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Welche Wissenschaft, welche Religion? Predigt beim Dankgottesdienst "350 Jahre Universität Innsbruck", Jesuitenkirche Innsbruck

Autor:Glettler Hermann, Bischof der Diözese Innsbruck
Veröffentlichung:
Kategoriepredigt
Abstrakt:
Publiziert in:
Datum:2019-10-22

Inhalt

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Evangelium: Lk 17,11-19

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Im Jubiläumsjahr 350 Jahre Universität Innsbruck feiern wir einen Gottesdienst des Dankes – eine Selbstverständlichkeit und eine Zumutung zugleich. Wissenschaft und Religion stehen zueinander in einem kritischen Verhältnis, das um seiner Fruchtbarkeit willen nicht aufgelöst werden darf. In den 350 Jahren seit der Gründung gab es viel Gemeinsames, aber auch Gegenläufiges. Wir wollen heute Gott danken für die Chancen und Errungenschaften, die sich mit der Wissensinstitution Universität für unser Land eröffnet haben. Wir tun dies als Kirche frei von jeder Absicht einer nachträglichen Vereinnahmung oder Verklärung. Sowohl die Kirche als auch die Universität müssen sich ihrer Vergangenheit nüchtern stellen. Die jüngste Publikation zur Universitätsgeschichte leistet dies. Auch die ideologischen Verstrickungen mit der NS-Ideologie werden nicht ausgespart. Der Künstler Wolfgang Flatz hat mit der Umgestaltung des Adler-„Ehrenmals“ vor dem Hauptgebäude der Leopold-Franzens-Uni diesen Prozess unterstütz: Den pathetischen Begriffen Ehre, Freiheit und Vaterland, setzt er jeweils ein fragendes „welche(s)“ darüber. Ja, wir sind zum Nachfragen und Nachdenken verpflichtet – und könnten die Intervention erweitern: Welche Wissenschaft? Welche Religion? Der Text des heutigen Evangeliums führt uns in ein fragwürdiges, symbolträchtiges Grenzgebiet, wo es jedoch zu einer heilsamen Begegnung kommt.

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1. Begegnung im GRENZGEBIET

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Jesus ist im Grenzgebiet Samariens unterwegs. Dort trifft er auf 10 Aussätzige, die ihr Leben in dieser kaum geschätzten Randzone Palästinas fristen. Jesus wählte immer wieder dieses Gebiet, um den leidgeprüften Bewohnern zu begegnen. Hass und Übergriffe zwischen Juden und Samaritern waren dort nicht unüblich. In diesem sozial schwierigen Grenzgebiet hielten sich auch die Soldaten der römischen Besatzungsmacht auf, sowie hellenistisch gebildete Leute. Mit der Erwähnung der Aussätzigen wird eine damals medizin-hygienisch notwendige, aber kulturell festgeschriebene Demütigung in Erinnerung gerufen. Ihrer verzweifelten Bitte antwortet Jesus mit einer klaren Aufforderung: „Geht und zeigt euch den Priestern!“ Nur das, keine Zurückweisung, aber auch kein irrationaler Hokuspokus. Die Begegnung mit Jesus wird für sie dennoch zum heilsamen Ereignis.

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Was im Evangeliumstext als Grenzgebiet ausgewiesen wird, ist eine metaphorische Ortsangabe für eine Welt, die sich wie ein großes Dorf anfühlt. Weltanschauliche Diversität findet sich im kleinsten Tiroler Dorf. Es sind Menschen unterschiedlichster Sprachen, kultureller Prägung und Religion, die sich nicht zuletzt auch durch die Weltoffenheit unserer Universität in unserem Land aufhalten. Auch Fluchtreisende sind darunter. Unsere Welt ist in Bewegung gekommen – Grenzgebiete verschieben sich. Das fordert menschlich und spirituell heraus: Hinhören und Begegnung zulassen, Identität durch Beziehung aufbauen und nicht durch Abgrenzung. Unser Dasein im Grenzgebiet fordert intellektuell heraus: Eine Grenzen überschreitende Bildung ist stärker denn je vonnöten, die kulturelle Transfers zu reflektieren vermag und in aller Komplexität Orientierung bietet.

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Der Ausdruck „Grenzgebiet“ lenkt unsere Aufmerksamkeit auch auf eine ständig neu zu führende Diskussion um ethische Vorgaben und Orientierungspunkte. Die Frage nach Sinn und Verantwortung darf nicht verdrängt werden. Vor allem die naturwissenschaftlich-medizinische Forschung und Wissenschaft führen heute deutlicher denn je in das Grenzgebiet des ethisch Fragwürdigen. Als Laie denkt man rasch an Stammzellenforschung und Humangenetik. Selbstverständlich nur ein Beispiel, aber es geht nicht nur in diesem Fall um den Zugriff auf den Menschen – lässt sich zukünftig der garantiert gesunde und ästhetisch gestylte Mensch „machen“? Und welches Leben wird daneben „verhinderbar“? Was uns alle umtreibt ist die positive Fragwürdigkeit des Lebens und des Daseins insgesamt. Fragen zu müssen – ist ein Grundkonstitutiv des Menschen. Danken und Sich-Verdanken auch.

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2. Rückkehr zur DANKBARKEIT

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Der Text des Evangeliums schildert die ernüchternde Erfahrung, dass von 10 Geheilten nur einer den Weg zurück zur Dankbarkeit findet. Noch dazu ein Fremder, ein Mann aus Samarien, er ging nicht zum Tagesgeschäft über. Er kam zurück, weil er wusste, dass er vorher als Aussätziger ein von den Menschen Verstoßener und „von Gott Gestrafter“ war. Aussätzige waren gesellschaftlich Verlorene, lebendig Tote. Dieser eine hat dies nicht vergessen und auch nicht, wer ihn aus dem Elend herausgeführt hat. Er fiel vor Jesus nieder und dankte ihm. Anbetung und Dank öffentlich – ungeniert. Rechtgläubige werden von einem sogenannten Fernstehenden beschämt.

