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Die Liebe überwindet die Ferne, vor allem aber macht sie die Nähe erträglich

Autor:Niewiadomski Jozef
Veröffentlichung:
Kategoriepredigt
Abstrakt:
Publiziert in:
Datum:2016-01-07

Inhaltsverzeichnis

Inhalt

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Unsere Welt ist klein geworden, bekam einmal gar den Namen “global village”, das globale Dorf,  der große Kaff. Marktmechanismen, Medientechnologie, zuletzt die sog. “social media”:  Facebook, Twitter, und wie sie auch immer heißen mögen, diese modernen Kommunikationsvehikel, brachten Menschen einander näher, beflügelten Träume von universaler Harmonie, Träume von den universal geltenden Menschenrechten, Träume vom Glück aller, die auf Erden wohnen. “Alle Menschen werden Brüder” und Schwestern natürlich auch, fügt der kommunikationsfreudige, gegenderde Zeitgenosse hinzu. Ja, unsere Welt ist klein geworden, sollte deswegen auch ein Paradies werden, dank dem naturwissenschaftlichen und  dank dem technologischen Fortschritt. Umso größer ist nun der Schock, dass das Verbindende gleichzeitig zum Trennenden wird, dass die diskriminierenden Unterschiede im global village  nicht nur nicht verschwinden, sondern erst recht brutal zum Vorschein treten. Zuerst tauchten die Bettler auf unseren Straßen auf, dann nahmen wir erstaunt wahr, dass es in unserer Welt Millionen und Abermillionen von Menschen auf der Flucht gibt. Wir entdeckten, dass Migration nicht identisch sei mit gewinnbringenden Tourismus, dass die neuesten Technologien mit einer Selbstverständlichkeit sondergleichen auch den Terror in unsere Mitte bringen. Das Verbindende scheint nun immer mehr zum Trennenden zu werden; die modernst gestylte Nähe ruft im Menschen Distanz hervor. Kein Wunder also, dass je mehr uns die Herausforderungen eines vereinten Europa an die Pelle rücken, uns umso unerträglicher die Nachbarschaft werden kann, dass Sehnsucht nach Grenzen, Sehnsucht nach Distanz sich wiederum zum Wort meldeten und wir trotz all der political corectness immer mehr in einem Paradox ertrinken. Je mehr unsere humanistisch gesinnte Welt die Liebe zu allen Menschen auf ihre Fahnen schreibt und universal geltenden Menschenrechte proklamiert, umso mehr wird sie dazu verführt, den konkreten Menschen auf Distanz zu halten und seine Konkretheit, seine Ängste und Nöte schlicht und einfach zu übersehen. Die Nähe kann eben zur Bedrohung werden, wenn sie nur im Rahmen der Pflichten gesehen wird. Da wird sie bloß zu jenem Boden an dem die Angst vor Überforderung keimen kann und auch wachsen wird. Die Nähe kann zur Belastung werden, sie kann im Menschen die Distanz hervorrufen. Eine im Kleinen oft gemachte Erfahrung, wenn etwa die Partner, die aus lauter Nähe einander aufzufressen suchten, plötzlich zueinander in Distanz gehen und die Trennung als einzige Lösung ihrer Probleme anschauen, ist uns allen in diesem Jahr stückweise als politische Erfahrung zuteil geworden. Und sie wirft - so überraschend dies auf den ersten Blick klingen man - die Frage auf nach der Kraftquelle für das Ertragen der Nähe,  jener Kraftquelle, die gerade im Weihnachtsfest steckt.

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Liebe Schwestern und Brüder, Weihnachten erzählt nämlich die Geschichte einer sich intensivierenden Nähe. Am Weihnachtstag rücken ja Welten zusammen. Nicht nur menschliche Welten. Am Weihnachtstag überwindet Gott selber die denkbar größte Ferne, rückt dem Menschen nahe und zwar denkbar nah an die Pelle. Das Wort, der Logos Gottes wird Fleisch und wohnt unter uns. Und was macht diese seine Nähe mit uns? Wird sie uns zur Belastung oder zur Inspiration? Zur Belastung wurde diese Nähe immer dort, wo sie nur in Kategorien der Dienstpflichten beschrieben wurde, so ganz nach dem Motto: Weil nun Gott Mensch wurde, musst Du als Christ das und jenes und noch das dazu! So etwas ruft gleich die innere Distanz hervor, bestenfalls kritische Loyalität. Kann uns diese Nähe noch verzaubern? Ja. Und wann tut sie das? Sie verzaubert, wenn der Blick der Liebe im Spiel ist. Denn die Liebe überwindet nicht nur die Ferne, das tun paradoxerweise auch alle möglichen Kommunikationsmitteln und Strukturzwänge. Die Liebe überwindet nicht nur die Ferne, sie macht vor allem die Nähe erträglich. Nur der Liebende wird die Nähe suchen, denn nur die Liebe wird mir helfen meinen Gegenüber auch zu ertragen, zu ertragen ohne Schmicke und auch ohne Verstellung, ohne den Panzer des immer gut drauf seins.

