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Predigt zur gegenwärtigen (kirchlichen) Situation vor dem Hintergrund von Mk 7,1-23

Autor:Niewiadomski Jozef
Veröffentlichung:
Kategoriepredigt
Abstrakt:
Publiziert in:
Datum:2018-09-03

Inhaltsverzeichnis

Inhalt

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Predigt zur gegenwärtigen (kirchlichen) Situation vor dem Hintergrund von Dtn 4,1-2.6-8; Mk 7,1-8.14-15.21-23, gehalten in der Jesuitenkirche am 2.09.2018 um 11.00 Uhr.

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Ja, sie nehmen Anstoß an ihm, skandalisieren sich daran, dass sein Verhalten unkonventionell ist, dass seine Worte alles andere als politisch korrekte Kommentare bleiben. Und je mehr sie sich an ihm skandalisieren, umso stärker scheint er sie anzuziehen. Dem schmerzenden Zahn nicht ganz unähnlich: man weiß genau, dass jede Berührung mit der Zunge wehtun wird, und gerade deswegen – gleichsam unwillkürlich wandert die Zunge zum schmerzenden Zahn. Auf dass es weh tut!

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Liebe Schwestern und Brüder, das Verhältnis der Gegner Jesu zum Propheten aus Galiläa lässt sich am besten in der Logik des Skandals beschreiben. Ganz gleich, was Jesus tut oder sagt oder auch nicht tut, die Reaktion der Gegner ist immer dieselbe: sie sind empört. Sie nehmen Anstoß an ihm. Lässt er sich zum Fest einladen, erfreut er sich am Essen und Trinken, an der Tischgemeinschaft, so sehen sie in ihm einen Säufer und Fresser. Wendet er sich den Leidenden zu, befreit er sie von ihrer Last, so stilisieren sie ihn zum Partner der Dämonen, mit deren Hilfe er „Wunder“ vollbringt. Übertritt er die Sabbatgebote, weil er am Sabbat den anderen Menschen, den Menschen in Not hilft, so wird er ihnen zum gottlosen Narren; kümmert er sich um den Tempel, so wird er zum Gotteslästerer erklärt. Die skandalisierten Pharisäer, Schriftgelehrten und Sadduzäer reiben sich an Jesus, er stößt sie ab, aber gerade deswegen können sie von ihm nicht ablassen. Im heutigen Evangelium scheint der Grund des Ärgernisses, der Grund des Skandals geradezu banal zu sein. Die hungrigen Jünger haben sich die Hände nicht gewaschen, damit freilich eines der vielen Gebote übertreten: schon sind die Zeigefinger ausgestreckt. „Schau mal, die Scheinheiligen! Doppelmoral! Vom Willen Gottes rede man auf Schritt und Tritt und kümmert sich nicht um die Einhaltung der Gebote.“

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Die Pharisäer und Sadduzäer waren keineswegs boshaft, geschweige denn falsch und korrupt. Sie nahmen ihren Glauben ernst. Die Weisungen der heutigen Lesung nahmen sie beim Wort, suchten alle Gebote peinlich zu erfüllen. Nur…: nur die Lust am Skandal schien ihnen die Lust an Gott und seiner Sache ersetzt zu haben. Deswegen hielten sie ihre Augen offen, schielten auf andere, suchten überall nach den Zeichen des Glaubensabfalls, nach Spuren von Doppelmoral. Deswegen witterten sie überall die Scheinheiligkeit.

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„Skandalon“: der griechische Begriff im Neuen Testament lässt sich übersetzen als „Falle, in die man hineintappt“, sobald man an diese allzu nahe kommt. Da wird der Mechanismus ausgelöst, die Falle schnappt zu, man ist gefangen. Gefangen in der Skandalmentalität! „Selig diejenigen, die an mir keinen Anstoß nehmen“, sagt Jesus. Er warnt vor der Logik des Skandals, weil er genau weiß, dass die Logik des Skandals allzu leicht die Logik des Evangeliums ersetzen kann. Anstatt der Faszination an der tagtäglich sich ereignenden Befreiung aus Zwängen, der Faszination der Befreiung aus Nöten, der Faszination der Befreiung aus Ängsten, der Faszination an Lebenslust, anstatt also der Faszination am erlebten Evangelium gibt man sich der Faszination am Ärgernis hin, der Faszination am Skandal, der Faszination an jenem Stein, der scheinbar unverrückbar mitten auf meinem Lebensweg liegt. So liegt, dass ich an ihm anstoßen muss, stolpern, gar fallen werde: fallen in die Falle hinein!

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Liebe Schwestern und Brüder, warum diese Überlegungen? Missbrauch, sexueller Missbrauch Minderjähriger ist ein schweres Vergehen – nicht nur ein Vergehen gegen ein Gesetz, sondern ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit – das immer und immer wieder in menschlichen Gesellschaften vorkommt, und dies trotz aller Strafen und Präventionen. Er kann banalisiert werden, verharmlost. Er kann aber auch – wie alles andere – zu einem Stolperstein werden, an dem die Menschen immer und immer wieder stolpern, zu einem schmerzenden Zahn, den man immer wieder berührt. Verstehen Sie mich bitte nicht falsch. Deuten Sie meine Worte nicht als Verharmlosung. Aber: seit mehr als zehn Jahren wird die mediale Berichterstattung über die Kirche vom Thema Missbrauch dominiert. Einmal ist es der Fall aus der jüngsten Gegenwart in der Nachbarschaft, ein andermal sind es Ereignisse aus den 70-er Jahren in Australien, dann wiederum die 50-er, oder 80-er in Amerika. Die Autoren und noch mehr die Rezipienten solcher Berichte gleichen immer mehr den Gegnern Jesu. Keineswegs böswillig und auch keineswegs falsch, geben sie sich, geben wir uns der Faszination des Skandals hin. Wir nehmen Anstoß, wir empören uns, weisen mit dem Zeigefinger auf andere – auf Priester, Bischöfe, inzwischen auch auf den Papst –, auf „Vertuscher“, auf Menschen mit Doppelmoral, und wir verdrängen das tagtäglich erlebte Evangelium. Die Lust am Skandal kann leicht die Lust auf Gott und seine Sache ersetzen. Gerade in einer hoffnungsarmen Gesellschaft. Da braucht man nur die Berichterstattung unserer Medien auf die tagtäglich sich überbordenden Skandalschlagzeilen anzuschauen.

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„Die Freude des Evangeliums erfüllt das Herz und das gesamte Leben derer, die Jesus begegnen. Diejenigen, die sich von ihm retten lassen, sind befreit von der Sünde, von der Traurigkeit, von der inneren Leere und von der Vereinsamung. Mit Jesus Christus kommt immer und immer wieder die Freude“, schrieb Papst Franziskus vor 5 Jahren in seinem ersten apostolischen Schreiben „Evangelii Gaudium“. Heute – fünf Jahre danach – glauben viele, dass diese Worte bloß ein frommer Wunsch waren, ohne Bodenhaftung in der Kirche. So wie sie nun einmal ist. Die abgründige Faszination am Skandal besetzt immer mehr die Vorstellungskraft (auch) der Katholiken, gar etlicher Priester und  Bischöfe. „Selig diejenigen, die keinen Anstoß nehmen an mir“, sagt Jesus, denn gerade sie werden die Freude des Evangeliums nicht übersehen. Sie werden Evangelii Gaudium erleben. Und dies tagtäglich. Beten wir für unsere Kirche, beten wir für Papst Franziskus …

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