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Haben wir den Heiligen Geist empfangen? Oder sind die Christen bloß Moralapostel, die Kirche aber ein gesellschaftspolitischer Verein zur Förderung ethisch motivierter Politik?
(Pfingstpredigt für ein Zeitalter der „allgegenwärtigen“ Krisen, gehalten am 10. Juni 2019 in der Jesuitenkirche, im Anschluss an Apg 19,1b-6a und Joh 3,16-21)

Autor:Niewiadomski Jozef
Veröffentlichung:
Kategoriepredigt
Abstrakt:
Publiziert in:
Datum:2019-06-11

Inhaltsverzeichnis

Inhalt

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Auch wenn das paradox und vielleicht auch „billig“ klingen sollte, die Texte, in denen uns heute das Wort Gottes trifft, sind – wenn man sie mit einer Prise von Phantasie liest – beides zugleich: gestrig und hochmodern. Und dies sowohl im Hinblick auf das Szenario der Gespräche, als auch auf deren Gehalt. Das gilt zuerst von der Lesung. Vor unseren Augen der Migrant par excellence. Für den Apostel Paulus scheint es nämlich keine Grenzen zu geben, kaum Transportmitteln, die er nicht benutzt hatte und auch kaum eine Gefahr, in die er sich nicht begeben hat. Wir sehen ihn heute in Ephesus. Vor kurzem hat er Korinth verlassen, den Inbegriff einer weltoffenen, auf Pluralismus und Toleranz so stolzen liberalen Stadt. Auch Ephesus bleibt nicht hinter dem Berg. Dank den vielen Silberschmieden bleibt das Wirtschaftswachstum konstant, der Handel floriert, der Rubel rollt. Die Reichen wissen kaum mehr wohin mit ihrem Geld, für die Armen gibt es genug billige Gelegenheitsjobs. Seit eh und je plagt sie doch die gleiche Überlebenslogik: zum Sterben zu viel, zum Leben zu wenig. „Na, und“ – sagt der zum Zynismus neigende Realist – „es gibt doch das Betteln als Alternative!“ Tempel gibt es in den antiken Städten auf jeden Fall genug (nicht nur den weltberühmten Artemistempel, der ja zu den sieben Weltwundern der antiken Welt zählte, konnten die Reisenden in Ephesus sehen). „Religionsmix“, für den die Immigranten sorgen, ist geradezu ein Qualitätsmerkmal einer weltoffenen Stadt. So zumindest die Meinung der Meinungsmacher einer liberalen Kultur.

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Natürlich gibt es da auch eine jüdische Gemeinde. Zu seiner Überraschung trifft Paulus im Umkreis der Synagoge Menschen, die ihn verblüffen. Im modernen Sprachjargon würde man sie wohl „Reformer“, gar „radikale Reformer“ nennen, warum auch nicht „Kirchenreformer“. „Wer seid ihr?“, fragt der viel gereiste Globetrotter, dem man einst das Prädikat: „Völkerapostel“ zulegte. „Wir sind dem Täufer am Jordan begegnet, haben uns von ihm auch taufen lassen. Dieser Aussteiger und radikaler Kritiker des Establishments hat uns überzeugt. So kann es doch nicht weitergehen. Es sei doch schon längst 5 vor 12. Wir haben also keine Zeit zu verlieren. Haben Sie nicht den neuesten Slogan gehört: ‚Dinosaurier dachten auch, sie hätten Zeit‘. Umdenken! heißt jetzt die Devise, anders handeln, Verantwortung wahrnehmen, auf jeden Fall auf Schritt und Tritt Verantwortung anmahnen!“

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Paulus scheint begeistert zu sein und beunruhigt zugleich. „Habt ihr auch den Heiligen Geist empfangen?“ (Apg 19,2), fragt er sie. Verdutzt schauen ihn diese Gläubigen an und fragen ihn: „Was ist das ... der Heilige Geist?“ Paulus bringt die Sache auf den Punkt. „Johannes hat nur mit der Taufe der Umkehr getauft“ (Apg 19,4), sucht der Apostel zu erklären. Die Geschwindigkeit, mit der sich seine Zuhörer seine Logik zu Eigen machen, hat Paulus vermutlich skeptisch gestimmt, ob sie wirklich verstanden haben, was er mit dem Heiligen Geist gemeint hat.