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Beate Heinen: Die Heiligen drei Könige ® 1999

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[Bild: Beate Heinen, Die heiligen drei Könige 1999. © Alle Rechte bei der Künstlerin]

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Liebe Schwestern und Brüder! Ein eigenartiges Weihnachtbild liegt vor Ihnen bei diesem “Königsamt”, dem liturgisch letzten Gottesdienst am Weihnachtstag.

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Wie schon im Evangelium dieser Messe ist auch auf diesem Bild keine Krippe zu sehen, weder Maria noch Josef, geschweige denn die Hirten, Ochs und Esel sind da zu sehen. Auf eine geradezu nüchterne Art und Weise stellt aber das Bild das Geheimnis der Menschwerdung dar: der Menschwerdung Gottes und die damit Hand in Hand gehende Menschwerdung des Menschen. Stellvertretend für  alle Menschen sind es drei Amtsträger, drei Würdenträger, die auf dem Bild zu Menschen werden. “Das Wort wurde Fleisch”, es wohnt unter uns und macht uns die Nähe erträglich. Die Könige stehen ganz nah beieinander. Sie sind um das Kind gruppiert. Das Kind lächelt, will mit seinen ausgebreiteten Armen umarmen, will jenen Königen nahe sein, die normalerweise die Kraft zum Leben aus der Distanz schöpfen. Das Kind zieht sie an. Sein Blick der Liebe entwaffnet die zusammengepferchten Würdenträger, die Amtspersonen, die Dienstpflichtmanager und Privilegienkonsumenten. Der Blick der Liebe, mit dem das Kind die Könige begegnet, lässt sie alle zu Menschen werden. Das Wort, der Logos ist Fleisch geworden und wohnt unter uns. In seiner Menschwerdung verbindet sich der Sohn Gottes mit jedem Menschen (vgl. Gaudium et spes 22); er überwindet die Ferne, macht aber die Nähe erst erträglich. Was heißt das aber konkret? Wie? Auf welche Art und Weise werden die Könige zu Menschen?

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Links unten auf dem Bild sehen wir einen jungen Mann mit einem Blatt Papier in der Hand. Zeugnis steht drauf (auf der Kopie leider schlecht lesbar). Ein benotetes Zeugnis! Und die Note? Ungenügend! Wer hat diese Note eingetragen? Seine Eltern? Die Erzieher? Seine Chefin? Oder er selber? Komplexbeladen glaubt er seine Leistung nicht erbracht zu haben. “Versager”, bekam er immer wieder zu hören. “Schau doch auf jene, die zu Etwas gebracht haben!”, klingt es in seinen Ohren. Er mag aber nicht schauen. Sein Gesicht scheint ganz leer zu sein. Nur seine Augen! Seine Augen sind auf das Kind gerichtet. Auf jenes Kind, dem er sein Zeugnis zum Geschenk macht, weil er nichts anderes vorzuweisen hat. “So bin ich halt! Nicht anders!” Und  weil das Kind dieses Zeugnis annimmt ist dem jungen Man die Nähe dieses Kindes nicht unerträglich. Im Gegenteil: Sie ist heilend. Deswegen wird ihm auch die Nähe zu sich selber, die Nähe zum komplexbeladen Versager erträglich. Er kann sich selber gegenüber barmherzig sein. Und Barmherzigkeit ist heilend. Und dies nicht nur im Jahr der Barmherzigkeit.

