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„Stille Nacht, Heilige Nacht“. Zur mystischen Wurzel des Liedes von der Geburt Gottes in und mitten unter uns

Autor:Siebenrock Roman
Veröffentlichung:
Kategorieartikel
Abstrakt:
Publiziert in:
Datum:2018-12-19

Inhalt

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„Stille Nacht – Heilige Nacht“ [1]: So oft ge- wie überhört, als romantische Verdrängung und als permanentes „…luja“ in den Einkaufszentren bis zum Abklatsch ausgelaugt; und dennoch nicht unterzukriegen. Warum ist dieses Lied allen Menschen so nahegegangen, weiter über Europa hinaus? Und es bleibt im Herzen von so vielen Nicht-Christen wirksam bis heute, ja gerade heute? Was macht dieses sanfte Lied so robust gegen alle Verwüstungen? Warum lässt es sich nicht „abklatschen“? Das kann nicht mit Kapitalismus und Weihnachtsrummel erklärt werden. Auf Dauer lassen sich Menschen von Ideologien nicht manipulieren. Das Leben fordert immer wieder die in ihm liegende Wahrheit ein. Irgendetwas muss dieses Lied in den Menschen zum Klingen bringen. Aber was? Dem wollte ich auf die Spur kommen und auf diesem Weg habe ich das Lied auch theologisch sehr lieb gewonnen. Diese Entdeckungen möchte ich hier mit Ihnen teilen.[2] Um es kurz als Wegweisung zusammenzufassen: dieses Lied drückt die mystische Grunddimension des christlichen Glaubens in so einfacher Weise (und deshalb so angemessen und tief), dass es im Herzen von so vielen Menschen zum Schwingen bringt, was das Geheimnis der Menschwerdung des Wortes Gottes ausmacht: unbedingte Anerkennung! Das Lied schöpft tief aus der christlichen Inkarnationsmystik und schickt bis heute uns auf die Suche nach der Menschwerdung Gottes unter uns, ja in mir.

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Der Retter ist da: mit dem Herzen neu hören

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Meine Erkundung werde ich in zwei Schritte darlegen. Im ersten werde ich der Spur des Autors, des Priesters Joseph Mohr nachspüren, seine Persönlichkeit kurz umreißen und auf seine Lebenszeit einen Blick werfen. Dann gehe ich im zweiten Schritt allen Strophen des Liedes nach, und versuche seine Welt auszuloten. Ich halte mich dabei ganz an den Text und nehme alle Strophen ernst. Damit Sie auf diesem Weg eigenständig mitgehen können, scheint es mir sinnvoll, sich den Text vor Augen zu stellen und dabei den Mut aufbringen, das Lied einmal ganz naiv und wie zum ersten Mal mit dem Herzen zu singen.[3] Zwei Fragen können auf diesem Weg der Orientierung dienen. Zunächst: Was hat es mit einer Nacht auf sich, die still und heilig ist oder wird? Gehen wir immer neu ganz aufmerksam den Erfahrungen von Nacht, Stille und Heiligkeit nach. Jede Strophe wird mit diesen Worten eingeleitet. Deshalb eröffnen diese Worte den Weg zur Geburt des göttlichen Kindes. Und stellen Sie sich mit dem Lied vor: diese Nacht ist DA, da, wo Sie sind, da, wo ich bin. Als zweite Frage lade ich Sie ein, sich den Anfang des Liedes konkret zu vergegenwärtigen. Das Lied zieht uns von Anfang an in die Mimik des göttlichen Kindes hinein und setzt uns so seinem Blick aus. Das Lied lädt uns dazu ein, heute, hier, in dieser Stunde sich von diesem Kind, das die Gegenwart Gottes unter uns darstellt, anschauen zu lassen. Dann erwacht die Frage: Wer bin ich und wer darf ich sein und werden, wenn ich so, ja wenn ich so vom Herrn aller Zeiten und Welten selbst angeschaut werde? Wer bin ich und wer darf ich werden, wenn der Ursprung und das Ziel aller Wirklichkeit mich anlächelt? Haben wir einmal den Mut, naiv zu werden, frei von allem, alles hinter uns zu lassen, um ganz Ohr und offenes Herz für dieses Lied zu werden; - wie in scheinbar längst vergangenen Kindertagen. Gehen wir also mit und durch dieses Lied in jene Nacht, deren Stille uns und alles heiligt.

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„In den Zeichen der Zeit“: Gegenwart Christi und Unterscheidung der Geister im revolutionären Umbruch Europas.

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Joseph Mohr (1792-1848)[4] kann nicht naiv gewesen sein. Deshalb kann sein Lied nicht als „romantisierende Verdrängung“ eingeschätzt werden. In seinem Wirken als Priester ist nichts an falscher Vertröstung zu bemerken und deshalb sollten wir sein wunderbares Lied nicht als Flucht aus der harten Realität, sondern als Würdigung einfacher Menschen hören und uns zu Herzen gehen lassen. Es besingt eine bis heute notwendige Hoffnung, weil er uns die Vision einer erneuerten Menschheit vor Augen stellt. Das Lied erklang zum ersten Mal in Oberndorf 1818, weitab von den Palästen und Mächtigen, irgendwo im Nirgendwo. Dieses Lied erhebt die Niedrigen und würdigt diejenigen, die am Rande leben müssen.

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Mohr konnte vor allem deshalb nicht naiv gewesen sein, weil er schon durch seine uneheliche Geburt stigmatisiert war. Auch wenn der Vater, der Soldat Franz Mohr seine Mutter Anna Schoiber später heiratete, musste er nach dem damals geltenden Kirchenrecht als ein „Kind der Sünde“ vor seiner Priesterweihe eine Sondergenehmigung einholen. Doch er erfuhr auch, dass Unterstützung hilft. Der Salzburger Domvikar Johann Nepomuk Hiernle förderte sein musikalisches Talent. So konnte er die Gymnasien in Salzburg und Kremsmünster besuchen und ab 1811 in Salzburg Theologie studieren.

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Diese Universität wurde von Fürsterzbischof Paris Lodron 1622 eröffnet und den Benediktinern anvertraut. Die Universität wurde 1810 mit der Angliederung von Salzburg an Bayern aufgelöst. Mohr studierte also in dem danach eingerichteten Lyzeum. Am 21. 8. 1815 wurde er vom Passauer Weihbischof Karl Kajetan, der 1818 Erzbischof von Mailand und dann Kardinal wurde, zum Priester geweiht. Was und bei wem er in dieser Zeit studierte, ist noch kaum erforscht. Wir wissen das Salzburg eine Hochburg katholischer Aufklärung war.[5] Hier wurde zum ersten Mal 1740 Experimentalphysik als Fach universitär verankert. Zwar kann ich die folgende mystische Interpretation des Liedes noch nicht aus den Quellen der damals studierten Theologie belegen, doch ich bin davon überzeugt, dass dieses Lied aus dem profunden Schatz der Inkarnationsmystik schöpft: Einer Mystik der Menschwerdung Gottes; und ich höre in diesem Lied noch mehr: Menschwerdung in den Zeichen der Zeit des Jahres 1816!

