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Märtyrer und Philosophen – Zeugen der Wahrheit
(Predigt bei der Eucharistiefeier zum neunzigsten Geburtstag von Univ.-Prof. Dr. Otto Muck am 26. Dezember 2018 um 11 Uhr in der Jesuitenkirche (im Anschluss an Apg 6f. und Mt 10,17-22))

Autor:Niewiadomski Jozef
Veröffentlichung:
Kategoriepredigt
Abstrakt:
Publiziert in:
Datum:2018-12-28

Inhaltsverzeichnis

Inhalt

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Nein! Sie wurden nicht vor ein Gericht gebracht. Vielmehr drangen die bis heute nicht identifizierten Mörder in ihr Kloster ein und entführten die Trappistenmönche. Zwei Monate später fand man die Köpfe der sieben Märtyrer. Schon drei Jahre zuvor drangen am Heiligen Abend vor genau 25 Jahren islamistische Rebellen ins Kloster ein, wollten den Arzt und die Medikamente mitnehmen. Der Prior der Gemeinschaft P. Christian weigerte sich den Forderungen nachzugeben, machte aber den Terroristen deutlich, dass jeder Verletzte im Kloster behandelt wird. Außerdem wies er daraufhin, dass die Eindringlinge mit ihrer Gewaltaktion das Fest der Geburt Jesu gestört haben. Der Friedensfürst werde doch auch im Islam verehrt, sei also jemand, der eine Verstehensbrücke zwischen Muslimen und Christen bilden könnte. Zu ihrer Überraschung konnten die Mönche die Entschuldigung des Islamistenführers hören: er habe nicht gewusst, was für einen Tag sie für ihre Aktion gewählt haben. Die Trappistenmönche aus Tibhirine, diese Märtyrer der Gegenwart, die mit ihrem ganzen Leben die tiefste Dimension der Wahrheit Christi bezeugten, störten im Grunde alle Konfliktparteien. Denn: All diejenigen, die ihre Wahrheit mit Gewalt durchzusetzen suchen, arbeiten mit Halbwahrheiten, mit Vorurteilen und Zerrbildern des Gegners. Und all denjenigen, die sich bloß derartiger Strategien bedienen, stellt die Wahrheit Christi eine Bedrohung ihrer brüchigen Identität dar. Der religionstheologisch hoch gebildete Prior P. Christian de Chergé konnte zwar bei keinem menschlichen Gericht Rechenschaft über die Gründe seiner Präsenz und auch der seiner Mitbrüder mitten im mörderischen Bürgerkrieg islamistischer Gruppen ablegen. In seinem Testament hielt er aber fest, dass man im Falle seines Todes sein Leben nicht bloß in der Logik des Opfers sehen und beurteilen soll, eines Opfers des scheinbar unlösbaren Konflikts. In den Spuren Jesu wandelnd sprach er vielmehr von Hingabe: von deren Wahrheit und auch deren Logik. Deswegen bat er selber um Vergebung, wollte aber auch diese gewähren, gar seinem potentiellen Mörder gewähren: dem „Freund der letzten Stunde“, der ja nicht wissen wird, was er tut. In seinem Tun wird er verblendet bleiben, deswegen auch glauben, Gott durch das Töten einen Dienst erweisen zu können. Weil er aber meilenweit von der Wahrheit entfernt bleibt, braucht er wie kaum ein anderer eine bedingungslose Vergebung.

