen nur spotten können, ob die rationalistisch veranlagten Philosophen und auch Theologen, die unter Gott den Gegenstand des logischen Denkens erblicken, sich immer dessen bewusst sind, dass intensivste Liebeserfahrungen, Erfahrungen leiblicher Art sind, aber auch Scheußlichkeiten wie Folter und Missbrauch den Leib nicht „draußen vor der Tür“ lassen? Weil dies der Fall ist, muss diese eine Frage radikal gestellt und auch radikal beantwortet werden: Kann Gott uns auch an den Leib rücken? An den mir selber – gerade im Alter und in Krankheit – zunehmend fremd werdenden Leib?

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In der Auferweckung Jesu rückt Gott dem Menschen Jesus so an den Leib, an den gemarterten Leib, an den Leib, der bereits der Zersetzung anheimfiel, Gott rückt an diesem Leib so, dass keine Macht des Todes diesen Leib mehr vernichten kann. “Berühre meine Wunden!”, sagt Jesus zum zweifelnden Thomas. Der auferweckte Christus bezeugt damit die Macht jenes Gottes, der den Menschen als eine leib-geistige Größe erschaffen hat und ihn auch trotz aller Widerspenstigkeit des Todes als leib-geistige Größe in alle Ewigkeit bei sich rettet. Was bedeutet das für uns, die wir alle Kinder der Aufklärung und naturwissenschaftlich begründetet Rationalität sind? Unser Leib ist nicht nur Opfer der Alterungsprozesse und Opfer des Absterbens von Zellen. Der Leib ist das, was er nach dem Willen des Schöpfers immer schon war: das Realsymbol der Person. Existentiell gewendet bedeutet das nichts anderes als, dass die Auferweckung Jesu uns deutlich zeigt: selbst im Abgrund der Schändung bleibt der Leib die konkrete Form gelebter Hingabe. Liebe und Leib: wann ließen die im Leben je sich scheiden? Deswegen ruft uns der Auferstandene heute zu: Schau mit deinen österlichen Augen heute intensiv meinen Leib an und erfahre das, was diese Zeit zu wenig erfährt: der Leib ist nicht nur Objekt der Behandlung und Misshandlung. Meine verklärten Wundmale klagen nicht an. Bei der Auferweckung durch den Gott der Liebe ist eine andere Logik am Werk, als jene Logik, von denen die Schlagzeilen unserer Medien vergiften sind, wenn sie die Wunden nur noch als Anlass für Anschuldigung und Anklage präsentieren. Damit auch neue Wunden reisen. Die Wunden des Auferweckten tragen zur Versöhnung bei.

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Deswegen sagt der Auferweckte zu uns: “Nehmt und esst, das ist mein Leib. Nehmt und trinkt. Verinnerlicht meine Hingabe, verdaut meinen Leib und erfährt: Der Leib stellt nicht nur die Formel für den Stoffwechsel dar. Der Leib ist nicht nur ein Gehäuse für den Geist. Er stellt nicht nur den gottgewollten Weg zum Himmel, sondern ist schon jetzt der Ort an dem der Himmel erfahren wird, ja, er ist der Ort an dem Gott selber und seine Barmherzigkeit erlebt werden.”

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Auf den ausdrücklichen Wunsch eines der Messbesuchers hier noch der Einleitungstext zur Eucharistiefeier an diesem „Sonntag der göttlichen Barmherzigkeit“:

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Den Großteil ihres Lebens verbrachte sie in der Küche und Bäckerei. Jahrelang litt sie an Tuberkulose. Und starb auch daran. Die Frau, die sich mit Not und Mühe das Lesen und Schreiben beigebracht hat, war eine der größten Visionärinnen des 20. Jahrhunderts. Die Welt in die sie hineingeboren wurde, glich einem Jammertal. Unterentwicklung, Armut, Krankheiten und Kriege standen an der Tagesordnung. Theologen und kirchliche Würdenträger beschrieben diese Welt als eine Welt der Sünde, eine Welt, die durch göttlichen Zorn geplagt wird. Mit einer Selbstverständlichkeit sondergleichen stellten sie der Not der Menschen göttliche Gerechtigkeit gegenüber. Provozierten damit aber nur Eines: aus dem Jammertal gab es kein Entkommen. Nicht einmal in der Ewigkeit. Faustyna Kowalska bekam in ihrer Kindheit nur diese Predigt vom Zorn Gottes zu hören. Und ihr wurde die Gnade zuteil, in diesem kirchlichen Nebel die Sonne zu erblicken. Die Sonne der grenzenlosen Barmherzigkeit. Man schickte sie zu Psychiatern, isolierte sie, setzte ihre Schriften auf den Index. Als Häretikerin starb sie im Jahre 1938. Doch ihre Botschaft wirkte nach. Johannes Paul II. setzte sich sein Leben lang für die Rehabilitierung ein. Und er sprach diese Frau heilig. Schwester Faustyna Kowalska wird hierzulande zu Unrecht an den Rand gedrängt. Das Fest der göttlichen Barmherzigkei, das am Sonntag nach Ostern gefeiert wird, geht auf sie zurück. So ist sie auch eine der zentralen Inspirationsquellen für Papst Franziskus.

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