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Denn: 1815! Am 18. Juni ging mit der Schlacht von Waterloo die Militärdiktatur Napoleons und mit ihr die Französischen Revolution zu Ende, die nicht nur die Landkarte, sondern auch die Lebensvorstellungen der Menschen nachhaltig verändert haben. Damit sind turbulente und die gesellschaftliche Verortung des Christentums und der Kirche verändernde, ja revolutionäre Zeiten verbunden, deren Konsequenzen eine 1000-jährige Geschichte Europas beendeten und einen neuen Anfang für die Geschichte des Christentums seit dem römischen Kaiser Konstantin (+337) setzte. 1803 wurde im Zuge der Säkularisation im „Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation“ auch Salzburg säkularisiert. Die politische Herrschaft der Erzbischöfe war zu Ende, und im Land wechselten öfters die Herrschaften. Dass diese unruhigen Zeiten für viele Menschen zur Misere wurden, ist leicht auszumalen. Erst 1818 wurde Salzburg ein Teil Österreichs. In diesen Zeiten wurde Mohr ausgebildet und begann seinen priesterlichen Dienst. Es waren wirklich schwere Zeiten. Die Gesellschaft und Wirtschaft hatte sich von den Franzosenkriegen noch nicht erholt; und wird noch lange brauchen. Auch war das Jahr 1818 für Salzburg ein Katastrophenjahr: Überschwemmungen und ein großer Brand belasteten die Stadt schwer. Und Mohr begann seinen priesterlichen Dienst am Anfang einer neuen Epoche der Christenheit, ja der Menschheit. Denn die alten Monarchien war, trotz aller Restauration, erschüttert. Das Fanal der Menschenrechte begann war ausgerufen und die Transformation, die wir heute „Moderne“ nennen, zeigte sich in ihrer tiefen Abgründigkeit. Das Ideal der „Brüderlichkeit“ kippte in Terrorismus und endete in der Militärdiktatur Napoleons. Und dennoch sollte der vom Franzosenkaiser überall verbreitete „Code civil“ als „Bürgerliches Gesetzbuch“ die Gesellschaft umgestalten.

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Wie handelte der junge Priester Mohr in dieser Situation? Damit frage ich nach der Haltung und dem inwendigen Geist, den dieser Priester bewegte und von dem her wir auch das alte Lied hören sollten. Ich höre in diesem Lied die Kultur mystisch-aufgeklärter Katholizität. Mystik und Aufklärung kommen hier zusammen.

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Ich bin überzeugt, dass dieses Lied ein deutliches Beispiel dafür ist, wie die Botschaft des Evangeliums in dieser neuen Epoche gehört werden kann, wie sie unsere Herzen zu ergreifen vermag. Das Evangelium, auch wenn es in Österreich noch lange gedauert hat, bis diese neue Epoche wirklich angekommen ist (vielleicht erst in unserer Lebenszeit); - das Evangelium kann in dieser neuen Epoche der gesellschaftlichen Entmächtigung der Kirche nicht mehr mit gesellschaftlichem Zwang und politischem Monopol verkündigt werden. Die apostolische Majestät ist dahin und dennoch bleibt der HERR Israels die bestimmende Wirklichkeit der Geschichte. Die Kraft des Evangeliums hat sich fremder Prophetie und Anmaßung bedient, um sich von den Ketten politischer Funktionalisierung zu befreien. Jetzt erst, in einer säkularen politischen Gesellschaftsstruktur, kann es in Freiheit angenommen werden und so gedeihen. Nur wer frei glaubt, glaubt wirklich! Mit Bartholome des las Casas (+1566)[6], dem spanischen Bischof in den Uranfängen der Eroberung Mexikos bin ich der Überzeugung, dass es nur drei Weisen gibt, das Evangelium zu verbreiten: im diakonischen Dienst, auf dem Weg der Bildung (und des Arguments) und in der Form freier Mystik als Antwort auf die Macht des verkündeten Wortes (und in unserem Fall der Töne). Alle drei Formen erkenne ich im Wirken Josephs Mohr und seinem Lied.

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Diakonie und Bildung: Joseph Mohr, nahe bei den Menschen

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Dass er den Menschen nahe sein wollte, sich für Ihre Sorgen und Nöte interessierte, wird am Anfang seines Wirkens aus jener Klage deutlich, die sein erster Pfarrer in Oberndorf über ihn an das Ordinariat sandte (2.10.1818); also in der Zeit, in der das Lied entstand. Denn ich lese die zwei Vorwürfe, es mangle ihm am Gehorsam und es würde ihm der tadellose Lebenswandel eines Priesters fehlen, als Ausbruch aus dem vorrevolutionären Standesgehabe. Er scherze selbst mit dem anderen Geschlecht und singe nicht nur erbauliche Lieder, und dazu noch im Wirtshaus. Es kam zur Visitation; und die Vorwürfe lösten sich in Luft auf.

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1819 ging er auf die Wanderschaft als Priester durch einige Gemeinden bevor er in Hintersee (1827-1837) und als Vikar in Wagrein (ab 1837) bleiben konnte. Schon in Oberndorf war er sozial engagiert; - und in seiner letzten Pfarre in Wagrein konnte er Spuren hinterlassen. Er veranlasste einen Schulbau und sorgte dafür, dass auch mittellose Kinder eine elementare Bildung erhielten. Er förderte die Feuerwehr, gründete den Kirchenchor und besuchte Kranke und Alte. Seit seiner Kindheit litt er an einer Lungenschwäche. Am 4. 12. 1848 starb er an einer Lungenlähmung in Wagrein, ausgelöst wohl durch einen Krankenbesuch im Winter.

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Wenn wir die ersten beiden Strophen singen, dann sollten wir Marx vergessen. Dieser Pfarrer verdrängt und vertröstet nicht. Sein Glaube ermutigt zu sozialen Handeln und Bildungsinitiativen. Was macht aber das Lied dann mit uns? Von Joseph Mohr gibt es keine Abhandlungen. Als einziges Erbstück hat er seine Gitarre hinterlassen. Alle Portraits wurden rekonstruiert und nach seinem Tod angefertigt. Dass sein Lied alle Menschen dieser Erde über das Zillertal erfassen sollte, hat er nicht mehr erlebt. Deshalb weiß ich nicht, was Joseph Mohr sich dachte. Ich möchte mit ihnen aber teilen, was mir im Gespräch mit dem Text dieses Liedes aufgegangen ist. Musikalisch wird es als Wiegenlied in sizilianischer Weise eingeordnet. Diese eingängige Melodie hat sicherlich zum Erfolg beigetragen.[7]

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Stille und daher heilige Nacht als reale Gegenwart: so schlägt uns die rettende Stund‘

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1. Stille Nacht! Heilige Nacht! Alles schläft; einsam wacht
Nur das traute heilige Paar. Holder Knab im lockigten Haar,
Schlafe in himmlischer Ruh! Schlafe in himmlischer Ruh!

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2. Stille Nacht! Heilige Nacht! Gottes Sohn! O wie lacht
Lieb´ aus deinem göttlichen Mund, Da uns schlägt die rettende Stund`.
Jesus in deiner Geburt! Jesus in deiner Geburt!

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Das Lied beschreibt nicht Vergangenes, es erzählt nicht über das Geschehen in Bethlehem. Von einer Krippe ist nie die Rede. Dieses Lied vergegenwärtigt, ihm ist eine performative Kraft inne. Es erinnert mich an die Wirkung eines Andachtsbildes: In solchen Bildern wird sichtbar und damit gegenwärtig, was das Ziel der Andacht ist. Die letzte Strophe sagt das ganz klar: Er ist da, da unter uns, ja in mir. DA! Dieses „DA“ durchzieht alle Worte und die ganze Melodie. So wie in vielen Krippen in Tirol und in unseren Häusern, unter uns, in mir ist Bethlehem, in mir will Christ auch heute geboren werden. In mir ist immer schon die Krippe vorbereitet. Wie wird aber in mir „Weihnacht“?

