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Synodale Priesterausbildung? Heraus-Forderungen im Seminar der Welt

Autor:Bauer Christian
Veröffentlichung:
Kategorieartikel
Abstrakt:
Publiziert in:
Datum:2021-02-22

Inhalt

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Die deutsche Bischofskonferenz befasst sich gerade mit der Zukunft der Priesterausbildung, zugleich ist sie auch ein Schlüsselthema auf dem Synodalen Weg. Der nachfolgende Diskussionsbeitrag versteht sich als Impuls zu einem umfassenden Reframing der Ausbildung von angehenden Priestern – zu einem synodalen Framewechsel, der auch selbst auf synodalem Weg geschehen muss. Eine entsprechende Ausbildungsreform wäre ein wesentlicher Schritt kirchlicher Selbstevangelisierung im Kontext der Missbrauchskrise. Bereits nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil hatte es in vielen Bistümern durchaus bemerkenswerte Neuansätze in der Priesterausbildung gegeben, die allerdings im innerkirchlichen Rollback des Doppelpontifikats von Johannes Paul II. und Benedikt XVI. weitgehend versandeten. Die weitreichende Reklerikalisierung dieser ‚bleiernen Jahre’ ist eine schwere Hypothek für alle kirchlichen Berufe, inklusive der davon mitbetroffenen Priester. Nach einem Vortrag sagte mir einmal ein älterer Pfarrer, er sei zwei Mal in seinem Leben als ‚Konzilspriester’ beschimpft worden: einmal als junger Kaplan von seinem alten Pfarrer und nun als alter Pfarrer von seinem jungen Kaplan. Im Pontifikat von Papst Franziskus ergeben sich nun jedoch neue Möglichkeiten für eine postklerikale, im Sinne gleichstufiger Weggemeinschaft ‚synodal’ ausgerichtete Priesterausbildung.

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1.  Synodalität statt Klerikalismus

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Die bisherige Priesterausbildung führt häufig zu einem – zwar oft nicht intendierten, als Systemeffekt aber dennoch wirkmächtigen – Hineinsozialisieren in einen klerikalen Habitus, der längst als ein wesentlicher Grund für geistlichen Missbrauch bis hin zu sexualisierter Gewalt identifiziert ist. Den besten Absichten der Ausbildenden zum Trotz, begünstigen bisherige Formen der Priesterformation die Herausbildung dieser gefährlichen Grundhaltung. Es muss daher ein primäres Ausbildungsziel sein, die Entstehung eines verhängnisvollen klerikalen Korpsgeistes („Mitbrüder“) zu verhindern. Das Problem sind dabei nicht so sehr einzelne Verhaltensweisen bestimmter klerikaler Männerbünde, als vielmehr diese Männerbünde selbst. Die Missbrauchskrise jedenfalls erfordert einen entschlossenen und beherzten Bruch mit diesem Habitus „statusbegründeter Selbstherrlichkeit“ (Rainer Bucher): „Klerikalismus meint ein hierarchisch-autoritäres System, das auf Seiten des Priesters zu einer Haltung führen kann, nicht geweihte Personen in Interaktionen zu dominieren, weil er qua Amt und Weihe eine übergeordnete Position innehat. Sexueller Missbrauch ist ein extremer Auswuchs dieser Dominanz.“ (MHG-Studie). Kurz gesagt: „Klerikalismus ist Pastoralmacht plus ständisches Kirchenbild“ (Michael Schüßler). Oder noch kürzer: „Paternalistische Unterdrückungsfürsorge“ (Ute Leimgruber).

