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Schöpfung und Opfer. Roberto Calasso und René Girard

Autor:Schwager Raymund
Veröffentlichung:
Kategorieartikel
Abstrakt:
Publiziert in:Revista Portuguesa de Filosofia 56 (2000) 67-81
Datum:2001-10-09

Inhalt

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Die Opferthematik ist eine der sensibelsten in der modernen Zeit. Ein zentraler Strom des liberalen und aufklärerischen Denkens wandte sich seit Jahrhunderten scharf dagegen, daß andere Menschen geopfert oder ihnen Opfer im Sinne eines großen Verzichts oder gar der Preisgabe ihres Lebens zugemutet werden. J. Habermas sah sogar den „normativen Kern" der Aufklärungskultur darin, „die Moral des öffentlich zugemuteten sacrificium abzuschaffen". (1) Diese Kritik am Opfer hat auch Eingang in die Theologie gefunden und wird heute in gewissen Fällen sehr massiv vertreten. So hat z. B. Regula Strobel in der Karfreitagsaussgabe der Neuen Zürcher Zeitung von 1999 eine Kritik an der christlichen Opfertheologie veröffentlicht(2), die fast brutal klingt. Nach ihr ist diese Theologie sogar schuld daran, daß sexuelle Gewalt an Kindern leichter akzeptiert wird und daß die Machthaber in der Wirtschaft eher die Entscheidung treffen, Arbeitende zu entlassen und so opfern.

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So einlinig kann man allerdings nur urteilen, wenn man die Geschichte des Opfers und des liberalen und wirtschaftlichen Denkens wenig kennt. In einer sorgfältigen Studie hat J.-P. Dupuy aufgezeigt, wie die großen Theoretiker des liberalen ökonomischen Denkens auf prinzipieller Ebene zwar versucht haben, das Prinzip zu verteidigen, daß der einzelne nicht geopfert werden darf, daß sie de facto aber nie ohne eine Opferlogik ausgekommen sind und diese - direkt oder indirekt - auch wieder gerechtfertigt haben. (3) Dupuy schließt daraus: ‚Le marché contient la violence' und zwar im doppelten Sinn des Wortes ‚contenir'. (4) Der Markt enthält in sich Gewalt, und er dämmt sie ein. Keine Gesellschaft konnte je ohne Opfer existieren, auch die moderne nicht. Der große Unterschied zwischen der archaischen Welt und der modernen besteht - unter Rücksicht des Opfers - nicht darin, daß die frühere Opfer kannte und brauchte und die heutige nicht. Archaische Gesellschaften waren vielmehr bewußt auf Opfer ausgerichtet und sahen darin ihr Zentrum, während die moderne Gesellschaft ohne Opfer auszukommen versucht, aber dennoch viele produziert, diese jedoch so gut wie möglich verschleiert. Dieser Widerspruch zeigt sich nicht nur in der wirtschaftlichen Welt, sondern auch in der politischen. In allen Kriegen hat man von den Soldaten - und im wachsenden Maß auch von der zivilen Bevölkerung - verlangt, sich fürs Vaterland, für eine Ideologie oder für eine Weltordnung zu opfern.

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1) Die Opferwelt nach R. Calasso und R. Girard

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Aus den genannten Gründen es nicht überraschend, daß es innerhalb des modernen Denkens auch abweichende Stimmen gibt. Die wohl prominenteste unter ihnen ist F. Nietzsche, der das Christentum scharf angegriffen hat. Anders als manche heutigen Kritiker hat er ihm aber nicht seine Opfertheologie vorgeworfen, sondern es im Gegenteil angeklagt, im Namen einer Pseudo-Humanität die Opfer abschaffen zu wollen. Die echte Menschenliebe verlange das Opfer zugunsten der Gattung, sie verlange das Menschenopfer. (5) Auf einer ähnlichen Linie bewegt sich ein moderner italienischer Autor, der in Italien oft als ‚Anti-Eco' (Anti-Umberto Eco) gehandelt wird und dessen Werk vor einigen Jahren vom „The New Yorker" als internationale Sensation eingestuft wurde(6): Roberto Calasso. Für ihn ist das Opfer eine der zentralsten Kategorien in der Wahrnehmung der Wirklichkeit. Die ganze Geschichte der neuzeitlichen Philosophie sei gequält vom Opfer und dessen schrecklicher Wahrheit (7), und ohne Opfer gebe es keine Gesellschaft. Im Zentrum seines Werkes „Der Untergang von Kasch", das kein Buch im üblichen Sinn ist sondern eine seltsame Sammlung von historischen Bemerkungen, Zitaten, persönlichen Notizen, Erzählungen und Aphorismen, steht eine Erzählung aus Afrika, auf die Calasso schon in seiner Jugend durch den deutschen Ethnologen L. Frobenius gestoßen ist. (8) In ihr heißt es, der König von Naphta in Kordofan (im heutigen Sudan), der sich vor dem Volk stets verhüllt hat, sei der reichste Mann der Welt gewesen, aber auch der traurigste, denn jeder von ihnen sei nach einer Reihe von Jahren - zusammen mit einem Gefährten, den er auswählen durfte - geopfert worden. Den Priestern, die ständig die Sterne beobachteten, wurde der Zeitpunkt des Opfers enthüllt. Einmal habe ein König als seinen kommenden Begleiter im Tod den Geschichtenerzählter Far-li-mas ausgewählt. Dieser konnte so spannend erzählen, daß alle, die ihm zuhörten, die Zeit vergaßen. Sali, die Schwester des Königs, verliebte sich in Far-li-mas, und dabei wurde in ihr der Wille wach, mit ihrem Geliebten nicht zu sterben. Sie lud deshalb viele Menschen zu den Erzählungen von Far-li-mas ein, - schließlich auch die Priester, die darob die Betrachtung der Sterne vergaßen. Gerade deshalb wollten sie den gefährlichen Geschichtenerzähler töten. Durch ihren Bruder, den König, erreichte Sali aber, daß ihr Geliebter vor dem ganzen Volk auftreten durfte. In der entscheidenden Nacht der Erzählung bewegte Far-li-mas die Herzen der Menschen sosehr, daß am Morgen die Priester tot am Boden lagen. Nun enthüllte sich der König zum ersten Mal vor dem ganz Volk, das ihm zujubelte und die heilige Tradition, den König zu opfern, preisgab. Die bisherigen heiligen Haine wurden zu fruchtbarem Ackerland umgepflügt, und für den König von Naphta in Kordofan begann - zusammen mit seinem Volk - ein neues, langes und glückliches Leben. Nach seinem Tod wurde Far-li-mas selber König und unter ihm erreicht Naphta den Höhepunkt des Glückes, aber auch sein Ende. Der Ruhm von Far-li-mas erfüllte nämlich alle Länder vom Osten bis zum Westen, was den Neid in den Herzen der Menschen weckte. Die Nachbarvölker verbündeten sich gegen Naphta, besiegten das Reich des Far-li-mas und vernichteten es. (9)

