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Die heimatlos gewordene Tugend der Dankbarkeit

Autor:Niewiadomski Jozef
Veröffentlichung:
Kategoriepredigt
Abstrakt:
Publiziert in:
Datum:2016-10-13

Inhaltsverzeichnis

Inhalt

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Predigt zu 2. Kön 5,14-17 und Lk 17,11-19 gehalten am 9. Oktober 2016 in der Jesuitenkirche um 11.00 Uhr.

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Recht seltsam sind die Geschichte, die uns das Wort Gottes am heutigen Sonntag zumutet. So liegt es wohl nahe, auch die heutige Predigt mit einer surrealistischen Geschichte zu beginnen.  Da gab es einmal einen älteren Herrn, der durch die Großstadt spazieren ging. Plötzlich sieht er einen jungen Mann vor sich und traut seinen Augen nicht. “Bin ich schon derart senil, dass ich Halluzinationen habe? Der junge Mann dort...! Was tut er da? Er bemüht sich doch ein Pferd in den Hauseingang zu bringen.” Der Bursche bemerkt den älteren Herrn. “Entschuldigen Sie, bitte, könnten sie mir vielleicht helfen, dieses Pferd da hineinzuschieben?” “Gern!”, antwortet der neugierig gewordene Alte. Und so drücken die Beiden das Pferd in den engen Hauseingang, bringen es sogar ein paar Treppen hoch. Dann stehen sie vor der Wohnungstür. “Nichts als hinein!”, ruft der junge Mann. In der Wohnung angekommen, will sich unser ältere Herr verabschieden, doch der Bursche kommt mit einer neuen Bitte: “Ich brauche ihre Hilfe noch. Das Pferd soll in die Badewanne!” Mit Müh und Not gelingt es den Beiden das Tier endlich in der Badewanne zu platzieren - es ist ja auch eine surrealistische Geschichte. “Sagen Sie mal. Warum muss das Pferd in die Badewanne?”, fragt der ältere Herr. “Na ja..., wissen sie, ich habe eine Freundin. Die ist echt nett. Nur eine Sache gibt es, die mir wirklich auf die Nerven geht. Wenn ich ihr etwas schenke, Theaterkarten oder so, zuckt sie mit den Schultern und sagt bloß: ‘Na und?’ Wenn ich sie zum Abendessen einlade, in ein schickes Restaurant, oder so, zuckt sie auch bloß mit den Schultern und sagt: ‘Na und?’” Der Alte verstand Bahnhof. “Ja, und was hat das mit dem Pferd zu tun?” Der Bursche lachte: “Hm, heute Abend kommt sie. Sie wird wohl ins Bad gehen. Dann wird sie gestürzt herauslaufen und schreien: ‘Um Himmels willen, in der Badewanne liegt ein Pferd!’ Und ich werde mit den Schultern zucken und sagen: ‘Na und?’” (erzählt nach der Idee von Peter Bamm).

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Liebe Schwestern und Brüder, ganz schön absurd die Geschichte. Oder doch nicht? Nicht, wenn es um die tiefere Moral aus der Story geht. Denn diese lautet wohl: Können wir noch staunen? Welchen Kick brauchen wir, um einzusehen, dass das, was sich ereignet, alles andere al selbstverständlich ist? Unser Sozialwirtschaftssystem sichert uns so viele Selbstverständlichkeiten, so viel an Annehmlichkeit, so viel am Alltagsluxus, dass uns das Gespür für das Nicht-Selbstverständliche allmählich verloren geht. Zu Hause liegt wohl kein Pferd in der Badewanne, aber der Kühlschrank? Der ist ja meistens voll, genauso wie die Kleiderschränke. Die Alpen liefern uns eine selbstverständliche Alltagskulisse, eine Landschaft, um die uns Millionen von Menschen nur beneiden können. Und die kleinen Geschenke? “Na, und?”, sagen viele Zeitgenossen. “Was soll ich da meinen Liebsten noch schenken, sie haben doch alles”, hört man immer wieder. Wir haben uns an das Nicht-Selbstverständliche gewöhnt, staunen auch kaum und wundern uns nicht. Ist es dann ein Wunder, dass uns nach und nach die Tugend der Dankbarkeit abhanden kommt? In einer Welt von Selbstverständlichkeiten wird die Dankbarkeit heimatlos. Sie wird durch die Selbstverständlichkeiten vertrieben. Da braucht es schon einen kräftigen Schub, einen festen Willen zur Umkehr, um gegen die Selbstverständlichkeiten vorzugehen.