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Besonders menschenfeindlich wird es, wenn es zu einer „Selbstsakralisierung“ (Gregor Hoff) dieser klerikalen Grundhaltung kommt, z. B. in Gestalt der sogenannten Repraesentatio Christi. Diese Christusrepräsentanz ist jedoch nicht auf kirchliche Personen, also ad intra beschränkt. Es gibt sie auch ad extra, vor allem in den „Hungrigen, Durstigen, Fremden, Nackten, Kranken und Gefangenen“ (Mt 25,35f) dieser Welt. Außerdem geht es dabei auch nicht primär um eine partikulare Repräsentation Jesu, des jüdischen Mannes aus Nazareth, sondern um die universale Repräsentation Christi, des kosmisch entgrenzten Auferstandenen: „Mit der Auferstehung […] ist er tiefer in die Welt eingedrungen, so dass er […] fortan nicht mehr nur in der Zeit und im Raum Palästinas zugegen ist, sondern in der gesamten Fülle von Zeit und Raum.“ (Leonardo Boff). Solchermaßen nachösterlich verstandene Christusrepräsentanz ermöglicht einen ekklesiologisch weiterführenden Anschluss an die Lehre von der Kirche als mystischem Leib Christi. Den durch Räume und Zeiten hindurch fortlebenden Christus repräsentieren im Sinne allgemeiner Amtlichkeit zunächst einmal alle auf den Namen Jesu Getauften. Ihre jeweilige Christusrepräsentanz steht unter dem Analogievorbehalt einer „nicht unbedeutenden Ähnlichkeit“ (Lumen gentium 8) zwischen Christ*in und Christus bei bleibend größerer „Unähnlichkeit“ (Viertes Laterankonzil) – und das gilt dann auch für die besondere Amtlichkeit der Priester.

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Wie gefährlich hingegen eine sakralisierende Selbstverwechselung der eigenen Kirchenmacht mit der Vollmacht Christi ist, zeigt folgender Originalton einer Überlebenden von sexuellem Missbrauch:Er hat gesagt, dass ich von Gott verflucht bin und dass Gott mich hasst. Er hat mich vor dem Allerheiligsten missbraucht, geschändet und gesagt, dass Gott das will und dass Gott das gutheißt. Was ich mit dir mache, macht Gott mit dir.“ Das ist die existenzielle Fallhöhe, vor deren Hintergrund es heute dringend eine fundamentale, wirkliche Umkehr signalisierende Neuausrichtung der Priesterausbildung braucht. Lehramtliche Hilfestellungen dazu gibt es gerade aus Rom. Papst Franziskus empfiehlt Synodalität, das „gemeinsame Vorangehen“ aller auf dem Weg der Nachfolge Jesu, als ein „Gegenmittel“ gegen systemischen Machtmissbrauch. Mit seinem vehementen Eintreten gegen den Klerikalismus und für mehr Synodalität weist er seiner Kirche einen jesusgemäßen Zukunftsweg, der von sündhaften Kirchenstrukturen des geistlichen und sexuellen Missbrauchs klerikaler Macht zurück zum Evangelium führt. Die synodale Kirche, die dem Papst vorzuschwebt, erinnert dabei an seine eigene Ordensgemeinschaft, die Jesuiten. Für Franziskus ist die ganze Kirche eine Societas Jesu – eine synodale Weggemeinschaft der Nachfolge, in der alle Beteiligten zunächst einmal und vor allem anderen sociae und socii sind: Gefährtinnen und Gefährten des Herrn (IHS: Jesum habemus socium).

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Das jüngste Diskussionspapier der DBK-Arbeitsgruppe schlägt mit seiner Idee einer gemeinsamen Ausbildung von angehenden Priestern, Gemeinde- und Pastoralreferent*innen einen entsprechend ‚synodalen’ Weg ein, auf dem man berufsspezifisch differenzierte und berufsübergreifend gemeinsame Elemente in kreativer Weise miteinander kombinieren könnte. Denn auch die theologische, pastorale und spirituelle Ausbildung der Dienstämter einer „ganz und gar synodalen Kirche“ (Papst Franziskus) ist ein gemeinsamer Weg aller Beteiligten – von griechischen syn-odos, dem gemeinsamen („syn-“) Weg („-odos“) aller getauften Glieder des Volkes Gottes. Das Ziel wäre dann ein wirklich synodaler, d. h. gemeinsamer Ausbildungsweg aller angehenden Seelsorgerinnen und Seelsorger, unabhängig davon, ob es sich dabei um geweihte oder nichtgeweihte kirchliche Amtsträgerinnen und Amtsträger handelt.

