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Den Gekreuzigten verkünden. Gerade in Zeiten der Pandemie
(Predigt zum 3. Fastensonntag. Gehalten in der Jesuitenkirche am 7. März 2021)

Autor:Niewiadomski Jozef
Veröffentlichung:
Kategoriepredigt
Abstrakt:
Publiziert in:
Datum:2021-03-08

Inhaltsverzeichnis

Inhalt

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Glaubt man den Medienmachern dieses Landes, so gibt es momentan in unserem Leben nur noch ein Zweifaches. Da gibt es zuerst die Flut von statistischen Daten, Daten über die Invasion des Virus und über die Maßnahmen zu dessen Abwehr. Die unsichtbare Schlacht beherrscht ja den Globus. Sichtbar bleiben nur deren Konsequenzen. Die stillgelegten Betriebe, gebrochene Existenzen, Aufmärsche von Wutbürgern, Berge von Toten – weltweit. Das Handhaben von Inzidenzzahlen und die Perfektionierung der Logistik beim Impfgeschehen sei der Gipfel und Inbegriff der menschlichen Weisheit. So künden uns jedenfalls die Wissenschaftsgurus, die Abend für Abend von den Bildschirmen lächelnd dem Volk das „Evangelium vitae“ verkünden – die Frohbotschaft vom Überleben.

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Und dann? Dann gibt es noch Botschaften von Korruption und Missbrauch, Botschaften, die das Ärgernis gebiert, Botschaften, die der Schlachtenmentalität entspringen und zu neuen Schlachten animieren. Es vergeht ja kein Tag, an dem der Blick der Gerechten, der scheinbar Gerechten, auf jeden Fall der Blick der Empörten die „Schurken“ nicht an den Pranger stellen und so das Klima unserer alltäglichen Routine ordentlich anheizen würde. Dem biblischen Jesus nicht ganz unähnlich – zumindest auf den ersten Blick nicht unähnlich –, schlagen die Empörten mit den Geiseln um sich, den Geiseln, die durch die Schlagzeilenmentalität gestrickt worden sind. Die Allianz der durch Ärgernis gezeugten Mentalitäten, die durch die menschliche, ja allzu menschliche Weisheit geboren wurden, beherrscht momentan unser Klima in Kirche und Gesellschaft.

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Liebe Brüder und Schwestern, spitzt man auf diese Weise die Atmosphäre, in der wir leben, zu, so erscheint dieses Leben als armselig. Der Prediger könnte da problemlos in den Gesang der Capella Claudiana mit einstimmen und künden: „Was jetzt im Laufen, liegt bald zu Haufen, das kann sich schicken, all Augenblicken.“ (Anm.: Beim Gottesdienst wurden „Deutsche Sprüche vom Leben und Tod“ von Leonhard Lechner gesungen). Warum aber dieser Einstieg? Der Konfrontation wegen! Der Konfrontation mit dem Wort Gottes, das uns in dieser armseligen Situation hoffentlich trifft. Denn:

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In den längst schon unisono klingenden Chor all der medial etablierten Botschafter, die uns bloß die Kunde vom Überleben auf den Schlachtfeldern des 21. Jahrhunderts bringen, in die recht fade Melodie dieses Chores verkündet die Kirche nicht nur einen Kontrapunkt, sondern auch das Grundmotiv eines neuen Cantus firmus, den all jene hören können, die ihr Ohr und ihr Herz dafür offen halten. Es ist das Wort, das der Apostel Paulus verschriftlicht hat (1 Kor 22–25). Dort, wo bloß Ärgernis und menschliche Weisheit regieren, genau dort verkünden wir Christus: Christus als den Gekreuzigten. Wir tun es, obwohl so viele weise und empörte Gemüter unser Tun als Torheit betrachten, als billigen Trick, als harmlose Vertröstung oder gar als fromm verschleierte kriminelle Angelegenheit. Wir tun es, weil uns etwas aufgegangen ist. Weil wir erfahren haben, dass es in diesem Leben mehr gibt als bloß lebensverlängernde Maßnahmen oder bloß den Tod verschleiernde Strategien. Auch mehr als das hochgepriesene selbstbestimmte Sterben. Wir verkünden Christus, den Gekreuzigten, weil wir glauben, dass in Jesus Christus Gott selber dieses Schlachtfeld menschlicher Geschichte betreten hat. Er tat dies, um all denen, die durch statistische Daten zu einer gesichtslosen Masse zerstampft werden, (um ihnen) ihr menschliches Gesicht wieder zu geben. Gott hat das Schlachtfeld der menschlichen Geschichte betreten, um all die Opfer der Empörten, die Opfer, die das menschliche Ärgernis erzeugt, (um sie) an sein Herz zu drücken und so in der Perspektive der Ewigkeit ihre Würde herzustellen. In Jesus Christus, dem Gekreuzigten, ist Gott selber in die scheinbare Sinnlosigkeit der todbringenden Zeit herabgestiegen: auch jener Zeit, die durch das Virus regiert wird oder aber durch das allgegenwärtige Ärgernis und den Skandal. Gerade in dieser Zeit wird Gott selber zum Ärgernis, zum Ärgernis, das die Ärgernisse des Menschen verwandeln kann.