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Zunächst: das Lied gibt keine Ortsangaben, keine Zeitangabe: Heilige Nacht, das könnte, ja das wird immer sein. Der 24. Dezember ist ja selbst ein symbolisches Datum, und gerade weil dieser 24. historisch nicht der Geburtstag Jesu ist, nimmt das Lied eine andere Perspektive ein. Immer wenn Jesus Christ in meinem Leben da ist, als Retter da ist, ist Heilige Nacht. Deshalb schickt mich das Lied auf die innere Reise, das Kind in meinem Leben und in meinem Herzen zu suchen. Diese Suche wird umschrieben mit der immer wiederkehrenden Einleitungsformel: „Stille Nacht, heilige Nacht“.

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„Nacht“: Symbol der Dunkelheit, die Wurzel von Angst und Sorge, das Bild völliger Orientierungslosigkeit, ja das Bild dafür, dass Gott selbst verschwunden sein könnte. Solche Nacht wird zur Trostlosigkeit und Einsamkeit vieler Menschen. „Nacht“ war und ist aber auch die Bezeichnung der beiden mystischen Stufen auf dem Weg in die Gegenwart der Herrlichkeit des HERRN: die Nacht der Sinne und die Nacht des Geistes. Beide Aspekte gehören in der Erfahrung der Mystik zusammen: Stille und Nacht ist die Weise wie wir alles verlieren, ja loslassen müssen, was uns von Gottes Gegenwart trennt. Die „Nacht der Sinne“ bezeichnet jenes Stadium, in dem wir unsere Bilder und Vorstellungen von Gott und uns selbst verlieren sollen, dürfen, ja müssen. Zuviel haben wir angehäuft, um unsere Angst und Sorge zu beruhigen; ja auch viele falsche Frömmigkeit; ja es kann sein, dass unsere Gewohnheit mit diesem Lied uns daran hindert, dorthin aufzubrechen, wohin dieses Lied uns führen möchte. Und Meister Eckhart gibt uns den Rat, dass der Weg zu dieser Abgeschiedenheit mit dem Dienst am Nächsten beginnt.

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Die „Nacht des Geistes“, von der Mystik immer als letzte Stufe vor der vollendenden Begegnung beschrieben, ist jener Zustand, in dem wir Gott selbst verlieren. „Gott-Verlassenheit“ nicht als Schrecken, sondern als Voraussetzung, Gott Gott sein zu lassen, und um aus und in dieser Gegenwart selber neu geboren zu werden. Alle Mystik sagt, dass wir sterben müssen um neu geboren werden zu können. Gottesgeburt ereignet sich, wenn das Wort Gottes so zu uns kommt, dass wir in ihm neu geboren werden. Diese Botschaft ist keine Drohung und Mahnung, sondern die Einladung die Taufe wirklich in unserem Leben zu verwirklichen: mit Jesus Christus zu sterben, um mit ihm schon jetzt und heute zu leben. „Nacht“ ist also die Metapher für solches verlieren, Stille die Weise und der Ort, wie es allein geschehen kann. Wir müssen also nichts machen, nichts leisten, ganz im Gegenteil: wir sollen und dürfen verlieren, loslassen, ausräumen, leer werden.

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Das Lied hat uns an die „Krippe in uns“ geführt worden und wir schauen in der ersten Strophe nicht einfach in die Krippe, von der auch nicht die Rede ist. Das Lied zieht uns zum Kind hin. Eigentlich gehen wir nicht zum Kind, das Kind erscheint plötzlich vor und in uns. Es wird als still und sanft beschrieben. Damit beschreibt das Lied die Weise der Gegenwart Gottes. Das erinnert mich an die Erfahrung des Elia am Horeb. Gott ist nicht im Sturm, nicht im Gewitter, nicht im Erdbeben und Feuer, Gott ist also nicht in all den Symbolen der überwältigenden Macht und Gewalt. Gott ist also fern allen Zeichen überwältigender Tötungsmacht. Gott kommt ganz anders; - es „kam ein sanftes, leises Säuseln“ (1 Kön 19,12). Von dieser Weise der Gottesgegenwart ist das ganze Leid durchdrungen. Dabei ist außer dem Attribut „heilig“ und „himmlisch“, in der ersten Strophe ein ganz normale, immer wieder kehrende, also eine alltägliche Situation vergegenwärtigt: Nacht, ein vertrautes Paar, das Neugeborene. Und wir werden leise, weil es schlafen soll. Der letzte Vers der ersten Strophe will geflüstert sein; und in diesem Flüstern sind wir da, wie die drei da bei mir, bei uns sind: „Säuseln“. Das Lied sagt: „Himmlische Ruh“. Dieses Kind kommt aus jener Geborgenheit und Heimat, zu der wir alle unterwegs sind. Augustinus eröffnet seine Bekenntnisse mit dem Wort: „Du hast uns auf Dich hin geschaffen und unruhig ist unser Herz bis es ruhet in Dir“![8]

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Jetzt sind wir nicht mehr distanzierte BeobachterInnen, sondern nehmen teil an dieser wunderbaren Stunde. Jede Geburt ist geheiligt, auch die meine. An die meine kann ich mich nicht erinnern, aber die unserer Kinder. Und jetzt vernehme ich eine durchgehende Stimmung des ganzen Liedes: Das Lied würdigt und segnet das einfache, ganz normale Leben. Es erhebt das einfache Leben, weil Gott selbst es gewürdigt und geheiligt hat durch diesen Jesus in Menschengestalt: Er ist DA!

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Die zweite Strophe rührt an die Mitte der Heiligen Nacht. Gott selbst ist da: Gottes Sohn. „Sohn“ ist die biblische Metapher für das besondere Naheverhältnis Jesu zum HERRN Israels. Das wird in der Heiligen Schrift nicht nur von Jesus gesagt. Jesus aber spricht vom Heiligen Israels in besonderer Vertrautheit: Mein Vater, Abba. Ganz liebevoll. Und ist nicht das erste Wort, das im Lied von Gott gesprochen wird, eine wunderbar liebevolle Geste: Lieb‘ lacht uns an! Welch‘ ein seltsames und schönes Bild. Dieses Neugeborene, ohne reflexives Bewusstsein drückt in seiner Mimik aus, wer dieser Mensch sein wird: die verkörperte Liebe Gottes zu uns. Am Anfang dieses Jesus ein Lächeln, am Ende, schon im Tod, schenkt er Blut und Wasser (Joh 19,34). Die Kirchenväter sahen in diesen Zeichen des geöffneten Herzen die Symbole für Taufe und Eucharistie, die Sakramente des neuen, ewigen Lebens. Dieser Mensch ist die reinste Gabe des Lebens; - von Anfang bis zum Ende.

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Das erste und bleibende Wort dieses Liedes von Gott ist Liebe, die uns anlacht. Eine solche Geste vertreibt alle Angst vor Gott. Lassen Sie dieses Lächeln ganz in sich hineingehen: Gott lacht sie in Liebe an. Wer bin ich, wer darf ich sein und werden, wenn ich so angeschaut werde? Wem käme hier nicht in den Sinn, Gott abzubusseln, zu liebkosen. Gottes Sohn zu „herzen“! Aber ist das nicht zu naiv, ja, vielleicht sogar blöd. Ja, so blöd wie die Inkarnation Gottes selbst. Wenn Sie Gott wären: hätten Sie die Herrlichkeit des Himmels verlassen und sich ausgesetzt, ja sogar ausgeliefert? Ja, Weinachten ist ein ver-rücktes Fest, die Verrücktheit der Liebe.[9] Glauben heißt deshalb, auf dieses Verrücktsein zu antworten, das liebevolle Lächeln dieses Kindes als das erste und letzte Wort über mein und unser aller Leben anzunehmen. Glauben heißt, sein Leben auf das Versprechen hin zu wagen, das dieses Kind verkörpert. In diesem Augenblick schlägt uns die rettende Stund! Und erst jetzt, in der letzten Zeile der zweiten Strophe erklingt der Namen des Heils: Jesus; - und zwar in Deiner Geburt! In der Geburt, in der Inkarnation! DA, hier und heute DA!

