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Zum 15. Todestag von Raymund Schwager SJ am 27. Februar: Theologie für dramatische Zeiten des religiösen Pluralismus
(Publiziert als Nachwort im achten Band der Edition: Raymund Schwager Gesammelte Schriften)

Autor:Niewiadomski Jozef
Veröffentlichung:
Kategorieartikel
Abstrakt:
Publiziert in:Publiziert als Nachwort im achten Band der Edition: Raymund Schwager Gesammelte Schriften
Datum:2019-02-26

Inhaltsverzeichnis

Inhalt

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Wozu die Edition der Gesammelten Werke eines erst/schon vor 15 Jahren verstorbenen Theologen? Machen die Schnelllebigkeit des Publikationsmarktes und technologische Veränderungen beim Publikationswesen, wie wir sie gegenwärtig erleben, solche Projekte nicht überflüssig? Bereits vor fünf Jahren versuchte ich im chronologisch als ersten erschienenen Band der Reihe das Projekt zu legitimieren, indem ich Raymund Schwager als einen innovativen und prophetischen Theologen qualifizierte.[1] Weil er die geistige Atmosphäre und auch die verschärfte Konflikthaftigkeit der Gegenwart in seinem Theologieentwurf gleichsam vorwegnahm, ist seine Theologie gerade heute aktueller als zur Zeit ihrer Entstehung. Lange vor dem Schock des 11. September 2001 erkannte Schwager, dass die unheilvolle Verbindung von Religion und Gewalt zu den entscheidenden Herausforderungen der Zukunft zählen wird. Sein Leben lang hat er mit dem Problem der ambivalenten religiös motivierten Gewalt gerungen, sich immer wieder von gewaltbeladenen Gottesbildern und destruktiver Frömmigkeitsmentalität nicht nur distanziert,[2] sondern nach Kriterien einer gewalttransformierenden Hermeneutik der Offenbarungsschriften,[3] der christlichen Tradition[4] und der dogmatischen Lehre der Kirche[5] gesucht. Das von ihm entwickelte Modell einer dramatischen Systematik erlaubte ihm selber, aber auch einer ganzen Reihe seiner Schüler,[6] einen neuen und kreativen Zugang zur theologischen Reflexion gesellschaftspolitischer und religiöser Realitäten.[7]

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Durch den inzwischen fast schon zum Alltag gewordenen islamistischen Terror, durch die Verschärfung der Migrationskrise, aber auch durch das Erstarken politischer Gruppierungen, die sich in ihrer politischem Handeln bewusst der Sündenbockstrategien bedienen bekommen Argumentationsfiguren, wie sie Raymund Schwager in die systematische Theologie eingeführt hat, eine bisher ungeahnte Alltagsrelevanz. Bereits eine oberflächliche Vertrautheit mit dem Modell des Sündenbockmechanismus als dem (verdrängten und verborgenen) Grundraster politischen Denkens und Handelns, mit der Fragen nach abgründiger Tiefe der Infizierung des Gottesbildes durch Gewaltkonnotationen, schlussendlich mit der Falle der Faszination durch die Opfermentalität - alles Fragen und Probleme, die das Denken Schwagers geradezu strukturieren - zeigt, dass die gängige kulturpolitische Bewältigung des erfahrbaren Wandels mittels der Polarisierung: liberale und sich demokratisch verstehende versus einer fundamentalistischen Welt uns kaum weiterhilft. Eine besonders brisante Sackgasse dieser Strategien wird sichtbar beim öffentlichen Umgang mit dem tagtäglich erlebbaren religiösen Pluralismus. Die sich immer mehr ausbreitende laizistische Mentalität in Europa und die spezifische Angst Europas vor der Religion, oder aber eine laue, gar nachlässige Einstellung der Gläubigen zu ihrer religiösen Praxis wurden und dies jahrzehntelang begriffen als der Schutz vor den religiös motivierten Spannungen. Auf intellektuellen Ebene feierte die pluralistische Theologie der Religionen als Antibiotikum gegen die fundamentalistische Verseuchung der Kultur ihren ungebremsten Siegeszug. Allzu oft wurde der Relativismus in Sachen Religion in der Öffentlichkeit als Synonym für den interreligiösen Dialog verstanden. Ein Ereignis des Jahres 2016, die am 26. Juli erfolgte Ermordung eines 86-jährigen Pfarrers von Saint-Etienne-du Rouvray Pater Jaques Hamel hat mein Vertrauen in die Zielstrebigkeit solcher Strategie nachhaltig erschüttert. Und dies vor allem deswegen, weil der Priester seit Jahrzehnten im interreligiösen Dialog engagiert und hat sehr gute Kontakte zum Imam des Ortes gehabt. Er lebte also und dies tagtäglich jene Haltung, die auch die im Jahre 1996 ermordeten Trappisten in Tibhirine gelebt haben und die in der Reflexion über den interreligiösen Dialog als die erste und grundlegende Ebene dieses Dialogs verstanden wird. Es ist der Dialog des tätlich stattfindenden Teilens von Sorgen und Hoffnungen des Alltags. Die Ermordung des französischen Priesters geschah während der von ihm zelebrierten Eucharistiefeier. Mit ihrer Tat wollten demnach die Attentäter eine deutliche Botschaft, dass ein friedliches Leben von Gläubigen verschiedener Religionen nicht möglich und auch nicht erwünscht ist, signalisieren. Ihre Absicht wurde allerdings durch die Reaktion der Öffentlichkeit nicht bestätigt. Die Zeichen der Solidarität mit den Katholiken, die am drauffolgenden Sonntag in Frankreich und anderswo durch viele Muslime gezeigt wurden, die symbolische Präsenz viele Muslime und Imame bei den Eucharistiefeiern ging über die bisherigen Distanzierungen vom Terror, die durch ritualisierte Hinweise erfolgten, die Gewaltakte haben mit dem Islam nichts zu tun. Diese führen eigentlich zu keinem Ziel, weil sie keinen konkreten Weg in Richtung einer Neujustierung des interreligiösen Dialogs anzeigen. Dieser ist allerdings dringend notwendig, weil es genug an Imamen gibt, die Gewalt im Namen Gottes rechtfertigen und auch genug an gläubigen Muslimen, die davon überzeugt sind, dass der durch Gewalt errungene Sieg über die religiöse Wahrheit entscheidet. Gerade wegen der zunehmend stattfindenden Radikalisierung darf der Dialog nicht auf die irenische Ebene beschränkt werden. Er muss die Konflikthaftigkeit der interreligiösen Begegnung von Anfang an und dies sowohl auf methodischer als auch inhaltlicher Ebene integrieren.

