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Wahlwiederholung in Österreich – Referendum in Großbritannien. Was wir daraus lernen können

Autor:Wandinger Nikolaus
Veröffentlichung:
Kategoriekommentar
Abstrakt:
Publiziert in:
Datum:2016-07-03

Inhaltsverzeichnis

Inhalt

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Zwei Abstimmungen – zwei Ausgänge, die die Welt bewegen. Was kann man daraus lernen – unabhängig davon, welche politische Einstellung man hat?

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1) Beide Abstimmungen haben deutlich gemacht: Es ist Unsinn zu glauben, die eigene Stimme zähle nicht. In beiden Abstimmungen waren es nur wenige Prozent, die den Ausschlag gaben. Natürlich ist das nicht immer so, aber auch wenn der Ausgang weniger knapp ist, fließt jede Stimme in das Ergebnis ein. Nicht abstimmen und sich hinterher ärgern ist dumm. Wenn man sich schon ärgern muss, dann lieber darüber, dass man nicht gewonnen hat.

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2) Gesetze und Regeln sind wichtig: Bei der Präsidentenwahl in Österreich zeigte sich, dass die geltenden Gesetze zu oft leichtfertig ignoriert wurden – wie es aussieht ohne betrügerische Absicht. Aber diese Regeln sind dafür da, dass jemand mit betrügerischer Absicht es möglichst schwer hat. Sie nicht einzuhalten bedeutet also, es möglichen Betrügern leicht zu machen. Daher war die Entscheidung des VfGH notwendig, um diese Wahl von jedem begründeten Zweifel frei zu machen und künftigen Betrugsabsichten entgegenzutreten.

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Aber auch das britische Referendum weist darauf hin, wie wichtig Regeln sind. Bei diesem gab es nämlich keine. Natürlich, es galt „one person, one vote“, aber welchen Status hat nun das Ergebnis? Es ist zwar nicht rechtsverbindlich, doch welches Parlament traut sich schon direkt gegen die Mehrheit des Volks zu entscheiden? Es wäre aber möglich gewesen, im Vorfeld festzulegen: Bei einer so schwerwiegende Veränderung muss die Mehrheit dafür mindestens die Mehrheit der Wahlberechtigten sein und nicht nur die der Wählenden, oder es braucht eine Mehrheit in jedem Landesteil und im Ganzen des Vereinigten Königreichs, dann bestünde nun nicht die Gefahr des Auseinanderfalls. Oder man hätte auch klar sagen können: Es handelt sich nur um eine Volksbefragung, die Entscheidung bleibt beim Parlament. Hätte es solche Regeln gegeben, das Chaos in U.K. wäre nun nicht so groß – und im Übrigen müssten sich auch jene EU Politiker zurückhalten, denen es nun gar nicht schnell genug gehen kann. Dass die Umsetzung einer so schwerwiegenden Entscheidung Zeit braucht, versteht sich von selbst.

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3) Volksentscheide und direkte Wahlen sind nicht automatisch demokratischer als indirekte Wahlen und Parlamentsentscheide. Bei direkten Wahlen stimmt nämlich jede Person nur für sich ab. Sie mag zwar das Wohl der Gemeinschaft im Blick haben, aber sie sieht es nur aus ihrem Blickwinkel. Das ist legitim und soll so sein. Gewählte RepräsentantInnen aber bündeln verschiedene Blickwinkel. Sie sollen nicht nur ihr Interesse vertreten und auch nicht nur das ihrer Partei, sondern in breiterer Weise die Anliegen und Bedürfnisse der BürgerInnen aufnehmen und einen guten Kompromiss finden, d.h. einen, bei dem die zentralen Anliegen verschiedener Gruppen zusammengeführt werden. Dem misstraut man inzwischen aus mehreren Gründen. Hier seien nur zwei genannt: Der Kompromiss wurde gründlich diskreditiert, man kennt fast nur noch faule Kompromisse, d.h. solche, bei denen völlig unsachgemäß und willkürlich eine Seite der anderen etwas gibt und umgekehrt, meist aber nicht im Interesse des Gemeinwohls, sondern der beteiligten Parteien. Und das ist der zweite Grund: Parteien bzw. die für sie handelnden Personen bündeln oft nicht mehr gesellschaftliche Interessen, sondern nur das eigene Interesse des Machterhalts – siehe Cameron, siehe Faymann. Andere sollten daraus lernen, dass das auf lange Sicht nicht funktioniert, denn diese beiden besorgten damit selbst ihren Abgang.