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Inkarnation - Menschwerdung Gottes: biblisch

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Das Lied vergegenwärtigt die zentrale Mitte des christlichen Glaubens: die unüberbietbare Gegenwart Gottes in diesem Menschen Jesus von Nazareth. Die Kirchenväter, die christlichen Schriftsteller, Mystiker und Denker der ersten Jahrhunderte, haben dieses Geheimnis mit dem Evangelium nach Johannes (Joh 1,14) als Inkarnation, Fleischwerdung oder Menschwerdung Gottes zu begreifen gewagt und in verschiedensten Begrifflichkeiten auszudrücken gesucht. Grundsätzlich waren alle der Überzeugung, dass das Geheimnis der Menschwerdung Gottes mit unserer Erlösung zusammenhängt. Der dafür bis heute gültige Leitsatz haben die griechischen Kirchenväter erarbeitet: Was nicht angenommen wird, wird nicht erlöst.[10] Da das Wort Gottes („der Logos“) aber alles angenommen hat, ist alles erlöst, d.h. in das göttliche Leben selbst hineingenommen worden. Ich bin der festen Überzeugung dass der Text von Joseph Mohr aus dieser Quelle schöpft. Das können zwei Perspektiven auf die Inkarnationstheologie verdeutlichen, eine biblische und eine spekulative.

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Die biblischen Bücher beginnen mit der Erzählung von der Herkunft aller Wirklichkeit, die wir als Schöpfungsgeschichte bezeichnen. In Bildern und mythischen Brocken der damaligen Kultur, geformt wohl um 500 vor Jesus von Nazareth in Babylon, entwirft die Bibel kein wissenschaftliches Weltbild, sondern sucht unseren Ort in diesem komplexen Universum zu skizzieren. Es geht der Bibel um Sinnstiftung und Orientierung in einer immer wieder unübersichtlich und in Gewalt zu versinken drohenden Wirklichkeit. Dabei zielt die Schrift ausschließlich auf das Verhältnis des Menschen zu Gott, zur Welt und zueinander ab. Und dieses Verhältnis wird in einer doppelten Perspektive beschrieben. Zum einen ist es tief gestört, nahezu zerstört. Tief in den Seelen der Menschen, noch vor allem Denken und aller Vernunft, hat sich Angst und Sorge eingenistet. Wir haben erkannt, dass wir nackt, das heißt verletzbar, gefährdet und ausgesetzt sind. Dass sich in aller Freude und allem Fest, der Wurm des Todes und einer möglichen letzten Sinnlosigkeit und Nichtigkeit einnistet, erfahren wir oft am zweiten Weihnachtstag. Weihnachten, das Fest des Friedens, ist selbst von dieser Angst bedroht. Unsere Anstrengung um ein friedlich-glückendes Fest führt zu Stress und droht immer umzukippen. Und selbst wenn alle unsere Wünsche erfüllt worden sein sollten, was dann, am nächsten Tag; - eine Erfolgsdepression? Manchmal überkommt es uns selbst am Heiligen Abend: Alles nur Inszenierung, billigen Trost und Ablenkung von der letzten Misere unseres Daseins.[11]

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Die Schrift, der es von der ersten bis zu letzten Zeit um das Leben geht, erzählt aber, das ist die zweite Perspektive der ganzen Bibel, wie Gott schon im Garten den Menschen, Adam ruft: „Wo bist Du?“ (Gen 3,9). Dieser aber lügt und schiebt die Schuld auf Eva ab: Der Mensch ist nicht da, da in seiner Verantwortung! Gott aber bleibt ihm nahe, ihm auf den Fersen. Und so reiht sich Geschichte an Geschichte in der Schrift, in der Gott sein Volk sucht, ihm nachgeht, es herausführt aus Ägypten und mit ihm einen Bund schließt am Sinai. Damit wird das Volk Israel, stellvertretend für uns alle, vor Leben und Tod gestellt. Der HERR aber ruft uns immer zu: Wähle das Leben! (Dtn 29-31) Der Heilige Israels ist jener HERR, der mit auf dem Weg ist: Er ist, der ich bin da! Sein Name lautet: „Ich bin, der ich bin DA!!! (vgl. Ex 3,14). Doch die tiefste Sehnsucht Mose, sein Antlitz zu sehen, wird nicht erfüllt, kann nicht erfüllt werden. Denn niemand kann Gott sehen und am Leben bleiben (Ex 33,18-20). An dieser doppelten Perspektive schließt sich das Zeugnis des Neuen Testamentes an. Wie ist also Leben, vollendendes Leben inmitten einer Geschichte aus Dunkelheit und Licht möglich, und wie können wir jenes Vertrauen, ohne die solches Leben nie möglich sein kann, aus der Quelle des Lebens trinken? Zeigt sich uns der lebendige Gott nie, müssen wir denn ewig nur dem Rücken des verborgenen und ganz anderen nachsehen?

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Unsere Welt liegt immer noch im Argen, aber auf ganz neue und überraschende Weise hat Gott sein Volk besucht und ihm Erlösung bereitet (Maginficat: Lk 1,68-79). Das ganze Neue Testament bezeugt die Erfahrung von der Erfüllung dieses Wunsches, nicht als ob wir den Heiligen Israels direkt sehen könnten. Aber in diesem Jesus von Nazareth, von der Krippe bis zum Kreuz, in dieser Gestalt des Gekreuzigten und Auferstanden ist das Bild des unsichtbaren Gottes da (Kol 1,15), ist das endgültige Wort gesprochen (Hebr 1,1). Hier begegnen wir dem Abglanz seiner Herrlichkeit und dem Abbild des Wesens Gottes begegnen (Hebr 1, 3). Das fleischgewordene Wort (Joh 1,14) ist der Exeget Gottes (Joh 1,18). Das Wort Gottes hat unter uns gewohnt (Joh 1,14); - wörtlich: er hat gezeltet. Sein Zelt (lateinisch: „tabernaculum“) ist also unter uns aufgeschlagen. Das Evangelium vom Weihnachtssonntag, der Prolog des Evangeliums nach Johannes, endet wörtlich so: Niemand hat Gott je gesehen, er der auf das Herzen des Vaters hin war, er hat ihn uns ausgelegt, wörtlich: exegetisiert (Joh 1,18). So ist das ganze Neue Testament vom Bekenntnis des Heiligen Paulus erfüllt: Dieser Jesus Christus ist das JA Gottes zu allen Verheißungen (2 Kor 1,20).

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Immer suchen wir nach einer Antwort auf das Rätsel unseres Lebens. Immer wenn wir nach dem Ganzen der Wirklichkeit und unserer selbst fragen, fragen wir nach Gott, suchen wir das Antlitz jener Wirklichkeit, ohne die nicht etwas wäre. Unser Fragen erhebt sich inmitten einer höchste ambivalenten Erfahrung: Wir wissen alle, dass wir dem Tod entgegengehen, wir wissen, dass wir Schiffbruch erleiden können und auch immer erleiden; und gerade in diesen Wellenbergen des Lebens bleibt eine Hoffnung, ein Wunsch, ja ein Protest gegen allen Untergang und scheinbare Vernünftigkeit der skeptisch Zurückhaltenden. In uns ist eine unauslöschliche Option für Heil und Rettung, ein Protest gegen den Status quo der scheinbar harten Realität. Natürlich werden wir erst am Ende der Zeiten, nach dem Tod erkennen, wie wir selbst erkannt sein werden (1 Kor 13,12). Aber wir suchen Spuren und Momente dieser Möglichkeit bereits in unserem jetzigen Leben. Wo ist diese JA DA? Wohl nur im Zeichen, aber wirklich da.

