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Epiphanie: Wie Christus in unserem Leben zu erscheinen wünscht
(Predigt am 6.1.2021, Universitäts- und Jesuitenkirche Innsbruck)

Autor:Siebenrock Roman
Veröffentlichung:
Kategoriepredigt
Abstrakt:
Publiziert in:
Datum:2022-01-10

Inhaltsverzeichnis

Inhalt

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Unerwartet tauchen sie auf und plötzlich sind sie aus dem Text des Evangeliums verschwunden. Und weil sie nicht so recht greifbar werden, haben sie viele Namen erhalten: „Magoi“, Sterndeuter, Weisen oder Könige aus der Richtung der aufgehenden Sonne, Orient oder Morgenland. Von „drei“ ist im Evangelium nie die Rede. Dem Sinn dieser märchenhaften Erzählung kommen wir kaum auf die Spur, wenn wir nach der astronomischen Konstellation des aufgegangenen Sternes forschen, der einen König in Judäa anzeigt, oder nach historisch festmachbaren Elemente der Erzählung fragen.[1]

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Diese Erzählung ist immer „wahr“ und voller Bedeutung, weil sie nicht nur die Geschiche unseres ureigenen Lebens archetypisch erzählt, sondern weil dieses Evangelium uns selbst dazu bewegen möchte, Gott in unserer Welt und unserem Leben erscheinen zu lassen. Die Erzählung von den Weisen aus dem Morgenland ist die mystische Parabel von der Gottesgeburt in uns; – zu jeder Stunde in mir. Johannes Tauler gibt uns mehr als einen Hinweis in seiner Weihnachtspredigt, in der er den Sinn der drei traditionellen Messen des Festes als Darstellung der drei Geburten Gottes auslegt: einmal aus dem Vater vor aller Zeit, einmal im Stall zu Bethlehem aus Maria und einmal in uns. Deshalb, so schließt er seine Predigt, sollten wir alle geistige Mütter Gottes werden. Wir alle sollten wie Maria Gott in dieser Welt durch unser eigenes Leben zur Welt bringen: „Gottesgeburt“.[2] In dieser Tradition hat Angelus Silesius gesagt: „Wird Christus tausendmahl in Bethlehem gebohrn, und nicht in dir; du bleibst noch Ewiglich verlohrn.“[3]

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Wie aber der Gott, der immer schon in uns geboren ist und wir in ihm durch Christus geistig gestorben und erstanden sind, zur Erscheinung kommen möchte, das erzählt das Evangelium vom heutigen Sonntag: Epiphanie, Erscheinung des Herrn. Ich lade daher uns alle dazu ein, in der Spur der Exerzitien des Ignatius von Loyola mit unserem Vorstellungsvermögen uns dem Zug der Weisen hinzuzugesellen, uns also von der Erzählung in den Weg selbst hineinnehmen zu lassen. Dann können wir, wie Karl Rahner es sagte, etwas von der seligen Reise des gottsuchenden Menschen verschmecken.[4] Und weil die „Magoi“ in der Tradition so viele Namen bekommen haben, hat dieser Mut zur Gleichzeitigkeit die Tradition geprägt.

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Alle Begegnung mit dem lebendigen Gott Israels beginnt mit einem Aufbruch. „Exodus“ nennt die Schrift diesen ersten, notwendigen Schritt seit der Berufung Abrahams. Der immer neue „Exodus“ ist seit dem zweiten Buch der Thora die Grundmatrix der biblischen Verheißung nach neuem vollendeten Leben. Wenn wir die Bibel in ihrem eigenen Sinn verstehen wollen, dann muss es auch uns um das Leben, das volle und gelingende Leben gehen; – in und trotz alledem. „Berührt werden“ oder „Ekstase“ nennt diesen Aufbruch die Mystik und das bedeutet: Wir müssen die Fassung verlieren, irgendwie muss die Normalität des Alltags unterbrochen werden. Irgendwie müssen wir aus uns selbst geworfen werden. Für die Weisen, der Legende nach Astronomen aus Babylon, war es eine ungewöhnliche Himmelserscheinung, eben der Stern. Für uns vielleicht eine prägende Erfahrung, eine immer wieder neu uns rufende Sehnsucht, eine alte immer wieder neu und jung werdende Erinnerung, ein besonderer Ort, ein Bild. Alles kann zum Stern werden. Mitten in der Nacht unseres Lebens, und das mag anderen wie heller Tag erscheinen, kann ein Licht aufgehen, das uns aus uns selbst hinausweist. Irgendetwas macht zudem, dass wir hienieden nie wirklich ganz zu Hause sind. Selige Zeit, die uns immer wandelt und jede Morgen in neues Leben uns aufbrechen heißt. Gottsuche beginnt mit einem Exodus, einem Aufbruch, einer Umkehr, einer Ekstase, der Erfahrung hinausgerufen zu werden, in eine uns unbekannte Weite: „Zieh fort“ (Gen 12,1). Newman dichtet in der nächtlichen Überfahrt nach Marseille im Sommer 1833:

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„Lead kindly light, amid then circling gloom,
Lead, Thou me on!
The night is dark, and I am far from home,
Lead Thou me on!
Keep Thou my feet, I do not ask to see the distant scene,
one step ist enough for me.“

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Aber jede Reise, auch die mystische beginnt mit jenem ersten Schritt, der mich aus dem Vertrauten hinausführt.

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Alles Suchen nach dem göttlichen Gott bedeutet aber auch, das Eigene, das Meine zu lassen, vor allem aber, meine Vorstellungen von Gott zu lassen, ja sie verlieren. Wer „Gott“ nicht verliert, wird nie finden. Und wer das Seinige nie gelassen hat, ebensowenig. Meister Eckhart nennt diese Haltung „Gelassenheit“, ja auch „Gott-Gelassenheit“.[5] Ignatius scheint mit seiner Forderung nach „Indifferenz“ in die ähnliche Richtung zu zielen. Alles loslassen, alles anvertrauen, nichts von mir aus bevorzugen, ganz offen und leer werden. Diesen Prozess nennt die mystische Theologie den Weg der Reinigung, der uns durch die Erfahrung der Nacht der Sinne und des Geistes läutert. Wandlung, Umkehr, Bekehrung kann diese Transformation auch genannt werden. Was die Mystik mit diesen Prozessen benennt, erzählt das Evangelium mit den Geschehnissen am Hof des Herodes. Das Licht des Sterns verschwindet, als die Weisen ihrem natürlichen, d.h. kulturell geformten Sinn folgen und den neu geborenen König der Juden am Hof des Königs Herodes suchen. Wo wäre denn sonst ein Königskind zu suchen, wenn nicht in einem Palast? Ihre ehrlich naive Frage versetzt diesen Palast in helle Aufregung, weil dieser König immer um sich selber fürchtet. Herodes war kein Jude und immer um seinen Machterhalt besorgt. Noch auf dem Sterbebett ließ er seinen Sohn hinrichten. In der Logik einer solchen Macht kann der Gott des Evangeliums Jesu Christi nicht gefunden werden und der Stern muss verblassen. Denn den lebendigen Gott zeichnet eine Macht aus, die sich nicht um sich selber sorgt und daher sich völlig zu entäußern vermag. Warum? Weil göttliche Liebe, und darin allein liegt ihre Allmacht, sich dadurch erweist, dass sie das Leben und die Freiheit des Anderen unbedingt will und diese selber ist. Gott ist seinem Wesen nach das unbedingte Ja zum Anderen, in sich, zur Schöpfung, zu uns, zu jeder und jedem einzelnen von uns. Deshalb sprechen wir auch vom trinitarischen Gott. Der eine Gott ist und wird, weil er sich restlos gibt und immer neu empfängt und in dieser Bewegung und Dynamik höchste Einheit ist: Vater – Sohn – Geist. Diese Macht der Liebe wird übersehbar in solchen Palästen. Gott scheint nicht da zu sein. Denn die höchste menschliche Macht erweist sich darin, dass sie schnell und gezielt zu töten vermag. Und deshalb heuchelt sie Anteilnahme, wie Herodes es im geheimen Gespräch tut. Doch selbst in dieser Situation schreibt der Heilige Israels auf krummen Zeilen gerade. Die theologischen Hofschranzen wissen in ihrer Gelehrsamkeit noch darum, dass diese Verheißung mit Bethlehem, einem Nest nebenan, zu tun haben könnte. Also nicht mit diesem Palast. Doch sie gehen nicht, sie brechen nicht auf. Merken wir uns: Wissen ist nichts im Vergleich zum Tun. Und Leben bedeutet immer, handeln und entscheiden, das heißt Optionen setzen, sich nach Leitsternen zu richten.