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Calasso stellt diese Erzählung ins Zentrum seines Werkes „Der Untergang von Kasch", und läßt sie als eine Parabel für das Geschick des Abendlandes erscheinen. Danach haben zunächst die griechischen Philosophen, dann die christlichen und später die naturwissenschaftlichen Erzähler die Menschen durch ihre neuen Geschichten so gefesselt, daß sie darüber die Opfer vernachlässigten. Zunächst brachte diese Abkehr vom Opfer Glück und einen einmaligen Wohlstand, aber auch den Neid, der den Untergang vorbereitet. Die abendländische Zivilisation ist nach Calasso ein einmaliges und äußerst zerbrechliches Gebilde, das nach dem Verlust der Opfer und der Götter vorläufig nur durch Ersatzgebilde, durch Erzählungen und durch einen quasi-religiösen Schein, nämlich den der Legitimität(10) zusammengehalten wird. Die esoterische Seite des Opfers ging nach ihm ins Geschichtenerzählen über, weshalb sich Calasso selber als Geschichtenerzähler versteht.(11) Aus der exoterischen Seite wurde das Gesetz und im politischen Bereich die Legitimität. Die Gestalt, mittels der Calasso den widersprüchlichen (12), sakralen Schein der Legitimität darstellt, ist jener französische Bischof, der sich an keine Moral gebunden fühlte, durch seine Eleganz und Anpassungsfähigkeit aber eine der größten Krisen der abendländischen Geschichte, die französische Revolution, überstehen und unterschiedlichsten Regimen (13) dienstbar sein konnte: Charles Talleyrand. Anders als Napoleon wollte dieser Bischof der abendländischen Geschichte nicht seinen Willen aufzwingen, gerade deshalb wurde er von ihr auch nicht überrollt.(14) Er war eher ein Zeremoniemeister, wohl nicht zufällig ein Bischof und als solcher ein Nachfolger der Opferpriester (15), der es verstand, jenes feine Netz zu weben, das in einer Zeit, in der die Herrschaft nicht mehr vom Gott sanktioniert wurde, die rohe Macht und Gewalt zudecken und Emporkömmlinge gesellschafts- und regierungsfähig machen konnte. (16)

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Die Bewunderung von Calasso gilt diesem Bischof, daneben teilweise auch jenen Denkern, die in opferlosen Zeiten um die zentrale Rolle des Opfers wußten, so Joseph de Maistre und - in anderer Weise - René Girard. Die Hypothese des letzteren berühre eine von keinem Anthropologen auch nur annähernd aufgespürte Wahrheit, streife die offene Wunde des Opferrituals und stelle die gravierendste und stets vermiedene Frage, nämlich die: Wer opfert wen? (17) Nach Calasso ist der Opfernde letztlich immer selber der Geopferte. (18) Bei Girard werde diese Frage richtig gestellt(19), weshalb Calasso dem Werk des französischen Literaturwissenschaftlers und Anthropologen besondere Beachtung schenkt. (20) Dieser wisse um die Zerbrechlichkeit der Gesellschaft, um die Gewalt und das Opfer. Bei Girard erreiche aber auch ein Wahn des Abendlandes seinen Höhepunkt, nämlich der Wahn der Autonomie der Gesellschaft und ihr Anspruch auf Selbstbezüglichkeit. (21) Im Werk von Karl Marx und Sigmund Freud findet Calasso ein Gesellschaftsverständnis, das sich nicht mehr mit einem Außen, sondern nur noch mit sich selbst auseinandersetzen will und das ein Entsetzen zeigt vor jedem nicht-menschlichen Ursprung von Bedeutung. (22) Diesen Wahn der Autonomie projiziere Girard bis in den Ursprung zurück und sehe in den Opfern, die den Göttern und Gestirnen dargebracht werden, nur Beschwichtigungsmittel im Dienste des Gruppengleichgewichts(23): „Girard vollzieht eine gewaltsame Extrapolation, um zum innersten Kern der Gewalt vorzustoßen. Sein Opfer ist die schweigende Realität des außermenschlichen Bereichs."(24) Diese außermenschliche Wirklichkeit, die Girard übersehe und so opfere, will Calasso bewußt in die Opferwelt einbeziehen, wobei seine Sympathie und Zustimmung immer wieder den vedischen Sehern gilt. Die Mythen will er weder als Produkte von unterbewußten Archetypen in der Seele - wie C.G. Jung -, noch als verschleierte Berichte historischer Ereignisse - wie Girard - entschlüsseln, sondern er nimmt sie ernst, zwar nicht im wörtlichen Sinn, wohl aber als Erzählungen. Seine Abneigung gilt neben den Offenbarungsreligionen, dem Buddhismus und dem Atheismus. Das Geheimnisvolle und Sakrale dringe von allen Seiten ins Bewußtsein ein und davon zeugen die Mythen. In seinem Werk „Die Hochzeit von Kadmos und Harmonia" (25) erzählt er deshalb - gleichsam als neuer Far-li-mas - die griechischen Mythen in einer Weise, daß sie wie gegenwärtige Geschichten wirken. Auf ähnliche Weise werden bei ihm die Opfer zu einer Größe, die nicht nur in der modernen, angeblich opferlosen Zeit, sondern auch im ganzen Kosmos allgegenwärtig ist. An vielfältigen Phänomenen sei dies abzulesen. Wo immer das Göttliche ins menschliche Bewußtsein eindringe, dort herrsche Ekstase, Sexualität und Gewalt. Davon würden auch heute noch die griechischen Mythen mit ihren vielfältigen Geschichten über Vergewaltigungen menschlicher Frauen durch Götter ein beredtes Zeugnis ablegen. (26) Das Opfer kann nach Calasso aber auch viel nüchternere Formen annehmen. Seine zentrale Rolle in den archaischen Gesellschaften sei in der modernen Welt vom Experiment übernommen worden. (27) Wie die Götter auf die Opfer, bei denen etwas zerstört wurde, antworteten, so antworte die Wirklichkeit auf die Experimente, bei denen ebenfalls etwas zerstört wird, und beides führe zu Machtzuwachs.(28) Der Ritus stelle ferner, wie C. Levi - Strauß zeigt, das Kontinuierliche, das Leben dar, während der Mythos mit seinen Gegensatzpaaren zum Diskontinuierlichen, zum Denken gehöre. (29) Das Opfer anerkenne beides und stelle zugleich die notwendige Verbindung zwischen beiden her. Mit dieser Struktur entspreche es der modernen Wahrnehmung der Wirklichkeit, die überall gesetzesmäßige Wiederholungen und je-einmalige Abweichungen vorfinde und beides zu verbinden vermöge. (30) - Das Opfer kann nach Calasso noch in einer weiteren Metamorphose auftreten. Geben und Nehmen bilden ein Gebärdepaar, ohne das nichts existieren kann und dem „durch das Opfer eine kanonische, wiederholbare Form verliehen wird"(31). Im Zentrum allen Gebens und Nehmens stehe nämlich eine Tötung, denn: „Was wir nehmen, wird von uns getötet, ausgemerzt". (32) Damit wird auch das Essen, in den Bereich des Vernichtens, der Schuld und des Opfers eingetaucht, und zwar jede Form des Essens, „denn auch das Abschneiden einer Pflanze bedeutet Tötung" (33). Neben dem Atmen zeigt das Essen am deutlichsten, wie sehr der Mensch mit der vormenschlichen Natur verbunden ist und mit ihr kommunizieren muß. In diesem Tun und Empfangen wird deshalb nach Calasso auch das Göttliche erfahren, was die griechischen Mythen schon wußten, denn nach ihnen gilt: „es gibt zwei Formen der Beziehung zwischen Göttern und Menschen: das gesellige Mahl und die Vergewaltigung". (34) Aber all diese Erzählungen sind im Sinn der vedischen Seher, im Sinne Indiens zu verstehen. (35) Danach gehen sogar die Götter aus dem Opfer hervor. Am Anfang stand nämlich nach hinduistischer Sicht, wie Klaus Klostermann zeigt, „die Opferung des Opfers an das Opfer" (36).

