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Der Haken am christlich-sozialen Label der ÖVP

Autor:Guggenberger Wilhelm
Veröffentlichung:
Kategoriekommentar
Abstrakt:
Publiziert in:
Datum:2019-01-09

Inhaltsverzeichnis

Inhalt

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Minister Gernot Blümel äußerte sich im Standard vom 5. Jänner 2019 zum Wesen der christlichen Soziallehre,[1] wozu er durch eine von ihm zu diesem Thema verfasste Diplomarbeit als kompetent erachtet wird. Das kurze Interview geht kaum auf inhaltliche Fragen ein, lässt sich aber im Wesentlichen auf die Kernaussagen reduzieren: „Die christliche Soziallehre ist eindeutig eine Philosophie und keine Religion. …  Wir sprechen hier aber von einer weltanschaulichen Grundlage für eine Partei, die in einer demokratischen Republik kandidiert. Das hat per Definition nichts mit der Kirche zu tun.“

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Blümel hat natürlich Recht, dass der Terminus „christlich-sozial“ in der politischen Verwendung nicht als konfessionelle Bindung verstanden werden soll. Das haben wir in Österreich insbesondere aus den bitteren Erfahrungen der Zwischenkriegszeit gelernt. Inhaltlich besteht heute zwischen den protestantischen Kirchen und der römisch-katholischen Kirche in sehr vielen sozialethischen Fragen Übereistimmung, in manchen Bereichen gilt das auch im Hinblick auf die Orthodoxie. Auch das spricht gegen eine konfessionelle Verengung des Verständnisses von christlicher Soziallehre.

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Wenn Minister Blümel und seiner Partei aber daran gelegen ist, sich jegliche Kritik an politischen Entscheidungen, die von kirchlicher und theologischer Seite geäußert wird, zu verbitten, wäre es wohl der ehrlichere Weg, das Adjektiv „christlich“ aus der Selbstbeschreibung zu streichen. Stattdessen wird das christliche Weltbild aber zur Philosophie erklärt, hinsichtlich der christliche Kirchen und TheologInnen keinerlei besondere Kompetenz beanspruchen dürfen. Die ÖVP wird sich entscheiden müssen, ob sie ihr Produkt weiterhin unter einem bestimmten Label verkaufen will – mit Blick auf mögliche Wählerstimmen -  oder nicht. Will sie es, muss sie sich auch an bestimmten Standards orientieren.

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Man mag nun einwenden, dass diese Standards keineswegs so festgeschrieben und eindeutig sind, wie vielleicht behauptet wird. Das meinte wohl auch Kanzler Kurz, wenn er darauf hinwies, dass niemand beanspruchen könne über die einzig gültige Interpretation des Christlich-sozialen zu verfügen. Auch das ist grundsätzlich richtig. Dennoch haben sich in einer mittlerweile langen Tradition Grundaxiome einer christlichen Sozialethik herausgebildet, an denen man sich nicht vorbeischummeln kann, will man auf dem Boden der biblischen Lehre bleiben. Wofür sonst sollte aber die Berufung auf Christlichkeit stehen?

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Zu diesen Grundaxiomen zählt spätestens seit den Sozialenzykliken von Papst Johannes Paul II. die Orientierung jeder Gesellschaftsgestaltung an den Schwächsten der Gesellschaft. Dabei ist eine weltgesellschaftliche Perspektive, die über die Grenzen von nationalen und kontinentalen Grenzen hinausblickt unverzichtbar.

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Ist ein solches Axiom christlichen Ursprungs oder nicht? Ich behaupte, dass es zumindest in den westlichen Gesellschaften den Offenbarungstexten der monotheistischen Religionen entnommen ist. Als unverdächtiger Zeuge dafür kann Friedrich Nietzsche aufgerufen werden, der das Christentum gerade dafür kritisierte, dass es einen Vorrang des und der Schwachen verteidigt. Damit würde der Vitalität der menschlichen Gattung massiver Schaden zugefügt. Ein Sozialdarwinismus, der dem Überlebensrecht der Stärkeren das Wort redet, ist hingegen sehr wohl philosophisch argumentierbar wobei man sich auch mit einigem Recht auf die Naturordnung berufe kann.