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Diese berufspädagogische Umkehr der Ausbildung erfordert eine neue Spiritualität kirchlicher Dienstämter, die klerikales Standesdenken hinter sich lässt und sich selbst als eine Schule der gemeinsamen ‚Jüngerschaft’ versteht – ein meist überlesener ekklesiologischer Grundbegriff des Zweiten Vaticanums (vgl. Gaudium et spes 1), den man nicht den Evangelikalen (oder: Katholikalen) überlassen darf. Es ist wie im Markus-Evangelium, in dessen Mittelteil die Jüngerinnen und Jünger erst ganz allmählich „auf dem Weg“ (vgl. Mk 8,27-10,52) von Jesus lernen, was seine Nachfolge bedeutet: „Als ein Unbekannter und Namenloser kommt er heute wieder zu uns, wie er am Gestade des Sees an jene Männer herantrat, die nicht wussten, wer er war. [...] Und denjenigen, die ihm nachfolgen, [...] wird er sich offenbaren in dem, was sie in seiner Gemeinschaft an Frieden, Wirken, Kämpfen und Leiden erleben dürfen, und als ein unaussprechliches Geheimnis werden sie erfahren, wer er ist...“ (Albert Schweitzer).

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Während ihrer Ausbildung sollten angehende kirchliche Amtsträgerinnen und Amtsträger daher eine grundlegend ‚weghafte’ Form theologischer Erkenntnis kennenlernen und einüben können: „Nur ihm nachfolgend wissen Christen, auf wen sie sich eingelassen haben.“ (Johann B. Metz). Auch diese Wege entstehen im Gehen. Oder wie Bernhard Spielberg im Themenheft „Ausbildung“ der Lebendigen Seelsorge sehr treffend über die praktische Ausbildung von Karawanenführern schreibt: „Ausgebildet werden Karawanenführer […] nicht im Internat. Für die Wüste wird man in der Wüste ausgebildet. Mit fünfzehn Jahren werden junge Männer ausgesucht, die dann fünfzehn Jahre mit einer Karawane mitgehen. Erst dann übernehmen sie selbst die Verantwortung. Unterwegs lernen sie das Unterwegssein.“  

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2.  Klerikaler Frame und synodales Reframing

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Wenn ich es recht sehe, dann lässt sich ein klerikaler Frame der Priesterausbildung vor allem durch drei Begriffe bestimmen: Disziplinierung, Homogenisierung und Isolierung. Alle drei Faktoren bedingen und ermöglichen einander:

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  • Was Disziplinierung meint, wurde vor einiger Zeit auf Feinschwarz.net unter der Überschrift „Mit Foucault im Seminar“ sehr plastisch dargestellt. Diese analytische Perspektive lässt habitusformende Machtpraktiken sichtbar werden, mit denen das posttridentinische Seminarkonzept noch immer auf subtile Weise durch ‚Kasernierung’ normiert bzw. normalisiert – bis hin zur Farbe der beim Domdienst zu tragenden Hose. Wie in einem von Michel Foucault in „Überwachen und Strafen“ beschriebenen ‚Panoptikum’ internalisiert man dabei den Blick des Regens, d. h. dessen ausgesprochene Erwartungen oder angenommene „Erwartungserwartungen“ (Niklas Luhmann).
  • Homogenisierung beschreibt das dadurch begünstigte Entstehen eines geschlossenen Seminarmilieus, häufig im Rahmen überzogener und ekklesiologisch nicht ungefährlicher Communio-Vorstellungen („Hausgemeinschaft“). Entsprechende Filterblasen und Echokammern ergeben eine abgeschottete „Ekklesiosphäre“ (E. Poulat). Man muss nur einmal beim Mittagessen im Priesterseminar zuhören, worüber dort gesprochen („Wer wird wohl wann wo Bischof?“) oder gelacht (z. B. Klerikerwitze) wird, um einen Eindruck von der Abgeschlossenheit dieser selbstreferentiellen Binnenwelt zu gewinnen. Ein Seminar, das hin und wieder Gäste zum Mittagessen einlädt, ist noch lange kein offenes Haus.
  • Diese milieuhomogene Isolierung von der Außenwelt zeigt, dass Priesterseminare derzeit hauptsächlich für eine introvertierte, d. h. auf die gemeindepastoralen Binnenvollzüge von Liturgia und Koinonia ausgerichtete Lumen-gentium-Kirche ausbilden, nicht aber auch für eine extrovertierte, d. h. auf die weltpastoralen Außenvollzüge von Diakonia und Martyria ausgerichtete Gaudium-et-spes-Kirche. Ein Seminarist berichtete einmal von einer mehrere tausende Euro teuren Fahrt der gesamten Seminargemeinschaft zur Glockenweihe für eine Seminarkirche, deren Gottesdienste ohnehin kaum noch jemand besucht – während er selbst darum kämpfen musste, im Rahmen seiner Ausbildung ein Sozialpraktikum machen zu dürfen. Kirche in der Welt von heute? Geht anders.
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Die drei genannten Strukturprobleme der Priesterausbildung sind kein gottgegebenes Schicksal – sie sind menschengemacht und lassen sich daher auch verändern. Hier einige komplementär gegengleiche Alternativen:

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  • Individualisierung statt Disziplinierung: Hier gilt es, mehr Vertrauen als bisher in den je eigenen Weg der Einzelnen zu investieren. Auch in der Ausbildung braucht es eine wohlwollend begleitete „Erfahrung der Selbstwirksamkeit in gewagter Freiheit“ (Rainer Bucher). Das erfordert teilnehmendenzentrierte und prozessorientierte Ausbildungswege, die gerade ‚schwierigen Kandidaten’ durch Exposures in der gesellschaftlichen Wirklichkeit persönliches Wachstum ermöglichen. Auch hier gilt der NGL-Song: „Lernt euch unterscheiden, gebt euch endlich frei – nur beschränkte Köpfe woll‘n das Einerlei.“
  • Pluralisierung statt Homogenisierung: Es braucht keine Konzentration von angehenden Priestern, Gemeinde- und Pastoralreferent*innen in neuen XXL-Seminarien, sondern vielmehr dezentrale Wohngemeinschaften, die in ein ‚normales’ Studierendenleben eingebettet sind: „Theologie lernt man jedoch nicht nur in der Vorlesung, sondern auch am Küchentisch der WG oder in der Kneipe mit wildfremden Leuten. Deshalb […] haben Theologinnen und Theologen […] nicht abseits der Gesellschaft zu leben, sondern mittendrin.“ (Simon Linder). Also: Gemeinsame Ausbildung ja, aber nicht mehr in einem Seminar.
  • Kontextualisierung statt Isolierung: Es gilt auch die Priesterausbildung „radikal zu kontextualisieren und sei es im Kontext, dass kein Kontext sich mehr auf Dauer als stabil erweisen wird“ (Rainer Bucher). Der auch von Bischöfen geforderte stärkere Praxisbezug („Schwimmen lernt man nur im Wasser“) der Priesterausbildung darf dabei nicht nur ad intra gerichtet sein (z. B. durch das phasenweise Mitleben in einer Pfarrgemeinde), sondern muss auch ad extra führen – hinaus in Kontexte, in denen die Alumnen nicht nur „Gesundheit, Lebenskraft, Klarsicht, Freude“ (M.-Dominique Chenu) finden, sondern auch Spuren der verborgenen Präsenz Gottes entdecken können: „Ich bin nur froh, dass die Kirche – endlich – in die Welt geht, dort hat sie viel zu lernen.” (M.-Dominique Chenu).
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3.  Theologiestudium mit Exposure-Charakter

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Dieser wesentliche Punkt scheint mir in den bisherigen Reformbemühungen unterbelichtet zu sein: die notwendige Öffnung der Priesterausbildung nach Außen. Synodale Weggemeinschaft verwirklicht sich nicht nur ad intra, sondern auch ad extra: „Als Kirche, die mit den Menschen ‚gemeinsam vorangeht’ […], hegen wir den Traum, dass die Wiederentdeckung […] des Dienstcharakters der Autorität auch der Zivilgesellschaft helfen kann, sich in Gerechtigkeit und Geschwisterlichkeit aufzubauen […].“ (Papst Franziskus). Das ist auch für die Priesterausbildung von zentraler Bedeutung. Denn wer nach Außen geht, wird dort mit dem eigenen Innen konfrontiert – und das heißt dann auch mit Fragen zum kirchlichen Machtsystem, zur priesterlichen Lebensform, zur fehlenden Geschlechtergerechtigkeit oder zur katholischen Sexuallehre. Es gilt daher, nicht nur die Kirche, sondern auch die Ausbildung ihrer Priester von Außen her neu zu denken. Denn es ist ja wenig gewonnen, wenn man zukünftige Priester, Gemeinde- und Pastoralreferent*innen an zentralen Orten zu gemeinsamer Ausbildung zusammenzieht, die auch wieder vor allem disziplinierend, homogenisierend und isolierend wirken.

