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Trotzdem auf ein Kind warten. Erster Adventsonntag 2015

Autor:Guggenberger Wilhelm
Veröffentlichung:
Kategoriepredigt
Abstrakt:
Publiziert in:
Datum:2015-12-09

Inhaltsverzeichnis

Inhalt

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Was für ein Text!

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Ein Weckruf, ein Paukenschlag, oder doch eher ein Tiefschlag.

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Ein Text ist dieses Evangelium von der Sorte, mit der Apokalyptiker gern hausieren gehen und auf den Marktplätzen das Ende ankündigen. Ein Text von der Sorte aber auch, die der Prediger gern meiden möchte, weil er es nicht zustande bringt, sich das angekündigte Ende als etwas zu denken, das er aus der Loge des Unheilpropheten in sicherer Distanz betrachten könnte, genüsslich sich die Hände reibend, weil er es doch immer schon gewusst und immer schon gesagt hat. Ja, und jetzt sehen es alle.

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Nein, so kann der Prediger es sich nicht denken und daher muss er auch sofort in die Perspektive der ersten Person wechseln und sagen: Ich möchte am liebsten eigentlich gar nicht reden über eine derart düstere Vision. Auch wenn dahinter des Heil steht, auch wenn die Erlösung angekündigt wird - nach den schrecklichen und erschütternden Zeichen und Ereignissen. Dieses Heil ist immerhin eines, das man verschlafen, verpassen, verfehlen kann. Und was sollte mich schon sicher machen, dass ich das nicht tue. Als wohlstandsverwöhnter Westeuropäer, in dessen Leben es bislang wirtschaftlich immer nur bergauf ging, der von Schicksalsschlägen weitestgehend verschont geblieben ist; kann ich mir da sicher sein, dass ich eine solche Katastrophenzeit vor dem Happy End durchstehen würde, ohne zu zerbrechen, ohne zu verzweifeln, ohne zu scheitern? Und was ist mit denen, die mir lieb und wichtig sind?

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Am liebsten also nicht nachdenken, über so einen Text.

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Aber jetzt ist er schon gelesen. Und dramatischerweise passt er unglaublich gut auf das, was ich täglich in den Nachrichten höre und in der Zeitung lese.

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Die Zeichen am Himmel sind zwar nicht solche der Planeten und Gestirne, sondern eher Flugzeuge eines Koalitionspartners im Krieg gegen das Böse, die von einem anderen Partner abgeschossen werden. Die Ozeane brüllen und toben weniger, als dass sie mancherorts unaufhaltsam steigen während sie andernorts schweigsam aber unerbittlich ein Flüchtlingsboot nach dem anderen in den Tod ziehen.

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Aber fraglos werden die Gesichter der Verzweiflung immer mehr und die Angst schnürt unsere Herzen ein und lässt sie zerfließen. Diesen Sieg zumindest hat der IS schon davon getragen; die Angst vor der Zukunft, vor der Wirtschaftskrise, vor der Klimakatastrophe ist der blanken Angst vor dem Terror gewichen, der jederzeit und überall töten kann. Da mögen noch so viele Experten im Fernsehen wissend die Welt erklären, die Ratlosigkeit angesichts all dessen können sie doch kaum kaschieren.

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Dieser Text, den ich eigentlich am liebsten los sein möchte hat sich also schon festgesetzt im Kopf und bohrt im Herzen und ich frage mich: Ist das jetzt die Zeit, die da kommen soll? Und: was ist es eigentlich, das kommen soll mit und durch diese Zeit?

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Der Menschensohn heißt es soll kommen und mit ihn Recht und Gerechtigkeit, also der Erlöser selbst und mit ihm unsere Rettung. Und wie soll er kommen?

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Auf den Wolken des Himmels, mit Macht und Herrlichkeit, heißt es, also sozusagen mit Pauken und Trompeten und wohl auch mit Feuer und Schwert.

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Ist das jetzt diese Zeit? Müssen die Katastrophen sich noch ein Wenig steigern, zuspitzen, dass diese Kraft Gottes sich Bahn bricht?

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Ich möchte es gern glauben, dass Christus vor der Tür steht und sie alle mit einem Handstreich wegwischt, die Terroristen und die Fanatiker, die Hardliner und Kriegstreiber, und mit ihnen alles Elend und alles Unrecht. Ich möchte es gern glauben und kann es doch nicht wirklich, kann nicht recht glauben, dass jener Gott, der sich abschieben und ausgrenzen, verfolgen und demütigen, quälen und erschlagen ließ, dass er eines Tages zurück kommen wird als Kriegsheld. Wenn das Dreinschlagen und das gewaltsame Zurechtrichten sein Ziel ist, warum hätte er das dann nicht gleich tun sollen, schon bei seinem ersten Kommen. Aber das war doch reichlich unspektakulär.

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Bei all dem kommt mir ein Buch der deutschen Religionswissenschaftlerin Esther Maria Magnis[1] in den Sinn. Vor drei Jahren hat die junge Frau sich darin die Erfahrungen mit einer anderen, einer privaten Katastrophe von der Seele geschrieben.

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Die Autorin beschreibt, wie sie, fast noch ein Kind, wenig anfangen konnte mit dem Bild vom lieben Jesus, das ihr vermittelt wurde. Zu harmlos war das, zu blass. „Ich hatte genug Freunde“ schreibt sie. „Ich brauchte als Vierzehnjährige nicht noch einen unsichtbaren und schon gar keinen orientalischen Pazifisten mit Schlappen und Vollbart … Man konnte ihn neben Gandhi abhaken unter der Kategorie: ‚Der Typ war okay.‘“

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Dennoch betet sie dann mit ihren Geschwistern, geradezu hysterisch, um ein Wunder, als der Vater an Krebs erkrankt. Ein solches Wunder traute sie Gott zu, ist völlig überzeugt von seiner Realität. Das Wunder bleibt aus.

