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„Epizentrum“ des Karfreitags. Predigt bei der Liturgie am Karfreitag
(um 19.00 Uhr (im Anschluss an Joh 18–19,30))

Autor:Niewiadomski Jozef
Veröffentlichung:
Kategoriepredigt
Abstrakt:
Publiziert in:
Datum:2021-04-06

Inhaltsverzeichnis

Inhalt

1
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Eine unendliche Geschichte, möchte man fast sagen: die Leidensgeschichte der Menschen in dieser Welt. Die Worte der Lektorin wahrnehmend, die in diesem liturgischen Geschehen die Rolle des Evangelisten verinnerlichte, schauten wir auf das purpurrote Tuch, das sich bestens dazu eignet, eine Leinwand zu sein. Eine Leinwand, auf der die ganze Leidensgeschichte unserer Welt erscheint. Millionen und Abermillionen sterbender Opfer, Genozide, einkalkulierte Todesurteile, Hinrichtungen und Opferungen von Menschen ganz nach dem Motto, es sei doch besser, dass einer stirbt, dass ein paar Tausend sterben, als dass Völker untergehen. All das begleitet vom sich wiederholenden Verrat, weil sich die Freunde allzu oft aus dem Staub machen, wenn die Freundschaft am Rande des Abgrunds gelebt werden soll.

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Eine unendliche Geschichte, Geschichte von Rationalisierungen und Scheinrationalisierungen, von Zweifeln an der Wahrheit, die gerade Opfer offenbaren könnten: „Was ist schon Wahrheit?“ Es ist aber auch eine unendliche Geschichte jener Opfer, die sich im letzten Atemzug ihres Lebens noch Sorgen machen um ihre Lieben. Auf diese Weise auch stückweise Abstand gewinnen von dem bitteren Schicksal, das ihnen die mächtigen, allzu oft korrupten Herrscher dieser Welt bescheren oder aber die von Hass und Vorurteilen verblendeten Massen. Eine unendliche Geschichte, jene Geschichte, der ein jeder von uns, der ein jeder Mensch in dieser Welt unterworfen bleibt. Wenn der Tod allzu deutlich vor Augen geführt wird, wenn man verstummt, hilflos dagegenhält oder aber resigniert sich eingesteht: „Es ist aus. Dabei hätte ich noch so viel vor.“

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Liebe Schwestern und Brüder! Die diesjährige Karfreitagsliturgie führt uns direkt in das Epizentrum des christlichen Glaubens. Die Evangelistin brach ihren Bericht abrupt dort ab, wo all die Geschichten der Menschen abbrechen. Das Opfer des Todes gab seinen Geist auf. Sie wollte uns damit zu einem Metanoia-Erlebnis verhelfen, zu einem Akt des Umdenkens und des durch Gnade ermöglichten Perspektivenwechsels. Fast schon so, wie dies der Evangelist Markus macht, als er den Vorhang im Tempel entzweireißen lässt, um den dahinter  verborgenen leeren Raum zu zeigen, jenen Raum, in dem im Grunde all die Tode enden. Im Nichts. Auf diese Erschütterung lässt er aber das Bekenntnis des Hauptmanns folgen: „Wahrhaftig, dieser Mensch, der Mensch, der gerade qualvoll starb, dieser Mensch war Gottes Sohn.“ So eilten auch unsere Ministranten zu dem – mit dem purpurroten Vorhang verhüllten – Kreuz, um auf die Botschaft, die uns der Diakon kündete, den Vorhang niederzureißen. Auf dass wir erblicken, was denn schon immer hinter der Projektionswand verborgen blieb. Nicht ein leerer Raum, in den hinein die Menschen sterben und sich auch annihilieren. Nein! Zum Vorschein kam der Gekreuzigte: Jesus von Nazareth, der Sohn des göttlichen Vaters. Wie der Hauptmann damals, vollzogen auch wir heute – und dies aus tiefster Überzeugung– unseren Glaubensakt in der Geste der Anbetung. Allen voran diejenigen, den dem Evangelisten ihre Stimme geliehen haben, deswegen auch im liturgischen Geschehen zu Evangelisten wurden.

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Liebe Schwestern und Brüder! Das Epizentrum des Karfreitags offenbart die absolute Einzigartigkeit dieses einen Sterbens. Es ist nicht deswegen einzigartig, weil das Opfer besonders qualvoll starb. Auch nicht deswegen, weil es besonders originell war. Von außen betrachtet war es ein Sterben wie Millionen anderer Tode. Dieses eine Sterben ist einzigartig, weil derjenige, der da starb, einzigartig ist. Aber nicht so, wie die VIPs dieser Welt und die medial hochgepuschten und oft auch schrillen Stars einzigartig sind.  Die Einzigartigkeit des Gekreuzigten rührt her von seinem Ursprung, der geliebte Sohn des himmlischen Vaters zu sein. Freilich haben etliche Frauen und Männer etwas von diesem Wunder schon während seines Lebens wahrgenommen (wie auch wir heute schon beim Anschauen des purpurroten Vorhangs die Einzigartigkeit dieses Todes aufgrund der musikalischen Intermezzi vermuten konnten, die ja in ihren Worten jene Perspektive wiedergaben, die den Jüngerinnen und Jüngern erst im Osterereignis voll aufgegangen ist).

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Was hat sich aber in diesem Sterben ereignet? Was übersieht das Auge des Betrachters, der bloß die facta bruta und bloß die Projektionen wahrnimmt? Wurde in diesem Sterben der göttliche Zorn gestillt? Oder wurde da der unerbittlichen göttlichen Gerechtigkeit, der Gerechtigkeit eines strengen Richters der blutige Preis gezollt? Wie dies viele Theologen der Vergangenheit postulierten? Das glaube ich nicht! Wohl aber glaube ich, dass der göttliche Vater, der Inbegriff der liebenden Person, den am Rande des Abgrunds stehenden und in den Abgrund des Todes fallenden Sohn ermächtigte, dieses unerbittliche Geschick des qualvollen Sterbens in den Akt personaler Hingabe zu verwandeln. Die Widerfahrnis also, die weder er selber, noch der Vater wünschten, wurde so zur höchsten Aktivität der Liebe gewandelt. Gemäß der Logik, die unsere Großmütter auf die Kurzformel gebracht haben, wenn sie sagten: auf krummen Zeilen wird gerade geschrieben. Auf den krummen Wegen des Leidens und des Sterbens, der Verblendung, des Verrates und des Hasses, gar der Verzweiflung wird Liebe, Hingabe, Versöhnung, eben: neues Leben gelebt. Denn: dieser Sterbende, dessen Abbild nun vor unseren Augen am Kreuz hängt, hat sich – kraft seiner ewigen Sohnschaft – mit allen Opfern der Geschichte verbunden und auch identifiziert, auf dass all das Leiden, das sie erdulden müssen, im Akt seiner Hingabe gewandelt wird. Deswegen wird auch unser Akt der Anbetung in die gläubig vorgetragenen Fürbitten münden, in die Bitten um die Früchte der Wandlung, die das Epizentrum des Karfreitags bringt. Um die Früchte für unsere derart schlimm geplagte Welt, aber auch um die Früchte für uns selber, die wir diesen Karfreitag gläubig begehen. Auf dass uns allen, nicht zuletzt dann, wenn der Tod allzu deutlich vor unseren Augen steht, uns das gläubige Vertrauen begleite. Das Vertrauen auf den, den wir heute in seinem Sterben am Kreuz erblicken. Er möge von uns nicht scheiden, sondern uns geleiten: zur Auferstehung und zum ewigen Leben!

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