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Von streitenden Brüdern und ihrem Vater. Zum Gleichnis vom verlorenen Sohn
(Gedanken zum 24. Sonntag im Jahreskreis (LJ C), 2019)

Autor:Wandinger Nikolaus
Veröffentlichung:
Kategoriepredigt
Abstrakt:
Publiziert in:
Datum:2019-09-23

Inhaltsverzeichnis

Inhalt

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Lesungen: (Ex 32,7-11.13-14); 1 Tim 1,12-17; Lk 15,1–32 (oder 15,1–10)

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Liebe Gläubige,

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das Gleichnis, das wir soeben gehört haben, hat uns von allen Evangelisten nur Lukas überliefert; trotzdem ist es eines der bekanntesten und eindrücklichsten Gleichnisse, weil nur wenige die Botschaft Jesu von seinem Vater so prägnant und klar auf den Punkt bringen. Darüber hinaus lässt dieses Gleichnis aber eine ganze Reihe von Dingen offen, was es möglich macht, es immer wieder von einer neuen Perspektive aus zu betrachten, so dass es – hoffentlich – nicht langweilig wird. Mit dieser Hoffnung möchte ich heute auch an das Gleichnis herangehen und mich mit Ihnen fragen:

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Warum eigentlich ist der jüngere Bruder in die Fremde gegangen? Was kam ihm daheim so schrecklich vor, dass er meinte, weggehen zu müssen? Das Gleichnis erzählt keine Vorgeschichte, aber die Reaktion des älteren Bruders auf die Rückkehr des jüngeren lässt vermuten, dass sich die beiden auch vorher nicht besonders gut verstanden. Nehmen wir also einmal an, dass nicht der Vater der Grund für den Weggang des jüngeren Sohnes war, sondern der Bruder. Wie könnte das Verhältnis denn gewesen sein?

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Es ist ja nicht so selten, dass Brüder einander Rivalen und Konkurrenten sind. Die Bibel ist voll von solchen Geschichten und wir kennen sie auch aus dem Alltag: Geschwister sind einander oft Konkurrenten um die Aufmerksamkeit der Eltern, um Zeit, vielleicht auch um Nahrung, vor allem aber um Anerkennung. Je ähnlicher die Kontrahenten einander sind, desto schwieriger ist es für sie, zu zeigen, dass jeder jemand besonderer, jemand eigenständiger ist. Und so geschieht es oft ganz von selbst, dass Geschwister verschiedene Charaktereigenschaften entwickeln. So könnte es auch bei unserem Brüderpaar gewesen sein: der eine pflichtbewusst und arbeitsam, der andere leichtlebig mit Schlendrian; der eine ernst und vielleicht sogar etwas schwermütig, der andere ein Pfiffikus und oberflächlich. Soweit, so gewöhnlich.

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Gefährlich aber wird es, wenn ein seltsamer Mechanismus einsetzt: Wenn der eine das Gegenteil vom anderen tun und sein will, nur weil er sich vom anderen absetzen will. Dann nämlich nimmt sich der eine den anderen zum Vorbild – allerdings zu einem negativen Vorbild, und, wenn er das tut, dann wird er von ihm abhängig. Er braucht ihn von jetzt ab als negatives Modell und ahmt ihn negativ nach. Und der andere wird es dem ersten gleichtun: Auch er ahmt ihn darin nach, sich so viel wie möglich von ihm zu unterscheiden. Gefährlich ist das aus zweierlei Gründen: 1.: Die Brüder glauben immer mehr, total verschieden zu sein, obwohl sie sich immer ähnlicher werden; ähnlicher nämlich in der Ablehnung, der Missgunst, ja vielleicht dem Hass auf den anderen. Das ist ein Paradox, aber das gibt es: zwei Menschen werden sich dadurch immer ähnlicher, dass sie immer verzweifelter versuchen, anders zu sein als der andere. Zwei streiten sich ganz fürchterlich, aber in diesem Streit sind sie einander zum Verwechseln ähnlich: jeder schreit, jeder tobt, jeder hält den anderen für den Alleinschuldigen – nur die Umstehenden merken: sie gleichen sich wie ein Ei dem anderen; ob braune Schale oder weiße Schale macht da keinen Unterschied. Und 2.: Je mehr die Brüder in ihrem Streit umeinander kreisen, desto mehr verlieren sie den Vater aus den Augen. Eigentlich ging es ja mal um seine Aufmerksamkeit, um seine Anerkennung. Doch inzwischen konzentrieren sich die Gedanken und v.a. die Gefühle der Brüder so auf den Gegner in ihrem Streit, dass der Vater belanglos wird: er existiert schon noch irgendwie, aber eigentlich macht es für sie keinen Unterschied, ob er existiert oder nicht.