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Raymund Schwager hat schon lange vor dem 11. September 2001 seinen dramatischen Zugang zur dogmatischen Reflexion als Modell für die Begegnung von Religionen vorgeschlagen. Bei der im Jahre 1994 stattgefundenen Tagung der deutschsprachigen Dogmatiker und Fundamentaltheologen reflektierte er mit Hilfe seines 5-Akte-Modells vor allem die Konflikthaftigkeit der interreligiösen Begegnung.[8] Ausgehend von der fundamentalen These, dass Konflikte und Gewaltphänomene zum Prozess der Offenbarung gehören, dass Jesus nicht nur durch seine Worte, sondern auch in seinem gewaltsamen Geschick das wahre Antlitz Gottes präsent macht, buchstabierte er die auch die Grunddimensionen der Begegnung von Religionen durch. Die Verschärfung der Krisen in den letzten Jahren müsste die Theologie dazu animieren, den von Schwager eingeschlagenen Weg mutig weiterzugehen.

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Papst Franziskus hat in diesem Zusammenhang wichtige Zeichen gesetzt. Nach dem Attentat auf Pater Jaques Hamel hat er das Töten im Namen Gottes als etwas Dämonisches und Teuflisches qualifiziert und verband damit klar die Diskussion über Gewalt und Religion mit der Problematik der Projektionsmechanismen. Dem Satan steht in der Logik der biblischen Offenbarung der Hl. Geist entgegen. Im Kontext des dramatischen Ansatzes von Raymund Schwager würde man sagen, dem Geist einseitiger Beschuldigungen und der Lüge, der zur Sündenbockjagd motiviert, steht der Geist der Wahrheit gegenüber, der ja der Anwalt der Unschuld der Opfer bleibt. Deswegen bleibt das Gottesbild, das zur Gewalt im Namen Gottes motiviert, durch die Projektionen satanischer Art verdunkelt. Deswegen darf der interreligiöse Dialog die Spannungen, Täuschungen und Projektionsmechanismen nicht tabuisieren. Aus der falschen Angst vor dem Abbruch der Dialoge wird oft bloß die Logik der einfachen Affirmationen verfolgt, Konfrontation wird gemieden. Um der Wahrheit willen ist aber Konfrontation notwendig. Dabei darf sich das Christentum über andere nicht erheben. Zum einen zeigt die dramatisch verstandene Offenbarung, dass selbst die Jünger Jesu versagt haben, zum anderen aber, glauben wir dass der Hl. Geist auch außerhalb der Grenzen der Jüngerkreise wirkt. Deswegen muss sich das Christentum auch der Kritik seitens anderer Religionen stellen.