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In Jesus Christus, dem Gekreuzigten, ist nämlich Gott allen Kranken nahegekommen: jenen Kranken, die auf den Intensivstationen um Luft ringen. Da ringt er selber mit, genauso wie er in den vielen Sterbenden selber stirbt. Auf dass sie alle zusammen mit ihm durch den Tod hindurch zum neuen Leben gelangen. Den Gekreuzigten zu verkünden heißt, die beengende Perspektive des Ärgernisses und der bloß menschlichen Weisheit zu sprengen und so zur Weisheit Gottes und seiner Kraft zu gelangen.

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Liebe Schwestern und Brüder, an diesem Wochenende besucht Papst Franziskus den Irak, eine Gegend, die unlösbar mit biblischer Geschichte verbunden ist, war doch dort die Heimat des biblischen Erzvaters Abraham gewesen. Und auch der Jona ist dorthin nach Ninive (heute Mosul) gegangen. Es ist eine Gegend, die im letzten Jahrzehnt die Terrorherrschaft des Islamischen Staates erdulden musste, eine Gegend aus der unzählige Christen fliehen mussten, unzählige tagtäglich ihren Kreuzweg gehen und auch ihr Martyrium erleben mussten. Das Verhältnis zwischen den dort lebenden Muslimen und der christlichen Minderheit ist immer noch durch den Schatten, den die Islamisten werfen, vergiftet. Deswegen ist es allzu logisch, diese Predigt über die Kraft des Kreuzes mit einer (wohl bekannten) Kurzgeschichte zu beenden, die Christen und Muslime einander näher bringt. Es ist auch eine der schönsten Geschichten über die erlösende Kraft des Kreuzes. Sie wurde uns überliefert durch einen Seligen der Kirche, der als Opfer des islamistischen Terrors sein Leben verloren hat.

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Wie viele Kreuze siehst Du, wenn Du das Kruzifix anschaust, fragte der Prior des Trappistenklosters Thibirine in Algerien Christian de Chergé seinen Freund, einen muslimischen Sufi.  – Zwei, eigentlich drei, antwortete der Sufi. Zuerst sehe ich das Kreuz der ausgebreiteten Arme. Es wurde von Gott selber erschaffen. Das ist das ursprüngliche Kreuz, es wurde geschaffen, damit die Menschen ihre Arme ausbreiten, um einander zu umarmen. Dann sehe ich das Kreuz der angenagelten Arme. Dieses wurde von Menschen erschaffen. Sie erschaffen es, wenn sie selber im Leben erstarren, wenn sie ihre Mitmenschen festnageln, wenn dadurch Grenzen entstehen, Ausgrenzungen vollzogen werden und Ressentiment und Hass festgeschrieben werden, wenn versöhnende Umarmung unmöglich gemacht wird. Und dann? Dann gibt es noch das dritte Kreuz. Das Kreuz jenes Menschen, der kraft seiner Liebe, kraft seiner Hingabe aus der Position der festgenagelten Arme in die Position der umarmenden Arme gelangt. Das Kreuz jenes Menschen, der kraft seiner Hingabe die festgenagelten Arme der anderen freimacht, um Umarmungen möglich zu machen und um Versöhnung zu stiften. An die Kraft dieses Kreuzes glaubt ihr, die Christen, sagte der muslimische Sufi.

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Liebe Schwestern und Brüder, wenn wir also heute auf den Gekreuzigten blicken, ihm in die Augen schauen, wenn wir und weil wir seine geschlossenen Augen wahrnehmen, so vergewissern wir uns mit unseren Augen des Glaubens, dass die geschlossenen Augen Christi nicht nur das Nichts des Todes erblicken, nicht also an der eingeengten Perspektive menschlicher Weisheit die Grenze ihrer Sehkraft erreichen, sondern den Inbegriff des Lebens sehen. Und das ist das göttliche Leben selbst, die göttliche Liebe, die stärker ist als aller Tod. Vom Ärgernis und Skandal schon ganz zu schweigen.

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