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Gott – Musik – Genuss. In der Perspektive der „scientia bene modulandi“
(Predigt bei der Eucharistiefeier im Zusammenhang mit den Festwochen der Alten Musik in der Jesuitenkirche am 28. August 2021 um 19.00 Uhr)

Autor:Niewiadomski Jozef
Veröffentlichung:
Kategoriepredigt
Abstrakt:
Publiziert in:
Datum:2021-09-01

Inhaltsverzeichnis

Inhalt

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Geweint hat er! In einer Kirche in Mailand aus lauter Freude Tränen vergossen. „Quantum flevi in hymnis et canticis...“ „Wie weinte ich bei den Hymnen und Gesängen, mächtig bewegt vom Wohllaut dieser Lieder Deiner Kirche!“ - erinnert sich der heutige Tagespatron, der berühmte Bischof von Hippo Augustinus in seinem Klassiker: „Confessiones“. „Die Weisen drangen an mein Ohr, und die Wahrheit flößte sich ins Herz, und fromminniges Gefühl wallte über; die Tränen flossen und mir war wohl bei ihnen.“ „Currebant lacrimae et bene mihi erat cum eis.“ Wie wohl muss ihm also heute Abend sein: ihm, dem Genie der altkirchlichen Zeit beim Zuhören der gerade vom Sopran herrlich vorgetragenen Motette zu seiner Ehre. Wie wohl muss ihm sein bei dieser wiederholten Begegnung der Innsbrucker Festwochen der Alten Musik und der kirchlichen Liturgie an seinem Fest? Wenn in dieser wunderschönen Barockkirche die meisterhaft musizierende „La florida Capella“ mit Marian Polin, dem begnadeten Kirchenmusiker, die Kleinjuwelen der Barockmusik zur Aufführung bringt. Dabei Violinsonaten und Motetten von Claudio Monteverdi, Francesco Cavalli  und anderen Meistern des Barocks zur Aufführung bringt, gar eine der wenigen komponierenden Frauen der Barockzeit Barbara Strozzi. Mit dieser Eucharistiefeier schließt sich die Klammer, hat doch dasselbe Ensemble am 1. August in dieser Kirche mit dem „Introitus“ auf eine brillante Art und Weise das Reigen der Höhepunkte der Festwochen gewissermaßen eröffnet.

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Werden sich da die Komponisten und der Heilige, samt seiner ihn im Leben wie eine Klette begleitenden Mutter Monika, werden sie sich beim himmlischen Mahl treffen, auf die Musiker anstoßen und sich austauschen über so viel „Genuss“, über so viel „fruitio“, die ihnen im Himmel, aber auch uns allen in den Vorhöfen des Himmels: „in tabernaculis peccatorum“ – wie es in der Motette zur Kommunion heißen wird –, die uns da zuteilwurde und noch zuteilwird? Wenn uns bei „salutis epulos“ – bei Banketten der Erlösung – „paradisi viaticum“, Speise und Angeld des Paradieses, gereicht wird? Denn: So überraschend es für einen kirchendistanzierten Menschen auch klingen mag: Die gefeierte Eucharistie vereinigt die hier sitzende Gemeinde mit der Kirche des Himmels. Sie überschreitet die Grenzen des Todes, gibt uns Anteil an der Auferweckung und dem himmlischen Genuss: der fruitio Dei et beatorum: dem Genuss Gottes und seiner Seligen. Wohl Euch also, den Musikern, und wohl auch uns, den Mitfeiernden, denn heute haben wir einen doppelten Genuss: den Genuss des Vorgeschmacks des Himmels und den Genuss für unsere Ohren, für unsere Sinne. Ja: „Parasti in dulcedine mensam homini, Deus: Du lieber Herrgott, Du hast uns Menschen einen süßen Tisch bereitet!

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Es ist gut sich daran zu erinnern, dass dem tief gläubigen Menschen Augustinus Gott selber so etwas wie die Brücke darstellte zwischen den beiden Arten von Genuss: dem sinnlichen Genuss und dem Genuss des Himmels. Definierte er doch Gott als das Ziel unseres Begehrens. “Unruhig ist unser Herz bis es ruht in Dir” dichtete er und sorgte damit für einen der bekanntesten Sprüche der abendländischen Kulturgeschichte.

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Liebe Schwestern und Brüder, was haben also Gott, Musik und Genuss miteinander, und was hat das Begehren damit zu tun? Wie kaum ein anderer Denker seiner Zeit hat Augustinus umfassende Studien über Musik verfasst, über Musik, die er als “die Kunst der rechten Gestaltung” definierte: “Musica est scientia bene modulandi”. Die rechte Gestaltung der Töne, die er in mathematische Formeln zu gießen suchte, stand dem bekehrten Mann im Dienste der rechten Gestaltung des Lebens. Musik war ihm sozusagen eine Pädagogin. Und die Ordnung ist ihm zum Oberbegriff bei der Gestaltung des Lebens geworden.

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Deswegen hat auch der große Augustinus mehr mit uns zu tun als wir es ahnen. Es verbindet ihn mit uns der Lebenshunger. “Unruhig ist unser Herz” - dichtete er in seiner klassisch gewordenen Formel. Die scientia bene modulandi, die Kunst der rechten Gestaltung, die Augustinus bei seiner Definition der Musik bemühte, scheint für unsere unruhigen Herzen und unruhigen Tage heute notwendiger zu sein denn je: und dies nicht nur in Afghanistan und Syrien und in der Ukraine. Nein: Auch hier bei uns, inmitten der scheinbar so friedlichen bürgerlichen Ordnung bringt uns die Dynamik des menschlichen Begehrens oft an den Abgrund. Wir retten uns zwar immer und immer wieder, indem wir der Skandallogik verfallen und drohendes Chaos auf Kosten derjenigen, die scheinbar in den Abgrund stürzen, auf Kosten der Sündenböcke abwehren und die sich dabei einstellende Zufriedenheit mit Glück und Genuss verwechseln. Das Umdenken und die Umkehr tun not. Was notwendig zu sein scheint, ist die scientia bene modulandi: die Kunst der rechten Gestaltung. Sie muss jedoch mit jener Erfahrung angereichert werden, die Augustinus selber zuteilwurde. Damit sie nicht zum Moralismus verkommt. Sie muss mit der Erfahrung der Gnade angereichert werden. Mit der Erfahrung der Liebe, die ja mit Gnade identisch ist. Skandal ist kein Prädikat Gottes und das Moralisieren keine seiner vielfältigen Tätigkeiten. Wohl aber “Liebe”. Die Liebe gekoppelt mit der scientia bene modulandi steht dann für die “beata vita”, für das geglückte Leben. So war es schon bei Augustinus. So möge es bei uns allen sein! Deswegen wird uns auch der herrlich „modulierende“ Sopranist in der Motette von Barbara Strozzi bei der Kommunion auffordern: „Venite et commedite Angelorum escam“: Kommt und esst von der Speise der Engel!

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