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2) Gewalttätige Mythen und Schöpfung

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Der Traum des Abendlands von der Autonomie und Selbstbezüglichkeit der Gesellschaft ist tatsächlich ein Wahn. Darin ist Calasso voll zuzustimmen. Dieser Wahn führte zunächst zur Trennung von Natur- und Freiheitsgeschichte (vgl. Descartes, Kant), und schließlich zum Versuch, alles ausschließlich im Spiegel der Gesellschaft zu sehen (vgl. N. Luhmann). Diesem Wahn ist auch die moderne Theologie ein Stückweit erlegen. (37) Findet sich im Werk Girards aber ein Höhepunkt dieses Wahns, wie Calasso behauptet?

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Die heidnische Welt ist für den italienischen Publizisten bereits so selbstverständlich geworden, daß das Christentum - anders als bei Nietzsche - nach ihm einer Widerlegung nicht mehr bedarf. Er scheint es nur noch als historische Größe zu kennen, mit dem man sich in einer gegenwärtigen Deutung der Wirklichkeit nicht mehr ernsthaft auseinandersetzen muß. Daß es neben den vielen mythischen Berichten von Vergewaltigungen bei der Begegnung von Göttlichem und Menschlichen auch die biblische Erzählung von einer ganz anderen Art der Begegnung gibt, wird bei ihm nicht einmal erwähnt. Gerade hier geht Girard aber ganz anders vor. Er sieht die Ähnlichkeiten zwischen den Mythen und der Bibel und vermag deshalb auch die Unterschiede klar herauszuarbeiten. Während in den Mythen immer wieder von Vergewaltigungen die Rede ist, was Girard schon vor Calasso betont hat (38), ist der biblische Bericht von der Jungfrauengeburt frei von jeder Gewalt, und er legt, wie Girard betont, den Akzent ganz auf die Freiheit der Frau. Dennoch läßt sich dieser Bericht nicht in eine von der Natur abgespaltene Freiheitsgeschichte einordnen, denn die Antwort Gottes auf das freie Ja Mariens hat Auswirkungen bis in ihren Leib hin. (39) All dies zeigt, daß die biblische Erzählung weder als Übernahme heidnischer Mythen gedeutet, noch in eine von der Natur abgespaltene Freiheitsgeschichte eingezwängt werden darf. Sie setzt eine ganz neue und eigene Erfahrung voraus. Das Gleiche zeigt auch das Geschick Jesu, der zwar der Gewalt erliegt, aber nicht im Sinne eines Verhängnisses, sondern in freier Annahme, während in den Mythen die Zustimmung des Opfers, wie Calasso - mit Girard - zu recht hervorhebt (40), immer erzwungen erscheint. Auf die freie Annahme der Gewalt durch Jesus antwortet Gott mit der Auferweckung des Gekreuzigten, wodurch auch seine naturhaft-leibliche Seite zentral einbezogen wird und wodurch sich ein neuer Himmel und eine neue Erde ankündigt. Da Girard all dies betont, hält er den Blick für die ganze Schöpfung - auch mit ihrer naturhaften Seite - offen, selbst wenn er quantitativ wenig davon spricht.

