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Fronleichnam 2020: Das Geheimnis Seiner Hingabe
(Predigt am Fronleichnamstag, 11. Juni 2020, in der Jesuitenkirche bei der Eucharistiefeier um 11. 00 Uhr)

Autor:Niewiadomski Jozef
Veröffentlichung:
Kategoriepredigt
Abstrakt:
Publiziert in:
Datum:2020-06-13

Inhaltsverzeichnis

Inhalt

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Fronleichnam 2020: Welche Geschichten und Bilder tauchen da vor meinen Augen auf? Da ist zuerst das alte Bild. Das Bild, das ich aus der Zeit meiner Kindheit kenne. Das Bild, das auf der Kanzel unserer Dorfkirche zu sehen war. Das Bild, das durch den eucharistischen Hymnus von Thomas von Aquin die Imagination der Weltkirche geprägt hat. Und welche Geschichte erzählt dieses Bild? Es ist die Geschichte einer Vogelfamilie. Zwei Kinder sind da. Ewig hungrig. Die permanent offenen Schnäbel signalisieren dem glücklichen Pelikan, dass er unverzichtbar ist. Unverzichtbar bei der Beschaffung der Nahrung. So taucht er immer und immer wieder ins Wasser ein. Bringt den Jungen köstliche Fische und Muscheln. Doch als der Winter kam und der orkanartige Wind ihm dermaßen zusetzte, dass er sich nicht einmal in die Luft hochschwingen konnte, blieb er im Nest sitzen. Er hörte das Heulen der Kleinen an und irgendwann konnte er nicht mehr. Sein Herz blutete. So ritzte er sich mit seinem Schnabel die eigene Brust auf. Er tauchte den Schnabel in seinen Leib ein und fütterte die Jungen mit seinem eigenen Blut. Auf diese Weise ist es ihm gelungen, die Kinder vor dem Hungertod zu bewahren. Doch forderte der lange Winter seinen Tribut. Als der Frühling einbrach und die jungen Vögel selbstständig wurden, starb der ausgeblutete Pelikan: der Inbegriff der Hingabe an die Seinen! „Pie Pelicane, Jesu Domine“, dichtete Thomas von Aquin in seinem Fronleichnamshymnus: „Adoro te devote“, in Demut bet‘ ich dich, verborgene Gottheit an. O guter Pelikan, o Jesus höchstes Gut! Der gute Pelikan als der Inbegriff der Hingabe, auch oder gerade der unbedankten Hingabe.

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Fronleichnam 2020 verdichtet nämlich beides! Die tagtäglich gelebte Hingabe unzähliger Menschen: Eltern, Pflegerinnen und Pfleger, Ärzte, Lehrerinnen, Politiker. Aber auch die meistens in unserer modernen Welt fehlende Dankbarkeit. Die moderne Fassung der von mir erzählten Familiengeschichte könnte auch einen anderen Schluss haben, und zwar folgenden: Als der Frühling einbrach, starb der ausgeblutete Pelikan. Bei seinem letzten Atemzug hörte er noch, wie ein Junge dem anderen zuflüsterte: „Was für ein Glück. Ich konnte es kaum mehr ertragen: derselbe Fraß jeden Tag!“ Liebe Schwestern und Brüder, unzählige Menschen ackern sich heutzutage für andere ab, bluten sich für ihre Mitmenschen buchstäblich aus, bekommen aber in einer Rechts- und Anspruchskultur kaum ein Wort des Dankes dafür