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Dazu muss sich nicht nur die pastorale Ausbildung, sondern auch das Theologiestudium verändern. Dort braucht es mehr als nur eine binnenkirchlich introvertierte „Schreibtisch-Theologie“ (Papst Franziskus), sondern auch weltfreudig extrovertierte Exposure-Anteile in gesellschaftlichen Kontexten, die nicht von der Kirche dominiert werden. Dort wird theologische Sprachfähigkeit herausgefordert und geschärft – und die Studierenden lernen, Diskursarchive ihres Glaubens und Praxisfelder heutigen Lebens in kreativer Weise neu aufeinander zu beziehen: „Theologie lehren und studieren bedeutet, in einem Grenzbereich zu leben, dort, wo das Evangelium auf die Nöte der Menschen trifft […]. Wir müssen uns vor einer Theologie hüten, die […] die die Menschheit von einem Glaspalast aus betrachtet. […]. Auch die guten Theologen riechen wie die guten Hirten nach Volk und nach Straße […].“ (Papst Franziskus).

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Theologie als „kulturelles Laboratorium“ (Papst Franziskus) inmitten der Welt – davon sind wir hierzulande jedoch noch weit entfernt. Unter anderem deshalb ist es wichtig, dass Priesteramtskandidaten zusammen mit anderen jungen Menschen an einer säkularen staatlichen Universität und in deren städtischem Umfeld studieren. Gute Theologie lernt man nämlich nicht nur in den Hörsälen und Seminarräumen einer Theologischen Fakultät, sondern auch auf der Straße und unter Leuten: „Keine Frage: Priesteramtskandidaten brauchen geschützte Räume, in denen sie etwa über die Vorbereitung auf ein zölibatäres Leben sprechen können. Das rechtfertigt jedoch nicht, den ein halbes Jahrtausend alten Ansatz des Konzils von Trient beizubehalten, als man noch hinter jeder Straßenecke das Böse vermutete, anstatt gerade dort Gottes Spuren zu suchen. Wer von seinen Priestern erwartet, in der Gesellschaft dialogfähig zu sein, darf seinem Nachwuchs nicht die Möglichkeit geben, unter sich zu bleiben.“ (Simon Linder).

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Das Motto muss daher auch in der Priesterausbildung lauten: Heraus aus der Sakristei, hinein in die Welt – dorthin, wo das ‚wirkliche Leben’ pulsiert. Dort gilt es dann, theologale Neugier wecken und situative Kreativität einzuüben: Weltsensibles theologisches „Selbstdenkerthum“ (J. S. von Drey) als grundlegende pastorale Ressource. Angehende Priester müssen daher aus ihrer persönlichen Komfortzone heraus und in Exposure-Erfahrungen hinein gelockt werden, die sie an ihre eigenen Grenzen bringen und über sich hinauswachsen lassen – im Sinne eines pastoral begleiteten und theologisch reflektierten ‚Inkulturationstrainings’, dessen Heraus-Forderungen an den Quellgrund der eigenen Spiritualität führen. Denn nur neue Erfahrungen, die habituell Eingeübtes nachhaltig irritieren, ermöglichen Haltungsänderungen: „Eine Erfahrung ist etwas, woraus ich verändert hervorgehe.“ (Michel Foucault).

