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Wahlen und das Kartell des Verschweigens

Autor:Schwager Raymund
Veröffentlichung:
Kategoriekommentar
Abstrakt:
Publiziert in:# Originalbeitrag für den Leseraum
Datum:2002-11-12

Inhaltsverzeichnis

Inhalt

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"Das scheint Lichtjahre entfernt. Mittlerweile hat die Wirklichkeit auch die Gutgläubigen wieder eingeholt, und zwar ziemlich brutal." So sieht die vorsichtige Neue Zürcher Zeitung (9./10. Nov. 2002) die Situation in Deutschland sieben Wochen nach der Wahl, und sie stellt fest: "Fast jede Prognose von damals muss jetzt korrigiert werden, kaum ein Wahlversprechen hat noch Geltung. In den Schlagzeilen der deutschen Presse dominiert ein Vokabular, das ungeschminkt auf 'Wahlbetrug' anspielt." Haben wir es tatsächlich mit einem Wahlbetrug zu tun? Die Zahlen, die heute auf dem Tisch liegen und die Bauchweh bereiten, waren auch vor Wochen und Monaten genau bekannt. Es wäre damals Aufgabe der Medien und der heutigen Opposition gewesen, darauf immer wieder mit Nachdruck hinzuweisen. Wenn es einen Wahlbetrug gegeben hat, dann haben die Medien und alle Parteien dabei voll mitgespielt. Und der wichtigere Teil der Wahrheit wird auch heute noch verschwiegen. Politiker versuchen z.B. die bittere Pille der Erhöhung der Rentenbeiträge mit der Behauptung zu versüßen, damit seien die Renten auf lange Zeit gesichert. Doch dies stimmt in keiner Weise. Bereits ein oberflächlicher Blick auf die Alterspyramide zeigt, dass die Zahl der Rentner und Rentnerinnen in den kommenden Jahren weiter zunehmen wird, was höhere Ausgaben verlangt. Ähnliches gilt für das Gesundheitswesen und für die Pflege alter Menschen. Auch die Sicherheit dürfte in einer Zeit des Terrors wachsende Kosten verursachen. Wie soll unter derartigen Bedingungen das System weiter funktionieren? Der einfache Hausverstand sagt: entweder durch weitere Erhöhung der Steuern und Beiträge oder durch Reduzierung der sozialen Leistungen. Aber keines von beiden wagen die Medien und die Opposition heute klipp und klar zu sagen. So verfällt man einem allgemeinen Kartell des 'Verschweigens'.

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Ähnliches gilt für Österreich. Da kann eine Partei dafür eintreten, 'vorübergehend' die Schulden zu erhöhen, um die Ausgaben in einigen Jahren wieder ausgeglichen zu haben. Solche Versprechen sind angesichts der genannten Bedingungen entweder ein offener Versuch der Täuschung oder die Verheißung eines Wunders der Geldvermehrung. Warum heben die Medien und die anderen Parteien dies nicht klarer hervor? Der eigentliche Grund dürfte darin liegen, dass keine Partei und keine politische Gruppe eine sachliche Lösung für die anstehenden Probleme weiß. So wurstelt man weiter, schreit für kurze Zeit, wenn eine Regierung Abgaben erhöht und beteiligt sich im übrigen am Kartell des Verschweigens

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Wie westliche Welt hat sich in den vergangenen fünfzig Jahren an die Erfahrung gewöhnt, dass es wirtschaftlich immer wieder aufwärts gegangen ist. Heute meint man deshalb, dies müsse so sein und man habe ein Anrecht darauf. Die Wahrheit wäre aber, sich bewusst zu machen, dass wir während der vergangenen Jahrzehnte in einer großen Ausnahmesituation gelebt haben. Es wird nicht so weitergehen, und die sozialen Leistungen des Staates werden in Zukunft wieder geringer sein. Dies zu sehen gehört zur Wahrhaftigkeit. Daraus folgt aber, dass es wieder mehr Aufgabe jedes einzelnen ist, nicht bloß auf einen anonymen Staat zu vertrauen, sondern sich selber rechtzeitig in sozialen Gruppen und religiösen Gemeinschaften zu engagieren, die einem helfen können, wenn man selber von Not, Krankheit oder Hilflosigkeit getroffen wird.

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Das Christentum ist in den ersten Jahrhunderten u.a. deshalb rasch gewachsen, weil in den Gemeinden für Arme, Kranke und Alte besser gesorgt wurde als in der üblichen römischen Gesellschaft. An dies sollten sich jetzt auch jene kirchlichen Kreise erinnern, die sich ebenfalls daran gewöhnt haben, nur Forderungen an den Staat zu stellen. Viel Gemeinschaftliches wurde in den letzten Jahrzehnten abgebaut, weil man alles der staatlichen Fürsorge überantwortet hat. Es war ein kurzsichtiger Weg. Ihn zu korrigieren ist höchste Zeit.

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