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“Da haben die Dornen Rosen getragen.” Und sie tragen sie immer noch! Predigt zum Weihnachtsfest 2016
(Gehalten am 25. Dezember in der Jesuitenkirche)

Autor:Niewiadomski Jozef
Veröffentlichung:
Kategoriepredigt
Abstrakt:
Publiziert in:
Datum:2016-12-27

Inhaltsverzeichnis

Inhalt

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Immer und immer wieder kam mir diese Analogie in den Sinn. Beim Anblick der zerstörten Häuser in Aleppo, bei den Bildern von Straßen auf denen zwischen den Ruinen hin und wieder ein Mensch zu sehen war, eine Frau mit Kind etwa, da tauchten in meinem Kopf die Motive aus dem Adventslied auf: “Maria durch ein Dornwald ging”. Ging durch eine Landschaft, in der kein Leben zu sehen war. Nichts als nackte Dornen, Dornen, die das Leid provozieren, Dornen, die an das Leid erinnern, Dornen, die Mutlosigkeit mit sich bringen und jegliche Hoffnung im buchstäblichen Sinn des Wortes ersticken. Solch dornige Wege gibt es nicht nur in Aleppo, auch wenn sie dort momentan am deutlichsten zu sehen sind. Einen dornigen Weg betraten die Familienangehörigen und Freunde der Opfer des Terroranschlags in Berlin, so auch die Familie des polnischen Lastwagenfahrers, des Mannes, der vom islamistischen Attentäter überwältigt, getötet und im Attentatsauto am Berliner Christkindlmarkt liegengelassen wurde: dort, wo die Szene des bunten und fröhlichen Treibens der Menge im Sekundenbruchteil zu einer Landschaft der Zerstörung verwandelt wurde, zum sprichwörtlichen Tal der Tränen, aber auch zur Brutstätte der Angst vor dem Terror, gar zum Generator des Hasses, der ja wiederum blühende Lebenswege zu neuen struppigen Pfaden transformiert. Den dornigen Weg betrat schon vor Jahren der Attentäter selber. Er tat dies in dem Augenblick, in dem er sich dem Hass vermählte und diese Welt deswegen als zerstörungswürdig wahrnahm, als einen Haufen von vertrockneten Dornen, der bloß angezündet und verbrannt gehört.

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Liebe Schwestern und Brüder, viele dornige Pfade säumen auch unser aller Wege. Da sind die Stacheln des Versagens etwa, oder der Angst vor dem Versagen, die die weiten Strecken meines Lebensweges zu einem Dornwald machen, einem Dornwald, der schon seit Tagen und Wochen kein Laub trägt. Aber auch die zerbrochenen Lebensträume, zerbrochene Beziehungen, das Bruchstückhafte in unserem Leben, die Scherben also und Verletzungen: all das droht ja die etwaigen Neuaufbrüche zu ersticken und das werdende Leben auszutilgen. Als Gefangene unserer vielfältigen Dornwälder verharren wir an Ort und Stelle, oder: sich mit Anderen vergleichend schauen wir zu ihnen, vom Geist der Konkurrenz beflügelt, gar vom Neid erfüllt, schauen wir zu den Anderen und vergewaltigen uns im Rivalitätskampf auf den Wegen zu neuen Errungenschaften, zu jenen Erfolgen, die uns die Maske des starken und durchsetzungsfähigen Menschen auf das menschlich verletzbare Gesicht aufdrücken.

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Durch diese und auch viele andere dornige Wälder schreitet die Frau mit dem Kindlein unter ihrem Herzen. Und schon dieser ihr Gang bewirkt es, dass Rosen auf den scheinbar abgestorbenen Zweigen erblühen.

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Das vielgesungene Lied nimmt ja uns alle, nimmt unsere Welt mit auf den Weg, auf dem das Leben im Dornwald ein menschliches Gesicht wiederbekommt, weil auf diesem Weg die Dornen nicht mit Gewalt beseitigt werden; vielmehr werden sie zum Erblühen gebracht. “Da haben die Dornen Rosen getragen”. Damals! Sie haben die Rosen getragen und dies allein schon deswegen, weil das Kindlein durch den Wald getragen wurde. Die Dornen tragen aber die Rosen immer noch: hic et nunc, gerade hier und gerade jetzt! Und warum dies?, werden sie fragen.

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“Das Wort ist Fleisch geworden”, hieß es im heutigen Evangelium, “das Wort ist Fleisch geworden und hat unter uns gewohnt”. “Der Sohn Gottes hat sich durch seine Menschwerdung mit jedem Menschen verbunden”, bekennt das 2. Vatikanische Konzil. Was heißt das konkret? Jeder von uns ist sozusagen zur Maria geworden, zur Maria, die ja das Urbild der Kirche ist. Jeder von uns, Du und ich, wir alle also, tragen das Kindlein durch die dornigen Wälder dieser Welt; durch die Dornwälder der Unsrigen, der Menschen, die wir lieben und die unter der Last der abgestorbenen Hoffnungen, unter der Last des Versagens, oder aber unter der lebensfeindlichen Konkurrenz zu ersticken drohen. Jeder von uns – so paradox es auch klingen mag – trägt aber auch das Kindlein durch den Dornwald des eigenen Lebensweges, der ja unter Umständen in den letzten Tagen und Wochen, gar Jahren kein Laub getragen hat.

