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Nicht einverstanden. Stellungnahme zur Entscheidung des Verfassungsgerichtshofes

Autor:Marte Christian
Veröffentlichung:
Kategoriekommentar
Abstrakt:
Publiziert in:
Datum:2020-12-15

Inhaltsverzeichnis

Inhalt

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Am 11. Dezember 2020 hat der österreichische Verfassungsgerichtshof entschieden, dass das Verbot jeder Art der Hilfe zur Selbsttötung (§ 78 StGB) verfassungswidrig ist. Die Begründungen des Verfassungsgerichtshofes haben weitreichende Folgen.

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Mit fünf Punkten bin ich nicht einverstanden.

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1. Bisher war klar: Suizide sollen verhindert werden. Jetzt besteht ein Recht auf Selbsttötung, für das ich auch die Hilfe eines Dritten in Anspruch nehmen darf. Bisher Suizidprävention, jetzt Suizidassistenz. Das ist eine fundamentale Veränderung dessen, was bisher in Österreich als richtig und falsch gegolten hat.

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2. Der Verfassungsgerichtshof hätte andere Möglichkeiten gehabt. Er hätte die Strafandrohung für die Assistenz beim Suizid aufheben können. Nun aber wird der Suizid eine grundrechtlich abgesicherte Option beim Sterben. Und ich habe das Recht, dass andere mir dabei helfen. Suizid wird eine gesellschaftlich akzeptable Form des Sterbens.

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3. Sieben Mal verwendet der Verfassungsgerichtshof die Formulierung „freie Selbstbestimmung“ in seinen Entscheidungsgründen. Wenn nun die legale Möglichkeit des assistierten Suizids geschaffen ist, dann ist es unausweichlich, dass sich Menschen in schwierigen Situationen fragen: Soll ich mich suizidieren? Innerer Druck ist unvermeidlich, gerade wenn man anderen nicht zur Last fallen möchte. Das Ideal der freien Selbstbestimmung in Grenzsituationen ist in der Realität nicht zu erreichen, auch nicht durch gesetzliche Bestimmungen.

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4. An der Entscheidung des Verfassungsgerichtshofes ist zu kritisieren, dass sie ausschließlich die freie Selbstbestimmung des Einzelnen betont. Autonomie realisiert sich aber immer mit anderen zusammen. Von einem Suizid sind immer mehrere Personen betroffen. Das Leid dieser Menschen wird durch den Verfassungsgerichtshof nicht beachtet.

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5. Mit dieser Entscheidung hat der Verfassungsgerichtshof das Tor zur Euthanasie geöffnet. Aus dem Recht auf Hilfe bei der Selbsttötung wird bald das Recht werden, von jemandem getötet zu werden. Wie sollen dann alte, kranke oder behinderte Menschen geschützt werden? Ökonomische Interessen werden sich durchsetzen.

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Ich halte die Entscheidung des Verfassungsgerichtshofes für falsch.

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P. Dr. Christian Marte ist Rektor des Jesuitenkollegs in Innsbruck.

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14. Dezember 2020

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