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Danke, dass du mich mir gibst. Christliche Spiritualität für ein Geben und Empfangen auf Augenhöhe

Autor:Sandler Willibald
Veröffentlichung:
Kategoriekurzessay
Abstrakt:
Publiziert in:ChrisCare. Magazin für Christen im Gesundheitswesen, Mai 2015, 18-20.
Datum:2015-06-19

Inhaltsverzeichnis

Inhalt

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„Es gibt kein schöneres Vergnügen, als einen Menschen dadurch zu überraschen, dass man ihm mehr gibt, als er erwartet.“ Dieser Aphorismus von Charles Baudelaire ist einem kritischen Zusammenhang entwendet. Ein wohlhabender Mann gibt einem Bettler eine Goldmünze (dass diese auch noch Falschgeld ist, soll uns hier nicht weiter interessieren), und kommentierend sagt er zu seinem Begleiter ebendiese Worte. Dieser, der Ich-Erzähler von Baudelaires kleiner Geschichte, bemerkt dazu: „Ich blickte ihm tief in die Augen und sah mit Entsetzen, dass seine Augen von unbestreitbarer Treuherzigkeit leuchteten. Da erkannte ich denn, dass er zugleich ein Almosen geben und ein gutes Geschäft machen wollte; zwanzig Groschen und Gottes Herz dazu gewinnen, das Paradies erknausern und zuletzt noch kostenlos als ein Wohltäter dastehen wollte. ... seine törichte Berechnung werde ich ihm nie verzeihen.“

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Nicht nur unser Umgang mit sogenannten „Armen“ ist durch Geben und Nehmen bestimmt; Gleiches gilt für alle sozialen Verhältnisse. Bereits archaische Völker sicherten durch zeremoniell regulierte Praktiken von Schenken, Gegengabe und Weitergabe ihre sozialen Beziehungen. Durch das gegenseitige Schenken auch von wenig nützlichen Dingen werden Bande der Anerkennung und Wertschätzung geknüpft. Das ist auch heute noch so; aber charakteristisch für unsere gegenwärtige Welt ist eine weitgehende Ökonomisierung unserer Gabe-Verhältnisse. Für immer mehr Bereiche gilt: Alles hat seinen Preis, und wer den bezahlt hat, braucht nicht mehr danke sagen oder sich auf andere Weise erkenntlich zeigen. Lieber bezahlt man für den Bau seines Hauses, unter Umständen mit jahrzehntelangen Krediten, als dass man sich – wie früher in Dörfern – durch Nachbarschaftshilfe zu Dankesschuld und lebenslangen Gegendiensten verschuldet. „Arme“ – Mittellose, Obdachlose, Migranten – haben hingegen nicht die Mittel, sich freizukaufen, und so stehen sie in Gefahr, ihre eigene Würde durch fortgesetzte Dankesschuld zu verlieren. Es ist entwürdigend, ständig Gaben zu erhalten ohne selber geben zu können. Es sei denn, ein Bettler kalkuliert die Schuld und den Nutzen auf seiten des Spenders: Du gibst mir einen Geldschein, und ich ermögliche dir dadurch, dass du dich von deinem schlechten Gewissen freikaufst. Also sind wir quitt.

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Allerdings werden bei einem solchen „Deal“ beide zu Verlierern. Was auf der Strecke bleibt, ist der Fluss der Anerkennung. Dafür wäre es zum Beispiel notwendig, dass Gebender und Empfangender einander in die Augen schauen. Genau dies wird aber meist vereitelt durch eine Scham auf beiden Seiten; auch der Gebende schämt sich, wenn er spürt, dass er durch sein Almosen den Empfänger beschämt, indem er ihn gerade durch seine milde Gabe auf die unterlegene Position eines Almosenempfängers fixiert. Und wo der Blick in die Augen des Anderen dennoch mühelos erfolgt (Mitleid heischend oder neugierig), hat es unter Umständen nicht mit Freiheit von Scham zu tun, sondern mit Schamlosigkeit: in der Weigerung, den anderen als Person anzuerkennen.