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Das Lied spricht von der Erfüllung einer Hoffnung, die kein vernünftiger Mensch sich erlaubt. Das Lied spricht also vom Wunder, einem Wunder, das sich fortdauernd ereignet. Ereignet dort, wo das Leben einem Dornwald gleicht, einem Dornwald, der schon seit sieben Jahren, gar seit Jahrzehnten kein Laub trägt und nun plötzlich mir nichts dir nichts Rosen trägt, Zeichen der Veränderung, Zeichen eines neu aufblühenden Lebens zeigt. So etwas ereignet sich immer wieder – und das wissen die Eltern sehr gut – in der Beziehung zwischen den heranwachsenden Kindern und Eltern. So etwas kann sich ereignen in einer festgefahrenen Partnerschaft. Es kann passieren gar durch den Bruch hindurch, wenn Menschen nach einer Scheidung, gar nach einer von Tränen gezeichneten einseitigen Trennung neue und erfüllende Beziehung finden. Das Wunder der erblühenden Rosen ereignet sich auch – und dessen bin ich mir sicher – in der Ruinenlandschaft von Aleppo, genauso wie es sich in der Familie des polnischen Lastwagenfahrers ereignet, für die ja europaweit die Lastwagenfahrerkollegen als Zeichen der Solidarität spontan Spenden zu sammeln begannen. Die unzähligen Marias des 21. Jahrhunderts, die das Kindlein unter ihrem Herzen tragen, meistens auf eine unaufdringliche, mit bloßen Augen kaum wahrnehmbare Art und Weise tragen, sorgen quasi en passant, im Vorübergehen sozusagen, für die vielen Wunder des Alltags in den Dornwäldern der Gegenwart.

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Das vielgesungene Lied spricht also vom Wunder, einem Wunder allerdings, das eigentlich ein noch größeres Wunder anzeigt, ein Wunder, das in seinem tiefsten Kern unsichtbar bleibt und unbegreiflich. Unsichtbar, aber doch den Hintergrund abgebend für all die mehr oder weniger sichtbaren Wunder. Es ist das Wunder der Menschwerdung Gottes, das eigentliche Weihnachtswunder, das seit Tausenden von Jahren uns, den Christen, die Gewissheit vermittelt, dass Gott es trotz allem – trotz all der scheinbar abgestorbenen Dornwälder der Geschichte – mit Dir und mit uns allen und mit dieser Welt gut meint. Deswegen auch in die menschliche Armseligkeit herabgestiegen ist, sich verleiblicht hat, verletzbar geworden ist. Davon sprechen ja deutlich die vielen Weihnachtsgeschichten, jene Weihnachtsgeschichten, die von den unerwarteten Zeichen der quasi spontan gezeigten Güte erzählen, davon, dass die Dornen des Alltags zwar weiterhin Dornen bleiben und auch verletzen, – aber zu Dornen werden, die fortan Rosen tragen. Und diese Rosen erblühen dort, wo Hoffnung neu geweckt wird, wo also die vielfach beklagte Hoffnungslosigkeit aufhört, “das erfahrbare Grauen zu verdoppeln” durch den neu geweckten Hass, durch Ressentiments, durch einen nackten Realismus, der unter der Hand zum Zynismus mutiert.

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Liebe Schwestern und Brüder, wenn die weihnachtsfeiernden Christen weltweit, wenn Du und ich, wenn wir alle uns dessen stärker bewusst wären, dass wir aufgrund des Wunders der Menschwerdung Gottes quasi zu solchen Marias wurden, zu Frauen, die das Kindlein durch den Dornwald tragen, dann wäre unsere Welt zwar immer noch eine Welt mit Dornen, eine Welt also, in der es Krieg und Hunger gibt und auch die Terrorattentate, eine Welt, in der Menschen in unzählige Sackgassen geraten; sie wäre also zwar immer noch eine Welt, die einem Dornwald gleicht, aber einem Dornwald, der Rosen trägt, deswegen auch Menschen nicht dazu verführt, dass sie sich dem Hass vermählen, dem Ressentiment verfallen oder dem Zynismus, den sie dann als Realismus verkaufen. Wenn wir alle, wenn Du und ich, uns dessen stärker bewusst wären, dass wir aufgrund der Menschwerdung Gottes zu Menschen wurden, die das Kindlein durch den Dornwald tragen, dann würde unsere Welt nicht so schnell, nicht immer wieder – bei jeder kleinsten Verunsicherung – in Mutlosigkeit verfallen und durch Schwarzmalerei und Panikmache die Hoffnungslosigkeit verdoppeln. Sie wäre eine Welt, die in jeder, gar in der hoffnungslosesten und scheinbar ausweglosesten Situation noch zu hoffen vermag, weil sie sich dessen sicher wäre, dass die Zukunft in Gottes Hand liegt. Und dieser Gott meint es gut mit mir und mit uns. Das zeigte er durch seine Menschwerdung. Dieses unbegreifliche Wunder sagt uns ja deutlich: Gott wird uns selbst jene Hoffnungen erfüllen, die wir in unserem Kleinmut nicht einmal zu erhoffen wagen. In diesem Sinn: Gesegnete Weihnachten und ein gesegnetes Jahr 2017.

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