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Ist die Erde noch zu retten? (Gen 6-8)

Autor:Fischer Georg
Veröffentlichung:
Kategorieartikel
Abstrakt:Die jüngsten weltpolitischen Ereignisse haben viele Menschen Fragen stellen lassen bezüglich der Welt und ihrer Zukunft. Ein biblischer Text, die Erzählung von der Sintflut in Genesis 6-8, beschäftigt sich auch mit solchen Problemen. Dabei wird die Gestalt Noachs zur Symbolfigur für Rettung und neues Leben.
Publiziert in:Betendes Gottes Volk 207, 2001, S.12f
Datum:2001-10-03

Inhaltsverzeichnis

Inhalt

1
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Die allgemein als Sintflutgeschichte bekannte Erzählung wird zumeist als großes Strafgericht Gottes verstanden, wobei Ausmaß und Anlaß der Katastrophe manchen fragwürdig erscheinen. Es lohnt sich deswegen, den biblischen Text genauer anzusehen. Dieser hat wiederum, wie der Schöpfungsbericht, mesopotamische Vorlagen, im Gilgamesch- und Atrahasis-Epos.

2
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Kein Ende der Bosheit (6,1-8)

3
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Im letzten Beitrag, zu Gen 3-5, wurde offenbar, wie das Böse unter den Menschen zunimmt. Es begann mit der Übertretung in Gen 3, setzte sich fort mit einem Mord im nächsten Kapitel und mit der prahlenden Ankündigung vielfacher Rache durch Lamech.

4
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Diese Linie führt der rätselhafte Abschnitt 6,1-4 weiter. Menschentöchter werden aufgrund ihrer Schönheit Objekt des Nehmens und der beliebigen Auswahl von "Göttersöhnen" (v2). Nach Gottes Wunsch, die Lebenszeit auf 120 Jahre zu begrenzen (v3), bringt v4 mit "Riesen, Helden, Männer des Namens" die Fortführung zu v2; mit den in Anführungszeichen gesetzten Ausdrücken spielt der Erzähler auf überhebliche Männlichkeit und Dominanz an sowie auf das Streben, aus eigener Kraft eine Art Super-Menschen zu zeugen.

5
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Der nächste kleine Abschnitt, 6,5-8, bringt Gottes Reaktion dazu. Er nimmt - sogar bis in das Sinnen des menschlichen Herzens hinein - dessen Bosheit wahr, die groß und umfassend ist (v5 "nur"), und empfindet Reue und Kummer in seinem Herzen (v6). Diese Schilderung von Gottes Gefühlen will seine Betroffenheit zeigen, aus der heraus er der Spirale der Gewalt und damit der Perversion seiner Schöpfung ein Ende bereiten möchte (v7: auch die Tiere sind wegen der menschlichen Bosheit gefährdet).  

6
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Die Rettung des Gerechten (6,9-7,24)

7
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Daß Noach Gnade fand vor Gott (v8), erhält eine Erklärung in v9: Er ist gerecht und vollkommen. Inmitten des allgemeinen Untergangs unterscheidet Gott und bewahrt jene, die "mit ihm wandeln".

8
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6,10 wiederholt die Notiz von der Geburt der drei Söhne Noachs in 5,32, wo zum ersten Mal in dieser langen Genealogie mehr als nur der Erstgeborene mit Namen genannt wurde - Vorzeichen einer beginnenden Veränderung. Die 500 Jahre von dort ergeben zusammen mit 7,6 eine Zeitspanne von 100 Jahren: So lange hat Gott mit der Flut zugewartet, obwohl er die Verderbtheit der Erde sah. Der Ausdruck "Gewalttat", im Hebräischen hamas, benennt die typische Sünde der ganzen Menschheit, die in rohem, hartem, brutalem Vorgehen liegt.

