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Mehr als Schwarzbeeren pflücken. Ansprache zum Anlass von Sponsionen und Promotionen am 11. Juli 2015

Autor:Guggenberger Wilhelm
Veröffentlichung:
Kategoriefak
Abstrakt:
Publiziert in:
Datum:2015-09-02

Inhaltsverzeichnis

Inhalt

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Magnifizenz, lieber Vizerektor Roland Psenner, lieber Professor Aigner, geschätzte Kolleginnen und Kollegen, liebe Studierende, verehrte Verwandte, Freunde und Bekannte unserer AbsolventInnen und natürlich ganz besonders Sie, die Sie heute den Abschluss Ihres Studiums feiern. Es freut mich, dass ich bei diesem schönen Anlass in der Roll des Sponsions- bzw. Promotionsdekans mit Ihnen feiern darf.

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Einem meiner eigenen Doktoratsstudenten, einem Jesuiten aus Tamilnadu, der über Leadership  für ein modernes Indien arbeitet, verdanke ich folgendes kleine Gedicht von Elizabeth Barrett Browning, einer englischen Lyrikerin des 19. Jahrhunderts

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Earth's crammed with heaven,
And every common bush afire with God,
But only he who sees takes off  his shoes;
The rest sit round and pluck blackberries.

Die Erde ist angefüllt - ja man könnte fast übersetzen - vollgestopft mit Himmel
und jeder gewöhnliche Busch entflammt mit Gott
doch nur derjenige, der sieht, zieht seine Schuhe aus
die übrigen sitzen herum und pflücken Schwarzbeeren

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Ich denke Sie werden mir, einem Theologen, nachsehen, dass ich mit einem Text einsteige, der auch von Gott spricht. Ich meine aber, dass dieses kleine Gedicht eine Dimension anspricht, die wichtig, ja zentral ist für den gesamten Bereich geisteswissenschaftlichen Tuns.

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Ja, die Welt lässt sich vermessen, wiegen, durchleuchten, sie kann analytisch zerlegt und in immer größerem Maße auch neu synthetisiert werden. Wir können uns der Welt bemächtigen, mit einem Wissen, das Macht ist, weil das Verstehen von Gesetzmäßigkeiten den Eingriff in diese erlaubt. Wir können die Welt als Schwarzbeergarten sehen, den es nur effizient abzuernten gilt, als Ressource für unsere Gewinninteressen. All das ist legitim und mehr als das, es ist auch notwendig. Allerdings meine ich, wir sollten nicht aus dem Blick verlieren, dass es Grenzen für solche Bemächtigung gibt, jenseits derer wir uns den Boden unter den eigenen Füßen wegziehen. 

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Doch wenn es nach wie vor junge Menschen gibt, die sich der so ineffizienten Geisteswissenschaft verschreiben - und im Übrigen auch Eltern, die bereit sind, ihren Kindern solche Studien zu ermöglichen -, wenn die Universität Innsbruck sich dafür entschieden hat, einen großen geisteswissenschaftlichen Forschungsschwerpunkt einzurichten, dann wohl deshalb, weil wir trotz allen technischen Fortschritts und aller ökonomischen Optimierung, weil wir nach allem Messen und statistischem Prognostizieren, das Gefühl nicht los werden: Eigentlich haben wir über die Wirklichkeit in der wir Leben noch garn nicht wirklich gesprochen.

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Fakten und Daten sind das eine. Sinn und Bedeutung ist etwas anderes. Sinn und Bedeutung sehen zu lernen ist eine ebenso wichtige und auch schwierige Aufgabe wie das Erlernen empirischer Methoden und mathematischer Berechnung. Man mag im Zuge solchen Lernens auf Gott und Himmel stoßen, man mag auf Werte stoßen, auf Ideale, auf Poesie ... auf Realitäten jedenfalls, die letztlich etwas Geheimnisvolles bewahren, weil man sie sich nicht aneignen kann, ohne sie zu zerstören. Da sind dann Feingefühl und Ehrfurcht als Haltungen eines Wissenschaftsethos gefragt. Da gilt es, wie unser kleines Gedicht es sagt, die Schuhe auszuziehen, um nicht das Gespür zu verlieren für den Boden unter unseren Füßen, den physischen Boden, aber noch mehr den Boden der Kulturen, der Traditionen, der Künste, den Boden der Geschichte. Auch wenn die Realitäten um die es hier geht ein letztes Geheimnis bewahren und sich ungern letztgültig festmachen, fixieren lassen in ihrem Sinn und ihrer Bedeutung; man kann doch vernünftig und reflektiert über sie sprechen, ja man muss es, will man nicht behaupten Wissenschaft könne alles in den Blick nehmen, nur nicht das, was uns Menschen zu Menschen macht.