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Allen Befürwortern von mehr Plebisziten sei daher gesagt: Wir brauchen nicht mehr Referenden; wir brauchen bessere Kriterien, was für ein Referendum taugt und was nicht; und PolitikerInnen, die über ihre Parteiinteressen hinausschauen können, damit die repräsentative Demokratie Vertrauen zurückgewinnt. Darüber hinaus sollte die Kunst des guten Kompromisses früh geübt werden. Dass gerade die katholische Jugend eine sozial höchst wertvolle Aktion „72 Stunden ohne Kompromiss“ nennt, halte ich da für das fatal falsche Signal.

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Und nun eine Lehre, die nicht mehr unabhängig davon ist, welche politische Einstellung man selber hat:

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4) Die Politik muss aufhören, wirtschaftliche Belange als Totschlagargumente einzusetzen. Wenn schon die Briten, die der EU seit jeher eher distanziert gegenüberstanden, sich davon nicht überzeugen ließen, dann werden das andere noch viel weniger tun. Die rechtslastigen Parteien haben das erkannt. Sie versuchen mit ihren Wertvorstellungen von Homogenität und Identität gegen wirtschaftliche Erpressungen anzugehen, tun das aber indem sie diese durch Ausgrenzung herstellen wollen. (Im britischen Referendum haben sie darüber hinaus auch wirtschaftlich argumentiert, mussten das aber nachher sofort relativieren bzw. zurücknehmen.) Jene, die diese Wertvorstellungen so nicht teilen, sollten nicht mit wirtschaftlicher Erpressung dagegen angehen. Dinge sind nie „alternativlos“, aber es kann sein, dass die Alternativen viel schlechter sind, als der vorgeschlagene Weg. Die Mühe, das deutlich zu machen, müssen PolitikerInnen auf sich nehmen.

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Haben wir aber wirklich vergessen, dass dieses europäische Projekt nicht als Wirtschaftsmaschine begann, sondern als Friedenssicherungsprojekt, das große Männer (Adenauer, Schuman, de Gasperi) vorantrieben, die – zufällig? – Katholiken waren? Wolfgang Palaver hat in einem Interview darauf hingewiesen, dass das Katholisch-Sein der Gründer Europas wohl kein bloßer Zufall war: „Die katholische Kirche hat es […] schon sehr früh abgelehnt, das nationalstaatliche Denken zum absoluten Maßstab zu machen. Insofern hat sich die moderne Welt mit der EU, aber auch der UNO einem alten katholischen Gedanken angenähert. Es geht darum, Einheit in Vielfalt zu gestalten.“ (http://www.kirchenzeitung.at/newsdetail/rubrik/die-eu-steckt-noch-in-den-kinderschuhen/)

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KatholikInnen sollten sich an dieser Tradition orientieren und nicht an nur dem Namen nach christlichen Identitätsspielchen, die dadurch funktionieren, dass von irgendjemandem behauptet wird, jemand anderer gehöre nicht dazu. Der Gründer des Christentums ist dem so deutlich entgegengetreten, dass man ihn selbst als nicht-zugehörig ausgestoßen und getötet hat. Das Ausgrenzen und Ausstoßen zum Maßstab des Christlichen zu erklären, ist also geradewegs seine Pervertierung. Außerdem: Heute mag ich noch zu denen gehören, die andere ausgrenzen können; morgen aber kann schon ich bei den Ausgegrenzten sein. Wenn man die Sprunghaftigkeit der Aussagen mancher PolitikerInnen betrachtet, kann das sehr schnell gehen.

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Man muss aber wohl weder katholisch noch anders christlich sein, um die Ziele Friedenssicherung, Solidarität, Einheit, die Verschiedenheit und Vielfalt schützt und doch zusammenführt, sinnvoll und wichtig zu finden. PolitikerInnen, die dies stärken wollen, müssen sich trauen auch dafür einzutreten und nicht nur für den besten Wirtschaftsstandort. Wenn die Wirtschaft ein Gesichtspunkt unter mehreren ist, ist es gut, sie mitzuberücksichtigen. Soll sie aber alle anderen Gesichtspunkte ausstechen, ist das menschenfeindlich und die Menschen lehnen sich inzwischen dagegen auf. Katastrophal wäre es, wenn weiterhin diese Auflehnung nur die Demagogen ausnützen und mit Leidenschaft in einen Weg der Ausgrenzung ummünzen würden. Es muss doch auch möglich sein, leidenschaftlich für echte Werte wie Menschenrechte und Menschenwürde einzutreten und Europa eine Seele zu geben, wie Józef Niewiadomski im Kathpress-Interview es formuliert hat. Das fehlt mir momentan zu oft in der Politik.

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