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Fronleichnam 2020: welche Geschichten und Bilder tauchen da vor meinen Augen auf? Da ist auch die moderne Geschichte, die in einem Film festgehalten wurde. Eine Geschichte, die den zweiten Fronleichnamshymnus von Thomas von Aquin ins Bild setzt. Und dies auf eine Art und Weise, die kaum brutaler sein können. „Pange lingua gloriosi corpore mysterium“, das Geheimnis lass uns künden! Das Geheimnis der Hingabe Jesu, der Hingabe seines Leibes, der Hingabe in seinem Leib. Diesen eucharistischen Hymnus stimmen leise ein paar Priester an. Sie müssen das makabre Spiel anschauen, das Spiel bei dem die SS-Leute einen Priester auf Kreuz aufziehen. Auf sein Haupt haben sie eine Stacheldrahtkrone gesetzt: „Glaubst du wirklich, dass es einen Gott gibt… Und wo ist er?“; brüllt der SS-Mann sein Opfer an. Gewissermaßen als Antwort auf diese Frage fangen die Priester das Lied noch einmal an: Das Geheimnis lass uns künden. Das Geheimnis, das aus Christi Zusicherung lebt: Allezeit bin ich bei Euch! Allezeit und allerorts: auch im KZ, oder gerade im KZ. Die Szene spielt nämlich im KZ-Dachau in dem berüchtigten Priesterblock, in dem die Nazis mehr als 1000 Priester inhaftiert haben. Völker Schlöndorff hat die Berichte des in Dachau inhaftierten luxemburgischen Priesters Jean Bernard in seinem Film: „Der neunte Tag“ verfilmt. Eine der tiefsinnigsten und erschütterndsten Szenen zeigt die Priestergruppe, die unter Lebensgefahr Eucharistie feiert. Abgeschirmt durch eine Reihe singender Priester, die das Lied: „wir lagen vor Madagaskar“ grölen, feiert ein junger Geistlicher Eucharistie. Während der Kommunion betritt ein SS-Mann den Raum. Der Tisch mit dem Kelch, Kruzifix und Kerzen werden hastig zugedeckt. Die Priester singen weiterhin als Tarnung das Madagaskarlied. Der SS-Mann wählt sich einen polnischen Priester aus, dem er den Takt und das richtige Singen mit den Schlägen eines Schürhakens auf den Kopf „beibringt“. Das Geheimnis der Hingabe Jesu am Kreuz, das eucharistische Opfer, die Priester als Opfer eines menschenverachtenden Regimes werden in diesem Film aufs Engste miteinander verbunden. Die Bilder überlappen sich. Was ist der Sinn und was die Botschaft des Films? Die Eucharistie in Dachau bringt das Grauen des Alltags mit dem Geheimnis der Hingabe des Gottessohnes in Verbindung, vermittelt den Priestern das Vertrauen und soll auch den Zuschauern das Vertrauen vermitteln: Christus ist bei euch allezeit. Selbst, oder gerade in der schwierigsten Situation!  Dem Regisseur gelingt etwas, was den meisten modernen Repräsentationen des Unheils und des Grauens nicht gelingt, beschränkten sich diese doch bloß auf Empörung, auf erhobene Fäuste, auf Wut und letztendlich auch auf den Hass der Selbstgerechten. „Das Geheimnis lass uns künden“: der Fronleichnamshymnus und „Der neunte Tag“ nähren das gläubige Vertrauen, dass das Grauen nicht das letzte Wort hat. Denn mitten in der Situation des Unheils wird Hingabe gelebt.

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Liebe Schwestern und Brüder: Fronleichnam 2020. Welche Bilder und Geschichten tauchten vor meinen Augen auf? Neben dem Pelikan, der durch die Hingabe seines Blutes, seine Kinder vor dem Hungertod bewahrt, neben den eucharistiefeiernden Priestern in Dachau, die tagtäglich ihren Kreuzweg gehen, ist es das Bild des menschenleeren Petersplatzes in Rom am 27. März. Papst Franziskus betet allein auf dem leeren Platz vor dem alten Kruzifix und erteilt mit der Monstranz der scheinbar abwesenden „Stadt und Welt“ den eucharistischen Segen. Die Pandemie erzwingt die Isolation. Millionen und Abermillionen Menschen sind eingeschlossen in ihren Wohnungen. Im Zentrum der eucharistisch gestimmten Aufmerksamkeit die verdrängten, der Einsamkeit ausgelieferten Alten, Kranke, gar Sterbende. Selbst die Feier der Eucharistie kann zur Quelle der Ansteckung werden, so wie der Empfang der Kommunion und der Krankensalbung. Eine derartige Infragestellung ihres religiösen Vertrauens, dass Christus allezeit bei ihnen ist, haben die Frommen, haben wir noch nicht erlebt. Diese Herausforderung macht uns sensibel auf die Frage: Was bedeutet es, einen Leib zu haben? Die scheinbar banale Selbstverständlichkeit hat uns in den Zeiten der Pandemie den Atem regelrecht geraubt. Wir sind verletzbar! Verletzbar von der ersten Stunde an bis zum letzten Atemzug. Und der liebe Herrgott? Was ist von Ihm zu sagen? Fronleichnam 2020 macht uns einmal mehr sensibel für die Tatsache, dass auch der menschenfreundliche Gott verletzbar ist. Dass seine Menschwerdung die erschreckenden Grenzen und Sackgassen der Endlichkeit, der Bosheit, des Leidens und des Todes nicht mit einem Zaubertrick ungeschehen werden lässt. Gott hat sich eben mit „Haut und Haaren“ den Gesetzen dessen ausgeliefert, was Menschsein heißt. Was können wir dazu sagen? Nur eines: Adoro te devote… In Demut bet‘ ich Dich, verborgene Gottheit, an!

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