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Liebe Schwestern und Brüder, am Fest des christlichen Protomärtyrers Stephanus, der um die Jahre 36-40 vor das menschliche Gericht gezerrt wurde und aufgrund von Gerüchten, Vorurteilen und Vorwürfen zum Tode verurteilt und dann auch gesteinigt wurde, öffne ich vor den Augen Ihres Geistes ein Triptychon, einen Flügelaltar mit Gestalten von Märtyrern: von Zeugen der Wahrheit Christi. Unsere Augen wandern vom linken Seitenflügel, in dem wir die Märtyrer unserer unmittelbaren Gegenwart erblickten: den Religionstheologen und Trappistenmönch P. Christian de Chergé samt seiner Mitbrüder, die ja vor drei Wochen seliggesprochen wurden, zum zentralen Bild des ersten Blutzeugen für die Wahrheit Jesu Christi. Stephanus, der gebildete junge Mann, der sich nicht zu schade ist, Alltagsdienste zu übernehmen, Menschen zu bedienen, gar an den Tischen zu bedienen, der in den Spuren Jesu wandelnd zum Zeugen der menschenfreundlichen Wahrheit Gottes wird, ist auch zum Dorn im Auge all jener geworden, die Gott für ihre Interessen gepachtet haben, sich deswegen mit Halbwahrheiten begnügen und dort, wo die Logik der Argumente nicht mehr hält, zu Steinen greifen, sich die Ohren zuhalten und dann ihre Gegner steinigen. Auch er geriet in das Konfliktfeld unterschiedlicher Gruppen, wurde so zum willkommenen Sündenbock. Und auch sein Sterben kann nicht bloß in der Logik des Opfers beurteilt werden. “Herr rechne ihnen diese Sünde nicht an”, waren ja seine letzten Worte. Es waren Worte der Vergebung, Worte, die den einzig möglichen – auch logischen – Ausweg aus dem Dilemma: “Wahrheit und Gewalt” darstellen.

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Für das rationale Durchdringen dieser Logik steht der Philosoph, den wir auf der rechten Seite unseres Flügelaltars erblicken: Justin, der Märtyrer, der um das Jahr 165 vor das römische Gericht, vor den Stadthalter, gezerrt wurde, dort aufgrund von Anschuldigungen, Vorurteilen und Halbwahrheiten verurteilt und dann auch enthauptet wurde. Wer war dieser Justin? Von Wissensdurst getrieben suchte der junge Mann verschiedene philosophische Schulen auf, erlebte eine Enttäuschung nach der anderen, weil sie alle zwar vorgaben, die Wahrheit zu suchen, sich aber mehr für Geld oder Macht in der Öffentlichkeit interessierten. Von Kynikern, über Stoiker und Peripatetiker, Pythagoreer und Platoniker bis hin zu jüdischen Propheten, schlussendlich aber zur Wahrheit Jesu Christi führte sein Weg, der dann auch in die Gründung seiner eigener Philosophenschule mündete. Überall fand er gute Argumente, aber auch argumentative Sackgassen und Verblendungen, die er auf dämonische Verführungen zurückführte – heute würden wir sagen: als Projektionen entlarvte. Deswegen wollte und konnte er die konkreten Menschen nicht diffamieren und aburteilen: Jeder Mensch habe doch in der Seele einen Ableger des Logos der absoluten göttlichen Vernunft. Deswegen kann aber auch die Wahrheit unmöglich Hand in Hand mit Gewalt gehen. Das habe er durch die Reflexion des Geschicks Christi gelernt, der ja sterbend gebetet hat: „Vater vergib ihnen, denn sie wissen nicht was sie tun“. Verblendet sind sie, verblendet und verführt! Seine Apologien, seine Verteidigungsschriften des noch jungen und ständig diffamierten Christentums, die er an die römischen Kaiser richtete, wurden zum Grundstein christlicher Philosophie. Sein Martyriumsgeschick zum Erweis der Stärke jenes Weges, der uns allen in der Menschwerdung des göttlichen Logos aufgeleuchtet ist.

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Liebe Schwestern und Brüder, wahrscheinlich wundern sich viele über den ungewöhnlichen, fast akademisch anmutenden, Stil der heutigen Predigt, der Predigt, die durch eine Frage inspiriert wurde: Was haben Märtyrer und Philosophen gemeinsam? Es ist dies eine Frage, die im Zeitalter des Missbrauchs des Martyriumsbegriffes durch die islamistischen Selbstmordattentäter eine fundamentale Rolle spielen müsste: in der Politik und im Diskurs über das Zusammenleben von Menschen unterschiedlichen Religionen und Weltanschauungen. Was haben Märtyrer und Philosophen gemeinsam? Sie sind konsequente Zeugen der Wahrheit, einer Wahrheit allerdings, die Hand in Hand mit Gewaltverzicht geht. Und warum hat diese Predigt die Form eines Triptychons?