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Die moderne intellektuelle Welt gleicht in vielem einer Komödie. Man wirft Girard oft vor, seine mimetische Theorie verkenne die Autonomie des Menschen. Fast gleichzeitig greift Calasso ihn von der Gegenseite an und unterstellt ihm, daß er den Wahn der Autonomie zu einem Höhepunkt treibe. Beide Kritiken gehen an der Sache vorbei, denn das Denken Girards bleibt nicht in der Autonomie-Problematik verfangen. Mit seinem Werk möchte er vielmehr alles aufdecken, was die Menschen in die Natur und die Götterwelt hineinprojiziert haben und weiter hineinprojizieren, um dadurch eine tiefere Freiheit zu ermöglichen und einen unverstellten Blick auf die Natur als Schöpfung Gottes zu eröffnen. Während bei Calasso die mythische Verwobenheit in die Natur dazu führt, auch die Gewalt wieder als etwas Selbstverständliches anzunehmen und die Schöpfung sogar - in mythischer Sprache - als Selbstmord Gottes zu deuten(41), ergibt sich bei Girard ein innerer Zusammenhang zwischen der Gewaltkritik und einem echten biblischen Schöpfungsglauben.

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Dieser Zusammenhang stellt sich nicht zufällig ein, er entspricht vielmehr dem biblischen Offenbarungsweg. Im Alten Testament erfolgte der Durchbruch zu einem klaren Monotheismus im Kontext der ersten entschiedenen Kritik der Gewalt, wie vor allem die Schrift des Deuterojesaja zeigt. In ihr spielt einerseits das Wort bara für das Schaffen des einzigen Gottes zum ersten Mal eine zentrale Rolle, anderseits wird hier ebenfalls zum ersten Mal die Gewaltfreiheit eines Propheten als Werk dieses Gottes dargestellt. Die Lehre von der Schöpfung aus dem Nichts wird später - kurz vor der christlichen Ära - ebenfalls in einem Kontext der Gewaltfreiheit erstmals genannt, nämlich in der Geschichte der sieben Brüder, die dank ihres Glaubens an die Auferstehung der Toten bereit waren, fremder Gewalt ohne Gegengewalt zu widerstehen (2 Mak 7). - Seine begrifflich endgültige und klare Form fand der Schöpfungsglaube schließlich im zweiten christlichen Jahrhundert, als die Kirche ihre Lehre gegen die doketistischen und gnostischen Mythologien zu verteidigen hatte und dabei vor allem von der wahren Kreuzigung und Auferweckung Christi ausging. (42)

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Calasso sieht mit Recht, daß die Berührung des menschlichen Bewußtseins durch das Göttliche bei erwachsenen Menschen normalerweise zunächst etwas mit Gewalt zu tun hat, sei es in einer ekstatisch-gewalttätigen Erotik, sei es bei kollektiv-gewalttätigen Siegesfeiern oder im Erleben eines heteronomen Gesetzes. (43) Durch diese Verbindung von Sakralem und Gewalt wird auch die Wahrnehmung der Natur verfärbt und verfälscht. Ein wahrerer Blick auf die Welt als Schöpfung und Gabe Gottes wird deshalb nur dort möglich, wo über einen stufenweisen Bekehrungsprozeß auch das Göttliche anders erfahren wird, nämlich als Anspruch an die eigene tiefste Freiheit und als Ermöglichung von Freimut angesichts drohender fremder Gewalt.(44)

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3) Evolution und Schöpfung

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Auffallend ist, daß Calasso, obwohl er viel von der Natur spricht, die moderne Evolutionslehre nie erwähnt. Auf der Linie seines Werkes müßte man ihr wohl einen ähnlichen Wahrheitsstatus zuschreiben wie den griechischen Mythen, aber dies möchte er wohl selber nicht öffentlich behaupten. Wird der Wissenschaft aber ein adäquaterer Blick auf die Natur zuerkannt als den Mythen, wie dies für Girard selbstverständlich ist, dann kann man bei einer Besinnung auf die vormenschliche Natur unmöglich an der Evolutionslehre vorbeigehen. Diese steht keineswegs im Gegensatz zur Schöpfungslehre, wie anfangs viele Christen meinten, Evolutionslehre und Schöpfungslehre helfen einander vielmehr zu einer wechselseitigen Vertiefung.

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Gemäß dem Schöpfungsbericht am Anfang des Alten Testaments hat Gott den Menschen als sein ‚Abbild' geschaffen (Gen 1,26f), wobei zunächst offen bleibt, worin die Ähnlichkeit genau besteht. Vom Neuen Testament her ergibt sich aber rückblickend, daß der Mensch wesentlich Freiheit ist, und zwar nicht nur in dem Sinn, daß er wählen kann: er ist schöpferisch. Der Mensch ist berufen, im Hören auf Gott sein Leben, die Gemeinschaft, in der er sich befindet, ja seine ganze Lebenswelt selber aufzubauen. (45) Als Abbild Gottes hat er folglich einen Anteil an der schöpferischen Tätigkeit Gottes. Die Evolutionslehre zeigt nun, daß diese Wahrheit im analogen Sinn bereits für die vormenschliche Welt gilt. Wir haben nicht eine gespaltene Schöpfung vor uns, in der ein Teil streng determiniert wäre und der andere Freiheit besäße. Die ganze Schöpfung ist in dem Sinn in eine Art Freiheit entlassen, als es ihr gegeben ist, sich unter der Einwirkung Gottes schrittweise selber aufzubauen. Im vormenschlichen Bereich wird die wahre menschliche Freiheit durch das, was man dort meistens Zufall nennt, vorbereitet.

