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Auf die Person sehen – nicht auf das Drumherum
(Gedanken zum 6. Sonntag der Osterzeit 2018 (LJ B))

Autor:Wandinger Nikolaus
Veröffentlichung:
Kategoriepredigt
Abstrakt:Die heutige Lesung behauptet, dass Gott nicht auf die Person sieht. Das erscheint seltsam - doch das Problem lässt sich lösen ...
Publiziert in:
Datum:2018-05-09

Inhaltsverzeichnis

Inhalt

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Lesungen: Apg 10,25 -26.34-35.44-48; (1 Joh 4,7-10); Joh 15,9-17

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Liebe Gläubige,

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die Lesung aus der Apostelgeschichte gibt uns heute nur ganz kurze Ausschnitte aus einer längeren Begegnungsgeschichte wieder: Der Heilige Geist bringt den heidnischen Hauptmann Kornelius und den Apostel Petrus zusammen. Das ist gar kein leichtes Unterfangen – und doch gelingt es. Und als Petrus merkt, dass es wirklich der Heilige Geist ist, der ihn hierher geführt hat, hat er eine für ihn sehr überraschende Einsicht: „Wahrhaftig, jetzt begreife ich, dass Gott nicht auf die Person sieht, sondern dass ihm in jedem Volk willkommen ist, wer ihn fürchtet und tut, was recht ist.“ (Apg 10,34)

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Ich muss zugeben, dass ich mich immer wieder an dieser Formulierung stoße: Gott sollte nicht auf die Person sehen? Glauben wir denn nicht, dass Gott gerade jeden Menschen, jede Person, individuell – oder eben besser – persönlich sieht und anspricht?

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Ich denke, das trifft zu. Warum aber scheint Petrus hier das Gegenteil zu sagen? In diesem Fall half es mir, meine schon etwas eingerosteten Griechischkenntnisse zu aktivieren: Das altgriechische Wort für Person – Prosoopon – meint nämlich etwas anderes als unser moderner Personbegriff. Es stammt aus der Theatersprache. Im antiken Theater spielten die Schauspieler mit Masken vor dem Gesicht, die bereits zum Ausdruck brachten, was die Schauspieler verkörpern sollten. So eine Maske hieß Prosoopon. Nicht die darunter liegende Person des Schauspielers heißt so, sondern die nach außen aufgesetzt Maske; nicht die Person, die dahintersteht, sondern die persona, die nach außen zur Schau gestellt wird. Gott schaut nicht auf dieses zur Schau gestellte Äußere, auf die Maske, die wir aufsetzen, um gut dazustehen, sondern auf das, was jemanden im Innersten ausmacht – die Einstellung zu Gott –, und das, was jemand aus dieser Einstellung heraus tut.

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Für Petrus und seine Begleiter war dies tatsächlich eine ungeheuer umstürzende Erkenntnis: Nicht das Beachten der jüdischen Speisevorschriften, nicht die Kenntnis des Gesetzes, nicht die Vertrautheit von Sitten, Gebräuchen oder der Sprache, nicht die persönliche Sympathie oder Freundschaft sind ausschlaggebend, denn Gott sieht nicht auf das Prosoopon; er sieht nicht auf das, was wir tun, damit andere es sehen. Genau das hat auch Jesus gepredigt. Doch nun wird dem Petrus deutlich, dass dies nicht nur innerhalb des ihm wohlvertrauen Judentums gilt, sondern über die Grenzen seiner Glaubensgemeinschaft und seiner Kultur hinaus. Was zählt ist nicht die Persona, das Drumherum, sondern die Gottesliebe im Herzen und ein rechtes Handeln eben nach dieser Gottesliebe.

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Halt! – werden jetzt Aufmerksame unter Ihnen sagen. Da war doch von Gottesfurcht die Rede und nicht von Gottesliebe. Sie haben Recht. Petrus sprach von der Gottesfurcht. Aber Jesus im Evangelium sprach von der Liebe. Auch dem Petrus geht es nicht um Angst vor Gott, es geht ihm um eine demütige Ehrfurcht. Und doch setzt Jesus einen anderen Akzent, wenn er von der Liebe spricht, und ich denke, er will uns einladen, einen Weg zu gehen von der Gottesfurcht zur Gottesliebe.

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Den Unterschied macht er sehr deutlich: Der Knecht muss seinen Herrn fürchten, weil er nie genau weiß, was der vorhat. Und ich denke, uns geht es durchaus manchmal so mit Gott. Zweifel kommen auf, ob er es wirklich gut mit uns meint, vor allem dann, wenn uns Schicksalsschläge treffen und wir mit Leid konfrontiert sind. Die Frage: „Wie kann Gott das zulassen?“, ist dann schnell gestellt.