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Zehn Aussätzige tauchen im heutigen Evangelium auf - eine Selbstverständlichkeit für die damalige Welt. “Hab Erbarmen mit uns!”, schreien sie. “Bring uns zum Staunen, auf dass wir dankbar sein können. Dankbar für das Geschenkt der Heilung, dankbar für das Außergewöhnliche, dankbar für das Wunder!” Und Jesus? Was tut er? Er sorgt nicht für das Außergewöhnliche. Er bringt das Pferd nicht in die Badewanne, vielmehr holt er die Zehn auf den Boden der Alltagswirklichkeit zurück. “Geht, zeigt euch den Priestern!” Und die Aussätzigen? Sie zuckten mit den Schultern, dachten sich wohl: “Na und”, und gingen. Gingen so gedankenlos, wie wir alle Tag für Tag mit einer Selbstverständlichkeit sondergleichen unser Bett verlassen das Badezimmer aufsuchen und kaum darüber staunen, dass dies alles andere als selbstverständlich ist. Wieso auch? Es liegt doch kein Pferd in der Badewanne!

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Die Spannung zwischen den legitimen Erwartungen und der Nicht-Selbstverständlichkeit des Alltags wird in der Geschichte, aus der die heutige Lesung entnommen wurde, bis zum Surrealismus gesteigert. Da kommt der reiche Syrer nach Israel, weil er sich Heilung von dem Gott des erwählten Volkes Israel erwartet. Er geht zum König. Zu wem denn sonst? Doch dieser verweist ihn auf den Propheten Elischa. “Nie gehört”, denkt sich der Syrer. Und der Prophet? Man höre und staune. Er sagt zum reichen Syrer: “Geh baden im Jordan, tauche sieben mal unter!” Dem Syrer hat es wohl die Sprache verschlagen: “Will der Mann mich verarschen? Ist Jordan besser als unsere syrischen Flüssen?” Zornig reist er ab, unterzieht sich aber dann doch der Kur. Auf die Bitte seiner Diener, die zu einem Trick greifen und so das Wunder im Alltag beheimaten.

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Liebe Schwestern und Brüder, der Clou des heutigen Evangeliums liegt im Satz: “Während sie gingen, wurden sie rein”. Die Heilung geschieht unterwegs, ohne Ach und Krach, ohne das spektakuläre Wunder. Die Heilung geschieht unterwegs an einem Ort und zu einem Zeitpunkt, wo man sie leicht übersehen kann, wo man die Heilung als selbstverständlich in den Gang der Dinge einordnen kann, genauso selbstverständlich, wie man die Müdigkeit wahrnimmt, die da während einer Bergtour kommt und geht. Die neun Männer aus der Geschichte über die Aussätzigen, die da einfach weitergingen, weitergingen, als ob nichts passiert wäre, handelten wie die ganz normalenAlltagsmenschen, wie die Frau aus der surrealistischen Geschichte , die immer bloß mit den Schultern zuckt, “Na und” sagt und weitergeht. Die neun Männer handelten wie die Zeitgenossen, die all das, was kommt und geht mit einer Selbstverständlichkeit sondergleichen annehmen, deswegen auch nicht staunen, damit auch die Tugend der Dankbarkeit systematisch aus ihrem Leben vertreiben. Nur einer staunte. Er nahm die Veränderung, die unterwegs geschah wahr, brach deswegen aus dem Gewohnten aus, kehrte auf dem eingeschlagenen Weg um, veränderte die Richtung seines Weges, ging also ausdrücklich gegen die scheinbare Selbstverständlichkeit dessen vor, was geschah. Deswegen war er auch zu Dankbarkeit fähig.

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Mit Staunen fängt nicht nur die Philosophie an, wie dies die alten Philosophen gesagt haben. Mit Staunen geht auch die Dankbarkeit Hand in Hand. Denn: ohne Staunen gibt es keine Dankbarkeit. “Nur wer sich wundert, lernt das Wunder kennen”, sagte Sören Kierkegaard. Nur wer sich wundert wird die Tugend der Dankbarkeit in seinem Leben beheimaten. Gehen wir also bewusst begen die Selbstverständlichkeiten unseres Alltags vor, lernen wir die Tugend der Dankbarkeit neu. Klagen wir nicht, dass wir zu wenig am Glück erfahren, um wirklich dankbar zu sein. Denn wenn wir dies tun, werden wir weder dankbar, noch glücklich. Wie lautet doch eine der goldenen Regeln: “Nicht die Glücklichen sind dankbar, sondern die Dankbaren sind glücklich” (F. Bacon). Deswegen bekommt auch der eine Mann, der Mann der staunt, am Schluss der seltsamen Geschichte von den zehn Aussätzigen von Jesus die Worte zu hören: “Steh auf und geh! Dein Glaube hat dir geholfen. Mensch! Du kannst noch staunen. Du kannst Wunder wahrnehmen. Du bist ja dankbar. Deswegen bist glücklich und sollst gesund und glücklich bleiben.

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