9
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Nach überlangem Zusehen, ohne daß eine Verbesserung einträte, entscheidet Gott und teilt seinen Beschluß Noach mit (v13; Begründung wie v11). Auch weist er ihn an, einen quaderförmigen Holzkasten zu bauen, mit Seitenlängen von ca.150 x 25m und einer Höhe von 15m. Zugleich damit macht er ihm ein Bundesangebot (v18, erfüllt in 9,9). Mit Noach und seiner Familie sollen auch die Tiere der Schöpfung gerettet werden, in positiver Entsprechung zu v7. Getreu führt Noach alles aus (v22).

10
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Gottes zweite Anrede in 7,1 gebietet ihm den Bezug der Arche, mit einer Erweiterung (v2): Er soll von den reinen Tieren je sieben mitnehmen, statt je zwei wie bei den unreinen. Hier sind offensichtlich die entsprechenden Regeln (z.B. Lev 11) vorausgesetzt. Wiederum ist Noach völlig gehorsam (v5, auch 6-9 sowie nochmals 13-16).

11
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Nach dem Verstreichen der angekündigten Frist von 7 Tagen (v4 und 10) brechen die Wasser von unten und oben los, für volle 40 Tage (v11f). Jetzt erweist sich die Befolgung von Gottes Anweisungen (v13ff) als Rettung; zusätzlich bedarf es noch der göttlichen "Mithilfe" durch das Zuschließen von außen in v16.

12
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Dem langen Zeitraum für das Anwachsen der Flut entspricht die ausgedehnte Darstellung ab v17. Dessen Folge, daß alles Fleisch umkommt, wird erst, zurückhaltend, ab v21 erwähnt. So geht Gottes Plan in Erfüllung (v23, mit 6,7 und 7,4).

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Die Wende im Gedenken (Gen 8)

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Die Mitte der Fluterzählung bildet 8,1, wo mit Gottes Gedenken und Wind (hebr. ruach, auch `Geist', z.B. 6,3) die Wende zum Guten eintritt. Wie am Beginn der Schöpfung (1,2) kommt Gottes ruach eine entscheidende Rolle zu. Neu aber ist sein Gedenken, die wohlwollende Erinnerung, die noch öfter Anlaß zu einem helfenden Einsatz Gottes sein wird (Gen 19,29; Ps 8,5; Jer 2,2; 31,20).

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In einem komplexen Spiel von Zahlen gehen nun die Wasserfluten geordnet zurück. 150 Tage, das sind 5 Monate zu 30 Tagen nach Beginn der Flut (7,11.24 mit 8,3f) bekommt die Arche Bodenberührung, am Gebirge Ararat. Weitere 74 Tage (= 2x [30+7]) vergehen bis zum Sichtbarwerden anderer Berggipfel in v5, und nochmals 60 Tage bis zum Verlaufen der Wasser am Neujahrstag 601 des Lebens Noachs in v13. Genau nach 1 Jahr und 10 Tagen (8,14 mit 7,11) ist die Erde wieder "trocken", d.h. aufnahmefähig für den Menschen, gereinigt von der früheren Bosheit.

16
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In der Phase bis zum Vertrocken der Wasser hatten Vögel Noach Aufschluß gegeben über den Zustand der Erde (v6-12). Die im Abstand von einer Woche erfolgende Aussendung von Rabe und (wiederholt) Taube läßt mit dem zurückgebrachten frischen Olivenblatt neu sprießende Vegetation erkennen (v11).

17
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Weil nun Leben wieder möglich ist, redet Gott Noach zum dritten Mal an und befiehlt ihm den Auszug (ab v15). Dabei erneuert er in v17 für die Tiere seinen Wunsch nach Vermehrung (vgl. 1,22). Wie bisher immer befolgt Noach auch diese Anweisung (v18f).

18
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Doch nach all dem Geschehenen setzt Noach eigenständig weitere Handlungen in v20. Mit Altarbau und Opfer drückt er seine Verehrung und Dankbarkeit für Gott aus. Damit beginnt ein neues Verhältnis zwischen der Schöpfung und Gott, was sogleich an dessen Reaktion deutlich wird.