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Auf der rechten Seite des Bildes steht ein älter gewordene Mann, einer der bereits ein Stück Lebensgeschichte hinter sich hat. Einer, der von Hoffnungen und Träumen beflügelt war. Einer, der es gewohnt war aus dem Vollen zu schöpfen, deswegen auch Applaus und Anerkennung zu genießen. Nun steht er da mit einem zerbrochenen Gefäß in den Händen, dem Sinnbild für zerbrochene Lebensträume, dem Sinnbild für zerbrochene Beziehungen, für Bruchstückhaftes. Viel Kaputtes ist da in dieser Biographie. Nichts als Scherben und Verletzungen. Gerade in einem solchen Leben ist die Nähe alles andere als Selbstverständlich. Da zieht man sich leicht zurück, kapselt sich in sich selber ein. Allzu leicht wird man zum Gefangenen seines eigenes zerbrochenen Lebensgefäßes. Gerade eine solche Biographie ist auf die Liebe angewiesen, eine Liebe, die auch oder gerade die Nähe zu sich selber erträglich macht. Schüchtern hält der älter gewordene Mann die Scherben dem Kind entgegen und erfährt, dass seine Liebe diese Nähe erträglich macht.

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Schlussendlich steht hinter dem Kind die älteste der drei Personen. Dieser alt gewordene König nimmt die Maske ab, die Maske, die auf seinem Gesicht klebt, die Maske eines starken, eines lächelnden, immer gut drauf seinenden Menschen. Zum Vorschein kommt das menschliche Gesicht, so wie es in Wirklichkeit ist: ein graues, trauriges, leidendes Gesicht. Im Grunde schenkt der alte Mann dem Kind die Maske seiner Lebenslügen. Er, der bis zu seinem letzten Atemzug sich verstellen und verstecken wird hinter der Maske eines Starken, er traut sich diese Maske in der Nähe des göttlichen Kindes abzulegen. Wohl nur aus der Kraft des Vertrauens, dass die Liebe des Menschgewordenen Sohnes Gottes seine nackte Existenz erträgt und sein Menschsein akzeptiert. Er weiß, dass er sich schwach zeigen kann, weil seine Schwäche nicht die Stärke bei dem Anderen provozieren wird. Geliebt werden heißt ja sich schwach zeigen zu können, ohne die Stärke zu provozieren.

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Liebe Schwestern und Brüder, Sie werden sich längst fragen, was hat die Betrachtung des Bildes mit der Analyse der gegenwärtigen Weltsituation zu tun, die ich im ersten Teil der Predigt gebracht habe. Ich habe das Bild der Menschwerdung als Geschichte der Nähe gedeutet, eine Geschichte, die fortwährend Schwäche zulässt, Scheitern nicht unter den Teppich kehrt, eine Geschichte, die dadurch vorwärts getrieben wird, dass Menschen - durch den Blick der Liebe gestärkt - die Panzer ablegen und sich menschlich, weil verletzlich zeigen. Die so erfahrene Nähe stellt keinesfalls Belastung dar. Im Gegenteil: sie wird zur Spur der Erlösung. Die Nähe, mit der uns die moderne Welt beschenkt beflügelt zwar unsere Träume. Das Verbindende dieser Welt bleibt allerdings gleichzeitig auch der Motor des Trennenden. Die Technologie verbessert  ja den Menschen nicht, sie verschärft bloß die Chancen aber auch die Konflikte. Die modern gestylte Nähe wird im Menschen immer mehr Distanz hervorrufen, wenn nicht... . Ja, was denn? Wenn sie nicht dauernd veredelt wird durch jene Nähe die der Blick der Liebe mit sich bringt. Und das ist ja der Blick von Weihnachten. Denn: nur der menschgewordene Gott - und das sage ich ganz bewusst gerade im Zeitalter des religiösen Relativismus - vermag diesen Blick derart zu weiten, dass alles, aber gar alles, was menschlich ist, von ihm verzaubert werden kann. Beglückwünschen wir uns zu dem uns und das Leben aller Menschen begleitenden Wunder: Dem Wunder der Liebe Gottes, jenem Wunder, das uns allen zur Menschwerdung verhilft. So verhilft, wie das dieses lächelnde Kind auf dem Bild tut. Die Nähe dieses Kindes verzaubert auch heute noch. Deswegen können wir Menschen sein, und zwar so wie wir sind: mit unseren schlechten Zeugnissen, mit zerbrochenen Gefäßen in den Händen. Vor allem aber ohne die uns verstellenden Masken. Das Wunder von Weihnachten, die Menschwerdung Gottes verhilft ja uns allen zur Menschwerdung.

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