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Wo Wittgenstein die Dampfmaschine reparierte
(Innsbrucker Philosophen organisieren Internationales Wittgenstein-Symposium)

Autor:Löffler Winfried
Veröffentlichung:
Kategoriekommentar
Abstrakt:Die kleine Marktgemeinde Kirchberg/W. im südlichen Niederösterreich ist einmal jährlich Schauplatz eines weltweit bedeutenden Philosophiekongresses, des "Internationalen Wittgenstein Symposiums". Im Jahr 2002 war es dem Thema "Personen - ein interdisziplinärer Dialog" gewidmet.
Publiziert in:Erscheint leicht gekürzt in der Uni-Zeitung (Beilage zur Tiroler Tageszeitung), Herbst 2002.
Datum:2002-10-09

Inhalt

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Der verzweifelte Werkmeister hatte schon alles probiert - aber sie wollte einfach nicht mehr, die Dampfmaschine in der Textilfabrik von Trattenbach (NÖ). Da erinnerte man sich an den als verschroben geltenden Volksschullehrer namens Ludwig Wittgenstein - der hatte doch auch einmal Maschinenbau studiert. Der Herr Lehrer sah sich die Sache an, ließ vier Arbeiter in bestimmtem Rhythmus auf bestimmte Stellen hämmern, und - die Maschine lief wieder an. Den Werkmeister soll die Peinlichkeit sein Lebtag lang geärgert haben...

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„Des hamma beim Wittgenstein g'lernt."

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Von 1920-26 war Wittgenstein Volksschullehrer in den kleinen Dörfern Trattenbach, Otterthal und Puchberg am Schneeberg. Sein Talent als Lehrer war umstritten. Für die schwächeren Schüler hat es manche Ohrfeige gesetzt. Die Begabten aber förderte er über den Unterricht hinaus. Und er brachte ihnen besonders in Mathematik und Geometrie Dinge bei, die den Volksschulstoff bei weitem überschritten. „Des hamma beim Wittgenstein g´lernt", so erzählt der Bürgermeister von Trattenbach, sei noch Jahrzehnte später oft zu hören gewesen, wenn längst Erwachsene mit Rechenkünsten brillierten, die man Volksschulabsolventen nicht zugetraut hätte. Und immerhin: Wittgensteins „Wörterbuch für Volksschulen" wurde vom Ministerium für den allgemeinen Schulgebrauch zugelassen.

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Wer war er sonst, dieser Ludwig Wittgenstein (1889-1951)? Geboren in Wien, genialer Student in Cambridge, Kriegsfreiwilliger im I.Weltkrieg, Volksschullehrer und kurzzeitig Klostergärtner, Architekt eines Hauses in Wien (heute: Bulgarische Botschaft), später selbst Philosophieprofessor in Cambridge, im II.Weltkrieg freiwilliger Helfer in englischen Spitälern - und einer der ganz großen Philosophen des 20. Jahrhunderts.

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„Wovon man nicht sprechen kann ..."

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Oft wird er zitiert, nicht immer wird er verstanden. „Wovon man nicht sprechen kann, darüber muss man schweigen" - der berühmte letzte Satz seines Tractatus Logico-Philosophicus (1921) muss bis in Parlamentsdebatten hinein herhalten, um Gegenmeinungen ins Lächerliche zu ziehen. Aber Wittgenstein ging es im Tractatus (einem äußerst schwer zu lesenden Buch!) um wesentlich Tiefsinnigeres: um die Grenze zwischen echten und unsinnigen Problemen, um das Verhältnis von Philosophie, Wissenschaft und Mystik, und um die Beziehung zwischen Sprechen, Denken und der „Welt". Nach seinem Tod erschienen die Philosophischen Untersuchungen. Auch sie sollten ein Grundtext der Philosophie des 20. Jahrhunderts werden. Wittgenstein hat darin seine früheren Thesen des Tractatus in wesentlichen Punkten geändert.

