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Ukraine, die Welt und Wir. Kommentar zu einer universitären Diskussionsveranstaltung

Autor:Guggenberger Wilhelm
Veröffentlichung:
Kategoriekommentar
Abstrakt:
Publiziert in:
Datum:2022-03-10

Inhaltsverzeichnis

Inhalt

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Am Abend des 9. März fand an der Universität Innsbruck eine ausgesprochen informative und gehaltvolle Podiumsdiskussion über den Krieg in der Ukraine und die europäische Sicherheitsarchitektur statt, die vom Institut für Politikwissenschaft veranstaltet wurde. An diesen Abend mit den Referent*innen Kristina Stoeckl, Gerhard Mangott und Matin Senn möchte ich einige Gedanken aus friedensethischer Perspektive anschließen.

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Gerhard Mangott wies zum wiederholten Male darauf hin, dass es im Vorfeld des Krieges möglicherweise sinnvoll gewesen wäre, wenn von Seiten der NATO nicht eine Politik der offenen Tür gegenüber der Ukraine aufrechterhalten worden wäre. Dies insbesondere angesichts der Tatsache, dass es sich dabei um eine lediglich abstrakte Bereitschaft gehandelt hat, die in absehbarer Zeit ohnedies nicht realisiert worden wäre, wie ja etwa Kanzler Scholz mehrfach öffentlich zum Ausdruck brachte. Das Offenhalten Der NATO-Option könnte somit sogar eine zusätzliche Gefährdung für die Ukraine dargestellt haben, sofern - wie Mangott betonte - Putins Hauptmotivation für den Überfall auf die Ukraine das Gefühl einer wachsenden Bedrohung durch das westliche Bündnis gewesen sei. Sollte das Motiv allerdings in revisionistischen Großmachtphantasien liegen, hätte eine „Neutralisierung“ der Ukraine diese natürlich nicht geschützt. Wir kennen die wahren Motive Putins nicht. Insofern ist es müßig darüber zu spekulieren, was gewesen wäre wenn. Ich möchte hier jedoch festhalten, dass die Aussage, Signale in Richtung einer neutralen Ukraine hätten das Land Putin zum Fraß vorgeworfen, eines gewissen Zynismus nicht entbehren. Es scheint dabei eher darum zu gehen, mit einem bestimmten Argument unbedingt recht zu behalten; denn schlimmer als die gegenwärtige Realität hätten die Konsequenzen einer alternativen politischen Haltung der Nato für die ukrainische Bevölkerung kaum ausfallen können.

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Ich denke, derartige sehr nüchterne und mitunter wenig empathisch erscheinende Überlegungen sind gegenwärtig unverzichtbar. Rückblickend werfen sie nämlich durchaus die Frage auf, ob tatsächlich alles versucht wurde, um den Krieg mit unblutigen Mitteln zu verhindern. Eine solche Frage muss nicht deshalb gestellt werden, weil es darum ginge, Verantwortliche auszumachen, denen nun der schwarze Peter der Geschichte zugeschoben werden könnte. Vielmehr gilt es, in einem Konflikt mögliche Fehler auch auf der eigenen Seite zu erkennen, um nicht in eine emotionale Eskalationsspirale zu geraten, die durch Dämonisierung der Gegenseite alle Zukunftsperspektiven verunmöglicht. In einem Hirtenbrief von 1983[1] – wir scheinen unvermittelt in jene Zeit des kalten Kriegs zurückversetzt – forderten die US-Amerikanischen Katholischen Bischöfe das Prinzip der komparativen Gerechtigkeit ein, wenn es um die Entscheidung über die ethische Rechtfertigbarkeit militärischen Handelns geht. Dieses Prinzip pocht darauf wahrzunehmen, dass es niemals einen Konflikt, niemals einen Krieg gibt, in dem Recht und Unrecht, Richtig und Falsch trennscharf auf die beiden Konfliktparteien verteilt sind. Um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen: Es geht nicht im Geringsten um eine Rechtfertigung des völkerrechtswidrigen Überfalls auf die Ukraine, ebenso wenig um eine Entschuldigung des menschenverachtenden Vorgehens in diesem Krieg. Zu warnen ist aber vor einer Idealisierung des eigenen Standpunktes. Dadurch würde Verhandlungslösungen und auch einer später notwendigen Aussöhnung a priori der Boden entzogen

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Kristina Stoeckl wies vor dem Hintergrund ihrer sozialwissenschaftlichen Forschungen zu Religionsgemeinschaften in Russland und seinen Nachbarländern auf Spannungen innerhalb der russischen Orthodoxie und zwischen den unterschiedlichen Kirchen hin. In der Russisch-Orthodoxen Kirche gibt es bis hin zu Patriarch Kyrill Positionen, die im gegenwärtigen Krieg einen Ausdruck des endzeitlichen Kampfes zwischen traditionellen christlichen Werten und einer libertären Dekadenz des Westens sehen. So kann der Krieg zu einem metaphysischen Ereignis überhöht werden. Putin mag sich angesichts solcher Ideologisierung des Religiösen gar als Heilsbringer verstehen.