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Bernd Hillebrand schreibt in seiner Habilitationsschrift Kontakt und Präsenz, ein entsprechendes „Risiko der Selbsttranszendenz“ führe nicht nur dazu, sich „im Kontakt zu Gott spirituell“ auszusetzen, sondern auch „in der Leidenschaft für die Welt: sich selbst zeitweise zu verlieren, sich selbst zu überschreiten und dabei eventuell die Erfahrung zu machen, neu ergriffen und bewegt zu werden“: Mit Madeleine Delbrêl gesprochen, die lange vor dem Konzil an der französischen Priesterausbildung beteiligt war „Wer Gott umarmt, findet in seinen Armen die Welt.“ Bernd Hillebrand zufolge geht es um „tiefgreifendere Erfahrungen, die wirklich an die ursprüngliche Habitusformung herankommen“. Gelingende Priesterausbildung inszeniert entsprechende Erfahrungsräume, die heilsam „irritierende Erfahrungen“ und somit eine „nachhaltige und wirksame Haltungsänderung“ ermöglichen: „In der Irritation hingegen ereignet sich ein Haltungswechsel aus einer neu und einschlägig, vielleicht sogar ungewollt, gemachten Erfahrung.“ Wie im Falle von Bischöfen wie dem Hl. Oscar Romero oder Papst Franziskus kann das – z. B. im Kontakt mit der Lebensrealität der Armen – zu einem nachhaltigen ‚Verlernen’ klerikaler Priesterlichkeit in Richtung ‚synodal’ gelebter christlicher Zeitgenossenschaft führen.

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4.  Welt-Priester im Geist des Konzils

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Es gibt faszinierende kirchengeschichtlich-diachrone und weltkirchlich-synchrone Beispiele für eine entsprechende Priesterausbildung. Einer der ersten Orte vor dem Konzil war die französische Dominikanerhochschule Le Saulchoir. Unter der Ägide des späteren Konzilstheologen M.-Dominique Chenu kam es dort in den 1930er Jahren zu einer mehrdimensionalen Öffnung des Lehrbetriebs, die neben einer philosophischen Horizonterweiterung durch die Aufnahme von Karl Marx in das Studienprogramm, einer ökumenischen in der Annäherung an die Ostkirchen, einer interreligiösen im Kontext des späteren Kairoer Instituts für Islamstudien auch zu einer didaktischen durch erste pastorale Exposureprojekte führte: 1933 ermöglichte Chenu dem jungen Dominikaner Albert Bouche ein erstes Praktikum in den Kohleminen von Charleroi. Diesem Pilotprojekt folgten weitere theologisch reflektierte Praxiserfahrungen in den Pariser Markthallen oder in den Autofabriken von Renault.

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Diese hochschuldidaktischen Innovationen führten nicht nur zur späteren Entstehung der Bewegung der Arbeiterpriester (Abkürzung: PO = Prêtres-ouvriers), sondern auch zum Priesterdekret des Zweiten Vaticanums (Abkürzung: PO = Presbyterorum ordinis) – auch wenn Chenu zunächst 1942 seines Amtes enthoben und die französischen Arbeiterpriester 1954 verboten wurden: „Ihr Priestertum wurde aufgrund einer Definition in Frage gestellt, derzufolge das Priestertum vor allem im Gebet, der Feier des Messopfers, der Spendung der Sakramente sowie der katechetischen und pastoralen Unterweisung bestehe. […] Wir weigern uns jedoch, das Priestertum auf seine [...] kultischen Funktionen zu reduzieren. Denn diese setzen als Fundament [...] das Zeugnis des Glaubens voraus [...]. [...] Nur innerhalb dieses Zeugnisses kann sich die sakramentale Initiation vollziehen.“ (M.-Dominique Chenu). Das konziliare Priesterdekret markiert demgegenüber einen epochalen Neuanfang, denn es versteht das römisch-katholische Priestertum nicht mehr primär sazerdotal („Sacerdotorum ordinis“), sondern im Rahmen der pastoralen Welt-Mission der Kirche presbyterial („Presbyterorum ordinis“). Es hat das Priesteramt damit wieder vom Kopf auf die Füße gestellt: „Das vorkonziliare Schema wurde […] umgedreht. An die erste Stelle setzte […] man das Zeugnis für das Evangelium, von dem ausgehend und in dem sich dann die sakramentale […] Ordnung der Dinge artikuliert […].“ (M.-Dominique Chenu).