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Jesus aber erklärt uns: „Wie mich der Vater geliebt hat, so habe auch ich euch geliebt.“ (Joh 15,9). Diese Aussage ist doch sehr erstaunlich, wenn man erwartet, dass Gott jene vor Leid und Schicksalsschlägen bewahrt, die er liebt. Gerade davor hat er Jesus nicht bewahrt. Und in dem Moment, in dem Jesus dies erfahren musste – am Kreuz –, fühlte auch er sich von Gott verlassen (vgl. Mk 15,34 par.) Wir müssen uns also nicht schämen, wenn es uns gleich geht. Dennoch zeigt uns das heutige Evangelium, dass Jesus im Letzten überzeugt davon ist: Gott liebt ihn und er, Jesus, liebt uns auf die gleiche Weise. So schwer begreiflich und seltsam das ist: diese Liebe bedeutet nicht, dass Gott uns vor Leid und Schicksalsschlägen bewahrt. Sie bedeutet, dass Gott in allem, was uns begegnet – im Leid, in der Freude, in Glücksmomenten und Schicksalsschlägen – bei uns ist, uns stärkt und uns zu unserem Ziel führt, wenn wir uns nur führen lassen; und dieses Ziel ist das Leben in Fülle und in Freude bei ihm. Weil Jesus uns das geoffenbart hat, nennt er uns Freunde und Freundinnen. Daran, dass wir das oft nicht wahrhaben wollen und uns die Widrigkeiten des Lebens zum Zweifeln bringen, können wir ersehen, dass wir oft uns noch wie Knechte und Mägde fühlen. Knechte und Mägde fürchten sich vor ihrem Herrn, weil sie nicht wissen, was er vorhat, und sich nicht sicher sein können, ob er ihnen wohl will. Freundinnen und Freunde hingegen wissen, was die letzte Intention ihres Freundes ist und vertrauen ihm, auch wenn es zwischendurch schwierig wird.

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Jesus bekräftigt dies, wenn er sagt: „Es gibt keine größere Liebe, als wenn einer sein Leben für seine Freunde hingibt.“ (Joh 15,13) Gerade das hat er für uns – ja, für alle Menschen – getan. Jesus hat Leid und Ungerechtigkeit nicht auf einen Schlag quasi weggezaubert, denn damit hätte er auch die menschliche Freiheit aufgehoben. Er hat die Menschen so sehr geliebt, dass er bereit war, um ihrer Freiheit willen Leid und Ungerechtigkeit zu ertragen in dem Vertrauen darauf, dass sein himmlischer Vater ebenso handeln werde: auch er fällt dem Leid und der Ungerechtigkeit nicht mit Gewalt in den Arm, sondern setzt seine göttliche Allmacht ein, um deren Folge – den Tod – zu besiegen, indem er Jesus auferweckt hat und alle zum Leben erwecken wird.

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Zu dieser Liebe war Jesus nur fähig, weil auch er nicht auf das Prosoopon, auf die äußere Maske geschaut hat, sondern wirklich auf die innerste Personmitte jedes Menschen, in der jeder Mensch ein Abbild Gottes ist, unabhängig davon, was wir sonst durch unsere Masken und das Drumherum aus uns machen. Können wir das auch? „Das ist mein Gebot: Liebt einander, so wie ich euch geliebt habe.“ (Joh 15,12) Können wir das? Können wir Menschen lieben, die – wie die Heiden bei Petrus – nicht unsere Speisegewohnheiten haben, nicht unsere Sitten und Bräuche kennen, und sich mit unserer Sprache schwertun? Sie kleiden sich anders, sie sehen anders aus, sie glauben anders. Persönliche Sympathie oder Freundschaft entwickeln sich zu ihnen schwerer als zu anderen. Und doch müsste auch hier gelten, was Petrus erkennt: Gott sieht nicht auf diese Äußerlichkeiten; Jesus sieht nicht auf diese Äußerlichkeiten. Er gibt sein Leben hin für alle und unterweist seine Jünger und Jüngerinnen, um ihnen zu erklären, warum er das tut: weil Gott in allen Menschen die Person, die sie sind, liebt und nicht auf das Drumherum schaut. Aus dieser Liebe gibt Jesus sich für sie hin. Jene, die das verstanden haben, nennt er nicht mehr Knechte oder Mägde, sondern Freundinnen und Freunde und fordert sie auf, so zu tun wie er, so zu lieben wie er, in dem festen Vertrauen, dass Gott jeden Verlust, den wir in dieser Welt erleiden, sogar den des Lebens, nicht nur ausgleichen sondern unendlich rückerstatten wird.

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Es liegt an uns, wie sehr wir noch Knechte oder Mägde sind und wie sehr schon Freundinnen und Freunde Jesu.

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