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Das Triptychon soll nun als Geburtstagsgeschenk jenem Mann gewidmet sein, der sich sein Leben lang um die Logik (und Metaphysik) bemüht hat. P. Otto Muck wurde am Fest des Protomärtyrers Stephanus vor genau 90 Jahren geboren. Wie der Philosoph Justin suchte er nach Wahrheit in der Mathematik, Physik und der Philosophie überhaupt. Und er wurde Jesuit. Erst als Compañero, als Companion, als Genosse Jesu wurde er zum Profiphilosophen: begabt mit Weisheit, einer – vielen seiner Zuhörer – oft hochabstrakt erscheinenden Weisheit. Es ist dies aber eine Wahrheit und Weisheit, die er nicht nur auf dem akademischen Niveau der Universitäten (weltweit) darlegte, sondern auch in den ganz konkreten, gar alltäglichen Dienst stellte: etwa für den “Theologischen Fernkurs”, oder bei den zahlreichen Verbindungen, bei denen er als geschätzter Seelsorger tätig war (und ist). Wie Stephanus war er sich also nicht zu schade für den Dienst an den Tischen und dies im wörtlichen und metaphorischen Sinn des Wortes. Der Philosoph, der die zahlreichen Ämter (des Rektors der Universität Innsbruck, des Dekans der Theologischen Fakultät, des Rektors des Jesuitenkollegs, des Rektors des Canisianums) begleitete, verstand diese Tätigkeit als einen diakonalen Dienst an der jeweiligen Gemeinschaft, gestaltete auch dementsprechend seine Amtsführung. Schlussendlich  wurde P. Muck zum brillanten Dialogpartner in weltanschaulichen Diskursen. Dem Prior des Trappistenklosters P. Christian de Chergé nicht ganz unähnlich plagte er sich mit allen möglichen lebensrelevanten Fragen und Lebensentwürfen, wehrte sich gegen den allzu schnellen Ausschluss weltanschaulicher Aussagen aus den wissenschaftlichen Diskursen und die damit Hand in Hand gehende Versuchung zum Missbrauch solcher Aussagen im Dienste partikulärer Interessen, oder aber der Rechtfertigung von Gewalt. Generationen von Innsbrucker Studierenden haben seine goldene Regel gelernt: Eine Aussage ist erst dann absolut verlässlich, wenn keine – für sie relevante – Frage offen ist. Und es gibt unendlich viele relevante Fragen im menschlichen Leben. Deswegen sind auch die meisten Urteile doch nur Vorurteile. Aber: dieser Befund stellt die Existenz der Wahrheit nicht in Frage. Ganz im Gegenteil!

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Lieber Otto, ich bin froh, Dich auch als Lehrer gehabt zu haben. Du bist für mich ein authentischer und treuer Zeuge der Wahrheit, gar ein Liebhaber der Wahrheit und der Weisheit. Ein Philosoph, der dieses Namens würdig ist. Du warst authentischer Zeuge der Wahrheit auch in der Erfahrung des Leids, als dir die schwere Krebserkrankung widerfuhr. Und heute wurdest du 90! Für die meisten Menschen, die dich kennen, ist das ein Wunder. Ich schätze, auch du empfindest das so. Und bist auch deswegen dankbar. Das sind wir auch. Deswegen danken wir Gott und loben ihn, zusammen mit dir: Dem Jubilaren, dem authentischen Zeugen und Liebhaber der Wahrheit Jesu Christi; dem Rektor, dem Jesuiten und Priester, dem Menschen Otto Muck.

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