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Erwählt – und dann?
(Predigt am 3. Fastensonntag 2016 in der Jesuitenkirche Innsbruck)

Autor:Guggenberger Wilhelm
Veröffentlichung:
Kategoriepredigt
Abstrakt:
Publiziert in:
Datum:2016-03-01

Inhaltsverzeichnis

Inhalt

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Predigt zu: Ex 3,1-15 / Lk 13, 1-9.

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Ich bin der ich bin – sagt eine Stimme zu Mose, dem Mann, der irgendwie zwischen alle Stühle geraten war: eigentlich ein Hebräer, der aber unter den Ägyptern aufgewachsen ist, ein Underdog, den eine glückliche Fügung in die High Society verweht hatte, aus der sein aufbrausendes Temperament ihn dann aber auch bald wieder abstürzen ließ. Draußen in der Wüste, auf einem ruhigen Abstellgleis sozusagen, dann diese Begegnung mit dem im Dornbusch.

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Er, der eigentlich nirgends dazu gehört, er soll jetzt die Führung eines ganzen Volkes übernehmen, wenn man das denn Volk nennen kann; diesen traurigen Haufen von Unterprivilegierten, von Sklaven.

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Ich bin, der ich bin – sagt diese Stimme, die eine göttliche sein muss. Aber welcher Gott spricht da? Hat er denn keinen Namen wie all die anderen Gottheiten in den glänzenden Tempeln der Ägypter? Wer soll denn dem Mose Glauben schenken, wenn er einfach von irgendeinem Gott redet, der zu ihm in der Wüste gesprochen haben soll? Wie also ist dein Name?

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Ich bin der ich bin. Die Exegeten sagen uns, man könne diese Worte auch übersetzen mit: Ich bin der, der da ist, der bei dir ist. Vielleicht muss man sogar eine zeitliche Dynamik mitlesen, also: Ich bin und bleibe der, der ich bin und als solcher bin ich bei dir und werde es bleiben.

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Soll das ein Name sein? Wohl kaum. Dafür ist es eine Zusage, ein Versprechen, geradezu ein Gelöbnis. Vorerst freilich nur ein Wort, das sich in seiner Gültigkeit erst erweisen muss und – wir können es nun wissen – auch erweisen wird, auf dem langen, gemeinsamen Weg.

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Ich bin der ich bin und ich bin bei dir. Diese Zusage Gottes an Mose und an sein Herkunftsvolk ist das, was wir in theologischer Tradition Erwählung nennen.

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Eine merkwürdige Wahl ist das allerdings. Warum gerade dieser Haufen Hebräer, unorganisiert und hoffnungslos, warum gerade dieser Mose, der weder da noch dort richtig dazu gehört, eher ein Rabauke und Angeber ist als einer mit wirklicher Leitungsqualität?

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Aber so ist das eben. Dieser Gott, der da aus den Flammen spricht, hat eine unüberwindliche Schwäche für die Schwachen. Er brennt für die Chancenlosen und Vergessenen. Sein Wahlverhalten widerspricht den Hochrechnungen menschlicher Konvention und Erwartung. Es straft die Meinungsforscher Lügen, weil wir zumeist halt doch der Meinung sind, dass Erfolg zählt und man sich besser an die Starken hält, an die Winner, nicht an die Loser. Die biblischen Texte sind voller Belege für das merkwürdige, von unseren Konventionen abweichende Wahlverhalten Gottes.

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Ich bin der ich bin und ich bin bei dir. Manchmal schien es nicht so zu sein und oft wollten sie es nicht glauben, die Hebräer. Doch sie ließen die Ausbeutung hinter sich, manchmal sogar die eigene Unzufriedenheit und die internen Streitereien, zuletzt auch die Wüste und so kamen sie an in einem fruchtbaren und schönen Land, in dem Milch und Honig fließen. Sie kamen an in Wohlstand und einigermaßen sichern Verhältnissen. Voller Freude nannten sie sich dort ein auserwähltes Volk, voller Freude und mit zunehmendem Stolz. Mit Stolz, denn so sagten sie: Gott selbst ist mit uns.

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Und weil sie nun zwar nicht zu den ganz Starken zählten, nicht zu den Allermächtigsten, aber immerhin doch eine veritable Erfolgsstory hinter sich hatten, weil ihre Geschichte durchaus eine von Gewinnern war, schlich sich irgendwann ein „nur“ in diesen Satz: Gott ist „nur“ mit uns, denn wir sind von ihm erwählt.

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Aber sind da nicht nach wie vor Versager, hoffnungslose Fälle, solche die nichts auf die Reihe kriegen, die Katastrophen geradezu anziehen? Gibt es solche nicht auch mitten unter diesen Auserwählten? Ja schon. Die müsse aber irgendetwas falsch gemacht haben. Vermutlich erweisen sie sich der Wahl nicht als würdig. Sie verstehen es eben nicht, ihre Chance zu ergreifen. Darum geschieht ihnen schon recht. Doch Moment! Welches Recht? Gibt es irgendein Recht, auf das ihr Berufenen euch berufen könntet?

