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Ich glaube, dass ich auferstehen werde. Predigt am Ostersonntag
(4. April 2021 in der Jesuitenkirche)

Autor:Niewiadomski Jozef
Veröffentlichung:
Kategoriepredigt
Abstrakt:
Publiziert in:
Datum:2021-04-06

Inhaltsverzeichnis

Inhalt

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Die Szene könnte sich auf jeder Krebsstation eines Krankenhauses abspielen. Vor dem Kaffeeautomaten treffen ein älterer Mann und ein junger Bursche aufeinander. Beide mit schweren Tumoren im Körper. Der Mann kämpft mit dem Automaten, der Junge hilft ihm. „Sind Sie der Mann, der betet?“, fragt er unvermittelt. „Ja.“ Das Gespräch kreist um die Tumore und um die Therapie. Beim Abschied sagt der Junge überraschend: „Beten Sie für mich!“ Ein paar Tage später wird der Mann durch die Krankenschwester aus dem Zimmer des behandelnden Arztes geholt; der Junge verlangt nach ihm. Er steht direkt vor der Operation. Nun will er nur noch eines wissen: „Gibt es ein Leben nach dem Tod?“ Der Mann redet um den heißen Brei, erwähnt philosophische und theologische Argumente. Ungeduldig unterbricht der Junge: „Ich werde sterben, ich weiß es. Ich habe das Gefühl, ich werde die Operation nicht überleben. Und ich weiß, dass es danach gar nichts gibt. Glauben Sie, dass ich danach leben werde?“ Der Mann zeigt sich betroffen, sagt, dass der Einzige, der vom Tod zurückgekommen sei, Jesus ist. „Und was hat er gesagt?“ Im geschliffenen Theologenjargon sagt der Mann, dass wir schon jetzt in Christus leben. Dem Jungen ist das zu wenig, er versteht es nicht. Und er will nur eines wissen, ob der Mann selber glaubt und auch mehr weiß. „Der Tod ist eine Beleidigung für’s Leben“, fängt der Mann seine Überlegungen an, „man kämpft dagegen jeden Tag.“ Ratlos schaut der Mann den Jungen an, als dieser sagt: „Wenn das so ist, wozu ist der Glaube gut?“ Der Junge überlebt die Operation nicht.

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Der Mann ist ein Priester, der Regens eines Eliteseminars. Aufgewühlt durch den Schwund der Kirchlichkeit führt er sein Seminar mit strenger Hand, legt großen Wert auf Disziplin und eine verschärfte Sexualmoral, trampelt geradezu in den Seelen seiner Seminaristen herum, zwingt sie deswegen auch, zu lügen. Ein Paradekirchenfunktionär möchte man fast sagen, einer, der sich um die Systemrelevanz der Kirche sorgt. Nach der erschütternden Szene im Krankenhaus sitzt er mit schlechtem Gewissen, bei dem religionsarmen Jungen total versagt zu haben, beim Predigtwettbewerb seiner Seminaristen. Einer davon sitzt im Rollstuhl. Im Seminar ist er ein Außenseiter, ein ehemaliger Krimineller, Drogendealer, der gar einen Mord auf seinem Gewissen hat. Und eine langjährige Gefängnisstrafe hinter sich. Im Gefängnis fand er zu Gott, krempelte auch sein Leben total um. Er hat sich seinen Platz im Seminar regelrecht erkämpfen müssen. Während er – schon als Seminarist – die Witwe des ermordeten Mannes – die Chefin einer Mafiagruppe – aufgesucht hat, um sie um Vergebung zu bitten, schießt ihn die Mafia tot. Er überlebt aber und bleibt an den Rollstuhl gefesselt. Sein Leben lang. Dem Regens ist er ein Dorn im Auge, weil er nicht in das Schema seiner Kirchlichkeit passt. Auch beim Predigtwettbewerb durchbricht er die Regeln, überraschenderweise ändert er das Thema und bekennt freimütig, er fühle sich im Seminar wie ein Toter, der zum Leben neu erweckt wurde. Ich glaube, sagt er unvermittelt, „Gott kann die Toten auferwecken, selbst wenn sie schon stinken“. So schließt er seinen kurzen Impuls ab. Dann murmelt er ein Wort der Entschuldigung, er wisse nicht, ob er sich klar genug ausgedrückt habe. Der Regens erstarrt. Er hat die Aussage verstanden! Als die ihm von der Vorsehung geschenkte Antwort auf sein Versagen im Krankenhaus, wo er es nicht vermochte, dem religiös völlig unbedarften Jungen angesichts seines Todes ein ehrliches und klares Bekenntnis zur Auferweckung, ein Bekenntnis seines Glaubens zu schenken.

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Liebe Schwestern und Brüder, warum diese etwas länger ausgefallene Nacherzählung einiger Szenen aus der mehrmals ausgezeichneten französischen Serie: „Ainsi soient ils“ – „So seien sie“, einer Arte-Produktion über ein Priesterseminar, über die Veränderung des kirchlichen Lebens in Frankreich, einem Land, in dem Gott den meisten Menschen fremder geworden ist als der Mond? Die Serie zeigt ja alles, die zweideutigen kirchlichen Existenzen, das Engagement der Kirche in Sachen Obdachlose, Caritas, Bemühung um perfektes Management und das gute Medienimage. Die von mir nacherzählte Szene stellt den religiös-spirituellen Höhepunkt der Produktion dar. Ich erwähne sie heute aus zwei Gründen.