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Doch jenseits von Scham und Schamlosigkeit gibt es auch das ganz andere: etwa den beinah freundschaftlichen Austausch von Kunden mit dem ausländischen „Zwanziger“-Verkäufer1 vor dem Supermarkt. Solcher Austausch auf Augenhöhe ist offensichtlich beglückend für beide. Auf einmal stehen beide als dankbare Empfänger da. „Danke, dass du mich anschaust, erkennst und anerkennst“, könnte einer zum anderen sagen. Und dabei weiß jeder, dass nicht er der Verursacher dieser glückenden Begegnung ist. So könnten beide miteinander sagen: „Danke, dass wir einander anerkennen und wertschätzen können“.

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Als Christen können wir diesen Dank an Gott richten. Von Grund auf können wir uns als Geschöpfe begreifen, die vom göttlichen Schöpfer umfassend beschenkt sind:

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Danke, dass Du mir verschiedene Dinge gibst – zum Beispiel die „Früchte der Erde und der menschlichen Arbeit“, wie wir in der Gabenbereitung der Eucharistie beten;

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Danke, dass Du (auch vermittels dieser Dinge) dich mir gibst, – zutiefst in den Abendmahlsworten Jesu: „Nehmt und esst, das ist mein Leib, der für euch hingegeben wird“;

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Danke, dass du – als mein Schöpfer – mich mir selber gibst.

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Zum letzten Punkt: Nicht nur am zeitlichen Anfang meines Existenz, sondern in jedem Augenblick meines Seins empfange ich mich von Gott. Dieser Strom eines fortlaufenden Sichverdankens bricht die geschlossenen Systeme von ökonomischen Gabe-Kreisläufen zwischen den Menschen auf. Ich kann frei und rückhaltlos geben – auch dort, wo ich keinen Dank zu erwarten habe –, weil ich mich schon vorweg beschenkt, wertgeschätzt und geliebt weiß. So wird reines Geben möglich, welches nicht den Empfänger für dessen frühere Gaben bezahlen will oder ihn hinterrücks verschuldet, in der Erwartung gesteigerter Gegengaben oder indem ich ihn in seiner Rolle als Almosenempfänger festschreibe.

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Wir empfangen also nicht nur Gaben von Gott, sondern uns selbst mit der Fähigkeit, Gaben in Freiheit anzunehmen und unsererseits selber frei und liebend zu geben. Nicht nur weil wir alles, was wir geben können, von Gott empfangen haben, sondern weil wir unser ureigenstes Gebenkönnen Ihm verdanken, kann König David betend bekennen:

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„Wer bin ich, und was ist mein Volk, dass wir imstande waren, auf solche Weise freigebig zu sein? Denn von Dir kommt alles, und aus Deiner Hand haben wir Dir gegeben“ (1 Chr 29,14).]
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Indem ich Gott solcherart danke, nehme ich die von Ihm geschenkte Ermächtigung, auf eine heilvolle Weise zu geben, an, – auch in meinem Geben gegenüber Mitmenschen. Gott gibt mir, dass ich meinem Mitmenschen nicht nur etwas gebe, sondern darin zugleich mich selber, etwas von mir selber, – im Vollzug von Wertschätzung, Anerkennung, Liebe. Und mehr noch: Gott gibt mir, dass ich dem Anderen ihn sich selber geben kann. Gemeint ist damit ein freisetzendes und freilassendes Geben. Wenn es darum geht, in meinem Geben Liebe fließen zu lassen, so braucht es dafür zweierlei: Nähe und Abstand. Eine Selbstgabe, die nicht zugleich den Anderen darin unterstützt, dass er im Unterschied zu mir er selber sein kann, wird vereinnahmend und im Extremfall missbrauchend.

