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Martin Walser, Jürgen Möllemann und der Antijudaismus

Autor:Schwager Raymund
Veröffentlichung:
Kategoriekommentar
Abstrakt:Sind der Roman 'Tod eines Kritikers' von Martin Walser und das Eintreten von Jürgen Möllemann für Jamal Karsli Zeichen einer neuen Welle des Antijudaismus?
Publiziert in:# Originalbeitrag für den Leseraum
Datum:2002-06-12

Inhaltsverzeichnis

Inhalt

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Sind der Roman Tod eines Kritikers von Martin Walser und das Eintreten von Jürgen Möllemann für Jamal Karsli Zeichen einer neuen Welle des Antijudaismus (1)? Der Vergleich der israelischen Politik mit den Nazi-Methoden, wie Karsli ihn öffentlich vertreten hat, ist sicher völlig abwegig, denn die israelischen Schläge gegen die Palästinenser wurden durch zahlreiche Terrorattentate provoziert und bei aller Härte des Vorgehens zielen die Israel Defence Forces (IDF) nie auf eine systematische Vernichtung der palästinensischen Bevölkerung. Trotzdem gibt es Punkte, die eine differenzierte Beachtung verdienen.

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In orthodoxen und ultraorthodoxen jüdischen Kreisen werden ideologische Positionen vertreten, die Israel Shahak, selber ein Israeli und ein Überlebender von Auschwitz, mehrfach mit der Nazi-Ideologie verglichen hat.(2) Gemäß dieser religiösen Ideologie sind die Nicht-Juden völlig minderwertig. Den Palästinensern Land wegzunehmen sei kein Diebstahl, sondern eine Heiligung des Landes, und sie zu töten sei kein Mord. Über religiöse Parteien (Shas,Yahadut Ha'Torah, National Religious Party) und über die Siedlerbewegung Gush Emunim üben diese Kräfte einen bedeutenden Einfluss auf die israelische Politik und damit indirekt auf die ganze Weltpolitik aus. Es ist deshalb eine dringende Aufgabe, die bisher viel zu wenig gesehen wurde, sich entschieden mit dem jüdischen Fundamentalismus in Israel auseinanderzusetzen und dabei mit säkularen Israelis und vor allem mit jenen religiösen Juden eng zusammenzuarbeiten, die klar für die Menschenrechte eintreten.

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Der jüdische Fundamentalismus nährt sich aus der Überzeugung, ein von Gott erwähltes Volk zu sein, das über anderen Völkern steht. Als Christ teile ich den Glauben an die Erwählung Israels. Die Folgerung, die nicht-jüdischen Völker seien deshalb minderwertig, entspricht aber keineswegs einem richtig verstandenen Erwählungsgedanken, wie er von den jüdischen Propheten verkündet wurde und auch heute von vielen jüdischen Gelehrten vertreten wird. Der erwählende Gott ist der Vater aller Völker und die Berufung des einen zielt nicht auf eine überhebliche Absonderung, sondern auf das Heil aller. Nach christlicher Überzeugung gibt es zwar einen religiösen Sonderstatus der Juden; dieser legitimiert aber keine besonderen Rechte gegenüber anderen Völkern, sondern umschreibt eine große religiöse Aufgabe für andere.

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In einer säkularen Welt sind ferner religiöse Überzeugungen von einer besonderen Erwählung mit doppelter Vorsicht zur Sprache zu bringen. Sie wirken leicht kontraproduktiv. Dennoch wird den Juden heute eine Sondersituation zugestanden, die sich aus der geschichtlichen Erfahrung des Nazi-Reiches und dessen systematischer Vernichtungsstrategie ergibt. Wir leben aber gleichzeitig in einer Welt, in der - wie die political correctness es fordert - alles toleriert werden soll und in der ständig neue Götter und Göttinnen angepriesen werden. Wie lässt sich in diesem Kontext begründen, dass nur die 'brauen Götter' und alles, was an sie erinnert, tabu sind? (vgl. J. Niewiadomski, Bekömmliches Heidentum?) Warum werden Tabu-Brüche in der medialen und intellektuellen Öffentlichkeit und in der Kunst generell als Zeichen des Mutes und des Fortschritts gefeiert, während Tabu-Brüche in Richtung 'braun' scharf verurteilt werden? Hier liegt mindestens ein Problem, das einer Klärung bedarf.