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Zum einen: man kann sie als moderne Form des heutigen Evangeliums sehen. Und auch dessen Fortsetzung. Die bestens vorbereiteten Jünger Petrus und Johannes rennen zum Grab und verstehen Bahnhof. Angesichts der Erfahrung des Todes verstummen sie, schließen sich zuerst im vertrauten Kreis ab. Dann geraten sie in Verwirrung und Panik. „Wie geht es weiter? Angesichts des Niedergangs?“ Maria von Magdala – eine Persönlichkeit mit dunkler Vergangenheit, zweideutig also, zweideutig wie der Seminarist –, eine Frau, die – wie es im Evangelium heißt – viel geliebt hat, viel geliebt, weil ihr auch viel vergeben wurde, ist die erste Zeugin der Auferweckung. Ich finde die kirchliche Identifizierung der ehemaligen Hure mit der ersten Zeugin der Auferweckung geradezu sinnstiftend. Sie ist nämlich keineswegs Opfer der Verleumdung des Patriarchates, wie dies die modern aufgemotzten Theorien haben wollen (und der „religionsplatte“ ORF postiert den Unsinn als Hauptnachricht zu Ostern auf seiner Homepage). Theorien, die überall bloß Emanzipationsprozesse und die kirchlich-männliche Machenschaften sehen und in die Vergangenheit hineindichten, entspringen zwar dem Geschmack der Autorinnen, die in Maria von Magdala am liebsten eine Vorläuferin einer modernen Theologieprofessorin sehen: ordentlich bürgerlich und politisch korrekt, verpuffen schneller als sie erfunden werden.

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Was ist aber der tiefere Sinn der kirchlichen Position? Weil Maria öfters als die ordentlich sozialisierten Bürger das Zerbrechen ihrer Wünsche, die Zerstörung ihrer Lebenspläne erlebt hat, weil sie die Erfahrung der Erniedrigung erlebte, weil es ihr im Leben dreckig ergangen ist – wie dem Seminaristen, der Drogendealer, Gefangener, gar Mörder gewesen ist –, weil ihr also der Boden unter den Füßen öfters entzogen wurde, konnte sie eine so elementare Handlung wie die Nennung beim Namen: „Maria“ – denn so heißt es in der Fortsetzung des heutigen Evangeliums, in der sie Jesus begegnet – in der Tiefe ihres Herzens verstehen. Sie konnte das ehrliche Angesprochenwerden beim Namen als jenen Wert erleben, der gar die Grenze des Todes überschreitet. Sie, die sozial schon tot war, fand ja durch die Begegnung mit Jesus zum Leben. Deswegen ist sie die Erste, die den Auferweckten wiedererkennt und überzeugend sagen kann: Gott hat ihn auferweckt, denn: Gott kann die Toten auferwecken, selbst dann, wenn sie schon stinken. Und sie bezeugt dies den „Großköpfigen“, den Aposteln, genauso wie im Film der an den Rollstuhl gefesselte Mann mit zweifelhafter Vergangenheit diesen Glauben dem theologisch bestens ausgebildeten Regens bezeugen kann.

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Und da liegt schon der zweite Grund für das Erzählen der Geschichte. Dieser Regens lässt mich nämlich an die biblischen Sadduzäer denken, die Tempelaristokratie, die vor allem um die Systemrelevanz der organisierten Religion besorgt war: um die Finanzierung, um caritative Arbeit, um das Image in der Öffentlichkeit. Diese Sorge verdeckte den damaligen Sadduzäern und verdeckt auch den heute Verantwortlichen das, worum es eigentlich im Glauben geht. Diese Verantwortlichen sind heutzutage bei den Religionsjournalisten zu finden und erst in zweiter Reihe bei den kirchlichen Funktionsträgern, die den medial gesetzten Standards zu entsprechen suchen. Und wo liegt der springende Punkt? Die Sadduzäer glaubten nicht an die Auferweckung der Toten, der Tempelkult genügte: die organisierte Religion anstelle der Hoffnung, die den Tod überlebt! Im Film erlebt übrigens der Regens in den nachfolgenden Szenen eine fundamentale Wandlung, eine Wandlung, zu der auch ganz „normale“ Menschen – wie etwa eine Krankenschwester – ihren Beitrag leisten.

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„Glaubst du, dass es ein Leben gibt nach dem Tod?“ „Glaubst du, dass Er auferstanden ist?“ „Glaubst du, dass du selber auferweckt werden wirst?“ Diese Fragen stellt an mich (auch an mich persönlich) der heutige Mensch, der in Sachen Religion oft so unbedarft ist. Ja! Ich glaube und ich glaube dies auch deswegen, weil Menschen mit gebrochenen Existenzen und mit zweifelhaften Lebensgeschichten – von Maria von Magdala angefangen bis zu diesem Seminaristen und den heute oft am Rande des Abgrunds lebenden Menschen – das glauben. Weil sie, die sie schon so oft tot waren, tot für ihre Mitmenschen und auch tot für sich selber, diese alles umkrempelnde Erfahrung des Neubeginns gemacht haben. Und ich glaube auch, weil jene, die um den letzten Atemzug ringen, sehr oft daran glauben und deswegen auch versöhnt und in Frieden sterben können.

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Es soll nicht vermessen klingen, aber: Ich glaube es wirklich!

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