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Aber kann ein Mensch wirklich so schenken, dass sich das mit den Worten ausdrücken lässt: „Ich gebe dich dir“? Ist dies nicht die subtilste Bemächtigung und Manipulation, wenn ich mich anschicke, für den Anderen ermöglichender Grund für dessen Freiheit zu sein? Nicht, wenn ich Gott als den eigentlichen Urheber dieses Selberseinkönnens anerkenne und mich in den Dienst stelle, so zu geben, dass das gottgewirkte Freilassen des Anderen von mir unterstützt wird. Es handelt sich hier um das Gegenteil eines bemächtigenden Gebens, welches den Anderen abhängig macht. Ein solches freilassendes Geben beginnt bereits, wenn man den Dank für eine Gefälligkeit mit den Worten „keine Ursache“ beantwortet. Und es kann noch viel tiefer reichen.

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       Eine christliche Spiritualität des Gebens kann das ganze Leben durchformen, denn unser ganzes Sein in all seinen Beziehungen ist von Geben und Nehmen durchwirkt, – beginnend mit dem Rhythmus des Atmens, der ein unausgesetztes Wechselspiel von Nehmen und Geben markiert. Eine tiefe, auch gesellschaftlich zementierte Heillosigkeit kann von daher als spirituelle Atemlosigkeit bezeichnet werden. Manche Menschen wollen nur geben, und können es nicht, weil sie nicht tief genug empfangen können. Andere wollen nur empfangen, in grenzenloser Gier, weil sie nicht wirklich empfangen können (nicht die Liebe in den Gaben), und auch weil sie jenes Empfangen vernachlässigen, das einen nur im Vollzug eines absichtslosen freilassenden Gebens erreicht. Erlösung bedeutet auch ein Heilwerden unseres beeinträchtigten Geben- und Nehmenkönnens. Und diese Erlösung verwirklicht sich in einer tiefen Dankbarkeit gegenüber Gott, dem All-Gebenden, – einer Dankbarkeit, die wir nicht leisten, sondern selber nur als Gnadengabe erfahren können.

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Diese Überlegungen sind nicht nur die Frucht von Nachdenken und Studium in meiner universitären Tätigkeit, sondern verdanken sich einer mittlerweile jahrelangen Praxis in einem kleinen Gebetshaus, in dem wir täglich auch „Armen“ und Belasteten begegnen.2 In diesen Begegnungen, in denen ich gewiss auch viel gegeben habe, erfuhr ich mich durchwegs selber als Beschenkter. Ob reich oder arm, gesund oder krank, ... miteinander sitzen wir Jesus zu Füßen. Vor Gott sind wir alle Empfänger, aber nicht in einer verschuldenden, sondern in einer freisetzenden Weise, die jeden von uns gleichermaßen zum potentiellen Geber macht, – unabhängig von Besitz, Begabung und sozialem Status. Diese Gleichrangigkeit ist zunächst eine atmosphärische Erfahrung: vor allem in den Eucharistiefeiern und den anschließenden Mahlzeiten. Dadurch werden Bedürftige freigesetzt, wirklich empfangen zu können, – weil keine Scham sie daran hindert. Und wer wirklich empfängt, das heißt eine Gabe auch als Gabe annehmen kann, bringt damit erst das Geben an sein Ziel und bereichert so den Geber, der seinerseits dafür danken kann. Diese Atmosphäre einer alle verbindenden Dankbarkeit – „danke, dass wir einander so annehmen können“ – ermöglicht Ganzwerden, Heilwerden oder „Subjektwerdung“ zugleich bei Reichen und Armen. So wird das Wunder möglich, dass Menschen einander auf doppelte Weise sich selbst geben können: „Danke, dass du dich mir gibst“ und „Danke, dass du mich mir gibst“.

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Anmerkungen

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1Das ist ein soziales Zeitungsprojekt für Mittellose und Migranten.

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2Vgl. in Internet: dieweide.org

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