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Übrigens: Das Brenner-Archiv der Universität Innsbruck ist ein Zentrum der Wittgenstein-Forschung - dort befindet sich ein Teil-Nachlass Wittgensteins mit wertvollen Originaldokumenten. Und ein Wittgenstein-Mikrofilmarchiv ist im Institut für Christliche Philosophie benützbar.

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Das „Wittgenstein-Land" in Niederösterreich ...

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Wer genau hinsieht, findet an den Orten seiner Tätigkeit in Niederösterreich heute noch einige Spuren. An Volksschulen und Ortseingängen finden sich Erinnerungstafeln. Originell: Ein „Wittgenstein-Weg" ruft dem nachdenklichen Wanderer an besonders schönen Punkten die sieben Hauptthesen des Tractatus in Erinnerung. In Trattenbach, genau dort, wo Wittgenstein im Nebengebäude eines Gasthofes einst sein spartanisches Zimmer bewohnte, befindet sich heute ein Wittgenstein-Museum - klein und in einer Stunde gut zu besichtigen (Schlüssel im Gemeindeamt!), aber vom Feinsten: nicht vollgestopft mit Erinnerungsstücken, sondern mit intelligenten Analysen der Epoche, der Region, und eben des Lehrers Wittgenstein, der hier nicht so glücklich werden sollte, wie er es gehofft hatte. Freilich gibt es auch etliche aussagekräftige Exponate - etwa Wittgensteins Bett, das er nach eigenen Plänen in Cambridge anfertigen ließ. Es spiegelt seine Persönlichkeit ebenso wider wie das von ihm geplante Haus: theoretisch korrekt, aber wohl nicht sehr bequem. Im nahen Kirchberg am Wechsel, dem Hauptort der Region, nahe der schönen Barockkirche, befindet sich ebenfalls ein Wittgenstein-Museum. Ein Ausflug ins „Wittgenstein-Land" im südlichen Niederösterreich könnte sich also lohnen.

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... ein Mekka der Philosophie

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Vor allem aber ist Kirchberg am Wechsel zu einem Mekka der Philosophie geworden: Seit den 70er Jahren findet dort jährlich das Internationale Wittgenstein-Symposium statt. Im Laufe der Jahre wurde es zu einem der bedeutendsten Kongresse im Bereich Philosophie. Einmal pro Jahr füllt sich Kirchberg eine Woche lang mit Hunderten Wissenschaftlern und Studenten aus aller Welt, und die Themen gehen längst über die Erforschung der Schriften Wittgensteins hinaus. Mitte August etwa befassten sich ca. 250 Teilnehmer und 150 Vorträge mit dem Rahmenthema „Personen - ein interdisziplinärer Dialog". Die Aktualität des Themas ergibt sich aus den gegenwärtigen und bereits absehbaren Möglichkeiten der Medizin und Genforschung: Was ist das, eine Person? Sind Embryonen Personen? Wann hört eine Person auf zu existieren? Wer darf für sie gegebenenfalls Entscheidungen „auf Leben und Tod" treffen? Sind Personen wirklich „frei", oder deuten die Ergebnisse der Gehirnforschung in die Gegenrichtung? Diese Fragen sind nicht nur für Philosophen relevant, und so wurden auch Psychologen, Mediziner und Juristen zu den Vorträgen und Diskussionen eingeladen.

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Organisiert wurde das heurige Symposium übrigens von Innsbrucker Wissenschaftlern: Edmund Runggaldier, Josef Quitterer und Christian Kanzian (alle vom Institut für Christliche Philosophie an der Theologischen Fakultät) blicken auf gut eineinhalb Jahre Vorbereitungszeit zurück. 2003 wird die Veranstaltung ebenfalls unter starker Innsbrucker Beteiligung stattfinden: Winfried Löffler (vom selben Institut) wird gemeinsam mit Paul Weingartner (Universität Salzburg) für das Symposium zum Thema „Wissen und Glauben" verantwortlich sein. Informationen unter www.alws.at .

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