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Calasso erwähnt selber, daß die moderne Wissenschaft in der Wahrnehmung der Wirklichkeit mit Kontinuierlichem und Diskontinuierlichen zu tun hat, und er versucht diese Eigenart mit der Struktur der Opfer in einen Zusammenhang zu bringen. Viel näherliegender sind aber Analogien mit der Thematik vom Selbstaufbau der Welt auf Freiheit hin. Damit eine Welt entstehen kann, die sich selber weiterentwickelt, braucht es einerseits Kontinuität, damit Ordnung und eine weitere Entfaltung zu komplexeren Strukturen möglich wird; anderseits muß Raum für feine Abweichungen gegeben sein, damit innerhalb des Gegebenen schrittweise Neues entstehen kann. In diesem Sinn zeigt die moderne sogenannte Chaostheorie, wie bei Rückkoppelungen durch zahllose Wiederholungen einfacher Vorgänge komplexe Gebilde entstehen können; sie zeigt ferner, wie feinste Abweichungen in den Ausgangsbedingungen nach vielen Wiederholungen zu ganz anderen Gebilden führen. Kontinuität und Diskontinuität und der innere Zusammenhang zwischen beiden sind folglich klare und wissenschaftlich faßbare Strukturelemente in einer evolutionären Welt. Sie entsprechen dem evolutiven Verständnis der menschlichen Gesellschaft, wie Girard es sieht, gemäß dem die Opferriten endlos ein ursprünglich gewalttätiges Geschehen (Sündenbockmechanismus) kontrolliert-nachahmend wiederholen, durch minime Abweichungen aber zugleich neue Ordnungen schaffen. Demgegenüber sind die Analogien, die Calasso zwischen den erwähnten Strukturelementen und der Opferordnung herstellt, sehr vage und fast beliebig.

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Es darf allerdings nicht verschwiegen werden, daß es trotz der wechselseitigen Vertiefung zwischen Evolutionslehre und Schöpfungslehre für viele Autoren weiterhin eine große Spannung zwischen der klassischen Evolutionslehre im Sinne Darwins und der christlichen Lehre gibt. Die darwinsche Sicht lehnt nämlich jede Zielrichtung der Evolution ab, während die christliche Schöpfungslehre dem Werk Gottes selbstverständliche eine innere Sinnhaftigkeit zuschreibt. Diese Spannung dürfte aber schrittweise zu überwinden sein. Die Ablehnung einer Teleologie beruht nämlich bei vielen Autoren auf einer falschen Vorstellung dessen, was theologisch mit Zielrichtung gemeint ist. Evolutionstheoretiker verstehen die Zielorientierung oft im Sinn der Tätigkeit eines menschlichen Ingenieurs, der alle Einzelelemente einer Maschine möglichst zweckmäßig zusammenbaut und völlig determiniert. (46)

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Sie unterstellen dann den Christen, die eine Zielrichtung in der Schöpfung annehmen, daß sie etwas Ähnliches für die Natur behaupten. Eine Zielrichtung nach Art eines himmlischen Ingenieurs ist aber theologisch gerade nicht gemeint, denn diese schließt eine Offenheit und Selbsttätigkeit der Geschöpfe und die Freiheit der Menschen ein. Die Offenbarungsgeschichte hat deshalb nach christlichem Verständnis durch die Geschichte Israels hindurch zwar eine eindeutige Zielrichtung auf Christus hin; dennoch gibt es in ihr keine geradlinige und mechanische Entwicklung. Gott führt die Geschichte vielmehr mittels geschöpflicher Faktoren und menschlicher Freiheit, d.h. durch scheinbar zufällige Ereignisse, ja durch Brüche und Katastrophen (z.B. Zerstörung Jerusalems, Vernichtung des Tempels, Verschleppung der Bevölkerung). Der Weg zum Ziel kann deshalb ganz unvorhergesehene und überraschende Wendungen einschließen. Die Rolle des Zufalls, von dem die Naturwissenschaften und ebenso die Theorie Girards (47) sprechen, spielt - innerweltlich gesehen - auch in der Offenbarungsgeschichte eine große Rolle, und er steht nicht im Gegensatz zur theologisch behaupteten Zielrichtung. Der Zufall ist vielmehr eine Vorform der Freiheit, die für eine theologisch verstandene Zielrichtung wesentlich ist. Eine heilstheologische Sicht der Wirklichkeit mit ihren Brüchen steht sogar in einer gewissen Entsprechung zur modernsten Form der Evolutionslehre, die im wachsenden Maß die Rolle von Brüchen und Katastrophen betont. (48)

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4) Erbsünde und Schöpfung

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Damit stellt sich eine letzte Problematik, die auch wieder näher zur Frage der Opfer zurückführt, nämlich die Problematik der Gewalt. In der Evolution spielen nicht nur die Naturgewalten eine große Rolle, noch zentraler ist die Gewalt zwischen Lebewesen, das Fressen und Gefressenwerden im Tierreich. Gemäß der Evolutionslehre ist dies nicht ein bedauerliches Übel, sondern ein wesentlicher Mechanismus der Evolution. Er hilft einerseits zur optimalen Ausnützung der vorhandenen Energien, anderseits dient er als Steuerungsmechanismus, damit sich immer wieder spontan ein Gleichgewicht zwischen verschiedenen Tierarten einstellt.

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Manche haben Girard vorgeworfen, er naturalisiere die menschliche Gewalt(49), d.h. er mache aus ihr eine Naturkonstante und entziehe sie so dem Bereich der Freiheit. Würde Girard dies tatsächlich tun, dann stünde er - oberflächlich gesehen - in einer problemlosen Übereinstimmung mit einem populären Bild der Evolution. Auch Calasso hätte damit wohl keine Schwierigkeiten, denn nach ihm sind ja selbst das Essen und das Abschneiden von Pflanzen Gewaltakte. In diesem Fall würde aber nicht nur die vom Evangelium inspirierte Gewaltfreiheit hinfällig, die für Girard zentral ist, auch die großen Anliegen der Aufklärung (Menschenrechte), die verhindern wollen, daß der einzelne ganz den Interessen eines Kollektivs geopfert wird, wären nur noch ein Traum. Wie Calasso mit seinem universalen Gewalt- und Opferbegriff zu den Menschenrechten steht, bleibt unklar. Girard kann hingegen eindeutig die Gewaltfreiheit Jesu bejahen und zugleich auf empirischer Ebene eine universelle Verbreitung der Gewalt annehmen, weil sein Denken sich letztlich nicht im Rahmen einer Naturphilosophie, sondern im Kontext der christlichen Schöpfungs- und Erbsündenlehre(50) bewegt. Die letztere nimmt einerseits eine universelle Verbreitung des Bösen an, und siedelt es dennoch nicht in der Wesensnatur des Menschen, sondern nur in der historisch geprägten Natur an. Danach ist das Böse zwar sehr hartnäckig, grundsätzlich aber doch überwindbar. Dies entspricht genau der menschlichen Erfahrung, weshalb auch der Jude M. Horkheimer sagen konnte: „Die großartigste Lehre in beiden Religionen, der jüdischen und der christlichen, ist die Lehre von der Erbsünde. Sie hat die bisherige Geschichte bestimmt und bestimmt heute für den Denkenden die Welt. Möglich ist sie nur unter der Voraussetzung, daß Gott den Menschen mit einem freien Willen geschaffen hat." (51)

