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„Abgeriegelt im Abendmahlssaal“ – Zur spirituellen Verortung der Kirche in Zeiten der Pandemie

Autor:Niewiadomski Jozef
Veröffentlichung:
Kategoriepredigt
Abstrakt:
Publiziert in:
Datum:2020-04-09

Inhaltsverzeichnis

Inhalt

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Ostern 2020? Welches Bild und welche Grundbotschaft entsprechen am ehesten unseren gegenwärtigen Alltagserfahrungen? Das Bild des verriegelten Abendmahlssaales am Abend nach der Auferweckung Christi taucht vor meinen Augen auf. Die Jünger haben den Auferweckten gesehen, bleiben aber trotzdem in dem Raum isoliert, in den sie sich aus Angst zurückgezogen haben. Die liturgische Tradition der Kirche hält eine Spur dieser Logik fest, wenn sie Pfingsten 50 Tage nach dem Ostersonntag feiert und damit erst das Öffnen der Tür und das Hinausgehen in die Welt verbindet. Was erleben die isolierten Jüngerinnen und Jünger und was tun sie im abgeriegelten Abendmahlssaal? In Zeiten der Corona und der dadurch erzwungenen „Selbstisolation der Kirche“ denke ich über vier Punkte nach. 

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Erstens: Unsicherheit und Angst plagen die Jüngerinnen und Jünger. Sie haben keine klare Perspektive für die nächsten Tage. Und doch sind sie nicht hoffnungslos. In einer derart verworrenen, auf den ersten Blick gar widersprüchlich anmutenden Stimmung – und das ist auch schon der zweite Punkt – blicken sie zurück. Nicht im Zorn! Und auch nicht mehr bloß mutlos. Der Auferweckte, den sie erlebt haben, war eben kein Gespenst, das bloß ihr schlechtes Gewissen potenziert hätte. „Friede sei mit Euch“, lautete der Zuspruch an die Verängstigten. Weil sie diesen Zuspruch als einen Akt der Versöhnung, damit auch der Schuldvergebung verstanden haben, konnten sie sich und einander die Erfahrungen der letzten Tage vergegenwärtigen. Die Auslieferung Christi, seine Isolierung, Verurteilung, Kreuzigung und sein Begräbnis. Und auch ihre eigene Rolle in diesem Geschehen: sie haben versagt! Durch die Haltung des Gekreuzigten im Sterben und die Versöhnung stiftende Botschaft des Auferstandenen ist dieses Versagen zur „glückseligen Schuld“ geworden. Die Jüngerinnen und Jünger sind „schuldfähig“ geworden, brauchten das Versagen nicht anderen in die Schuhe zu schieben, vielmehr intergrierten sie dieses in ihre Biographien. Es ist dies eine Erfahrung, die von der Kirche im österlichen Exultet mit dem Ausruf „o felix culpa“ gepriesen wird. Die Eingeschlossenen verbrachten die österlich-nachösterlichen Tage im Geist der Versöhntheit miteinander, die Rivalitäten und sonstige „Hahnenkämpfe“, auch jene um den Vorrang unter ihnen, vermochten sie in den Hintergrund zu stellen. Ist das nicht einer der Grundimpulse, den das Feiern von Ostern in den Zeiten der Quarantäne unserer gegenwärtig derart zerrissenen Kirchlichkeit vermitteln könnte? Nicht zuletzt im Kontext des Versagens der Kirche im Kontext der Missbrauchsdebatte. Radikale Krisen können gegenteilige Reaktionen in einer bedrohten Gemeinschaft stimulieren: den Streit oder aber den a-rationalen Schulterschluss, oft verbunden mit intensiver Sündenbockjagd. Der im Jahr 2020 im verriegelten Abendmahlssaal lebenden Kirche spricht der Auferweckte seine Osterbotschaft zu: „Friede sei mit Euch – Friede sei gerade unter Euch!“