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Liebe Schwerstern und Brüder, unser Migrant, der Völkerapostel diagnostizierte in diesem kurzen Gespräch das Dilemma aller religiösen Menschen, ganz gleich welcher Religion sie anhangen. Er bringt damit also auch das Dilemma unserer Zeit auf den Begriff. Er sieht sehr wohl den wertvollen Beitrag seiner Gesprächspartner zur Gestaltung des menschlichen und zwischenmenschlichen Lebens, ihre Ernsthaftigkeit, den ethischen Eifer, der sie antreibt. Er sieht aber auch den fundamentalen Mangel, den Mangel, dessen sie sich nicht einmal bewusst sind, vor allem aber nicht bewusst werden, wenn sie außer Atem geraten und sich fragen, warum sich nichts, oder doch so wenig ändert, obwohl sie sich ernsthaft bemühen. Paulus sieht den Mangel, der seine Gesprächspartner in der Krise dazu treiben wird, bloß nach eindeutigen Schuldigen für den ausbleibenden Wandel zu suchen, andere an den Pranger zu stellen in fester Überzeugung, die Übeltäter zu bestrafen, oder zumindest die Versager und die Umkehrunwilligen zu outen und sich ihrer zu entledigen. Paulus sieht den fundamentalen Mangel all jener, die es ernst meinen, den Mangel, der sie in Krisenzeiten dazu verführt dem „Terror der Tugend“, dem gnadenlosen Moralismus zu verfallen. „Wie komme ich zu diesem Urteil?“ werden Sie wohl fragen.

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Mein Lehrer, P. Raymund Schwager, hat in seiner Nachdichtung der Taufszene Jesu am Jordan den Sachverhalt denkbar präzise ausgearbeitet. Jesus wäre demnach zutiefst von Johannes fasziniert gewesen, so ganz nach dem Motto: Endlich einer, der es ernst meint, der die Sache beim Namen nennt, der zur Umkehr aufruft, der klare ethische Weisungen gibt. Moralische Autorität ersten Ranges, also! Und doch..., doch musste Jesus stutzig werden. Denn Johannes verkündet Gott in den gleichen dunklen Farben, mit denen er das Böse in den Menschen anprangert. Wenn er vom Gericht Gottes redet, scheint sich sein Gott von den „bösen Menschen“ gar nicht zu unterscheiden. „Hat Gott wirklich eine dunkle Seite, durch die er für Sünder, durch die er für jene, die in den Sackgassen des Lebens verstrickt bleiben, bedrohlich erscheint?“, fragt sich der verunsicherte Jesus, der in seinem Leben Gott, den Vater, ganz anders erfahren hat. Er lässt sich zwar von Johannes taufen, zeigt sich solidarisch mit all den Umkehrwilligen, wird aber in dieser Taufe vom Heiligen Geist überwältigt, dem Geist, der ihn fortan inspirieren wird, ihm auch die richtigen Worte in Orientierungskrisen finden lässt. Wie dies auch der Fall ist im heutigen Evangelium, dem zweiten Text, der gestrig zu sein scheint und doch hochmodern ist. Und dies sowohl im Hinblick auf das Szenario des Gesprächs, als auch auf dessen Gehalt.

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Der Text ist ein Fragment aus dem Gespräch Jesu mit Nikodemus, dem Prototyp jenes Intellektuellen, der sich nicht entscheiden kann, ob er wirklich ein Gläubiger oder bloß ein Agnostiker ist. Nächtelang wälzt er alle möglichen religiösen Schriften, denkt nach, diskutiert, artikuliert aber seinem Hunger nach festem Glauben nicht in der Öffentlichkeit. Nur unter dem Mantel der Nacht sucht er Jesus auf, weil er in ihm eine moralische Autorität erkennt. Nikodemus gleicht – wenn Sie so wollen – dem modernen Qualitätsjournalisten, der Verantwortung anmahnt, moralische Autoritäten emporhebt und diese auch stürzt, ohne zu bekennen, wovon er selber eigentlich zehrt. Nur unter dem Mantel der Nacht, in der Intimität eines Zweiergesprächs wagt dieser Nikodemusm, sein Inneres zu offenbaren. Und er bekommt dasselbe von Jesus zu hören, was später der Globetrotter Paulus in der weltoffenen, pluralistisch gesinnten Stadt sagen wird. “Nur wer auch aus dem Geist geboren wird, kann in das Reich Gottes eingehen” (vgl. Joh 3,5). Was heißt das? Umkehr und Ernsthaftigkeit ethischer Bemühungen sind keineswegs falsch. Sie reichen aber nicht aus, können sich gar zur tödlichen Gefahr verwandeln, einer Gefahr, der alle Gerechten und alle sich als gerecht empfindenden Menschen ausgesetzt sind. Ganz gleich, ob sie links oder rechts liegen, ob sie konservativ oder progressiv bleiben.