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In diesem Sinn scheint es mir eine der vornehmsten Aufgaben einer Universität zu sein, künftige Pädagoginnen und Pädagogen auszubilden und in ihnen die Sehnsucht zu wecken hinter die Erscheinung zu blicken, die Sehnsucht in der bloßen Form eine bedeutsame Gestalt zu erkennen und gemeinsam mit ihnen Sehfähigkeit und Sprachfähigkeit für Sinn und Bedeutung zu kultivieren. Denn sie, die in Erziehung und Ausbildung der kommenden Generationen tätig sein werden - in unterschiedlichen Bereichen -, sie könnten es sein, die uns davor bewahren zur reinen Pflückkolonne zu verkommen. Einer Pflückkolonne, die blind bleibt für alles was nicht als nutzbare Schwarzbeeren in unsere Eimer wandert, blind auch für die Fragilität der ökologischen und sozialen Umwelt in der wir leben.

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Papst Franziskus hat diese Fragilität letzthin zum Thema eines kirchlichen Lehrschreibens gemacht, weil - wie er meint - unsere Welt bereits so arg demoliert ist, dass wir höchst dringlich umdenken müssen. Dabei, so sagt er, sollten wir auf keinen Wissenschaftszweig und  keine Form der Weisheit verzichten. Und wir sollten wieder lernen, der Welt mit Offenheit für das Staunen, das Wunder, die Geschwisterlichkeit und die Schönheit zu begegnen, weil wir andernfalls zu bloßen Ausbeutern dieser Welt werden. 

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Die Entwicklungen im Bereich der Wissenschafts- und Hochschulpolitik stimmen in dieser Hinsicht freilich mitunter nachdenklich, um nicht zu sagen pessimistisch.

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So wird mir etwa ziemlich unwohl wenn ich höre, dass unser Ministerium - falls Sie vergessen haben sollten, welches Ministerium für uns Universitäten zuständig ist; es ist das Wirtschaftsministerium - dass also unser Ministerium den Universitäten zusätzliches Geld für DoktorandInnen gibt, sofern diese zuvor mit eingeworbenem Geld an der Universität angestellt worden sind. Im Klartext: Wir brauchen mehr Drittmittel um mehr Mittel zu bekommen. Mir kommt da jedenfalls der alte Karl Marx in den Sinn. Von geldheckendem Geld hat er einst gesprochen und meinte damit jenes Geld, dessen einziger Zweck es ist, sich zu vermehren. Er nannte es schlicht Kapitalismus wenn Geld in einen Prozess hineingesteckt wird um am anderen Ende dieses Prozess mehr Geld herausziehen zu können, ohne dass das, was zwischen Input und Output passiert wirklich von Interesse wäre. Sind wir auch akademisch auf dem Weg dorthin? Sollte dem tatsächlich so sein, würde das wenig Gutes verheißen, denn eine Durchkapitalisierung der Wissenschaft müsste für diese eher früher als später den Tod bedeuten. Das gilt für alle Wissenschaften, vielleicht aber doch in besonderer Weise für die Geisteswissenschaften. 

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Sie meine Damen und Herren, die Sie heute Sponsion oder Promotion feiern, sollen freilich nicht mit solch düsteren Gedanken in diesen Tag entlassen werden. Denn Sie sind ja der beste Beweis dafür, dass die Sehnsucht nach dem Sehen lebendig ist, die Sehnsucht nach einem Sehen, das im gewöhnlichsten Busch ein Feuer entdecken kann und auch die Spuren von Himmel in dieser Welt, wie immer Sie sich diesen Himmel auch denken mögen. Sie sind der Beweis einer aufrechten Sehnsucht nach einem akademischen Leben, das weiß: die Episteme (die Wissenschaft) bedarf auch der Phronesis (der Klugheit) und der Sophia (der Weisheit) um nicht zu verkümmert in den schmalen Sektoren dessen, was exakt gemessen und eindeutig bewiesen werden kann. Ich wünsche Ihnen jedenfalls; verlieren Sie diese Sehnsucht nicht. Und unserer Gesellschaft wünsche ich, dass sie das zweckfreie Denken achtet, den Wert von Volluniversitäten anerkennt und dass sie zu schätzen weiß, welchen Reichtum Sie an Menschen wie Ihnen hat, die mehr wollen, als herumsitzen und Schwarzbeeren pflücken.

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