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Ein Denker wie Thomas Hobbes hat das in der frühen Neuzeit so gesehen und auch ungeschönt dargestellt, was für eine grausame und feindselige Gesellschaftsunordnung sich daraus ergibt. Er plädierte vor diesem Hintergrund für einen starken, autoritären Law-and-order-Staat. An ihn treten die Individuen mehr oder weniger schweren Herzens einen Teil ihrer Freiheit ab. Dieser Staat dient aber nur dem Schutz der eigeninteressierten Subjekte voreinander.  Die katholische Soziallehre hat einem solchen Konzept stets widersprochen, indem sie Solidarität und Gemeinwohl als gesellschaftsfundierende Grundhaltungen einfordert. Dabei meint Solidarität nicht nur, wie Hans Rauscher in der genannten Ausgabe des Standard schreibt, dass über Almosen hinaus auch Hilfe zur Selbsthilfe gegeben werden soll. Diese Formulierung trifft eher auf das Prinzip der Subsidiarität zu, beschreibt aber auch dieses nicht zureichend. Solidarität meint eine wechselseitige Verpflichtung der Individuen in einer Gesellschaft. Die Gemeinwohlorientierung  steht dafür, dass in den eigenen Entscheidungen immer auch das Wohlergehen der anderen mitbedacht wird. Damit steht Politik, die Demokratie  als puren Lobbyismus von Eigeninteressen missversteht, in der Kritik, aber auch jegliches „we first“.

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Woran äußert sich eine Orientierung an den Schwachen in der Gesellschaft konkret? Als ein Beispiel kann darauf verwiesen werden, dass bereits in der Sozialenzyklika Rerum novarum von 1891[2] zweifelsfrei betont wird, dass gerechte Löhne sich nicht nur an Leistung orientieren dürfen. Zuallererst müssen sie bedarfsorientiert sein. Im Zentrum steht damit die Möglichkeit einer menschenwürdigen Lebensgestaltung für alle und nicht Leistungsgerechtigkeit.

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Bereits das kann von einzelnen oder bestimmten Gruppen in der Gesellschaft die Bereitschaft erfordern, auf grundsätzlich erzielbare Gewinne und durchsetzbare Vorteile zu verzichten. Noch viel deutlicher wird diese Notwendigkeit angesichts der gegenwärtigen globalen Herausforderungen, die uns die Bedeutung einer Schonung der Natur und der Verantwortung für künftige Generationen bewusst machen. Warum aber sollte man bereit sein zu teilen? Warum sollte man ein Problem in Mauerbauten rund um Wohlstandghettos sehen? Warum sollte es uns nicht gleichgültig sein, wenn nach uns die klimawandelbedingte Sintflut kommt? Die kirchliche Soziallehre beantwortet solche Fragen stets im Kontext der Beziehung zum Gott, der gemeinsamer Vater aller Geschöpfe ist. Sie bleibt ohne diese Beziehung, ohne Glaubensfundierung also letztlich unverständlich.

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Demokratischen Parteien steht es frei, sich bestimmte Weltanschauungen als Grundlage ihrer Programme zu wählen. So lange eine solche Weltanschauung aber als christlich bezeichnet wird, steht jenen Gemeinschaften, die den christlichen Glauben und das christliche Gedankengut durch die Geschichte getragen haben, auch das Recht zu, sich kritisch zu Wort zu melden, wenn die Christlichkeit als Werbeträger x-beliebiger Politik missbraucht wird. Oder um es so auszudrücken: Wer in kirchlichen Teichen nach Wählern fischen will, darf sich nicht wundern, wenn die Fische dort auf die Haken in den angebotenen Ködern hinweisen.

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Anmerkungen

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[2] Das Selbstverständnis der Kirche und ihrer Rolle in der Politik, das dieser Text vertritt, muss heute durchaus kritisch gesehen werden. Der Papst sah sich damals als direkter Ideengeber für christliche Monarchen und Regierungen. Dieser Anspruch wurde spätestens mit dem 2. Vatikanischen Konzil aufgegeben. Das macht einen bewussten und kritischen Umgang mit der Selbstbezeichnung als christlich auf der politischen Seite aber nur umso notwendiger.

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