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Vor allem in den Kirchen des Südens fielen diese Impulse des Konzils – der Priester nicht mehr nur als pfarrlicher Sakramentenverwalter, sondern als pastoraler „Zeuge des Evangeliums“ (M.-Dominique Chenu) inmitten der Welt – auf fruchtbaren Boden. Viele junge Priester aus der Weltkirche, die zur Promotion zum Beispiel nach Innsbruck kommen, berichten davon. Sie leben in Basisgemeinden („Small christian communities“) mit oder verbringen zumindest ihre Wochenenden im pastoralen Einsatz in Slums oder auf dem Land („Outreach programmes“). In einer Gastvorlesung berichtete Martha Zechmeister einmal davon, wie die Jesuiten von San Salvador nach dem Konzil ihre Priesterausbildung in entsprechender Weise veränderten – und wie diese conversión pastoral auch ihre Theologie transformierte, bis hin zum Martyrium durch rechte Todesschwadrone im Jahr 1989. In jedem Fall gilt es auch hierzulande, die vorkonziliare Spaltung von Heilsdienst der Kleriker und Weltdienst der Laien in der Priesterausbildung zu überwinden. Seit dem Konzil gilt nämlich: Heilsdienst ist Weltdienst und Weltdienst ist Heilsdienst. Auch Priester sind daher vor allem zunächst einmal „Weltchristen“ (Rudolf Voderholzer): „Im Lichte des Glaubens aus der Hl. Schrift genährt, können die Priester in den vielfältigen Ereignissen des Lebens aufmerksam nach Zeichen des Willens Gottes sowie nach dem Lockruf seiner Gnade suchen und so ihre […] Mission von Tag zu Tag besser verstehen.“ (PO 18).

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In Innsbruck versuchen wir im Kontext des Universitätslehrgangs Pastoraljahr, den Priesteramtskandidaten und angehende Pastoralrefent*innen gemeinsam absolvieren, in diesem Geist zu arbeiten – und dabei konzilstheologisch inspirierte Optionen mit anderen zeitgemäßen Ausbildungsansätzen zu kombinieren. Das Pastoraljahr ist eine synodale Weggemeinschaft auf Zeit. Es beginnt mit einer intensiven Wahrnehmungsphase, in der man zunächst einmal jenseits pfarrlicher Alltagsroutinen nichts anderes tut, als die Lebenswelt des eigenen Praxisortes aufmerksam und ohne sofortigen Handlungsdruck wahrzunehmen („Nosing around“) und von dorther dann ein erstes eigenes pastorales Projekt zu entwickeln: Pastoral aus dem Geist kontemplativer Wahrnehmung von Wirklichkeit. Aus dieser grundlegenden Haltung einer kontextsensiblen Gesamtpastoral heraus werden im Universitätslehrgang dann erste Berufserfahrungen gesammelt und in offen strukturierten, partizipativen und flexiblen Lehr-Lern-Settings reflektiert, die spirituelle Biographiearbeit, pastorale Kompetenzentwicklung und theologische Praxisreflexion zu einer hoffentlich ebenso herausfordernden wie attraktiven Mixtur verbinden.

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5.  Ausblick: Vagabunden der Sehnsucht

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Als in einem Telefongespräch vor kurzen von kirchlichen Ausbildungseinrichtungen die Rede war, kam es zu einem wunderbaren Versprecher, an dem Sigmund Freud sicherlich seine Freude gehabt hätte: Einbildungsausrichtungen. Diese gilt es in der skizzierten Weise, in Richtung einer postklerikalen Priesterausbildung zu überschreiten, die das römisch-katholische Priestertum angesichts dreier sich gegenwärtig überlagernder Krisenphänomene neu zu profilieren hilft: angesichts der pfarrgemeindlichen Strukturkrise, der gesamtkirchlichen Missbrauchskrise und der weltgesellschaftlichen Coronakrise. Jede einzelne dieser Krisen bietet die Chance zu einer synodalen Selbstbekehrung auch des priesterlichen Diensts:

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  • Die gegenwärtige Strukturkrise der Kirche lässt die Aufgabe des Pfarrers deutlich komplexer werde, denn er wird – sowohl der doppelten Etymologie von ‚Pfarrer’, als auch der dualen Konzilsekklesiologie entsprechend – in Zukunft sowohl paroikos („Wanderprediger“) in einem missionarischen Gaudium-et-spes-Raum der Weite sein müssen als auch parochus („Gastwirt“) an kommunialen Lumen-gentium-Orten der Nähe. Diese Orte der Nähe brauchen jenen Raum der Weite um nicht Orte der Enge zu werden. Und jener Raum der Weite braucht diese Orte der Nähe um kein Raum der Ferne zu werden.
  • Die Missbrauchskrise zeigt in ihrer abgründigen Dramatik, dass eine andere Form der Priesterausbildung bitter nötig ist. Prävention ist wichtig, aber damit ist es nicht getan – es muss in der Ausbildung auch um die systemischen Voraussetzungen des geistlichen wie sexuellen Missbrauchs gehen. Erst deren entschlossene Bekämpfung kann die Priester aus ihrer babylonischen Gefangenschaft im Klerikalismus befreien und der gesamten Kirche zu neuer Glaubwürdigkeit in der Gesellschaft verhelfen.
  • Die Coronakrise mit ihrer Unterbrechung pastoraler Alltagsroutinen führte kirchlicherseits unter anderem zu einer digitalen Reklerikalisierung bzw. eucharistischen Reduktion kirchlicher Vollzüge („Geistermessen“) – erfrischend anders waren z. B. die im Internet veröffentlichten Videos des jungen Speyrer Pfarrers Carsten Leinhäuser („Küchen-Kirche“). Es bleibt die kollektive Herausforderung einer christlich-existenziellen Bearbeitung der Coronakrise als radikale Kontingenzerfahrung der Menschheit.
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Das spirituelle Leitbild des Priesters von morgen kann vor diesem Hintergrund nicht mehr der Pfarrer von Ars sein, dessen sakramental enggeführter Pastoralbegriff sich noch voll und ganz im Milieukatholizismus bewegte, sondern vielmehr der „zeitoffene Gottesmann“ (Paul Zulehner), der als jesusbewegter „Vagabund der Sehnsucht“ (Michel de Certeau) auch pfarrlich ungebundene Menschen auf ihrer Suche nach dem guten Leben begleitet und das Evangelium im gemeinsamen „Abenteuer des Menschseins“ (Claude Rault) als eine lebensförderliche Ressource erschließt: „Die Zeit des romantischen Pfarrers ist vorüber, der gemächlich und friedlich in seiner Gartenlaube sein Brevier betete, dabei dem Gesang der Vögel lauschte und in aller Ruhe darauf wartete, dass seine Schäflein zu ihm kamen.“ (Georges Michonneau). Dieser mystagogisch gewendete priesterliche Außen-Dienst ist heute einer der anspruchsvollsten Berufungswege der Kirche, er verdient daher auch die volle Solidarität der Theologie. Für die Menschen in den Pfarrgemeinden und an vielen anderen pastoralen Orten.

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Und er verdient auch Besseres als eine Ausbildungsform des 16. Jahrhunderts (= das posttridentinische Klerikalseminar), die ein Priesterbild jenes 19. Jahrhunderts (= der Pfarrer von Ars, im Kontext des traditionellen Pfarrmilieus) prolongiert, in welchem der heutige Katholizismus überhaupt erst „erfunden wurde“ (Hubert Wolf). Zweifelsohne gibt es in der Priesterausbildung bereits viel guten Willen, der über dieses Format hinausweist – aber das allein reicht längst nicht mehr aus. Es braucht auch neue, synodale Strukturen und einen anderen, postklerikalen Geist. Mehr Herz und Mut und auch mehr institutionelle Phantasie. Es muss ein echtes Privileg sein, diesen Weg heute gehen zu dürfen: „Priesterausbildung muss attraktiv sein für […] kreative, vitale, intelligente, phantasievolle, wahrnehmungssensible, mutige und durchsetzungsfähige junge Menschen. Gefunden werden muss ein Konzept, das […] so gut [ist] […], dass man jene, die diesen Weg gehen, darum beneidet.“ (Rainer Bucher). Unsere angehenden Priester haben das verdient: Offene Settings statt geschlossener Milieus. Man muss sie weniger ‚hereinfordern’ in die Welt des Seminars als mehr ‚herausfordern’ in das Seminar der Welt.

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Eine Kurzfassung dieses Beitrags ist auf Katholisch.de erschienen

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