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Danken befreit von der Mentalität des Forderns und Einklagens von Ansprüchen. Eine Haltung der Dankbarkeit ist vor allem eine Alternative zur Maßlosigkeit, die vor der Ausbeutung aller vorhandenen Ressourcen nicht zurückschreckt und letztlich auch unseren Globus in eine finale Schöpfung treibt. Dankbar zu sein, ist kein Zeichen von Schwäche. Möglicherweise führt das Danken auch zu einer Neuentdeckung Gottes. Der deutsche Schriftsteller Elias Canetti hat von sich selbst bekannt, dass er als agnostisch eingestellter Mensch immer öfter an Gott zu denken beginnt, weil er eine verlässliche Adresse für seine wachsende Lebens-Dankbarkeit sucht. Er sagt: „Mehr noch als für seine Not braucht man einen Gott für seinen Dank.“ Die Dankbarkeit ist der Königsweg zu Gott.

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Heute verbindet uns der Dank für eine 350 jährige Geschichte unserer Leopold-Franzens Universität. 1562 wurde in Innsbruck von den Jesuiten ein Gymnasium errichtet. 1669 erfolgte durch Kaiser Leopold I. die Gründung einer Volluniversität mit vier Fakultäten, die sukzessive in den folgenden Jahren ihren Betrieb aufnahmen. Durch das sogenannte „Brixener Abkommen“ vom 21.9.1688 erhielt die neue Landesuniversität 20 Jahre nach ihrer Gründung erst ihre volle Autonomie gegenüber der kirchlichen Autorität, dem Brixener Fürstbischof. Das Abkommen war die Grundlage für die nun folgende „Säkularisierung“ von Wissenschaft und Forschung, Voraussetzung für eine freie Entwicklung der staatlichen Universität. Auch für die Kirche war dieses Emanzipationsdatum wichtig. Ein wichtiger Lernprozess hat begonnen, der sich bis in unsere Zeit fortschreibt: Loslassen von Macht- und Kontrollansprüchen – den Wert von Wissenschaft in ihrer Eigenständigkeit anerkennen.

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3. Auftrag für eine nüchterne KOOPERATION

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Die Nüchternheit des heutigen Textes aus dem Evangelium beeindruckt. Jesus fordert den dankbaren Fremden auf: „Steh auf und geh!“ Er schickt ihn zurück ins Leben. Das kann bedeuten: Lass dich nicht von neuem stigmatisieren und ausgrenzen. Geh zurück in die Mitte der Gesellschaft! Jesus hat in der ersten Begegnung mit dem Elenden seine physische Gesundung ermöglicht und in der zweiten mit der neuerlichen „Sendung“ zu seinem ganzheitlichen Heil-werden beigetragen. Wirklich gesund und heil werden Individuum und Gesellschaft erst dann, wenn es eine tragende und belastbare Verbundenheit gibt. Religion und Bildung gehören in die Mitte einer Gesellschaft und nicht in eine Sonderwelt. Und Jesus setzt die erstaunliche Behauptung nach: „Dein Glaube hat Dich gerettet!“ – nicht eine magische Zeremonie, kein positives Denken und auch  kein Wunderpräparat.

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Die beobachtete Nüchternheit kann für uns heute ein Appell sein, Naturwissenschaft und Theologie, Intellekt und Glaube nicht billig gegeneinander auszuspielen. Weil Religion und Wissenschaft neben ihren positiven Potentialen dennoch immer manipulierbar bleiben, bedarf jede Aufklärung ständig einer neuen Aufklärung und jeder Glaube braucht das kritische Vis-a-Vis wissenschaftlichen Denkens. Ohne kritischen Diskurs verkommt die Rede von Gott zu einer bloßen Behauptung. Aufgrund der großen globalen Herausforderungen können wir es uns ohnehin nicht mehr leisten, ausschließlich in getrennten „Welten“ zu agieren. Die fortgeschrittene globale Klimakrise, soziale Schieflagen und ein bedrohter Weltfriede fordern alle Potentiale der Natur- und Geisteswissenschaften heraus. Es geht um eine synergetische, zielgerichtete Zusammenarbeit aller Einzeldisziplinen. Das ist der ganzheitliche und deshalb heilsame Ansatz, den unsere Welt dringend nötig hat. Für diesen gemeinsamen Dienst an der Welt und an einer verwundeten Menschheit braucht es ebenso dringend eine authentische Spiritualität – einen Glauben, der trägt, inspiriert und für den langen Atem in den überlebensnotwendigen Veränderungsprozessen sorgt.

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Einer der größten Denker des christlichen Abendlandes, John Henry Cardinal Newman wird zeitgleich mit unserer Feier jetzt in Rom von Papst Franziskus heiliggesprochen – zusammen mit vier faszinierenden Frauen, die sich in den Dienst der Ärmsten und Marginalisierten gestellt haben. Newman, der von der anglikanischen Kirche zum Katholizismus konvertierte, hat die menschliche Vernunft und das Gewissen als die ausschlaggebenden Instanzen eingemahnt. Ganz egal also, welche weltanschauliche Überzeugung wir einnehmen, wir werden durch diese Gleichzeitigkeit der heutigen Ereignisse daran erinnert, wozu Bildung und Wissenschaft, als auch Glaube und Spiritualität letztlich „gut sind“ und hinführen müssen: Zu einer größeren Liebe, die den Nächsten nicht übersieht.

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