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Himmlische Akrobaten. Predigt zu Allerheiligen / Allerseelen

Autor:Niewiadomski Jozef
Veröffentlichung:
Kategoriepredigt
Abstrakt:
Publiziert in:
Datum:2018-11-05

Inhaltsverzeichnis

Inhalt

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im Anschluss an Offb 7,2-4.9-14 und Mt 5,1-12a, gehalten in der Jesuitenkirche am 1. November 2018 um 11.00 Uhr.

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Die Augen der Kinder glänzten, als der berühmte Akrobat mit ihnen sprach. Die Kinder haben gerade die Nachmittagsvorstellung im Zirkus besucht. Sie sahen den Flieger oben auf dem Trapez. Es hat ihnen regelrecht den Atem verschlagen, als sie den halsbrecherischen Salto mortale sahen. Und nun saß er direkt vor ihnen und fragte sie: „Was glaubt ihr, wer der Star des Trapezes ist?“ „Du!“, schrien unisono alle Kinder. „Falsch!“, entgegnete der Akrobat, „der eigentliche Held und damit auch der Star: das ist mein Fänger. Ich mache bloß ein paar Drehungen in der Luft. Er dagegen“ – die Kinder hielten den Atem an – „er muss mich fangen. Ganz präzise in jenem Bruchteil der Sekunde fangen, wenn ich auf ihn in der Luft zusteuere. Ich strecke nur meine Arme aus, fliege und warte, dass er mich auffängt.“ Die Augen der Kinder wurden größer und größer. Sie glaubten, der Flieger will sie absichtlich täuschen. „Und du? Du machst gar nichts?“, fragte schließlich eines der Kinder. „Eigentlich nicht“, sagte der Flieger. „Wisst ihr was? Das wäre das Schlimmste, was ein Flieger tun könnte, wenn er versuchen würde, den Fänger selber zu fassen. Da wird er nur seine Handgelenke verstauchen. Und die Handgelenke des Fängers auch. Der Flieger springt, der Fänger fängt. Der Flieger muss vertrauen, der Fänger darf das Vertrauen nicht enttäuschen.“ Verdutzt saßen die Kinder da. Es scheint, sie haben den Worten des Fliegers doch nicht ganz geglaubt.

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Liebe Schwestern und Brüder, geht es uns nicht ähnlich beim Hören der heutigen Lesung? Wenn das großartige Bild vor unseren Augen auftaucht: die große Schar auf dem himmlischen Trapez. Niemand kann sie zählen. Menschen aus allen Nationen und Stämmen, Völkern und Sprachen. Menschen, deren Lebensgeschichten – v. a. jene Lebensgeschichten, die zu Legenden mutiert sind – den Kindern früher die Sprache verschlugen und auch heute noch verschlagen! Der hl. Georg etwa, der den Drachen bezwang; Ursula: fast der Prototyp der modernen, selbstbewussten Feministin, mit einer Menge von Genossinnen auf ihrem Schiff, lacht sie ihre Verfolger aus; Franz Xaver, der Abenteurer par excellence, der die fernen Länder bereist und allen möglichen Gefahren trotzt. Sie alle und unzählige andere Frauen und Männer, Kinder und Greise: sie alle sind doch himmlische Akrobaten, meisterhafte Flieger, jeder auf seine Art und Weise ein Weltmeister, eine Weltmeisterin. Nicht nur die Heiligen der alten Tage, auch unsere Zeitgenossen, jene, deren Salti mortali wir alle mit eigenen Augen gesehen haben: Johannes Paul II., Oscar Romero, Franz Jägerstätter, Maximilian Kolbe, Edith Stein, … Niemand kann sie zählen!

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Die unzähligen Flieger auf dem himmlischen Trapez feiern heute ihr Fest, stehen im Rampenlicht, genießen den Applaus der Kirche, vermitteln aber uns allen dieselbe Botschaft, die schon der Flieger aus dem Zirkus den Kindern zu vermitteln suchte. „Glaubt ihr, dass wir die Stars des himmlischen Trapezes sind? Nein! Unser Fänger ist es. Wir haben bloß ein paar Drehungen in der Atmosphäre der Weltgeschichte vollbracht, sind mehr schlecht denn recht durch die Luft der Zeiten und der Orte geflogen. ER – unser Fänger – musste uns auffangen. Ihm gebührt der Applaus. Das Einzige, was wir uns zugutehalten können, ist vielleicht das Faktum, dass wir ihm vertrauten: vertrauten, dass er uns fangen wird, vertrauten, dass er uns auffangen wird dort, wohin wir auch fliegen. Denn: gerade dieses Vertrauen machte uns selbstsicher bei unseren Sprüngen und Flügen. Deswegen überhört bitte nicht unseren Toastgesang. Wir heben unsere himmlischen Gläser hoch und singen: Lob sei unserem Gott in alle Ewigkeit. Denn auch unsere Rettung kam von ihm, von dem, der auf dem Thron sitzt und von dem Lamm. Nicht wir selber haben uns beim Flug unseres Lebens aufgefangen!“

