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"Zeige deine Wunde". Predigt am 2. Adventsonntag

Autor:Findl-Ludescher Anni
Veröffentlichung:
Kategoriepredigt
Abstrakt:
Publiziert in:
Datum:2017-12-18

Inhaltsverzeichnis

Inhalt

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Predigt zu Mk 1,1-8

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Der Täufer Johannes, eine der großen Gestalten des Advents. So sind wir es gewohnt, in der Kirche zu hören. Johannes, eine große Gestalt des Advents. – Tatsächlich? Ich habe ihn noch in keinem weihnachtlichen Schaufenster entdeckt, auch nicht auf einem Adventkalender. Als Schokoladefigur in glitzerndes Papier verpackt kann man ihn nicht kaufen. Nicht einmal in Krippenspielen kommt er vor. Wo ist sie also – diese „große Gestalt“  des Advents? Warum entzieht sich Johannes jeder Darstellung? Warum lässt er sich nicht vermarkten?

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„Ganz Judäa und alle Einwohner Jerusalems zogen zu ihm hinaus; sie bekannten ihre Sünden und ließen sich im Jordan von ihm taufen.“

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Offensichtlich bewegte Johannes in seiner Zeit die Massen. Sein Programm war es, die Leute zu motivieren, ihre Sünden anzuschauen zu bekennen. Dann ermöglichte er ihnen die Vergebung dieser Sünden durch die Taufe. Schwer vorstellbar, dass dieses Programm die Menschen aus ihren Dörfern, Städten und Häusern herausholt – auf den beschwerlichen Weg in die Wüste. Aber die Menschen strömen ihm zu, nicht nur einzelne sondern „ganz Judäa und alle Einwohner Jerusalems“ wie Markus schreibt.

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Stellen Sie sich vor, Sie sind dabei. Ein Einwohner Jerusalems, eine, die mit unterwegs ist, angezogen von Johannes dem Täufer, von dem Mann, der von Umkehr predigt, der Sie bewegen will, auf ihre Verletzungen, auf Ihre Schuld zu schauen. Was lastet auf Ihrem Herzen? Was möchten Sie gerne los werden? Was wollen Sie dem Johannes erzählen, ihm übergeben?

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Beim Nachdenken, mit welchem Anliegen ich selbst dem Johannes entgegen gehe und wie das so ist, jemandem meine Verletzungen zu zeigen, meine Schuld einzugestehen, ist mir eine Erfahrung eingefallen:

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Vor einiger Zeit habe ich in einer Gruppe eine Versöhnungsfeier miterlebt. Wir sollten uns mit unseren unterschiedlichen Beziehungen auseinandersetzen. Dazu hatte der Leiter etwas aufgebaut: Es standen viele Sessel im Raum und zwar waren da jeweils zwei Sessel, die in unterschiedlichen Konstellationen angeordnet waren: Z.B. war einer erhöht und der zweite umgestürzt; oder zwei waren verkeilt ineinander, oder zwei standen so, dass sie aneinander vorbei schauten; und noch einige andere Sesselskulpturen.

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Der Leiter forderte uns auf, zu den einzelnen Skulpturen hin zu gehen, eine Zeit dort zu bleiben und so zu spüren, was mir dazu aus meinem Leben einfällt. In der Gruppe war auch einer, mit dem ich mir schwer tue. In dieser Zeit des Herumgehens und Ausprobierens blieb ich längere Zeit an einem Ort. Plötzlich registrierte ich, dass dieser andere auch genau hier war. Ich wurde nervös. Nach einigen Momenten haben sich unsere Augen gefunden. Wir haben uns eine Zeit lang angeschaut. Immer noch mit Herzklopfen, nicht einfach schön, sondern schmerzlich, aber heilend.

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So ähnlich stelle ich mir die Begegnung mit dem Täufer Johannes vor: schmerzlich, nicht angenehm, aber wohltuend heilend.

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Und wenn Sie in die Nähe des Johannes kommen: Welcher Mensch liegt ihnen schwer im Herzen, welches Geschehen liegt Ihnen im Magen, Welche Schwäche, welche Eigenschaft plagt Sie immer wieder?

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Dieser Weg in die Wüste hin zu Johannes ist wohl nicht das, was wir uns unter einer stimmungsvollen Adventwanderung vorstellen. Aber es ist eine notwendige Etappe hin auf dem Weg nach Weihnachten. Die Begegnung mit dem Unversöhnten, mit der Schuld ist anstrengend, ist schmerzlich, aber es ist ein heilender Schmerz. – Und etwas erscheint mir dabei noch wichtig,  diese Begegnung in der Wüste ist nicht das Ziel!

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Sie kennen vermutlich das Bild, auf dem Johannes der Täufer dargestellt ist mit ausgestrecktem Arm, ausgestrecktem Finger – hinzeigend, von sich weg, auf Jesus hin.

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Die Begegnung mit Johannes ist eine Zwischenstation. Eine Station des genau Angeschautwerdens, des sich Zeigens, des ehrlichen Blickes. „Zeige deine Wunde“ nennt Joseph Beuys eines seiner Kunstwerke. Dieser Titel erscheint mir wie eine Überschrift über die Wüsten – Täufer – Begegnung im heutigen Evangelium.

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Der Täufer Johannes verkörpert diese Einladung: „Zeige deine Wunde“. Was diese Einladung für Sie bedeutet, weiß ich nicht. Vielleicht ein länger fälliges Gespräch, eine Aussprache, eine Beichte, ein Besuch.

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Es ist die Einladung zu einer schmerzenden, heilenden Begegnung. Aber wir sollen nicht dabei stehen bleiben. Johannes verweist weiter. Sein Arm weist weg von ihm auf etwas Größeres hin. Wir sollen nicht stehen bleiben, sondern weiter gehen. Aufgerichtet und ausgerichtet durch die Versöhnung – auf das große Geheimnis Weihnachten hin.

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