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Drittens: Die den Blick auf die letzten Tage richtenden Jüngerinnen und Jünger deuteten das, was sie erlebt haben und wie sie es erlebt haben, im Lichte der Tradition. Auch die Spuren dieser Logik hat die kirchliche Liturgie in der Feier des „Triduum sacrum“ aufgefangen. Die Besinnung auf das Geschick des Gottesknechtes wird dabei zu dem alle Deutungen normierenden Fokus. Der Knecht wurde geschlagen, schlug aber nicht zurück. Mehr noch: Diejenigen, die ihn geschlagen haben, meinten zwar, sie erfüllen damit den göttlichen Willen, doch rückblickend müssen sie feststellen: Nicht Gottes, sondern ihr eigener Wille war der Motor des ganzen Geschehens. Gott selber hat aber den Knecht gestärkt und auch ermächtigt, das Böse, das ihm widerfuhr, in die Haltung der Hingabe zu verändern: Er gab sein Leben hin! Der Begriff „Sühne“, den sie bisher mit dem kultisch vergossenen Blut im Tempel assoziiert haben, bekam für sie einen neuen Inhalt. Gott ist nicht der Ursprung der „krummen Zeilen“ dieses Todes und auch nicht der Sünde, er schreibt aber auf diesen „krummen Zeilen“ gerade. Gerade weil der Knecht nicht zurückschlug und auch die Rache im Namen Gottes nicht beschworen hat, „ertrug und trug er“ ihre Bosheit und ihre Sünden, verwandelte damit das Böse in das Gute. Gott habe sich also nicht dem Willen des Kajaphas gebeugt, der bloß einen Sündenbock brauchte, auf den das Böse abgeschoben und durch den die Krise bewältigt wurde. Gott hielt Jesus die Treue und ermächtigte ihn zur Fürbitte: „Vater, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun“. Durch diese seine Haltung im Sterben verwandelte derjenige, der zum Sündenbock gemacht wurde, das Geschick einer „victima“ in die Haltung des „sacrificiums“. Der vom Menschen gemachte Sündenbock wurde so zum „Lamm Gottes“. Stellt nicht die Situation des „verriegelten Abendmahlsaales“ die Chance zur Neubesinnung auf den kulturstiftenden Wert der Verwandlung des Bösen dar?

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Neben der (in der kirchlichen Liturgie am Karfreitag erfolgenden) Vergegenwärtigung der Person und des Geschicks des Gottesknechtes kommemorierten die Jüngerinnen und Jünger damals und kommemoriert die Kirche (in der Osternacht heute) das Geschehen der Paschanacht. Im Jahr 2020, in dem die ganze Welt von der Plage der Seuche betroffen ist, denke ich zuerst an die Spuren der Erinnerung an den „geschichtlichen und geschichtsträchtigen“ Exodus, wie diese durch die alte ägyptische Überlieferung durchschimmerten. Josephus Flavius berichtet nämlich in seinem Werk „Contra Apionem“ von einer in uralten Zeiten in Ägypten grassierenden Seuche. Durch die Vertreibung der Hebräer sollte die Seuche beendet werden. Diese in diesem Textfragment angesprochene Logik taucht immer wieder in den Mythologien der Völker auf. Bei Epidemien rückt irgendwann die Frage nach den Schuldigen in den Vordergrund. Die angeblich Schuldigen werden gemäß den mythologischen Erzählungen angeklagt, dezimiert oder vertrieben. Auf wunderbare Weise hört dann die Plage auf. Die Mythen dieser Art verschleiern etwas Wichtiges: die mit der Epidemie fast immer Hand in Hand gehende soziale Krise wird meistens „mit gutem Gewissen“ durch Sündenbockstrategien bewältigt. In dieses Licht gestellt zeigt die Exodusperikope der Osternachtsliturgie die entscheidende biblische Wahrheit, die gerade heute aktueller denn je ist: Der wahre Gott beendet die Katastrophen der Epidemie nicht durch die Suche nach (vermeintlich) Schuldigen, gar durch Vertreibung der Außenseiter, der Kranken, also der anscheinend Schuldigen. Vielmehr macht er sich zum Anwalt der Opfer. Er rettet! Rettet gerade durch die Krise hindurch. Die liturgische Weisung, dass die Exodus-Lesung auch bei der Reduktion der Lesungstexte in der Osternacht niemals ausgelassen werden darf, hat einen sinnkonstitutiven Charakter. Mehr denn je wird ihr Sinn deutlich in einer Gegenwart, die längere Zeit an der Grenze zu einer Sozialkrise lavieren wird. Was hat das zu bedeuten? Den Vorrang für die Rettung des Lebens vor allen anderen wirtschaftlichen und politischen Angelegenheiten. Die Christen dürfen durchaus darauf vertrauen, dass der Pascha-Impuls in unserer Kultur, damit auch der Ostergeist, stärker präsent ist, als dies all die liturgischen Indices über die Teilnahme an Zeremonien anzeigen: Das Faktum, dass der erste Impuls zur politischen Bewältigung der Pandemie heute die Bemühung um den Schutz der Schwachen, nicht aber die Suche nach vermeintlich Schuldigen ist, ist letztlich ohne den biblischen Geist undenkbar. Die im „verriegelten Abendmahlssaal“ weilende Kirche weiß also, Ostern 2020 findet vor allem draußen statt: dort, wo um das Leben der Menschen gekämpft wird.