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Das Zeugnis des Neuen Testamentes schlägt uns vor, wenn wir nach Gott suchen auf Christus zu schauen: er ist der treue Zeuge (Offb 1,5). Und Joseph Mohr noch inniger noch konkreter, fast anstößig, dichtet: Wenn wir wissen wollen, wie und wer Gott ist, müssen wir hinschauen, wie uns dieses Kind anschaut: in lächelnder Liebe, herkommend aus „himmlischer Ruh“. Wenn wir nach Rettung rufen, dürfen wir in die Augen dieses Kindes schauen. Stellen wir uns das einfach einmal vor, wenn wir die nächsten Strophen singen. Lassen wir uns von ihm anschauen!

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Inkarnation, Menschwerdung Gottes: mystisch-systematisch

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3. Stille Nacht! Heilige Nacht!  Die der Welt Heil gebracht,
Aus des Himmels goldenen Höhn,  Uns der Gnaden Fülle läßt seh´n
Jesum in Menschengestalt,  Jesum in Menschengestalt

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4. Stille Nacht! Heilige Nacht! Wo sich heut alle Macht
Väterlicher Liebe ergoß -  Und als Bruder huldvoll umschloß
Jesus die Völker der Welt, - Jesus die Völker der Welt.

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5. Stille Nacht! Heilige Nacht!  Lange schon uns bedacht,
Als der Herr vom Grimme befreit,  In der Väter urgrauer Zeit
Aller Welt Schonung verhieß, Aller Welt Schonung verhieß.

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6. Stille Nacht! Heilige Nacht! Hirten erst kundgemacht
Durch der Engel Alleluja, Tönt es laut bei Ferne und Nah:
Jesus der Retter ist da! Jesus der Retter ist da!

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Die biblische Perspektive ist schön und faszinierend. Ist das aber letztlich doch nichts anderes als Literatur, bloße Vorstellung, schöne aber letztlich leere Wunschprojektion? So denken viele heute, weil unsere Zeit Religion für eine Projektion hält, oft nützlich, mitunter schädlich. Erschließen wir das Geheimnis der Gegenwart Gottes noch in einer spekulativen Weise, d.h. in dem wir mit unserem Lied unsere Geschichts- und Selbsterfahrung und die Botschaft des Evangeliums miteinander vermitteln.

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Die dritte Strophe erinnert an das Glaubensbekenntnis: „Heil gebracht“ // „propter nostram salutem descendit de coelis“. Diese Heil hat zwei Dimensionen: eine vertikale und eine horizontale. Zunächst singt das Lied, dass dieses Heil aus des Himmels Höhn komme und darin bestehe, dass wir die Fülle der Gnade sehen, Jesus in Menschengestalt. Sehen ist die Weise, wie wir konkreten Ereignisse und Personen in unserer Geschichte begegnen. Wir erfinden sie nicht, wir erleiden sie zumeist. Die Begegnung, die das Lied vergegenwärtigt, kommt aus: „Himmels Höhn“: Das ist keine Ortsangabe, sondern die Erkenntnis, dass dieses Heil nicht aus unserer Macht und Fähigkeit kommen kann. Heil ist Gabe und diese Gabe von Gott ist die Würdigung des Menschen: daher liegt das Heil darin, dass wir Jesus in Menschengestalt wahrnehmen. Niemand kann und muss sich also seinen Wert und seine Würde verdienen: sie ist uns vorgegeben, bevor wir überhaupt sind. Das erfahren wir in der Begegnung mit diesem Jesus. Er würdigt die Menschen, so wie sie sind, und führt sie hinaus in das neue Leben. Weil Gott so DA ist, können wir die Fesseln der Angst und der Sorge lassen. Es gibt diese Augenblicke der Ewigkeit in unser aller Leben: Da sind wir so weg, dass wir ganz da sind. Alle Texte der Schrift bezeugen diese göttliche Anerkennung des Geschaffenen.

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Diese „ontologische Vertikale“, die als die Macht göttlicher Liebe besungen ist, wird ergänzt, und jetzt wird es aufregend, durch die Horizontale, die unser Lied in Worten ausgedrückt, die an ein Ideal der Aufklärung und der Französischen Revolution erinnert: Fraternitè. Jesus als Bruder umschließt, die Völker der Welt, damit alle Völker, alle Menschen. Die nächste Strophe wird von „aller Welt“ sprechen. Also nicht nur wir KatholikInnen, …, sondern wirklich alle und alles. Mohr konkretisiert die uralte Theologie der Menschwerdung durch die Sehnsucht, die zuerst Schiller besungen (1785) und Beethoven (1824) in seiner Neunten Symphonie, also 6 Jahre nach unserem Lied, vertont hat: Brüderlichkeit umschließt in Jesus alle Menschen. Dieses Kind ist der ontologisch Grund dafür, dass wir mit Recht sagen dürfen: alle Menschen sind Brüder, ja wir müssen heute diese Einseitigkeit korrigieren: Alle Menschen sind Kinder Gottes, alle sind Geschwister[12]. Das Heil aus des Himmels Höhn ruft in die universale Solidarität und Geschwisterlichkeit alle Völker!

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Die klassische, metaphysische Auslegung hatte gesagt, dass in der Menschwerdung des Wortes Gottes, in der Dynamik der göttlichen Liebe, die in Gott die Einheit seines Wesens ausdrückt, alle Menschen ergriffen werden. In der Menschwerdung des Wortes bin ich und die ganze Schöpfung daher in Gott selbst hineingenommen. In diesem menschgewordenen Wort wird die Schöpfung erneuert. Weil die Gottesnähe des Menschen (Gen 1,26) durch die Geschichte aus Gewalt, Begierde, Hass und Zerstörung das Bild des Menschen nahezu zerstört worden ist, wird in der Menschwerdung des Wortes Gottes, die Schöpfung neu geboren. Und ich darf nun aus ganzem Herzen sagen: Auch ich bin wirklich damit gemeint. Das Wort Gottes verbindet sich nicht nur „kollektiv“ mit allen Menschen oder Völkern. Es verbindet sich mit mir, es nimmt mich an und bejaht mich; mich hier, jeden einzelnen von uns hier; - wo auch immer dieses DA geschehen mag. Unser Lied drückt diese metaphysische, also für alle geltende und daher notwendigerweise abstrakt bleibende Aussage, mit der brüderlichen Umarmung aller Völker. Gott erweist sich darin als die unbedingte liebende Bejahung des Menschen und aller Schöpfung.[13] Damit konkretisiert er jenes Lächeln des göttlichen Mundes, das in der zweiten Strophe aufscheint. Die Erscheinung der göttlichen Gnade ist universal, grenzt niemanden aus und stiftet universelle Gemeinschaft.[14] Mohr aber betont die persönliche Begegnung: im Da dieses Lächelns bin ich hineingenommen in den Kreis der erneuerten Menschheit. Erst in der Begegnung mit diesem Kind, dadurch dass ich vom göttlichen Mund angestrahlt werden, geschieht Wandlung.

