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Der Stein vom Herzen gefallen! Predigt zur Osternacht

Autor:Niewiadomski Jozef
Veröffentlichung:
Kategoriepredigt
Abstrakt:
Publiziert in:
Datum:2017-04-26

Inhaltsverzeichnis

Inhalt

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Ist Ihnen nun ein Stein vom Herzen gefallen? In jenem Augenblick, als in der Dunkelheit der Kirche das Licht der Osterkerze aufflackerte? Als die Kirche von vielen Flammen erleuchtet wurde und Gesichter, menschliche Gesichter dem Schatten entstiegen. Als der Diakon Sie alle zum Jubel ihrer Herzen aufforderte: “Exultate!, exultate cum turba caelorum: Frohlocket!, frohlocket mit der Schar des Himmels”. Denn im Himmel: da ist was los. Da hört man das Lachen Gottes und das seiner Engel, samt der Seligen. Das Lachen steht nämlich am Programm der himmlischen Liturgie in dieser Nacht. Ist da Ihnen ein Stein vom Herzen gefallen? Jener Stein, der das Grab versiegelt, das existentielle Grab, das Grab, das ein jeder von uns aushebt, sein Leben lang aushebt und dort all das begräbt, was man an sich selber nicht mag...: Versagen, Schuldgefühle, das mich immer wieder plagende schlechte Gewissen. All das, was man mit niemandem teilen will oder auch kann. Jenes existentielle Grab, das mit zunehmendem Alter nach und nach immer mehr Platz in meinem Herzen beansprucht und mich hin und wieder vor mir selber erschauern lässt. Erschauern und hoffen, hoffen, dass ich das dort Begrabene wirklich mit ins Grab nehmen werde.

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Ist Ihnen in der heutigen Nacht bei der Vergegenwärtigung der großen Taten Gottes, seiner vielen Befreiungsaktionen, bei der Erinnerung an die Hoffnungen der Generationen, ist Ihnen da ein Stein vom Herzen gefallen? Jener Stein, der aus den vielen kleinen Steinen zusammengepresst wird; zusammengepresst durch unser eigenes Gehirn! Zusammengepresst aus den vielen kleinen Steinen, die mich mitten ins Herz treffen, wenn ich beleidigt werde, ungerecht behandelt, zurückgesetzt, verleumdet... Zusammengepresst aus den vielen kleinen Steinen, die uns mitten ins Herz treffen beim Anblick von anderen Opfern: von Menschen, die schamlos ausgebeutet bleiben, verschreckt durch Krieg und Terror, in ihrer Hoffnung auf eine bessere Zukunft bitter enttäuscht. Steine, die uns mitten ins Herz treffen beim Anblick von Opfern, deren Anblick in uns Hassgefühle aufsteigen lässt: Hass auf dieses verkehrte Welt, die nach Erlösung schreit?

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Ist Ihnen auch jener Stein vom Herzen gefallen, mit dem uns alle unser eigener Körper steinigt, weil er krank und hinfällig wird, weil er uns nach Atem ringen lässt und uns immer größere Mühe abverlangt, wenn wir versuchen einen Gedanken systematisch zu Ende zu denken? Ist Ihnen beim Klang der Osterglocke, die aus Rom zurückgeflogen ist, ist ihnen beim Schall der österlichen Trompeten jener Stein vom Herzen gefallen, der das Herz niederdrückt beim Gedanken, dass es noch schlimmer werden kann..., weil der Tod schon draußen vor der Tür wartet? Ist Ihnen bei dieser Osternacht ein Stein vom Herzen gefallen?

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Liebe Schwestern und Brüder, was macht diese Nacht so anders? So einzigartig und einmalig? Kontinuität und Bruch sind es! Kontinuität und Bruch. Die Osternacht vergegenwärtigt ja jene Erfahrungen von Menschen, die gelitten haben und befreit worden sind: wie die Juden aus der ägyptischen Knechtschaft. Mit all den geknechteten und befreiten Menschen dieser Erde gehen wir, gehen unsere Zeitgenossen den jeweils eigenen Lebensweg und auch den Weg des Leidens. Haben auch Anteil an der Kontinuität der Hoffnungen, dass es einmal besser sein wird, wenn schon nicht für uns selber, so doch für unsere Kinder. Dass Dunkelheit einmal ein Ende haben wird und die Morgendämmerung einbricht und der Sonnenstrahl die dunklen Wolken vertreibt. Deswegen klammern wir uns an klare Symbole: Feuer in der kalten Nacht, Licht im Dunkel, bunte Eier, die das Auge und den Gaumen erfreuen und erzählen auch, erzählen vom Leben und Sterben und wiederum vom Leben. Musik, Musik, die Freude stiftet und über die Grenzen hinweg zu verbinden vermag. Über alle Grenzen, nur nicht über die Grenze des Todes. Und dies trotz all der Trauergesänge, trotz all der Musikdenkmäler. Denn: bei all den Kontinuitäten, die uns Menschen so wichtig sind, weil sie uns helfen die vielen Steine zu ertragen, Steine, die auf unserem Herzen liegen, bei all den Kontinuitäten dürfen wir den alles entscheidenden Bruch nicht übersehen: die radikale Grenzüberschreitung, die heute Nacht vor sich gegangen ist und die auch das Lachen Gottes und das Lachen seiner Seligen zur Folge hat.