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Als die Weisen die Bannmeile der Tötungsmacht verlassen haben, geht Ihnen der Stern wieder auf und führt sie zum Kind. Sie kommen um zu schenken, und in ihren Gaben schenken sie sich selbst: im Gold ihren Reichtum, aber auch alle ihre Gottesvorstellungen; im Weihrauch ihre Ehre und ihren Stand, aber auch alle Verehrung; in der Myrrhe die Bitterkeit und alle Heilungshoffnungen, aber auch ihre Hoffnung auf ewiges Leben. Sie werfen sich vor diesem Kind an einem völlig unköniglichen Ort nieder. So finden die Weisen Gott: Sie schenken sich selbst in einer Situation selbstverständlicher Alltäglichkeit. Nichts zeichnet das Kind, Maria und Josef in besonderer Weise aus. Wir finden Gott, wenn wir uns selbst schenken und so das Leben anderer ermöglichen; – in der Alltäglichkeit übersehenen Lebens. Das wird das Kind später selbst tun: es gibt sich selbst. Jesus – der Mensch für andere. Dieser König behält nichts für sich, weil er ganz unbesorgt und daher ganz frei ist. Und deshalb verlieren wir nichts, wenn wir uns ihm schenken. Die göttliche Liebe, deren Wesen es ist, sich selbst zu schenken, behält nichts für sich. Sie wird uns uns selbst immer wieder schenken, verwandelt und neu. In der Begegnung mit diesem Kind werden wir in Gott neu geboren, geheilt und schön, und schon in den Zonen der Sterblichkeit mit dem Duft der Ewigkeit elektrisiert. Ganz anders kurz danach Herodes: Er kommt um zu töten. Merken wir uns diese Botschaft des Evangeliums heute und immerdar: Gewalt ist kein Name Gottes! Im Töten wird Gottes Wort selbst hingerichtet; – und alle Lichter gehen aus. Warum nennen wir diesen Herodes und viele andere „Große“?

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Halten wir kurz ein. Die drei Stationen unserer mystischen Reise waren bislang: Exodus – Aufbrechen und Ekstase; Nacht der Sinne und des Geistes in der Läuterung unserer Gottesvorstellungen und Selbstbilder; Entdecken des königlichen Kindes im Schenken unserer selbst. Wie aber finden wir den Weg aus den Fängen der Tötungsmacht und unserer eigenen Angst? Wie kann Gottesgeburt in jeder Stunde geschehen?

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Seltsam: Immer bekommt die Erzählung der Kindheitsgeschichte nach Matthäus dadurch eine neue Richtung, dass ein Engel im Traum Menschen, immer Josef, aber dann auch die Weisen anrührt und ihnen einen Auftrag gibt, einen anderen Weg zeigt. Das Evangelium ist davon überzeugt, dass in allen Verschüttungen und Wirrnissen unseres Lebens ein göttlicher Funken in uns bleibt[6]: Gott ist immer schon da, Sie verlässt uns nie. Wenn Gottes Wort in uns ertönt, sanft, unaufdringlich, traumhaft, dann sprechen Schrift und Tradition von Engeln. Doch Gott spricht nur, wenn wir verstummen, wenn wir ganz Ohr werden. Wenn wir, bildlich gesprochen, schlafen und träumen, wenn unsere Selbst- und Gottesbilder seine Gegenwart nicht verstellen. Gott, so nochmals Tauler, tritt nur ein, wenn wir ganz ausgegangen sind. Und Meister Eckehart weiß: „Wo dieses Wort gehört werden soll, muß es in einer Stille und in einem Schweigen geschehen“.[7] Engel berühren immer sanft aber desto eindringlicher unsere Sehnsucht nach einem Leben in Fülle. Wenn wir ganz abgeschieden sind, ganz in uns eine selige Rast und einen Ort tiefen Friedens bereiten können, weil wir nicht mehr auf das Geräusch und Getöse des Außens hören, sondern inwendig ganz unserem Engel zugewandt bleiben, wird Gottes Wort in uns deutlich vernehmbar. In uns allen gibt es diese Krippe, in der Gott sein Zelt aufgeschlagen hat. Dieses Zelt ist der Tabernakel der Gegenwart des Wortes Gottes unverlierbar in uns. Selig der Mensch, der sich eingeübt hat, Einkehr in seiner Herzenskammer zu halten und deshalb getrost bleibt in allen Wirrnissen. Denn der Gott der immer äußerster als mein Äußerstes ist, ist derselbe Gott, der immer innerlicher als mein Innersten ist.[8]