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Der bald einsetzende und bis heute anhaltende Erfolg dieses Liedes bestätigen das Gesagte. Die Menschen spüren immer wieder die Kraft dieser Vision; eine Hoffnung oft wider aller Hoffnung. Wir sollten es nicht nur kritisch sehen, auch wenn die Melodie zum Überdruss gespielt werden sollte. Denn dieses Lied hat selbst ein Wunder vollbracht. Als am Weihnachtsabend des Jahres 1914 der Kammersänger Walter Kirchhoff im vordersten Graben des Regiments 130 in Flandern „Stille Nacht – Heilige Nacht“ anstimmte, klatschten die französischen Soldaten auf der anderen Seite Beifall und stimmten in das Lied ein. Es kam zu einer Verbrüderung, die Waffen schwiegen.[15]

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Erst in der fünften Strophe klingt jenes Thema, wenn auch zurückhaltend, an, das unsere westliche Theologie so tief geprägt hat. Die Rede vom Zorn Gottes wird im Lied mit „Grimm“ umschrieben. Alle Anspielungen aber an Sühne, Genugtuung und die Notwendigkeit des Leidens und des Kreuzes Jesu kommen nicht zur Sprache. Mohr lebt ganz in und aus der griechischen Vätertheologie. Denn der „Grimm des Herrn“ ist überwunden; ja Mohr sagt: dies sei für den Herrn selbst eine Befreiung; und schon vor urgrauer Zeit, also von Anfang an, sei Schonung verheißen. Welch‘ eine Vorstellung: der HERR selbst ist vom Grimm befreit. Mit diesen beiden Worten „Grimm“ und „Schonung“ spielen die Dramatik der Passion und die Rede vom Zorn Gottes sehr wohl in die stille und heilige Weihnacht hinein; aber ganz anders. Von Anfang aber sind wir von einem Herrn angeschaut, der mit Heil uns bedacht hat. Dieser Blick entwaffnet unsere Rüstungen und Harnische, mit der wir unsere Seele vor Enttäuschungen und Verletzungen zu schützen suchen. Es heilt daher auch unsere Angst vor der Größe und überwältigenden Herrlichkeit des Herrn. Hier darf ich mich ganz öffnen, jetzt ist der Augenblick da, aus ganzem Herzen Gott um seiner selbst willen lieben zu lernen.

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In der letzten Strophe, nachdem wir die Himmelshöhn gesehen und alle Zeiten überblickt haben, kommen wir erstmals an einen Ort, der an die Weihnachtserzählung aus dem Lukas-Evangelium erinnert. An die Hirten auf dem Felde und der Engel Alleluja wird erinnert. Doch deren Ruf verbleibt nicht in der Ferne. Die Nachricht wird durch den Jubel der Engel zugleich in fern und nah ausgerufen: Der Retter ist da. Jesus ist da. Fern und nah: räumlich und zeitlich, kein damals, kein Betlehem als raum-zeitliche Koordinate. Gottesgeburt will immer sein, will jetzt werden. Die uns bekanntere Fassung hat an dieser Stelle geglättet: Christ der Retter ist da. DA! Fern und nah: zeitlich und räumlich ist die Kunde durch nichts beschränkt. Wo ich bin ist Jesus, der Christ, und daher gilt der der Jubel der Engel hier und heute: DA!

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Die mystische Wurzel des Liedes: Wir mögen alle „geistliche Mütter“ werden!

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Wann also wird Weihnacht? Mohr erinnert an die deutsche Mystik, vor allem an Meister Eckhart und Johannes Tauler. Alle sprachen von einer dreifachen Geburt des Wortes Gottes: in Gott selbst, im Stall von Bethlehem und in uns. Angelus Silesius hat diese mystische Tradition in die Sentenz gefasst: „Wird Christus tausendmal zu Bethlehem geboren und nicht in dir, du bleibst noch ewiglich verloren.“[16] Wenn Gott nicht in mir geboren werden sollte, dann sind die erste und die zweite Geburt leer, ja letztlich unerfüllt. Gottes Geburt in mir? Sein DA unter uns hier, in mir, wo auch immer dieses mögliche „Ich“ ist? Wie soll das geschehen? So können wir, wie damals Marie den Engel (Lk 1,34), dieses Lied fragen.

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Alle Mystik und Kontemplation geben uns die Weisung, still zu werden und lehren uns Weg in die Stille. Meister Eckhart spricht von Abgeschiedenheit. Still werden: nicht nur äußerlich, auch innerlich, um so leer zu werden. Wir dürfen durch diese Stille, die Bilder und die Vorstellungen, das Gerümpel auch unserer Frömmigkeit auszuräumen lassen. In der Stille ist nichts zu tun, alles kann gelassen werden. Dann kann das reine DA sich ereignen, heilige Präsenz, reale Gegenwart. Wir sollen, so rät Tauler, das Schweigen zur Gewohnheit, zu einer Grundhaltung werden lassen. Die Mystische Tradition hat diese Stille mit der Nacht in Verbindung gebracht, in der wir neu in Gott geboren werden, und Gott in uns. Meister Eckehart spricht davon, dass es Gott nicht gibt; nicht vorhanden wie die Dinge und ich mir selbst. Diese Stille und diese Nacht einzuüben, ist der Anfang des Himmels hier auf Erden, denn dann ereignet sich Gottesgeburt in uns, dann ist alle Nacht geheiligt. Tauler endet folglich seine Weihnachtspredigt mit einer Gebetsbitte: „Dass wir nun all dieser edlen Geburt Raum geben in uns, damit wir wahre geistige Mütter werden, dazu helfe uns Gott. Amen“[17]

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Unser Lied, „Stille Nacht – heilige Nacht“ hat unzähligen Menschen, verborgen und offen, explizit erfahren oder implizit spüren lassen, dass wir alle zu dieser geistig-geistlichen Mutterschaft gerufen sind. Das Lied erweist uns den wunderbaren Hebammendienst der Gottesgeburt. Wagen wir mit unserem Lied nicht nur im Advent 2018 immer wieder neu diese Stille: Advent, Ankunft des Herrn ist immer, weil er immer DA ist und immer am Kommen ist. Deshalb können wir immer, nicht nur am 24.12. wahre geistliche Mütter.

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Vor dem Herz-Jesu-Bild in der Jesuitenkirche in Innsbruck. Wer bin ich und wer werde ich sein und werden, wenn mich jemand so anschaut?

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Ist das nur Romantik des Kleinkindes, war Jesus nicht auch fordernd, mahnend, richtend?[18] Ich habe dieses Lächeln der Liebe in der Tiroler Frömmigkeitstradition wiedergefunden. Der Blick der Liebe drückt das Wesen dieses Jesus aus. In der Innsbrucker Jesuitenkirche[19] können wir diesem Blick begegnen. Setzen Sie sich einmal, und sei es nur für 10 Minuten, vor das Herz-Jesu-Bild und lassen sie sich anschauen. Verlieren Sie sich einmal ganz in diesem Blick. Er prüft und taxiert mich nicht, er fordert nichts und kein Vorwurf ist in ihm. Er, der Verletzte und durch das Kreuz zermarterte, reicht mir neu sein Herz. Er öffnet sich mir, und riskiert sich noch einmal für mich.[20] Über dem Jakobus-Altar ist verwiesen auf eine Stelle aus dem Matthäus-Evangelium. Sie ist mir mit zu liebsten Stellen in der ganzen Heiligen Schrift geworden. Dort sagt Jesus: „Kommt alle zu mir, die ihr mühselig und beladen seid! Ich will euch erquicken. Nehmt mein Joch auf euch und lernt von mir; denn ich bin gütig und von Herzen demütig; und ihr werdet Ruhe finden für eure Seele. Denn mein Joch ist sanft und meine Last ist leicht“ (Mt 11,28-30). Kommt alle zu mir: „Ich bin, der ich bin DA“! Das Lächeln Gottes ist das Wesen dieses Kindes, auch als Mann, als er uns solches verspricht. Was dieser Blick bewirkt, lässt sich in folgender autobiographisch gefärbter Erzählung nachvollziehen:

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„Im Evangelium nach Lukas lesen wir das Folgende: Aber Petrus sagte: ‚Mann, ich weiß nicht, wovon du sprichst.‘ Während er das sagte, krähte ein Hahn; und der Herr drehte sich um und blickte Petrus direkt an ... und Petrus ging hinaus und weinte bitterlich. Ich hatte ein ziemlich gutes Verhältnis zu dem Herrn. Ich pflegte ihn um Dinge zu bitten und mich mit ihm zu unterhalten, ihn zu loben und ihm zu danken. Aber ich hatte stets das unangenehme Gefühl, er wolle mich veranlassen, ihm in die Augen zu sehen. Und ich wollte nicht. Ich redete zwar, blickte aber weg, wenn ich spürte, dass er mich ansah. Immer sah ich weg, und ich wusste warum. Ich hatte Angst, einen Vorwurf dort zu finden wegen irgendeiner noch nicht bereuten Sünde. Ich dachte, ich würde auf eine Forderung stoßen: irgendetwas wollte er wohl von mir. Eines Tages fasste ich Mut und blickte ihn an! Da war kein Vorwurf. Da war keine Forderung. Die Augen sagten nur: „Ich liebe dich.“ Ich blickte lange in diese Augen, forschend blickte ich in sie hinein, doch die einzige Botschaft lautete: „Ich liebe dich“. Und ich ging hinaus, und wie Petrus weinte ich.“[21]

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Anmerkungen

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[1] Alle Verweise zu den einschlägigen Internetseiten mit einer ersten historischen Orientierung in „Wikipedia“: https://de.wikipedia.org/wiki/Stille_Nacht,_heilige_Nacht. Faksimile unter: http://www.stillenacht2018.org/;

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Die zahlreichen Übersetzungen können eingesehen werden unter: http://www.silentnight.web.za/ .

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[2] Dieser Text geht auf einen Vortrag im November 2018 in Mieming/Tirol zurück. Die mündliche Rede sollte deshalb auch in dieser schriftlichen Fassung nicht gänzlich überschrieben werden. Zu dieser Rede gehört es, dass wir gemeinsam alle Strophen des Liedes gesungen haben. Dazu sind auch die LeserInnen dieser Fassung eingeladen.

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[3] Im neuen „GOTTESLOB“ findet sich der Text zweimal: im allgemeinen Teil mit den drei üblichen Strophen (GL 249), im Anhang in der Urfassung (Österreichteil: 803) mit Übersetzungen in slowenischer, burgenländisch-kroatischer, rumänischer und ungarischer Sprache). Es ist im GL das einzige Lied mit so vielen Übersetzungen. Dies ist sonst nur bei lateinischen Gesängen üblich.

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[4] Siehe: Berthold Egelseder OSB: Mohr, Joseph. In: Neue Deutsche Biographie (NDB). Band 17, Duncker & Humblot, Berlin 1994, ISBN 3-428-00198-2, S. 709 f (https://www.deutsche-biographie.de/gnd118734504. html#ndbcontent; mit Literaturangaben und weiteren Links, z.B.: https://www.stillenacht.com/de/ protagonisten/ joseph-mohr/). Siehe auch: Hlavac, Dietlinde, Joseph Mohr (1792-1848). Das Leben des Stille Nacht-Dichters. Bertesgaden: Verlag Plenk 2015.

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[5] Siehe als Überblick: Lehner, Ulrich L., Die katholische Aufklärung. Weltgeschichte einer Reformbewegung, Paderborn [u.a.] 2017.

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[6] Siehe die deutsche Werkausgabe mit den entsprechenden Einleitungen: Bartolomé de Las Casas, Werkauswahl. 4 Bände. Herausgegeben von Mariano Delgado. Paderborn 1994–1997.

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[7] „Es ist ein schlichtes Wiegenlied im getragenen Siciliano-Rhythmus. Dem sagt man Zärtlichkeit und schöne Melancholie nach. Im Barock und in der Klassik wurde er oft für Hirtenidyllen verwendet, nicht nur geistliche, auch sehr weltliche. Zum Beispiel singt Pamina in Mozarts Oper „Die Zauberflöte“ ihre wundersame, um vermeintlich verlorene Liebe trauernde Arie in diesem Rhythmus. Dagegen lässt Joseph Haydn in seinem Oratorium „Die Schöpfung“ darin den Frühling preisen. Sicher kannte Gruber geistliche Siciliano-Sätze aus seiner täglichen Arbeit in den Kirchen von Arnsdorf und Oberndorf, wahrscheinlich sogar solche von J.S. Bach, den Brüdern Haydn oder Mozart. Vorbilder gibt es genug, doch die Einheit von Text und Musik stammt von Mohr und Gruber. Das Lied ist in deutscher Sprache, die Weise ist im besten Sinne volkstümlich, der Rhythmus kommt aus den Dudelsäcken sizilianischer Hirten. Der Text lässt sich gut übersetzen. Dem Zauber der innigen Komposition können selbst Menschen nicht entkommen, die anderen Religionen angehören oder Atheisten sind. Die hat damit zu tun, dass sich darin die Kraft der Weihnachtsgeschichte in einfachen Worten und Motiven spiegelt. Dass die Musik nicht triumphierend klingt, sondern anrührend. Manche Menschen rührt das Lied zu Tränen, was am Schwermut suggerierenden Rhythmus liegen mag – auch Pamina weint sozusagen singend. Andere bewegt es eher zu einem glücklichen Lächeln. Man kann dazu sogar unter Tränen lachen. Das Lied ist nicht liturgisch und streng, es ist ein Liebeslied für ein neugeborenes Kind. Es ist ein Lied des Friedens, voll klingender Spiritualität, die Grenzen überwindet. Und es ist zeitlos. Es gehört all jenen in der Welt, die guten Willens sind“ (Professor Gottfried Kasparek, in: https://www.stillenacht.com/de/das-lied/wissenschaftliche-sichtweise/).

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[8] Confessiones/Bekenntnisse I, 1. Ich erinnere mich auch an die Sätze, mit der Ernst Block sein „Prinzip Hoffnung“ beendete: „Der Mensch lebt noch überall in der Vorgeschichte, ja alles und jedes steht noch vor Erschaffung der Welt, als einer rechten. Die wirkliche Genesis ist nicht am Anfang, sondern am Ende, und sie beginnt erst anzufangen, wenn Gesellschaft und Dasein radikal werden, das heißt sich an der Wurzel fassen. Die Wurzel der Geschichte aber ist der arbeitende, schaffende, die Gegebenheiten umbildende und überholende Mensch. Hat er sich erfaßt und das Seine ohne Entäußerung und Entfremdung in realer Demokratie begründet, so entsteht in der Welt etwas, das allen in die Kindheit scheint und worin noch niemand war: Heimat“ (Prinzip Hoffnung, S. 1628). Doch unser Lied setzt eine andere Wurzel der Geschichte gegenwärtig: Die Gnade und Gabe aus den himmlischen Höhn. Ist Heimat machbar, oder doch ein Geschenk, wenn sie nicht zur Hölle unserer Machbarkeit werden soll?