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Mit dem Tod des Vaters zerbrach viel. Still und kalt blieb die Welt. Ohne Gott. Denn als starker Held hatte Gott sich nicht erwiesen und bauchte sie einen anderen. Brauchen wir einen anderen Gott?

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Die Welt erscheint ihr nun als schlechtes, als miserables Theaterstück und die Leitung des Theaters kann dagegen leider gar nichts tun, weil sie selbst mitten im Publikum sitzt – im Bruder, im Nächsten. Ein Opfer wie wir. Und viele im Publikum nicken traurig.

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Verhält es sich so mit unserer Welt und unserem Gott?

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Ohne Gott blieb die Welt der Esther Maria Magnis lange. Doch irgendwann begann der Gedanke an ihn sich ihr wieder aufzudrängen. Nein, versöhnt hatte die junge Frau sich nicht mit ihm, aber seine Realität schien ihr derart unabweisbar, dass es sinnlos war, ihn zu ignorieren. So begann sie sich ihm langsam wieder annäherte. Und ihr Leben kam allmählich wieder in beruhigte Bahnen, wie fast nach jeder Katastrophe so ist. Und es gab sie wieder die kleinen Momente des Glücks und der Geborgenheit vor einem Horizont der Bedrohung.

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Da erkrankt auch der Bruder an Krebs.

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Doch diesmal ist es anders. Nein, nicht leichter. Das Hoffen ist da und das Betteln um ein Wunder und das Kämpfen mit Gott. Der Abschied und das Sterben bekommt nichts Verklärtes. Unser Glaube, schreibt Esther Maria Magnis, unser Glaube hat in sich das Wissen um den ganzen Dreck der Welt. Und sie schreibt auch, dass sie Gott nicht verseht und ihm das auch sagt. Was bleibt uns denn oft auch anderes übrig.

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Und doch ist diesmal etwas anders. Die junge Frau und ihr sterbender Bruder nehmen wahr, dass die Ordnung der Welt, also eigentlich die Unordnung der Welt irgendwie aufgehoben ist. „Und die neue, von Gott gegebene“ Ordnung, so heißt es, „hatte eine Hierarchie, in der der Krebs ganz unten war.“ Er hatte damit offenbar nicht seine Macht zu töten verloren, wohl aber die Macht, mit seinem Terror alles Denken und Fühlen zu vergiften.

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Was war im Vorfeld geschehen. Mir scheint, das vermag Esther Maria Magnis selbst nicht so recht in Worte zu fassen. Jedenfalls sind da jene Momente, in denen sie ganz unten, hinuntergebeugt in der Gosse der eigenen Existenz – gerade dort – ihrem Gott begegnete. Einem Gott von dem sie sagt, hätte er nicht auch selbst gelitten, sie hätte mit ihm nichts anzufangen gewusst.

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Es sind da aber auch Momente, die von außen betrachtet so gänzlich banal und nichtssagend erscheinen, in denen man aber ganz klar so etwas wie eine Verbundenheit fühlt, mit allem was ist und allem was gut ist und in denen man auch weiß: es ist gut, trotz allem.

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Solche Winzigkeiten vermochten die Unordnung der Welt für einen sterbenden jungen Mann Anfang 20 und seine kaum ältere Schwester auf den Kopf zu stellen. Das genügte.

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Genügt es auch, die Unordnung der apokalyptischen Welt da draußen auf den Kopf zu stellen? Sind es diese Winzigkeiten, worauf wir wachsam achten sollen, damit wir sie nicht übersehen und verpassen? Ist es das, worauf wir warten?

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Mache ich die Macht Gottes damit nicht allzu klein?

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Ist nicht Advent in dieser Welt, die Zeit der guten Hoffnung, die Zeit des Wartens auf eine Ankunft; nein, nicht auf eine Ankunft, auf eine Niederkunft, weil das Erwartete eben kein Kriegsheld ist, sondern ein Kind ist.

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Wenn wir ernsthaft adventlich leben wollen, haben wir dann eine andere Herrlichkeit zu erwarten als die einer Niederkunft und können wir auf eine andere Macht bauen, als auf jene der kleinen Krippenmomente, in denen Menschen sich niederbeugen und klein werden vor dem Kleinen. Haben wir andere Durchbrüche zu erwarten, als solche, die sich in den wenigen Augenblicken ereignen, in denen auch die Hartgesottenen, die im alltäglichen Kampf ums Überleben Erstarrten und die in der kühlen Rationalität von Wissenschaft und Politik Festgefahrenen dahinzuschmelzen beginnen - nicht aus Angst und Verzweiflung -, sondern weil die Verletzlichkeit, die da vor ihnen liegt jegliche Gewalt verunmöglicht und weil die Schönheit, die sich ihnen Offenbart jeglichen Zugriff verbietet, der nicht Liebkosung wäre.

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Spärliche Momente mögen das sein. Eine schwache Macht ist das, von der nicht viel zu erwarten ist. Aber was verändert denn all das in unserer Welt, von dem wir uns viel erwarten? Stellt irgendetwas von den machtvollen Auftritten und starken Worten, die allerorten an der Tagesordnung sind, die Unordnung der Welt eher auf den Kopf?

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Es ist Advent in dieser Welt; dunkler wird es und auch kälter. Daher wächst die Sehnsucht nach großen Lösungen und der Ruf nach heldenhaften Durchbrüchen wird lauter. Aber vielleicht gilt es trotzdem, nach wie vor noch immer nur auf ein Kind zu warten.

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[1] Magnis, Esther Maria: Gott braucht dich nicht. Eine Bekehrung. Rowohlt 2012.

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