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Mitten in jenem fruchtbaren Land, das den Erfolg des auserwählten Volkes repräsentiert, erinnert Jesus mit unsanften Worten daran, dass dem nicht so ist: Gott ist noch immer der, der er ist. Und wisst ihr es nicht mehr: Er ist der mit einer unüberwindlichen Schwäche für die Schwachen. Für sie brennt er besonders und nicht in erster Linie für diejenigen, die im Leben die bessere Karte gezogen haben. Auf schönem, fruchtbarem Land fiel euch ein Erbe zu. Das sollte euch nicht überheblich machen, sondern dankbar, das sollte euch nicht zu Menschen machen, die mit hoch erhobenen Nasen durch die Welt gehen, sondern mit offenen Händen.

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Fast 4000 Jahre nach jener Begegnung des Mose mit dem im Dornbusch ist Gott noch immer der, der er ist.

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So arg viel wird heute zwar nicht mehr von Erwählung gesprochen, obwohl das auch unter uns Christen und gerade in Tirol eine lange Tradition hat. Die Rede vom „heiligen“ Land Tirol ist wohl nur noch eine ironische Reminiszenz. Und doch gibt es noch immer so etwas wie ein Erwählungsbewusstsein. Das gruppiert sich nun allerdings weniger um Gebote als vielmehr um Werte, weniger um Religion als vielmehr um Kultur. Nur der Stolz gründet sich nach wie vor auf eine Erfolgsgeschichte. Es ist in unserem Fall nicht die Erfolgsgeschichte vom Sklavenhaufen zu einem freien, wohlhabenden Volk unter dem Schutz Gottes, es ist nun die Erfolgsgeschichte der westlichen Welt oder Europas, durch die Aufklärung hindurch, allerdings auch durch viel Gewalt und Versagen hindurch, hin zu Freiheit und Demokratie und Frieden unter dem Schutz einer prosperierenden Ökonomie. Angesichts einer wachsenden Zahl von Menschen anderen Glaubens in unserem Land erinnern sich manche sogar wieder an das, was man christliche Wurzeln des Abendlandes nennen kann.

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An all dem ist grundsätzlich gar nichts zu bemängeln. Wäre da nicht auch nach wie vor jenes Wörtchen „nur“, das wie ein Parasit am Stolz der Erwählung hängt. Nur für uns und nur für die, die bereit sind, ganz genau so zu sein wie wir, ist dieses gelobte Land des Wohlstands, der Sicherheit und des Friedens. Dieses Wörtchen „nur“ kann uns mit einer Haltung infizieren, die Papst Franziskus einmal als „Komplex der Erwählten“ bezeichnet hat, in dem wir leidenschaftlich auf das eigene Bild schauen und das Bild Gottes nicht mehr erkennen, das dem Angesicht der Anderen, besonders der Schwächsten eingeprägt ist.

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Glauben wir tatsächlich, wir hätten uns all das verdient? Glauben wir, es gäbe einen Rechtsanspruch auf Wohlstand, Sicherheit, Friede? Glauben wir tatsächlich, die Besseren zu sein und deshalb auf der Butterseite des Lebens auf Rosen gebettet. Es bedarf gar nicht des Blicks in die Vergangenheit, um recht deutlich erkennen zu müssen, dass dem nicht so ist. Unsere auserwählte Existenz in der Gegenwart allein richtet so viel Schaden auf diesem Planeten an, dass keinerlei Grund für Stolz besteht.

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Ja sollen wir uns denn etwa gar unseres Glücks, unserer Erwählung schämen? Nein, sicherlich nicht. Wir dürfen und sollen uns freuen. Aber vergessen wir nicht, dass das Privileg, in fettem und gut kultiviertem Grund wurzeln zu dürfen, auch die Erwartung mit sich bringt, Frucht zu tragen. Wessen Erwartung? Die Erwartung derer, die ein weniger privilegiertes Geschick haben, aber auch die Erwartung Gottes, der eine Schwäche hat für die Schwachen und der brennt für die Unglücklichen und Unterdrückten, für die Vergewaltigten und Gefolterten, für die Geängstigten und Vertriebenen. Er ist noch immer der, der er ist, er ist noch immer der, der das Stöhnen und Schreien der Hoffnungslosen hört.

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Ich bin der ich bin und ich bin bei dir. Diese Zusage gilt noch immer und ich darf mich darüber freuen, auch wenn ich zu den Reichen und Satten zähle. Nur sollte ich nicht vergessen, dass Gott nie die einen gegen die anderen erwählt, sondern immer die einen für die anderen. Mose wurde erwählt für das Volk, das Volk als ein Zeichen und Vorbild für die Völker. Die Kirche wurde erwählt als ein Sakrament, ein Zeichen und Werkzeug für die Versöhnung und den Frieden der Welt. Und alle, denen ein günstiges Schicksal und Gottes Gnade Glück und Wohlstand gewährt – wozu sind sie, sind wir erwählt? Nicht vielleicht doch dazu, den weniger Glücklichen Schutz und Zuflucht zu gewähren?

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Freuen wir uns unserer Erwählung, aber vergessen wir nicht, dass er, der uns erwählt hat, eine unüberwindliche Schwäche hat für die Schwachen.

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