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In Jesus Christus berührt uns nämlich nicht nur jenes befreiende Handeln Gottes, das von den meisten Religionen auf diese oder jene Weise bezeugt wir. Im Ihm wurden nicht nur die großen  Hoffnungen der Menschheit lebendig: Hoffnungen auf Frieden, Gerechtigkeit und ein menschenwürdiges Leben. In Jesus Christus ist Gott selber in die Abgründe des menschlichen Todes hinabgestiegen, hat den denkbar größten theologischen Tabubruch gewagt und wurde so von der überdimensionalen Steinlawine getroffen: Getroffen von der Lawine jener Steine, die unsere Herzen bedrücken und auch der Lawine jener Steine, von denen die Herzen der Menschen aller Zeiten verletzt werden. Gott selbe wurde in Jesus Christus unter diesen Steinen begraben. Der Stein, der sein Grab versiegelte verdichtet ja all die Steine, mit denen wir unsere Mitmenschen treffen, er verdichtet aber auch all jene Steine, mit denen wir getroffen werden, und er verdichtet selbst  jene, mit denen wir uns selber steinigen und unaufhaltsam verletzen: wenn wir uns auf unser Versagen fixieren, unsere Schuldgefühle pflegen und unser existentielles Grab ausheben. In Jesus Christus lässt sich Gott selber unter dieser Grabplatte begraben. Er lässt sich durch die erfahrbare Allmacht des Todes begrenzen, unterwirft sich gar der sichtbaren Allmacht des Verfalls unserer Leiber.

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Liebe Mitchristen, was wir Christen über die Logik dieser einzigartigen Nacht denken, das stellt unseren Glaubensgeschwistern: den Juden, oder auch den Muslimen, eigentlich eine Blasphemie dar. Und doch: Wir glauben es. Wir glauben es und dies nicht deswegen, weil sich kluge theologische Köpfe einen derartigen dialektischen Umschlag vom Dunkel ins Licht, vom Tod ins Leben ausgedacht haben. Wir glauben es, weil in dieser Nacht dieser Tabubruch Wirklichkeit wurde. Weil der Stein, der dieses eine Grab verschlossen hielt, beiseite geschafft wurde. Weil die Mauer, die das Geheimnis des Todes hütet und seine aus dem horror vacui kommende Allmacht der Angst zementiert, weil diese Mauer durchbrochen wurde und die scheinbare Allmacht des Todes bloßgestellt wurde. Weil Christus dem Grab entstiegen ist und den schweren Stein der Kapitulation vor dem Tod, den Stein, der auf den Herzen seiner Jüngerinnen und Jünger lastete, weil er diesen Stein beiseite schob. Den Stein, den das Sterben, den Stein, den der Tod Jesu auf ihre Herzen auflud. Weil Christus diesen Stein beiseite schob, weil er ihnen die Erfahrung zuteil werden ließ, dass der Tod nun zum Ort der Gottesbegegnung wird - und dies ohne wenn und aber -, ist diesen Jüngerinnen und Jünger eine ganze Steinlawine von Herzen gefallen. Es fiel ihnen von Herzen die Lawine jener Steine, die von der Angst vor dem Tod herrühren. Die Lawine jener Steine, die von den Kränkungen kamen, jener Steine, die ihnen die Erfahrung der Ungerechtigkeit auflud. Jener Steine, die ihnen das eigene Versagen, die eigene Schuld becherten. Jener Steine also, mit denen auch sie ihre existentiellen Gräber versiegelten.

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O felix culpa - o glückselige Schuld!, konnten sie aufschreien, nachdem diese Steine vom Herzen gefallen sind und sie den Frieden des Auferweckten empfangen und die Zuversicht, dass auch sie im ihren eigenen Sterben nicht dem horror vacui preisgegeben, sondern in die ausgebreiteten Arme des Auferweckten fallen werden. Liebe Schwestern und Brüder, die Osternacht ist deswegen so einmalig, weil in der Osternacht uns Christen eine überdimensionale Steinlawine vom Herzen fällt. Wir stehen nicht draußen vor der Tür (und heben uns unser Grab aus). Existentiell sind wir längst durch unsere Taufe mit Christus gestorben und mit ihm auch mitbegraben worden. Deswegen wird in seiner Auferstehung auch der zusammengepresste Stein, der schwer: auf deinem, auf meinem, auf unseren Herzen lastet, dieser Stein wird vom Christus weggeschoben. Seine Auferstehung geht Hand in Hand mit der unsrigen! Exultemus ergo: lasst uns frohlocken und lachen - lachen mit dem lachenden Gott und seinen Seligen. Denn: wir gehören schon dazu, dürfen also erlöster aussehen! Damit die Welt glaube, dass Christus auferstanden ist.

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