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'Wenn ihr nicht umkehrt und wie die Kinder werdet, könnt ihr nicht in das Himmelreich kommen.' (Mt 18,3). Predigt zum Semestereröffnungsgottesdienst am 1. Oktober 2018 von Josef Quitterer (Dekan)

Autor:Quitterer Josef
Veröffentlichung:
Kategoriepredigt
Abstrakt:
Publiziert in:
Datum:2018-10-04

Inhaltsverzeichnis

Inhalt

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Was meint Jesus mit seiner Forderung‚ dass wir werden sollen wie die Kinder? Bedeutet das, dass wir uns naiv verhalten sollen? Viele werfen ja uns Christen genau das vor – dass wir naiv wie kleine Kinder sind und mehr oder weniger alles glauben und kritiklos hinnehmen. Das würde ja auch bedeuten, dass wir uns eine wissenschaftliche Theologie und Philosophie sparen können. Kindlich naiver Glaube genügt dann eigentlich, um religiös zu sein. Wozu braucht es dann überhaupt katholische theologische Fakultäten und eine wissenschaftliche Auseinandersetzung mit Glaube und Religion?

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Ist das wirklich so? Wer selber Kinder hat oder sich viel mit Kindern beschäftigt, wird diese Meinung wahrscheinlich nicht teilen oder sie sogar für ein Klischee halten. Kinder sind alles andere als naiv, sie können extrem 'nerven' mit ihren Fragen; sie glauben eigentlich kaum etwas, was Erwachsene ihnen erklären. Sie alle kennen wahrscheinlich die endlosen Warum-Fragen, bei denen man sich die Frage stellt, ob die Kinder jetzt wirklich etwas wissen oder uns Erwachsene einfach nur zur Weißglut bringen wollen. Was bei diesen Fragen jedenfalls auffällt ist, dass Kinder damit meist etwas hinterfragen, was für uns selbstverständlich ist. 'Warum ist der Schnee weiß?', 'warum hat der Käse Löcher?', 'warum muss ich jetzt schon ins Bett gehen?' Egal wie wortreich wir argumentieren, die Kinder bleiben skeptisch. Sie entdecken sofort Widersprüche, geben sich mit unseren Antworten eigentlich nie zufrieden und bohren immer wieder nach: Warum? Warum? Warum?

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Und wenn wir versuchen, ihre Fragen zu beantworten, merken wir selbst, dass das, was für uns vorher klar und einleuchtend schien, gar nicht so selbstverständlich ist wie wir anfänglich gedacht haben. Je weiter die Kinder fragen, umso mehr kommen wir selbst mit unseren Antworten ins Strudeln.

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Wenn wir davon ausgehen, dass Jesus Kinder wirklich gut kannte, so wollte er mit seinem Vergleich sicher nicht auf die vermeintliche Naivität von Kindern abzielen. Es wäre auch ziemlich eigenartig, wenn Jesus uns auffordern würde, wieder naiv zu werden und einen sogenannten 'Kinderglauben' anzunehmen.

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Es scheint im heutigen Evangelium vielmehr um eine Eigenschaft von Kindern zu gehen, die wir uns auch als Erwachsene aneignen oder bewahren können – ihre Neugier und ihre Fähigkeit, scheinbare Selbstverständlichkeiten zu hinterfragen. Das hat überhaupt nichts mit Naivität zu tun – es handelt sich im Gegenteil um eine wichtige Einstellung auch und gerade für das Studium und die Forschung, die wir hier an der Universität bzw. Fakultät betreiben.

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Immer wenn wir in der Wissenschaft der Meinung sind, wir hätten nun die endgültige Antwort für eine bestimmte Frage gefunden, sollten wir im Blick auf das heutige Evangelium stutzig werden. Spätestens seit Thomas Kuhn wissen wir, dass entscheidende Fortschritte in den Naturwissenschaften oft darin bestehen, dass Menschen sich mit den vorgegebenen Antworten nicht mehr zufrieden geben. Stattdessen hinterfragen sie scheinbar selbstverständliche Prinzipien und beginnen mit ganz neuen Forschungsparadigmen zu arbeiten. So wäre zum Beispiel die Relativitätstheorie nie entstanden, wenn Einstein nicht die scheinbar selbstverständlichen Konzepte von Raum und Zeit, von Masse und Geschwindigkeit mit einer fast kindlichen Neugier hinterfragt hätte.

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Diese kindliche Haltung der Neugier und Offenheit ist aber nicht nur der Motor für den wissenschaftlichen Fortschritt, sie ist auch das beste Mittel gegen eine Verabsolutierung naturwissenschaftlicher Erkenntnisse. Wenn Naturwissenschaftler behaupten, der Glaube an ein Weiterleben nach dem Tod oder an die Existenz eines liebenden Gottes sei mit einem geschlossenen wissenschaftlichen Weltbild nicht vereinbar, geben sie eigentlich das auf, was ihren wissenschaftlichen Erfolg überhaupt erst möglich gemacht hat – die wissenschaftliche Neugier und das Hinterfragen von scheinbaren Selbstverständlichkeiten.

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Kindliche Neugier und Offenheit bewahrt auch uns vor geschlossenen Denksystemen und fertigen Schablonen, in welche wir unsere Erfahrungen einpassen. Sie ermöglicht es auch, Vorteile gegenüber unseren Mitmenschen anderer Nationalität, Weltanschauung und Religion abzubauen.

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Bei der von Jesus geforderten Kindlichkeit handelt es sich letztlich um eine Offenheit, die auch das völlig Unvorstellbare nicht ausschließt – das Hereinbrechen der göttlichen Wirklichkeit in unsere Welt in der Person Jesu Christi. Nur wenn wir das Kind in uns annehmen, bleiben wir offen für die Heilsbotschaft der Menschwerdung Gottes und der Auferweckung der Toten, die ja alles uns bisher Bekannte und Vorstellbare überschreitet. So wünsche ich uns beim wissenschaftlichen Arbeiten, im interdisziplinären und interreligiösen Gespräch und in der Begegnung mit unseren Mitmenschen ein kindliches Gemüt, das sich nie mit fertigen Antworten zufrieden gibt und auch mit völlig unerwarteten Wendungen rechnet. Nur so bleiben wir lebendig und zugänglich für das Wirken der Göttlichen Gnade. 

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