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Schlussendlich zeigt auch die erste Lesung der Osternacht ihren Sinn etwas deutlicher im Jahr der Pandemie. Gott erschafft alles durch sein schöpferisches Wort. Im Unterschied zu den Mythologien der Völker, die eine Schöpfung durch den Mord kennen (vgl. den babylonischen Mythos „Enuma Elisch“, in dem das Gewölbe des Himmels aus der Haut der erschlagenen Göttin Tiamat gemacht wird), damit gerade die „Erschaffung“ der bewohnbaren Umwelt in Verbindung bringen mit der Bändigung des Chaos, zeigt sich die Allmacht Gottes in seinem schöpferisch-kreativen (und nicht zerstörerischen) Handeln. Damit wird aber der Bogen zu jenem Propheten geschlossen, der das Geschick des Gottesknechtes überliefert: Deuterojesaja verbindet ja den Glauben an den einen und einzigen Gott mit dem Bekenntnis zu seinem schöpferischen Handeln und zur Hoffnung auf die Vollendung des Lebens gar durch den Tod hindurch. Die traditionellen theologischen Begriffe von Schöpfung und Eschatologie werden so durch die gelebte Proexistenz (Stellvertretung) des Gottesknechtes verbunden. Kein Wunder, dass sich die Botschaft von der radikalen Rettung durch Gott in der Erfahrung der Auferweckung Christi und der damit Hand in Hand gehenden Hoffnung auf unsere Auferweckung verdichtet.

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Viertens: Im „verriegelten Abendmahlssaal“ gingen den Jüngerinnen und Jüngern die Augen auf. Sie erkannten den Auferweckten und konnten viele – scheinbar getrennte – Ereignisse und Geschichten aus den vergangenen Tagen und der ganzen Tradition in einen sinnvollen Zusammenhang bringen. Diesen Zusammenhang haben sie auch „beim Brotbrechen“ gefeiert. Ihre Feiern und die kirchlichen Feiern der Eucharistie verdichten dabei die Erfahrungen aus dem Abendmahlssaal vor der Passion (Gründonnerstag), ihre Erfahrungen mit der Passion (am Karfreitag), das Gefühl der Leere (des Karsamstags) und die Begegnung mit dem Auferweckten am Ostertag. Sie bringen auch diese Erfahrungen mit den befürchteten und erlebten Brüchen, Abbrüchen und Katastrophen der Gegenwart in Verbindung. Diese werden dadurch nicht magisch weggezaubert.  Auch die Angst verschwindet nicht. Wie gesagt: Trotz der Begegnung mit dem Auferweckten bleiben die Jüngerinnen und Jünger noch lange Zeit im verriegelten Raum. Die Präsenz des Auferweckten beseitigte nicht die Erfahrung der Angst, aber sie verwandelte die Angst in eine „begnadete Angst“. In diesem Klima darf die Kirche getrost Ostern in der Zeit der Pandemie feiern!

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