19
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Hatte menschliches Tun in 6,6 sein Herz bekümmert, so löst Noachs Opfer in Gott ein Reden zu seinem Herzen aus (v21f): Gott beschließt, trotz der menschlichen Bosheit (siehe 6,5) nie wieder den Erdboden zu verfluchen (vgl. 3,17) oder alles Leben zu vernichten. Der regelmäßige Wechsel von Zeiten und unterschiedlichen Erfahrungen soll auf Dauer anhalten und auf der Welt ein ausgeglichenes Leben ermöglichen.

20
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Eine neue Chance

21
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Noach bedeutet im Hebräischen "Ruhe". Tatsächlich kommt mit ihm die Spirale von Bosheit und Gewalt, zumindest vorläufig, zur Ruhe. Sein Wandeln mit Gott, vor und nach der Flut, bedeuten den positiven Gegenpol zur Verderbtheit "allen Fleisches".

22
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Noachs Schicksal belegt, wie Gott Gerechte rettet. Inmitten allgemeiner Fehlhaltungen gibt es Menschen, die gerade zu Gott stehen und sich nicht beeinflussen lassen vom Streben nach Macht und Größe.

23
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In dieser Ausrichtung ist Noach Vorbild und Zeichen der Hoffnung (vgl. dazu auch Jes 54,9 und Ez 14,14.20). Wenn die Bibel auf ihn die gesamte Menschheit zurückführt, alle weiteren Menschen von ihm abstammen läßt, will sie damit sagen: Die Welt ist nicht verloren. Wer so wie Noach lebt, kann mit Gottes Hilfe rechnen, selbst wenn er sich unter einer Mehrheit von anders denkenden und auch böse handelnden Menschen bewegen muß.

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Gottes Rettung seiner Schöpfung durch die reinigenden Wasser der Flut hat noch zwei Dimensionen, die in den vielfachen Wiederholungen erkennbar werden. (1) Die eine Dimension ist die kosmische: In Umkehrung zu Gen 1 treten in Gen 7 die Wasser von unten und oben zusammen, die Scheidung von Wasser und Land wird aufgehoben und die geschaffenen Lebewesen gehen zugrunde. Daraufhin können in Gen 8, in Entsprechung zu Gen 1, die Motive "Wind, trocken, vermehren" u.a. die Erneuerung des Kosmos beschreiben.

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Die zweite Dimension ist eher verborgen und liegt in der symbolischen Bedeutung der Zahlen und anderer Ausdrücke, die ein liturgisches Verständnis nahelegen. Dies ist am leichtesten bei Altar und Opfer (8,20) einsichtig, aber auch bei den Zeitangaben offenkundig. Grundzahlen sind 7 und 40, dazu kommen 5, 10 und 30. Diesen Zahlen entsprechen Schöpfung und Wochenrhythmus (= 7), Monate (= 30), Zeitraum für Veränderung (= 40). (2) Auch ist in der Arche kaum ein Schiff zu sehen; vielmehr erinnert dieses eigenartige, quaderförmige "Rettungsboot" an Tempelbauten.

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So drückt die Erzählung von der Flut indirekt aus, wie Gott die Welt rettet: durch gerechte Menschen wie Noach, die seine Anweisungen befolgen, im Einklang mit den Zeitrhythmen der Schöpfung und der Liturgie leben und Schutz suchen in seiner "Arche", die bildhaft steht für die Orte seiner Verehrung.

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Anmerkungen:

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1. Diese Gedanken gehen weitgehend auf meinen Lehrer Jean-Louis Ska SJ, Prof. am Päpstlichen Bibelinstitut in Rom, zurück.

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2. Zusätzlich weist Benno Jacob darauf hin, daß in Gen 6,9-8,22 je 24x Noach, Arche, "auf der Erde" und 48x "alle" stehen.

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