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Dieser allzu harmonische Gesang der himmlischen Schar wird deutlich durch irdische Dissonanzen gestört. Denn …: gerade angesichts des so schönen Bildes vom Himmel wollen die schmerzhaften Fragen nicht verstummen. „Was ist mit jenen, die beim Flug ihres Lebens abgestürzt sind? Was mit jenen, die beim Sturz im Netz des sprichwörtlichen Fegfeuers gelandet sind oder gar auf den harten Boden geprallt und im Abgrund der Hölle liegen? Verletzt, ressentimentgeladen, in sich verkrümmt, einer geballten Faust nicht ganz unähnlich, einer Faust, die nur noch schlägt und verletzt, vor allem sich selber verletzt? Was ist mit jenen, die beim Flug ihre Hände nicht ausgestreckt haben, weil sie das nicht wollten oder aber nicht konnten. Was ist mit jenen, die also die fangenden Hände des himmlischen Fängers nicht fangen konnten? Was ist mit jenen, die das Vertrauen verloren haben oder gar dieses Vertrauen niemals hatten?“

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Liebe Schwestern und Brüder, das Zwillingsfest Allerheiligen – Allerseelen sucht uns allen eine Antwort auf diese Fragen zu geben, eine Antwort, die von Hoffnung getragen ist. Zum einen bleibt diese Antwort geprägt durch das Verhalten jenes himmlischen Fängers, der im heutigen Lesungstext mit dem wunderschönen Namen: „das Lamm“ bezeichnet wird. Christus, der menschgewordene Sohn Gottes, fängt nicht nur von oben auf, er selber steigt hinunter bis auf den harten Boden, auf dem die missglückten Flieger landen. ER steigt herab, damit sie – die ja dort verletzt, verkrümmt, in der Einsamkeit der gescheiterten Flieger eingeschlossen liegen – dort nicht verloren gehen. Etliche Glaubensbekenntnisse und mutige Theologen sprechen in diesem Zusammenhang vom Abstieg Christi in die Hölle. Zum anderen aber – und das ist das Tüpfelchen auf dem „I“ des katholischen Glaubens – ist diese unüberschaubare Zahl der Flieger auf dem himmlischen Trapez – und auch das ist die Regel im Zirkus, wo die Flieger irgendwann selber zu Fängern werden – zu Fängern geworden. Die Feste Allerheiligen – Allerseelen rücken ins Bewusstsein der irdischen Kirche, in unser aller Bewusstsein, das Vertrauen, dass die große Schar, die ja heute mit den himmlischen Gläsern den göttlichen Fänger feiert, dass diese himmlische Schar vom himmlischen Trapez aus die unzähligen verletzten Flieger, jene Flieger, die ihre Hände nicht ausstrecken, dass sie diese Flieger aufzufangen hilft. Diese himmlischen Akrobaten stehen ja uns allen, die wir uns noch im Modus des Fluges befinden, bei, sie treten für uns ein und helfen uns.

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Das gilt uns allen, vor allem aber gilt dies für jene Situationen, in denen wir versucht sind, in der Situation der Not andere zu vergessen, uns bloß auf uns selber zu konzentrieren, uns deswegen aus der Gemeinschaft zu isolieren. Da reißen sie uns aus unserer Isolation heraus, integrieren uns in der allumfassenden Gemeinschaft des „katholischen Himmels“. Eines haben wir ja auf jeden Fall mit der großen Schar im Himmel gemeinsam. Auch wir kommen aus der großen Bedrängnis, weil auch wir des Öfteren nicht mehr ein und aus wissen, weil uns oft die Luft ausgeht, weil uns das Alter oder Krankheiten zusetzen, weil wir gerade den Arbeitsplatz verloren haben und nun abzustürzen drohen in die Depression, weil wir sitzengelassen wurden vom Lebenspartner oder auch verlassen von Kindern. Wir alle sind noch diese Flieger, die unterwegs sind zum himmlischen Trapez, zu der großen Schar der Heiligen, wir, die wir trauern, hungern und dürsten nach Gerechtigkeit. Wir, die wir allzu oft das Vertrauen in die allmächtige Kraft des himmlischen Fängers verlieren, wir werden dauernd von jener großen Schar der längst im Himmel beheimateten Flieger unterstützt, die nun selber zu Helfershelfern des himmlischen Fängers geworden sind. Wenn das nicht ein Hoffnungsbild ist? Für uns, für die Unsrigen, für Lebende und Tote? Eben: für die Armen Seelen!

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