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Können die massenhaften Erfahrungen destruktiver Gewalt in der Menschheitsgeschichte aber auf das Versagen der Freiheit zurückzugeführt werden? Ist es nicht naheliegender sie als naturhafte Vorgänge zu betrachten, - wie das Fressen und Gefressenwerden im Tierreich. Bei dieser Frage muß man sich vor Antworten hüten, die eine oberflächliche Vorstellung von der Evolution insinuieren will. Die wissenschaftlich haltbare Evolutionslehre ist demgegenüber ein komplexeres Gebilde. Zu ihr gehören, daß es entscheidende, ja sogar plötzliche Verhaltensänderungen im Bereich des Lebens gab. Was auf einer Stufe der Evolution 'gut', 'angemessen' oder 'fördernd' war, konnte sich auf der nächsten als 'schlecht', 'schädlich' oder 'störend' erweisen. So liegt es z.B. auf der Ebene der Einzeller ganz im Sinne der Evolution, daß jede Zelle sich so stark wie möglich vermehrt. Sobald aber der Schritt zum mehrzelligen Organismus geschehen ist, wird die unbeschränkte Vermehrungsweise der einzelnen Zelle zu etwas rein Negativen, nämlich zum Krebs. Wenn also bereits im vormenschlichen Bereich - beim Übergang vom Einzeller zum Vielzeller - eine entscheidende Verhaltensänderung für die weitere Evolution notwendig war, dann darf man die Notwendigkeit eines neuen Verhaltens auch beim Übergang vom Tier zum Menschen nicht a priori ausschließen. Unsere heutige Erfahrung von gemeinschaftlichem Leben, von Liebe und Freiheit zeigen nun aber, daß ein gewaltfreies Verhalten zutiefst dem Menschen und seiner Sehnsucht entspricht. Wenn es trotzdem in der Geschichte der Menschheit sehr viel Gewalt gab, dann legt sich folglich als plausibelste Erklärung das nahe, was die christliche Erbsündenlehre immer vertreten hat: die Menschen haben von Anfang an in ihrer Aufgabe, ihr Erbe aus dem Tierreich zu transformieren, versagt und ließen sich zu früheren Verhaltensweisen, die nun durch die Grenzenlosigkeit des Begehrens sogar noch destruktiver wurden, verführen. (52) - Zu diesem Versagen gehört dann auch, daß die eigene Verantwortung nicht mehr gesehen, die menschliche Gewalt naturalisiert und damit entschuldigt wird, wie dies bei Calasso der Fall sein dürfte.

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Welch zentrale Rolle Opfer und Gewalt beim italienischen Publizisten spielen, wird letztlich daraus ersichtlich, daß er Strukturen des Opfers nicht nur in jenen Phänomenen zu entdecken glaubt, die wir weiter oben kurz betrachtet haben, sondern sogar im Bewußtsein als solchen. Er kann schreiben: „Die Opferhandlung - das ist jeder Akt, bei dem sich der Handelnde im Vollzug selber zuschaut."(53) Oder: „Als Opfer gilt dann jede zum Bewußtsein von diesem Prozeß gehobene Handlung".(54) Wie tief müssen Opfer und Gewalt in ein Bewußtsein eingedrungen sein, wenn jeder voll bewußte Akt zu einem Opfer wird? Girard stimmt Calasso zwar insofern zu, als auch nach ihm die Gewalt- und Sündenbockstruktur alle Bereiche menschlicher Wahrnehmung de facto verfärbt. Aber so sollte es nicht sein. Durch einen Prozeß dauernder Umkehr in der Nachfolge Christi ist das eigene Bewußtsein von jeder gewalttätigen Verfremdung zu befreien. Diese Befreiung ist notwendig, damit man die christliche Schöpfungslehre richtig verstehen kann. Nach ihr ist Gott zwar der Ursprung des ganzen Kosmos und als solcher transzendent. Er ist aber nicht ein Teil der Gesamtwirklichkeit, der sich gegen den anderen Teil absetzen müßte. Er ist vielmehr die Fülle, umfaßt alles und ist als solcher dem Geschaffenen immanent. Er ist transzendent und immanent zugleich. Ein Bewußtsein, das von Gewalt- und Opferstrukturen geprägt ist, kann dies kaum verstehen. Es denkt in Gegensätzen und muß deshalb die christliche Schöpfungslehre verfälschen. Es nimmt entweder einen Schöpfer im Sinne eines himmlischen Ingenieurs (Demiurgen) an oder verfällt der Vermengung von Gott und Geschaffenem (Pantheismus). Nur ein Bewußtsein, das sich in einem Bekehrungsprozeß auf Liebe hin gereinigt hat, kann Gott als ganz Anderen, als Schöpfer denken und ihn zugleich als zutiefst innerlich, als Geheimnis der eigenen Freiheit erfahren. Nur ein solches Bewußtsein kann den Schöpfer von sich als Geschöpf unterscheiden, ohne ihn loszutrennen, und nur es weiß sich vom Schöpfer durchdrungen, ohne mit ihm zu verschmelzen. Die biblische Erzählung von der Jungfrauengeburt, die sich eindeutig von den mythischen Berichten olympischer Vergewaltigungen abhebt und der Girard mit Recht eine besondere Aufmerksamkeit schenkt, spiegelt ein solches Bewußtsein wieder, das fähig ist, den Schöpfer als wahren Schöpfer zu erkennen, und dem gegenüber Natur und Freiheit offen sind.