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[9] In gleicher Zeit beschreibt ein dänischer Philosoph, Sören Kierkegaard, diese Verrücktheit Gottes in der Parabel vom verliebten König (Philosophische Bissen. Übersetzt mit Einleitung und Kommentar herausgegeben von Hans Rochol. Hamburg 1989, 22-35). Bei Kierkegaard ist diese Erzählung als Parabel in eine an Sokrates verdeutliche Theorie des Lehrens und Lernens eingefügt, die nicht zu Demütigung und Abhängigkeit führt. Diesen komplexen Zusammenhang vernachlässigen jene Erzählungen, die die Parabel vom verliebten König und der armen Müllerstocher oft in einer Weihnachtspredigt aufnehmen: Ein König verliebte sich in ein Mädchen aus ärmlichen Verhältnissen, ohne adeligen Stammbaum und ohne Bildung. Es wohnte in einer armseligen Hütte und lebte als Bäuerin. Aber der König verliebte sich in diese Frau. Und er konnte nicht aufhören, sie zu lieben. Aber dann machte sich im Herzen des Königs eine Sorge breit: Wie konnte er dieser Frau seine Liebe offenbaren? Wie konnte er die Kluft zwischen ihnen überbrücken? Seine Ratgeber sagten ihm natürlich, er solle ihr einfach befehlen, seine Frau zu werden. Denn er war ein Mann, der alle Macht dazu besaß. Er hätte ihr befehlen können, in seinen Palast zu kommen, aber Macht kann keine Liebe erzwingen. Er könnte sich ihren Gehorsam sichern, aber erzwungene Unterwerfung war nicht, was er wollte. Er sehnte sich nach Vertrautheit und Liebe. Alle Macht der Welt kann die Tür eines Herzens nicht aufschließen. Sie muss von innen geöffnet werden. Der König konnte die Frau auch in den Adel erheben, sie mit Geschenken überschütten, sie sogar zur Königin krönen lassen. Wenn sie seinen Reichtum, seine Macht und Größe sähe, wäre sie wahrscheinlich überwältigt. Wie könnte er dann aber jemals wissen, ob sie ihn wirklich liebte, um seiner selbst willen oder nur um all dessen willen, was er hatte und ihr gab? Wäre sie in der Lage, genug Vertrauen aufzubringen, um das zu vergessen, was der König zu vergessen wünschte, nämlich dass er König war und sie ein armes Bauernmädchen? Es gab nur eine Alternative, wie er sein Ziel erreichen konnte. Der König verließ seinen Thron, setzte seine Krone ab, legte sein Zepter weg und zog seinen Purpurmantel aus. Er wurde selbst zum Bauern. Er nahm nicht nur die äußere Gestalt eines Bauern an, sondern sein ganzes Leben, sein Wesen, seine Last. Auch wenn das ein großes Risiko war, dann würde sich ehrlich und klar zeigen, wie es um die Liebe des Mädchens bestellt sei (siehe: https://heukelbach.org/der-sinn-von-weihnachten/). Diese Geschichte wird aber auch im Sinne Kierkegaards als Beispiel für Lehren und Lernen in ähnlicher Verkürzung erzählt: https:// lehrerermutigungstreffen.de/wp-content/uploads/2013/01/Der-K%C3%B6nig-und-das-Bettelm%C3%A4dchen.pdf). Alle abgefragt am 9.12.2018.

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[10] Die Tendenz der griechischen Väter hat Gregor von Nazianz in die Formel gebracht: »Das, was nicht angenommen wurde, wurde nicht geheilt« (Ep 101,32: Sources Chretiens 208, 50).

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[11] Ein bedeutender Denker unserer Zeit, Jacques Monod, hat das so ausgedrückt: „Wenn er diese Botschaft in ihrer vollen Bedeutung aufnimmt, dann muß der Mensch endlich aus seinem tausendjährigen Traum erwachen und seine totale Verlassenheit, seine radikale Fremdheit erkennen. Er weiß nun, daß er seinen Platz wie ein Zigeuner am Rande des Universums hat, das für seine Musik taub ist und gleichgültig gegen seine Hoffnungen, Leiden oder Verbrechen“ (Monod, Jacques, Zufall und Notwendigkeit., 4. Aufl., München 1979, 151).

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[12] Ohne die Bedeutung der „fraternité“ zu schmälern, ist heute dieses Ideal so auszusprechen, dass wirklich alle Menschen, also auch die Frauen, sich darin wiederfinden können.

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[13] Diese Formulierung geht auf Thomas Pröpper zurück, der Gott als die unbedingt entschiedene Liebe zum Menschen (und der Schöpfung) einführt (siehe: Pröpper, Thomas (Hg.), Theologische Anthropologie. 2 Bände (Gesamtzählung), Freiburg - Basel - Wien 2011).

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[14] Die Konsequenz dieser Inkarnationstheologie ist das Bekenntnis zum universalen Heilswillen Gottes, der sich im Leben, Sterben und Auferstehen Jesu Christi endgültig und unwiderruflich der Welt mitgeteilt hat. In diesem Bekenntnis liegt die Mitte der Theologie Karl Rahners, der zum ersten Mal von diesem universalen Heilswillen Gottes her das Christentum zu verstehen suchte (siehe: Batlogg, Andreas R./u.a. (Hg.), Der Denkweg Karl Rahners. Quellen, Entwicklungen, Perspektiven, 2. Aufl., Mainz 2004).

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[15] Christian Bunnenberg: Dezember 1914: Stille Nacht im Schützengraben – Die Erinnerung an die Weihnachtsfrieden in Flandern. In: Tobias Arand (Hrsg.): Die „Urkatastrophe“ als Erinnerung – Geschichtskultur des Ersten Weltkriegs. ZFL, Münster 2006, (= Geschichtskultur und Krieg I) S. 15–60

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[16] Angelus Silesius (Johannes Scheffler), Cherubinischer Wandersmann. Kritische Ausgabe. Herausgegeben von Louise Gnädinger. Stuttgart 1985, I, 61. Er spricht auch an anderer Stelle in der Tradition der Deutschen Mystik. So sollte unser Herz selbst Krippe und wir Maria werden (ebd., II, 53; I, 23). Und Gott müsse in mir geboren werden, weil er mich zur Mutter erkoren (ebd., III, 238). Das Wort werde heute noch geboren, wo wir in uns selbst verloren (ebd., III, 188). Ja er sagt sogar, dass Gott sich selbst verloren hätte (ebd., I, 201). Paul Gerhardt nimmt diese mystische Tradition in seinen Lieder immer wieder auf, vor allem in: „Ich steh an Deiner Krippe hier“. Das sollte heue nicht mehr verwundern, weil gegen die Behauptung von Harnack wir erkennen, dass Martin Luther tief von Johannes Tauler geprägt worden war (siehe: Leppin, Hartmut, Die fremde Reformation. Luthers mystische Wurzeln, München 2016).

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[17] Johannes Tauler. Herausgegeben, eingeleitet und übersetzt von Louise Gnädinger. Olten: Walter 1983, Puer natus est nobis et filius datus est nobis – Ein Kind ist uns geboren und ein Sohn ist uns geschenkt (Jes 9,5), 65-72, hier 72.

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[18] Das betonen jüngst gegen Verkitschung und Verharmlosung: Hermann Glettler/Michael Lehofer, Die fremde Gestalt. Gespräche über den unbequemen Jesus. Graz: Styria 2018. Gerade der Blick auf die von der Passion und dem Kreuz geprägte Symbolik der Herz-Jesu-Theologie lässt einen möglichen Gegensatz von Inkarnation und Passion nicht zu. Ich bin davon überzeugt, dass nicht das Kreuz, sondern die Haltung des Gekreuzigten erlöst, uns befreit. Diese Haltung drückt sich in der Symbolik seines Herzens aus. In der Tradition der mittelalterlichen Mystik des Herzenstausch werden wir dadurch aufgefordert, wie Jesus selbst auf Ungerechtigkeit und Gewalt zu antworten.

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[19] Siehe: http://herz-jesu-bulletin.blogspot.com/2012/12/das-herz-jesu-bild-in-der-innsbrucker.html

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[20] Meine Erfahrung habe ich versucht in Meditationen auszudrücken. Siehe: Siebenrock, Roman A., Das Siegel der Liebe Gottes. Kleine Theologie des Herzens Jesu. Herz-Jesu-Betrachtungen 2014, in: Korrespondenzblatt des Canisianums, Jg. 147, H 2 / Wintersemester 2014/15 (2015), S. 17–29.

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[21] Mello, de Anthony, Warum der Vogel singt, Freiburg - Basel - Wien 2000, 86.

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