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Um diese Gefahr zu mindern, hat sich Gott selber unter die Menschen begeben. Er will sie nicht richten! Das tun schon die Menschen selber, auch oder gerade dann, wenn sie bloß über andere richten. Wenn sie diese an den Pranger stellen und selber in Fallen geraten, die sich eben den anderen gestellt haben. Wenn sie also zu Opfern ihres eigenen Tuns werden. Und wenn er die Menschen nicht richtet, was tut er dann? „Gott hat seinen Sohn nicht in die Welt gesandt, damit er die Welt richtet, sondern damit die Welt durch ihn gerettet wird“ (Joh 3,17). Denn: jeder, der an diesen Sohn glaubt, wird nicht zugrunde gehen; er wird das ewige Leben haben (vgl. Joh 3, 15).

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Liebe Schwestern und Brüder, was macht unsere heutigen Texte, die auf den ersten Blick so gestrig erscheinen, so brandaktuell? Brandaktuell in Zeiten einer fast schon apokalyptisch anmutenden Angst vor der Klimakatastrophe? Brandaktuell in Zeiten einer Migrationskrise, von der keiner weiß, wie man sie in den Griff bekommt? Brandaktuell in Zeiten einer mit immer greller werdenden Farben geschilderten Kirchenkrise? Es ist der in unseren Texten diagnostizierte Mangel an Erfahrung des Heiligen Geistes, oder zumindest die dort diagnostizierte Ignoranz (auch theologische Ignoranz) darüber, was der Heilige Geist eigentlich ist. Dieser Mangel wird heutzutage keineswegs als schmerzlicher Mangel empfunden. Ganz im Gegenteil! Er verbindet nämlich die Gläubigen und die Ungläubigen. Er verbindet jene, die mit Gott auf den Lippen bloß Verantwortung anmahnen mit jenen, die auf Gott verzichten und sich nur ethisch orientieren wollen. Beide Gruppen: die Gottesfürchtigen und die Gottleugner scheint in unserer Gegenwart nur Eines zu verbinden. Und was ist das? Ihre Motivation zur Umkehr und dem beschworenen ethischen Ernst entspringt der Angst! Der Angst vor dem strafenden Gericht Gottes bei den Gläubigen und der Angst vor der bedrohlichen, ja vor der vernichtenden Zukunft bei Agnostikern und Atheisten.

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„Habt ihr den Heiligen Geist empfangen?“, fragte Paulus damals und fragt uns die Liturgie heute. Den Geist, der eine andere Art von Umkehr und auch eine andere Lebenskultur ermöglicht? Es ist eine Umkehr und auch eine Lebenskultur, die aus der Kraft des rettenden – nicht richtenden – Gottes entspringt. Denn darin und nur darin liegt der wohl einzig relevante Unterschied zwischen Gott und der Zukunft, wie man auch immer diese Zukunft beschreibt. Die „Zukunft“ allein vermag nämlich keinen zu retten. Deswegen hat die simple Angst vor dem Verlust der Zukunft nichts, aber schon gar nichts mit dem Heiligen Geist zu tun. Retten tut Gott allein, Gott, der uns seinen Sohn geschenkt hat, damit wir durch alle Gefahren hindurch, durch alle Sackgassen hindurch, gar durch den Tod hindurch das Leben haben. Gar das ewige Leben. „Und was ist der konkrete Mehrwert deines Gelabers?“, wird der Atheist einwerfen. „Was der Mehrwert dieses Glaubens?“, wird auch der Agnostiker fragen. Der Glaube an den Heiligen Geist ermöglicht Gelassenheit, das Sich-Überlassen dem Heiligen Geist bringt als Frucht eine aus dem Glauben kommende Gelassenheit: auch oder gerade Gelassenheit im Engagement und dem ethischen Ernst. Alles andere gleicht bloß dem moralisch erhobenen Zeigefinger. Diesen gibt es in traditionell-konservativer Version und heutzutage besonders populär in progressiv modern gestylten Farben. Es ist dies ein Zeigefinger, der oft Hand in Hand mit Allmachtphantasien geht, in Krisenzeiten aber allzu leicht zu einer Geisel für andere werden kann, gar einer Geisel mit tödlichen Folgen.

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Und der langen Rede kurzer Sinn? Diesen hat am Pfingstsonntag Papst Franziskus (natürlich ohne den Vorausgriff auf diese Predigt) auf den Begriff gebracht, als er sinngemäß sagte, ohne den Heiligen Geist verkommt das Christentum zum „freudlosen Moralismus“. Es ist also heilsam immer wieder um den Heiligen Geist zu bitten und zwar wegen der Freude am Glauben und wegen der damit verbundenen Lebensqualität. Schlussendlich auch wegen des ewigen Lebens!

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