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Anmerkungen:

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 1. J. Habermas, Die postnationale Konstellation. Politische Essays (edition Suhrkamp 2095). Frankfurt a. M. 1998,152.

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2. R. Strobel, Gekreuzigt für uns - zum Heil der Welt? Die christliche Opfertheologie und ihre unheilsamen Folgen. In: NZZ 3. April 1999.

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3. Dupuy, Sacrifice et envie. Le libéralisme aux prises avec la justice sociale . Paris: Calmann-Lévy 1992.

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4. Vgl. auch: „The liberal order discloses that it contains disorder, in both senses of the word ‚contain' - it has it within itself, and it holds it back." J.-P. Dupuy, Self-Deconstruction of the Liberal Order. In: Contagion 2 (1995) 1 - 16, hier 14.

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5. Einzelne wurde durch das Christentum so wichtig genommen, so absolut gesetzt, daß man ihn nicht mehr opfern konnte: aber die Gattung besteht nur durch Menschenopfer. Vor Gott werden alle ‚Seelen' gleich: aber das ist gerade die gefährlichste aller möglichen Werthschätzungen! ... Die ächte Menschenliebe verlangt das Opfer zum Besten der Gattung - sie ist hart, sie ist voll Selbstüberwindung, weil sie das Menschenopfer braucht. Und diese Pseudo-Humanität, die Christenthum heißt, will gerade durchsetzen, daß Niemand geopfert wird." F. Nietzsche, Sämtliche Werke. Kritische Studienausgabe: Bd. 13. Hg. von G. Colli u. M. Montinari. München 1980, 470f.

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6. The New Yorker, April 26, 1993, 43.

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7. R. Calasso, Der Untergang von Kasch. Übersetzt von J. Schulte. Frankfurt: Suhrkamp 1997, 176.

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8. Ebd. 142 - 152.

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9. Ebd. 142 - 152.

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10. Ebd. 67 - 71.

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11. „Das Gesetz kann vom Einzelsubjekt respektiert werden. Das Opfer verlangt ein Doppelsubjekt. Im Gesetz erkennen wir daher die exoterische Seite des Opfers. Auf seinem esoterischen Boden kann das Opfer eigentlich nur der Erzählung unterliegen, von der es beim Gottesgericht besiegt wird. Geschichtenerzählen ist das Esoterische des Esoterischen, das Geheimnis des Geheimnisses; es lehrt, wie man außerhalb des Zyklus lebt, in der Haschisch- Schwebe des Wortes. Das ist die Lebensweise, die nach der Niederlage des Opfers zum Vorschein kommt, vom Opfer jedoch den Gestus bewahrt, der jetzt aber über alle Gebärden verstreut ist." Ebd. 156.

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12. „Circulus vitiosus: Die Legitimität ist die einzige Kraft, die die Fortdauer einer Regierung gewährleistet; aber um Legitimität zu erlangen, muß die Regierung schon seit geraumer Zeit Bestand haben." Ebd. 67.

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13. Ludwig XVI über die Revolution, den Terror und die napoleonische Diktatur bis zur Restauration und zum Bürgerkönig Ludwig Philipp.

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14. „Talleyrand ... setzt sich das Überleben zum Ziel, zieht von einer provisorischen Wohnung in die nächste, läßt regelmäßig seine Bücher und Wertgegenstände versteigern. Das einzige, was er konserviert, ist sein Stil, denn er weiß, daß dies die einzige zuverlässige Waffe ist, wenn man überleben will." ebd. 85.

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15. Vgl. 101 - 103.

44
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16. Ebd. 17. - „Talleyrand war der erste, der begriff, daß die neue Welt, die, auf der Suche nach einem Gleichgewicht, aus der napoleonischen Ära hervorgegangen war, kein Gesetz mehr erwartete oder verlangte, sondern den Anschein eines Gesetzes... Ein unantastbares Gesetz konnte niemand mehr ertragen - ja kaum mehr sich vorstellen, ausgenommen ein wahrer Exzentriker wie Joseph de Maistre auf der Terrasse von Sankt Petersburg; ein Wegfall des Gesetzes überhaupt, ein völliges Sichausliefern an die Kraft und an die momentanen Konventionen zwischen den Kräften war genau das, was auszusprechen die Welt sich nicht erlauben konnte, auch wenn sie es täglich praktizierte." ebd. 22.

45
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17. Ebd. 192.

46
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18. Ebd. 162 - 166. - „Opfer ist eine sich verarbeitende Schuld. Es verwandelt den Mord in Selbstmord." ebd. 162.

47
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19. In der mimetischen Rivalität werden die Protagonisten, wie Girard zeigt, einander de facto immer ähnlicher, obwohl sie selber meinen, zwischen ihnen bestehe ein totaler Gegensatz. - Auf analoge Weise wird beim Umkippen der diffusen Gewalt in die Gewalt aller gegen einen (Sündenbockmechanismus) die Schuld zwar diesem einen zugeschrieben, sie bleibt aber in Wirklichkeit die Tat aller und kann früher oder später auch jeden treffen. Wenn im rituellen Opfer, das in der Sicht Girards als eine kontrollierte Nachahmung des gewalttätigen Sündenbockmechanismus zu verstehen ist, einer getötet wird, dann steht dieser eine folglich immer für die ganze Gemeinschaft der Opfernden. Diese und ihr Opfer sind untergründig identisch.

48
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20. Calasso ist zugleich Verleger, und er hat mehrere Werke von Girard auf Italienisch herausgebracht.

49
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21. Ebd. 193.

50
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22. Ebd. 226 -249, 300 - 312. - Der Glaube an die Gesellschaft, den Marx mit seinem Zeitalter und unserem teile, sei der erdrückendste Glaube (ebd. 327f.).

51
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23. Ebd. 193.

52
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24. 194.

53
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25. R. Calasso, Die Hochzeit von Kadmos und Harmonia, Übersetzt von M. Kahn (insela taschenbuch 1476). Frankfurt a. M. 1993.

54
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26. Ebd. 57.