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Wenn ich recht verstanden habe, soll damit der Krieg gegen die Ukraine keineswegs zum Religionskrieg erklärt werden. Es zeigt sich aber, dass fundamentalistische religiöse Strömungen, die überdies keinerlei Sensorium für eine angemessene Distanz zur politischen Macht haben, sich nur allzu gern von skrupellosen Machtpolitikern instrumentalisieren lassen, scheinen diese dem eigenen Weltbild zu entsprechen. Die Katholische und auch die Evangelischen Kirchen in Österreich und Deutschland kennen die Verführbarkeit durch politische Privilegien gerade aus ihrer eigenen schuldhaften Erfahrung im 20. Jahrhundert nur zu gut.

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Umso wichtiger ist es, dass wir uns als gläubige Menschen gegen die Versuchung dualistischer Theoreme stellen. Anhand des gegenwärtigen Falls zeigt sich, dass etwa frauenfeindliche und homophobe Positionen häufig eine Grundhaltung zum Ausdruck bringen, die sich im Grunde wahllos des Mittels der Verfeindung bedient, um die eigene Identität zu stabilisieren. Nehmen wir dies ernst, wird deutlich, wo Friedensarbeit in jeder Gesellschaft - auch der unseren -  beginnen müsste. Der Abbau von Feindbildern, das kontinuierliche Achten auf die Kultur der geführten Diskurse und die Befähigung zur Austragung von Konflikten ohne Opponenten zu Feinden zu machen, sind die Voraussetzung dafür, dass Gesellschaften friedensfähig werden und bleiben. Selbstkritische Diskurse innerhalb von Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften sind dazu ebenso notwendige Voraussetzung, wie der achtsame Umgang mit medialer Kommunikation, die gerade im weitgehend anonymisierten Bereich der Social-media zur Verunglimpfung und Verdammung Andersgesinnter neigt.

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Für das internationale Feld hat Matin Senn schließlich bestätigt, was wir derzeit auch im eigenen Land wahrnehmen müssen. Die Rhetorik des Krieges und der Aufrüstung ist auf einen Schlag zurück im politischen und gesamtgesellschaftlichen Diskurs. Aus der Asche von durch russische Raketen in Brand geschossenen Wohnblöcken erheben sich der Militarismus wie ein wundersam verjüngter Phönix. Amerikanische Militärs beklagen, dass die atomare Bewaffnung ihres Landes sich auf einem absolut minimalen Niveau befinde, ebenso wie das österreichische Bundesheer seinem Ruf nach besserer budgetärer Ausstattung nun bei allen Parteien Gehör zu verschaffen vermag. Dabei hat uns das Wettrüsten des kalten Krieges doch im Grunde erst in die Lage der globalen Erpressbarkeit durch ein tyrannisches Regime gebracht. Die atomare Drohung, die Russland stets zur Hand hat, paralysiert nun die Welt. Diese Situation müsste uns vor Augen führen, dass längst alles hätte getan werden müssen, um Massenvernichtungswaffen so weit wie möglich aus der Welt zu schaffen. Ein Mehr an Vernichtungspotential macht diesen Planeten zu keinem sichereren Ort. Das sollten wir aus der Beobachtung gelernt haben, dass möglichst viele Waffen in privaten Haushalten das Gewaltpotential einer Gesellschaft nicht reduzieren. Selbst der Waffennachschub in die Ukraine ist aus ethischer Sicht ambivalent zu sehen. Damit wird ein Kampf in die Länge gezogen, dessen Sieger bei aller Bewunderung für den ukrainischen Mutz zur Verteidigung von Freiheit und Selbstbestimmung wohl leider doch schon jetzt feststeht.

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Im Grunde ist es beschämend, dass die gesamte zivilisierte Welt, die in Friedenszeiten so wenig in der Lage ist, den Frieden zu üben, sich nun augenblicklich bereitfindet, auf die Übung des Krieges einzuschwenken. In diesem Sinne habe ich auch Senns Aufruf zu einer ergebnisoffenen Diskussion der österreichischen Neutralität verstanden, die sich um eine aktive Gestaltung derselben bemüht und sie nicht einfach als verstaubten Pokal in der Ecke stehen lässt, auf den man verweist, wenn es gerade opportun ist, um nicht Stellung beziehen zu müssen.

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Nun scheint es, als seien wir geradezu erleichtert, in der Komplexität unserer Gegenwartswelt endlich wieder eine klare Handlungsanweisung zu haben, auch wenn diese nur darin besteht, einen Knüppel oder ein Gewehr zur Hand zu nehmen und zu destruieren. Vielleicht genügt es ja auch schon, andere dabei anzufeuern, dies zu tun. Unsere planetaren Probleme werden dadurch freilich nicht gelöst, sondern sträflich verdrängt. „Winter is coming“ könnte so mehr werden als das pop-kulturelle Menetekel einer Fernsehserie.

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Anmerkungen

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[1] United States Conference of Catholic Bishops: The Challenge of Peace: God's Promise and Our Response. 1983, Nr 93. “In a world of sovereign states recognizing neither a common moral authority nor a central political authority, comparative justice stresses that no state should act on the basis that it has "absolute justice" on its side.” Microsoft Word - The Challenge of Peace.doc (usccb.org)

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