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Die Weisen sind am Ende nur gegangen, um immer neu zu kommen und dann zu bleiben. Denn wir selbst sind dann zu diesen Weisen geworden. Mit ihnen treten wir, die Heiden, selbst zur Krippe hin. Und daher kann jetzt ihre Suche immer neu beginnen als Weggemeinschaft mit dem Kind von Bethlehem, als Weggemeinschaft aus Ägypten durch Galiläa bis nach Golgotha, als Weggemeinschaft aus dem leeren Grab bis an das Ende der Zeit im Licht der Hoffnung des neuen Ostermorgens. Wie alle sind eingeladen Weggenossen Jesu zu werden. Die „Gesellschaft Jesu“, „Gemeinschaft auf dem Weg mit Jesus“ und daher auch das Leben und Wirken ihrer Mitglieder will uns alle daran erinnern und auffordern, dass auch wir zu dieser Gesellschaft, zu dieser Weggemeinschaft Jesu Christi gehören. Immer werden diese Weggemeinschaften Aufbrüche und Pilgerweg in die Fülle des Lebens sein; – aus allen möglichen Ortern dieser Zeit und unseres Lebens. Der Verheißung des heutigen Evangeliums werden wir gewahr, wenn wir nicht mehr an Äußerlichem anhaften, alles gelassen haben, alles anvertrauen und allein jenem Licht trauen, durch das ein Engel im Traum auch uns aus den Zonen von Macht und Tötung hinauszurufen vermag in jene heimliche Kammer und dadurch in unser alltägliches Leben hinein, in der Gottes Wort immer in und mitten unter uns zeltet. Dann aber geschieht Weihnachten nicht nur einmal im Jahr. Denn jede Stunde kann zu Epiphanie, zur Erscheidung des Herrn werden, die alles gibt, niemanden ausschließt und neues Leben wirkt.

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Dazu möge uns alle ein guter Engel immer wieder anrühren und auch bisweilen anstoßen und aufschrecken: in dieser Eucharistiefeier, aber auch morgen, alle Tage in diesem Neuen Jahr und in der Stunde unseres Todes: Amen.

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Anmerkungen

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[1] Wer sich für die aktuelle Diskussion um diese Erscheinung interessiert, sei verwiesen auf: Glenz, Tobias, Gab es den Stern von Betlehm tatsächlich. In: http://www.katholisch.de/aktuelles/aktuelle-artikel/gab-es-den-stern-von-betlehem-tat... 05.01.2018.

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[2] Tauler, Johannes, Puer natus est nobis et filius datus est nobis - Ein Kind ist uns geboren und ein Sohn ist uns geschenkt. (Jes 9,5) V 1. In: Johannes Tauler. Herausgegeben und übersetzt von Luise Gnädinger. Olten 1983, 65–72.

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[3] Cherubinischer Wandersmann. Kritische Ausgabe. Hrsg. v. Louise Gnädinger. Stuttgart 1986, I, 61.

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[4] Rahner, Karl, Epiphanie. In: Ders., Sämtliche Werke 7. Freiburg-Basel-Wien 2013, 133-138.

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[5] Siehe vor allem dazu: Predigt 13: „Qui audit me (Eccli. 24,30). In: Meister Eckehart (1978): Deutsche Predigten und Traktate. Herausgegeben und übersetzt von Josef Quint. 5. Aufl. München 1978, 213-217, Hier heißt es: „Das Höchste und das Äußerste, was der Mensch lassen kann, das ist, daß er Gott um Gottes willen lasse“ (214).

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[6] Diese Grundüberzeugung christlicher Mystik, die auf der Bedeutung des Logos in allen Geschöpfen nach dem Prolog des Johannes-Evangeliums aufbaut und in der Lehre von der Gottesgeburt im Herzen der Gläubigen wirksam wird, hat Hugo Rahner in einem bis heute wertvollen Beitrag schon 1935 durch die Geschichte der Theologie und Mystik bis Meister Eckehart nachgezeichnet (Die Gottesgeburt. Die Lehre der Kirchenväter von der Geburt Christi im Herzen des Gläubigen. In: Zeitschrift für Katholische Theologie 59 (1935) 333-418: überarbeitet in: Die Gottesgeburt. Die Lehre der Kirchenväter von der Geburt Christi aus dem herzen der Kirche und der Gläubigen. In: Rahner, Hugo, Symbole der Kirche. Die Ekklesiologie der Väter. Freiburg - Basel – Wien 1964, 11-87).

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[7] Meister Eckehart, Predigt 58. Ubi est, qui natus est rex Judaeorum? (Matth. 2,2). In: Meister Eckehart, Deutsche Predigten und Traktate. Herausgegeben und übersetzt von Josef Quint. 5. Aufl. München 1978, 425–431, hier 430.

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[8] „Tu autem eras interior intimo meo et superior summo meo / Du aber warst noch innerer als mein Innerstes und höher noch als mein Höchstes.“ (Augustinus, Aurelius, Confessiones - Bekenntnisse. Lateinisch und deutsch. Eingeleitet und übersetzt von Joseph Bernhart. 4. Aufl. München 1980, 6, 11, S. 114-115).

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