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Die Edition wurde bewusst als Auswahl der unserer Meinung nach wichtigsten Schriften Schwagers und nicht als Gesamtausgabe konzipiert und auch verwirklicht. Sie gibt mehr als nur einen qualifizierten Einblick und Überblick über das Werk dieses innovativen und prophetischen Theologen. Eigentlich haben wir nur auf die Neuherausgabe jener Werke verzichtet, die im Vergleich zu anderen Werken durch viele Redundanzen oder auch durch allzu starke zeitlich, oder auch örtlich verstandene Situationsgebundenheit gekennzeichnet sind. Von den größeren Veröffentlichungen wurde damit nur “Glaube der die Welt verwandelt”[9] in die Ausgabe nicht mit hineingenommen. Im großen und ganzem wiederholt Schwager in diesem Werk die Argumentationsfiguren aus dem drei Jahre vorher im Jahre 1973 veröffentlichte und in dogmatischer Hinsicht innovativen Buch “Jesus-Nachfolge”[10]. Zwar fand dazwischen im Jahre 1974 die Begegnung mit René Girard statt, doch ist der tiefere inhaltliche Einfluss auf die Konzeption des neuen Werkes noch nicht erkennbar. Unberücksichtigt sind auch zahlreiche Aufsätze, die in unterschiedlichen Zeitschriften und Sammelbänden veröffentlicht wurden, deren inhaltlicher Mehrwert aber - wenn auch nicht hundertprozentig - sich mit den Hauptwerken deckt.[11] Die Entscheidung, die etwa 200 erhaltenen Predigten und etliche Vortragskonzepte, sowie die Vorlesungsmanuskripte, die Gliederungen und Overheadfolien, aber auch die unzähligen Notizen und Zitatensammlungen nicht zu publizieren  hat einerseits etwas mit deren fragmentarischen Charakter, anderseits mit den Redundanzen zu tun. Auch die Korrespondenzen blieben - wenn auch nicht ganz - unberücksichtigt. So wurde der für das Verständnis der Dynamik der Entwicklung des dramatischen Ansatzes kaum zu überschätzende “Briefwechsel mit René Girard” zur Gänze publiziert.[12] Auch die Korrespondenz mit Hans Urs von Balthasar wird - bis auf vier Briefe mit persönlichen Charakter - in diesem Band der Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Viele Brieffragmente aus den Kontakten zu Lektoren der Verlage, zu Kollegen Norbert Lohfink, Gerhard Lohfink, Peter Knauer, Kardinälen Christoph Schönborn und Joseph Ratzinger wurden in den editorischen Anmerkungen und den Kommentaren zu den einzelnen Bänden der Ausgabe zitiert. Etliche Briefe bleiben unpubliziert. Sie sind, wie auch das ganze an anderen Orten publizierte und nicht publizierte Material im Raymund Schwager Archiv (RSA) für die Forschungsarbeit zugänglich. Das Register gibt die detaillierte Auskunft über das vorhandene Material: https://www.uibk.ac.at/systheol/schwagerdrama/schwager-archiv/registraturplan-schwager-archiv_20101217.pdf

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 Das Projekt der achtbändigen Edition: “Raymund Schwager Gesammelte Schriften” wäre nicht zustande gekommen und hätte auch nicht verwirklicht werden können ohne die “Hingabe” vieler Menschen. Ihnen allen wäre Raymund Schwager auf seine bescheidene Art wohl sehr dankbar gewesen. Als erster Schüler Schwagers und Herausgeber der Edition möchte ich an erster Stelle Mathias Moosbrugger danken. Einige Kollegen haben mir das liebevolle Prädikat zugesprochen ein “geistiger Sohn” Schwagers zu sein; so möchte ich Dir Mathias meine Dankbarkeit dadurch zum Ausdruck bringen, dass ich Dich zum besten “geistigen Enkel” Schwagers erkläre. Du hast nicht nur mit brillanter Dissertation über Schwager promoviert und am Aufbau seines Archivs mitgearbeitet. Du hast die entscheidenden Impulse für die Konzeption dieser Edition geliefert, hast auch den Großteil der “Kleinarbeit” geleistet und die Herausgabe einiger Bände verantwortet. Karin Peter und Nikolaus Wandinger haben beim Projekt mitgedacht, mitgearbeitet und einige Bände ediert. Simon De Keukelaere übersetzte die französischsprachige Korrespondenz. Michael Kirchler half bei der Redaktion einiger Bände. Eine Sonderrolle spielte Christine Eckmair aus Linz. Die in der Zeit meiner Linzer Tätigkeit (1991-1996) entstandene Freundschaft bewährte sich bei diesem Projekt. In stundenlanger Arbeit korrigierte Christine die Manuskripte und die Druckfahnen aller Bände, ist damit so etwas wie eine “Chefsekretärin” von RSGS gewesen. Pater Provinzial der Schweizer Provinz der Gesellschaft Jesu Christian Rutishauser hat durch seine Entscheidung, die Druckkostenzuschüsse seitens der Schweizer Provinz zu übernehmen die Edition in der vorliegenden Form ermöglicht. So hat die Mutterprovinz ihrem bedeutenden Theologen nicht nur ein Denkmal gesetzt, sondern einen wesentlichen Beitrag zur weiteren Rezeption und Weiterentwicklung des Ansatzes geleistet. Stephan Weber vom Herderverlag hat die Herausgabe in umsichtiger Form verlagstechnisch begleitet. Allen, die auf diese oder jene Weise mitgeholfen haben, sage ich in gut tirolerischer Tradition: “Vergelt’s Gott!”