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Und darum ist es auch schließlich möglich für den jüngeren Sohn, sein Erbe zu verlangen, also den Vater quasi für tot zu erklären. Es macht eben keinen Unterschied mehr! Aber den Bruder, den wäre er endlich los, wenn er wegginge! Welch bessere Weise gäbe es, sich radikal von seinem Bruder zu unterscheiden, der jeden Tag auf den Feldern schuftet, als wegzugehen in die Fremde und dort ein bequemes Leben zu führen – solange es eben geht. Der Vater gibt seinem Wunsch nach, obwohl er unerhört ist; aber er gibt den Sohn nicht auf, das wissen wir aus dem Fortgang der Geschichte. Warum gibt er also so leicht nach?

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Nun, so problematisch der Weggang des jüngeren Bruders ist, so birgt er doch eine Chance, und vielleicht hat der Vater die ja schon gesehen und darauf gehofft: Der Weggang könnte eine Befreiung aus dem Teufelskreis der negativen Nachahmung ermöglichen. Das geht nicht automatisch, denn in seiner Psyche nimmt der jüngere den älteren Bruder sicher mit. Noch lange wird er das Gegenteil von dem tun, von dem er glaubt, dass sein Bruder es tun würde. Aber, der Bruder ist nicht mehr anwesend, um das zu verstärken. Und: Die Realität erlaubt es dem Weggegangenen nicht allzu lange, dieses Leben zu führen. Bald sind die Mittel aufgebraucht, er stößt an seine Grenzen und der Maßstab ist nun nicht mehr: „Was würde mein Bruder auf keinen Fall tun?“, sondern: „Was brauche ich zum Leben?“ Und da – oh Wunder – fällt dem Mann auch sein Vater wieder ein! Der Vater, an den er kaum mehr gedacht hat, weil er sich an seinem Bruder festgebissen hatte; der Vater, den er missachtet hat in seiner Forderung nach dem Erbe – dieser Vater kann ihn nicht mehr als Sohn behandeln, das hat er verwirkt; aber dieser Vater ist fair und gerecht sogar zu seinen Tagelöhnern. Wenn er ihn wenigstens als solchen einstellen würde, dann hätte er ein gesichertes, wenn auch knappes Auskommen – und er würde sich sehr deutlich von seinem Bruder unterscheiden – allerdings auf eine Weise, die er früher vehement abgelehnt hätte: Er wäre ein Knecht, der andere der Sohn des Chefs. Plötzlich ist ihm das egal. Es geht nicht mehr darum, den Bruder zu besiegen, es geht darum, Leben beim guten Vater zu haben.

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Doch der Vater lässt es nicht zu, dass sein verlorener Sohn zum Knecht wird. Er möchte ihn zurückhaben als Sohn. Der Ältere, der Daheimgebliebene hat nicht die Erlebnisse des Jüngeren; er hatte gemeint, er sei ihn für immer los, und nun kommt dieser zurück, und sofort flammt in ihm wieder die alte Konkurrenz auf: „Für diesen wird das Mastkalb geschlachtet und ich habe nicht einmal einen Ziegenbock bekommen!“ Der Vater liebt auch diesen Sohn und macht ihn darauf aufmerksam, dass er durch die Rückkehr des anderen nichts verliert: „Was mein ist, ist auch dein.“ Er fordert ihn auf, die Wiederkehr des Bruders nicht als Bedrohung und Beraubung, sondern als Bereicherung und Geschenk zu sehen. Ob sich der ältere Bruder darauf einlässt – das Gleichnis lässt es offen.

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Ob wir selber uns nun eher mit dem jüngeren oder dem älteren Bruder identifizieren, ist nach dieser Lesart des Gleichnisses eigentlich zweitrangig, sie sind ja gar nicht so verschieden wie sie scheinen. Wichtig ist, dass wir uns fragen: Verlieren auch wir manchmal den Vater aus den Augen, weil wir viel zu beschäftigt damit sind, mit anderen Geschwistern zu streiten, ja vielleicht gerade sie als negative Vorbilder nehmen, um uns so zu definieren? Meinen wir auch, wir müssten um die Liebe und Anerkennung des himmlischen Vaters konkurrieren und übersehen dabei, wie sehr er alle seine Söhne und Töchter liebt, auch jene, mit denen wir nur schwer auskommen können? Vielleicht ist es ja für die Daheimgebliebenen, die keine Gelegenheit hatten, an ihre Grenzen zu stoßen, tatsächlich schwieriger, das zu sehen, als für die Weggegangenen.

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Darum sagt es uns der Apostel Paulus noch einmal ganz genau: „Das Wort ist glaubwürdig und wert, dass man es beherzigt: Christus Jesus ist in die Welt gekommen, um die Sünder zu retten.“ Sünder und Sünderinnen aber sind alle –die Daheimgebliebenen und die Weggegangen – und ließe man sich darauf ein zu vergleichen, wer sündiger sei, man wäre schon wieder im Kreislauf der Konkurrenz gefangen und würde den himmlischen Vater aus den Augen verlieren. Schauen wir stattdessen auf Jesus, dem jede Rivalität fremd war und für den gilt: wer ihn sieht, sieht den Vater (vgl. Joh 12,45).

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