55
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27. Calasso, Der Untergang von Kasch (s. Anm. 7) 300.

56
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28. Ebd. 260. 218f. 164f. - „Ist das Opfer abgeschafft, wird die ganze Welt wieder, ohne es zu merken, zu einer riesigen Opferwerkstatt. Inmitten der allgemeinen Ungewißheit gibt es nur einen einzigen Satz, den keiner zu bezweifeln wagen würde, weil er beinahe zur Selbstverständlichkeit geworden ist, nämlich daß die Welt lebt, insofern sie produziert. Die gleiche Selbstverständlichkeit wird im Rg Veda anerkannt, wenn es dort heißt, daß die Welt lebt, insofern sie opfert. Zu Anfang blieb der Gottheit nichts anderes übrig, als sich selbst zu opfern, weil es außer ihr überhaupt nichts gab. Ebenso bringt sich die Welt heute unter anderem Namen selbst zum Opfer, denn die Gottheit ist verschwunden." ebd. 167.

57
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29. Ebd. 244 - 249.

58
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30. Ebd. 256f.

59
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31. Ebd. 200.

60
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32. Ebd. 200.

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33. Ebd. 194.

62
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34. Calasso, Hochzeit (s. Anm. 25) 57.

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35. Vgl. Calasso, Ka, Mailand: Adelphi Edizioni 1996.

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36. K. Klostermeier, Hinduismus. Köln 1965, 111.

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37. Manche Theologen glaubten, eine höhere kritische Stufe erreicht zu haben, wenn sie die biblischen Naturwunder ausschließlich als Erzählungen der menschlichen Freiheitsgeschichte deuteten und jede naturhafte Komponente als Mythologie ablehnten. - Ebenso glaubten viele, den Begriff Erbsünde als illegitime Vermischung zweier Bereiche (Erbe Natur, Sünde Freiheit) entlarven zu können.

66
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38. „Die göttliche Empfängnis gleicht stets einer Vergewaltigung." R. Girard, Das Ende der Gewalt. Analyse des Menschheitsverhänisses. Übersetzt von A. Berz. Freiburg i.Br.: Herder 1983, 228.

67
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39. Ebd. 227 - 231.

68
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40. Calasso, Der Untergang von Kasch (s. Anm. 6) 192.

69
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41. Ebd. 162.

70
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42. Vgl. Gerhard May, Schöpfung aus dem Nichts. Die Entstehung der Lehre von der Creatio ex nihilo (Arbeiten zur Kirchengeschichte 48). Berlin 1978; J. Alison, Raising Abel. The recovery of the eschatological imagination.New York: Crossroad Publ. 1996.

71
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43. Kleinere Kinder dürften eine gewisse Ausnahme bilden, weshalb Jesus sagen kann: „Wenn ihr nicht umkehrt und wie die Kinder werdet, könnt ihr nicht in das Himmelreich kommen" (Mt 18, 2).

72
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44. Vgl.: „Gott der Herr, gab mir die Zunge eines Jüngers, damit ich verstehe, die Müden zu stärken durch ein aufmunterndes Wort./ Jeden Morgen weckt er mein Ohr, damit ich auf ihn höre wie ein Jünger./ Gott, der Herr, hat mir das Ohr geöffnet. Ich aber wehrte mich nicht und wich nicht zurück./ Ich hielt meinen Rücken denen hin, die mich schlugen, und denen, die mir den Bart ausrissen, meine Wangen" (Jes 50, 4 - 6).

73
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45. Die negative Form des Selbstaufbaus zeigt sich in der Gerichtsproblematik: vgl. R. Schwager, Jesus im Heilsdrama. Innsbruck 2 1996, 87 - 95.

74
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46. "Die widerspruchslos hingenommene Vorstellung von einer von vornherein durchgehend final determinierten Welt schließt ja zwingend jegliche Freiheit des Menschen aus." K. Lorenz, Der Abbau des Menschlichen. München: Piper 5 1989, 22 - "Der Versuch, Sinn und Richtung in das evolutive Geschehen hineinzuinterpretieren, ist genauso verfehlt wie die Bestrebungen so vieler durchaus wissenschaftlich denkender Leute, aus geschichtlichen Ereignissen Gesetzlichkeiten zu abstrahieren, die es erlauben, den weiteren Verlauf der Geschichte vorauszusagen, etwa in dem Sinne, wie die Kenntnisse gewisser Gesetze der Physik eine Voraussage physikalischer Geschehnisse ermöglicht." ebd. 25 - Für eine Zielrichtung treten u.a. ein: P. Erbrich, Zufall. Eine naturwissenschaftlich-philosophische Untersuchung. Stuttgart: Kohlhammer 1988; M.J. Behe, Darwin's Black Box. The Biochemical Challenge to Evolution. New York: The Free Press 1996.

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47. Die Wahl des Sündenbocks ist innerhalb eines bestimmten Rahmens zufällig.

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48. der Einschlag eines Meteoriten, der zum Untergang der Saurier auf Erden führte. Die Vernichtung eines großen Teiles der damaligen Tierwelt hat den Weg für die weitere Evolution frei gemacht.

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49. E. Arens, Dramatische Erlösungslehre aus der Perspektive einer theologischen Handlungstheorie. In: J. Niewiadomski u.a. (Hg.), Dramatische Erlösungslehre. Ein Symposion. Innsbruck: Tyrolia 1992, 165 - 177, hier vor allem 170.

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50. Girard, Shaespeare. Les feux de l'envie. Paris: Grasset 1990, 391 - 397; ders., Je vois Satan tomber comme l'éclair. Paris: Grasset 1999, 23 - 80, 293.

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51. M. Horkheimer, Die Sehnsucht nach dem ganz Anderen. Ein Interview mit Kommentar von H. Gumnior (Stundenbücher 97). Hamburg 1970, 64f.

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52. Vgl. R. Schwager, Erbsünde und Heilsdrama. Im Kontext von Evolution, Gentechnologie und Apokalyptik. Münster: Lit Verlag 1996.

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53. Calasso, Der Untergang von Kasch (s. Anm. 6) 165.

82
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54. Ebd. 170; vgl. 379.

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