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Der Kampf gegen den Antijudaismus hat auf lange Sicht nur dann ein festes Fundament, wenn die Überzeugung von der gleichen Würde aller Menschen auch entsprechend solide begründet wird. Wie ist dies aber möglich, ohne die Berufung auf einen Gott, vor dem letztlich alle Menschen gleich sind und der sich als Vater/Mutter allen zuwendet? Die liberale, intellektuelle Öffentlichkeit wendet sich glücklicherweise gegen den Antijudaismus, sie kritisiert aber gleichzeitig mit Vorliebe das Christentum und die Kirchen. Dabei steht sie stark in der Nachfolge von Nietzsche, dessen Polemik gegen das Christentum sie in vollen Zügen genießt. Gerade an ihm kann man aber die tiefere Problematik der westlichen Öffentlichkeit ablesen. In entscheidenden Punkten hat Nietzsche nämlich genau umgekehrt argumentiert und mit dem Christentum auch das Judentum angegriffen. Er eiferte gegen die christliche Lehre von der universalen Menschenliebe und verfocht die Notwendigkeit des Menschenopfers (3), weshalb er auch von den Nazis gefeiert wurde. Die liberale westliche Öffentlichkeit wird sich deshalb entscheiden müssen. Entweder findet sie wieder eine bessere Einstellung zu den Grundwerten und Grundüberzeugungen des Christentums, oder sie wird sich früher oder später ganz auf die Seite Nietzsches stellen. Würde das Letztere eintreten, dann wären auch die 'braunen Göttern' bald wieder ganz tolerabel. Ist nicht dies die eigentliche Frage, die Martin Walser aufwirft, und ist er nicht ein Vorbote in diese Richtung? Er hadert ja, wie Thomas Assheuer in 'Die Zeit'(4) nachweist, schon lange mit der jüdisch-christlichen Tradition, und sein Spiel mit Vorstellungen, die leicht als antijüdisch gedeutet werden können, ist vor allem von einem neuen - wohl polytheistischen - Heidentum inspiriert.

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Auch ein massenpsychologischer Aspekt ist zu beachten. Wenn alles toleriert und nur 'braun' verurteilt wird, dann wird 'braun' interessant. Schriftsteller oder Politiker, die sich profilieren wollen, müssen dann nur an dieses Thema rühren, um sofort in aller Mund zu sein, wie dies Jörg Haider vorexerziert hat und wie ihm jetzt manche zu folgen beginnen. Wenn die einzige gemeinsame moralische Überzeugung darin besteht, dass Auschwitz schlecht war, dann ist eine entsprechende öffentlichen Gegenreaktion auf Dauer kaum zu vermeiden. Werte, die den Strom der Zeit überdauern sollen, müssen in positiven Grundüberzeugungen - und nicht bloß in Gegenreaktionen - verankert sein. Wer als Radfahrer nur auf ein Loch in der Straße starrt, dem er unbedingt ausweichen will, fällt leicht in es hinein. Eine Zivilisation, die nur auf Auschwitz starrt, um kein zweites zu produzieren, dürfte in Gefahr sein, ein ähnliches Verbrechen wieder herbeizuführen.

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Anmerkungen:  

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 1. Bei einer Parteinahme für die Palästinenser und gegen Israel von Antisemitismus zu reden ist unsinnig, denn auch die Palästinenser sind Semiten.

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2. I. Shahak, N. Mezvinsky, Jewish Fundamentalism in Israel. London: Pluto Press 1999, 33. 62. 65.

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3. „Der Einzelne wurde durch das Christentum so wichtig genommen, so absolut gesetzt, daß man ihn nicht mehr opfern konnte: aber die Gattung besteht nur durch Menschenopfer. Vor Gott werden alle ‚Seelen' gleich: aber das ist gerade die gefährlichste aller möglichen Werthschätzungen! ... Die ächte Menschenliebe verlangt das Opfer zum Besten der Gattung - sie ist hart, sie ist voll Selbstüberwindung, weil sie das Menschenopfer braucht. Und diese Pseudo-Humanität, die Christenthum heißt, will gerade durchsetzen, daß Niemand geopfert wird." F. Nietzsche, Sämtliche Werke. Kritische Studienausgabe: Bd. 13. Hg. von G. Colli u. M. Montinari. München 1980, 470f.

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4. Th. Assheuer, In den Fesseln der westlichen Schuldmoral. In: Die Zeit, 6. Juni 2002 (Nr 24) S. 38.

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