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Innsbruck, am 19. März, dem Fest des heiligen Josefs 2017.

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Anmerkungen

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[1] Józef Niewiadomski, Prophetisch und innovativ! Raymund Schwagers „Gesammelte Werke“, in: Raymund Schwager, Dogma und dramatische Geschichte. Christologie im Kontext von Judentum, Islam und moderner Marktkultur (RSGS 5), hg. von Józef Niewiadomski und Mathias Moosbrugger, Freiburg i. Breisgau 2014, 9-13.

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[2] Bereits in seiner Dissertation kritisiert Schwager seinen Ordensgründer Ignatius, weil dieser die biblische Opferhaltung mit der militärischer Rationalität verwechselt, vgl. Raymund Schwager, Das dramatische Kirchenverständnis bei Ignatius von Loyola. Historisch-pastoraltheologische Studie über die Stellung der Kirche in den Exerzitien und im Leben des Ignatius, in: ders., Frühe Hauptwerke (RSGS 1), hg. von Mathias Moosbrugger, Freiburg i. Breisgau 2016, 39-256.

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[3] Raymund Schwager, Brauchen wir einen Sündenbock? Gewalt und Erlösung in den biblischen Schriften (RSGS 2), hg. von Mathias Moosbrugger und Karin Peter, Freiburg i. Breisgau 2016; Raymund Schwager, Jesus im Heilsdrama. Entwurf einer biblischen Erlösungslehre, in: ders., Heilsdrama. Systematische und narrative Zugänge (RSGS 4), hg. von Józef Niewiadomski, Freiburg i. Breisgau 2015, 39-400.

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[4] Raymund Schwager, Der wunderbare Tausch. Zur Geschichte und Deutung der Erlösungslehre (RSGS 3), hg. von Nikolaus Wandinger, Freiburg i. Breisgau 2015.

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[5] Raymund Schwager, Dogma und dramatische Geschichte.

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[6] Zum Überblick vgl. Józef Niewiadomski, Roman Siebenrock, Dramatische Theologie: Ein Blick in die Forschungslandschaft, in: Zeitschrift für katholische Theologie 132 (2010), 385-388; vgl. auch die neueren (im Zusammenhang mit der Edition stehenden) Diskussionsbände: Das Drama der Freiheit im Disput. Die Kerngedanken der Theologie von Raymund Schwager, hg. von Józef Niewiadomski, Freiburg i. Breisgau 2017; Auf dem Weg zur Neubewertung der Tradition. Die Theologie von Raymund Schwager und sein neu erschlossener Nachlass, hg. von Mathias Moosbrugger und Józef Niewiadomski, Freiburg i. Breisgau 2015.

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[7] Als paradigmatisches Beispiel vgl. die Beiträge im achten Band.

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[8] Vgl. Raymund Schwager, Dramatisches Konzept für die Begegnung von Religionen, in diesem Band.

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[9] Raymund Schwager, Glaube der die Welt verwandelt. Mainz 1976.

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[10] Raymund Schwager, Jesus-Nachfolge. Woraus lebt der Glaube?, in: ders. Frühe Hauptwerke (RSGS 1), 259-421.

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[11] Zur Logik der Auswahl vgl. auch: Mathias Moosbrugger, Theologie als aktive Zeitgenossenschaft. Einführung und Editionsbericht, in diesem Band.

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[12] Raymund Schwager, Briefwechsel mit René Girard (RSGS 6), hg. von Nikolaus Wandinger und Karin Peter, Freiburg 2014.

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