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Die Zeit der Gnade
(Predigt zum Aschermittwoch 2015)

Autor:Niewiadomski Jozef
Veröffentlichung:
Kategoriepredigt
Abstrakt:
Publiziert in:
Datum:2015-03-11

Inhaltsverzeichnis

Inhalt

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Predigt zum Aschermittwoch 2015, gehalten in der Jesuitenkirche am 18. Feburar 2015 um 19. Uhr (zu 2 Kor 5,20-6,2)

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Fasten! Fasten zur Reinigung des Körpers. Als Erholung für die Seele. Zur Stärkung des Willens! Kaum jemand wird die Heilwirkung des Fastens bestreiten. Dessen befreiende Wirkung ist ja mit allen Sinnen wahrnehmbar und macht für viele Menschen die Fastenzeit zur Zeit der Gnade. So stimmig, liebe Schwestern und Brüder, diese Logik zu sein scheint, so fragwürdig wird sie werden, wenn man die Frage aufwirft, wofür denn eigentlich die Fastenden frei werden möchten. Für die neuen Kilos? Für neue Süchte und Sehnsüchte? Für den noch größeren Alltagsstress? Es ist ja geradezu atemberaubend zu sehen, dass ausgerechnet Jesus nach seiner vierzigtägigen Fastenkur in der Wüste nicht mit seinem liebenden Vater konfrontiert wurde. Nein! Der Versucher kam an ihn heran. Ein Versucher, der sich sogar zu Gott aufspielte und ihn zu verführen suchte. “Hallo, mein lieber Freund, der Du gereinigt dastehst und offen ... Schau ..., all das, was Du da siehst, all das, was in Deiner Vorstellungskraft liegt, all das werde ich Dir geben. Es wird eine Zeit der Erfüllung, eine Zeit der Gnade für Dich einbrechen.  Nur falle nieder und bete mich an!”, sagte der Satan, der Durcheinanderwerfer, jener, der die Gnade in ihr Gegenteil verkehrt. Und aus dem, was mir als Gnadengabe zukommt, ein neidgeladenes Objekt des Begehrens macht. Diese satanische Verführung macht auf die Ambivalenz des Fastens aufmerksam.

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Denn durch Fasten bereiten sich Menschen auf ihren Einsatz in Sachen Menschlichkeit und Versöhnung vor, durch Fasten trimmen sich die Selbstmordattentäter zur Erfüllung ihrer dämonischen Mission. Fasten allein sagt also gar nichts darüber aus, ob man durch Fasten frei wird für Gott oder frei für die Begegnung mit Dämonen, frei für die Konfrontationen mit dem eigenen neiderfüllten Begehren. Ob man sensibler wird für das Geschenk des Geliebtseins oder verstockter im eigenen Hass, in eigenen Süchten, Verhärtungen, im eigenen ressentimenterfüllten Geist. In Fiodor Dostojewskijs “Brüder Karamasov” treffen wir zwei fastende Mönche: den Vater Ferapont, der exzessiv fastet, dennoch oder aber gerade deswegen von dämonischen Geistern erfüllt bleibt, und den Vater Sosima, den liebenswürdigen, begnadeten, auf eine menschenfreundliche Art und Weise fastenden Alten. Ja, liebe Schwestern und Brüder, fastende Menschen können anderen das Kreuz abnehmen, fastende Menschen können andere ans Kreuz schlagen. Es ist gut, sich diese Alternativen zu Beginn der Fastenzeit vor Augen zu führen. Wegen ihrer Ambivalenz wird von der Kirche das Fasten mit der Haltung der Solidarität, also mit Teilen, verbunden und mit Gebet, mit der Haltung der richtigen Anbetung. Nur im Sensibelsein, im Offenbleiben auf den Nächsten hin, denjenigen, der rechts und links von mir lebt und auch hinter mir ist und vor mir. In der sensiblen Wahrnehmung des Nächsten und im Offenbleiben auf Gott hin wird die Zeit des Fastens zu einer Zeit der Gnade: zu einer Zeit, in der wir zur Versöhnung finden, zur Versöhnung mit Gott, mit den Mitmenschen und mit uns selber. Gott selber hat sich ja mit uns versöhnt. Er ist in seinem Sohn herabgestiegen, ließ sich durch unsere dämonisch anmutende Strategie ausgrenzen und fiel uns selber zum Opfer: “ich, ich habe es verschuldet, was Du gelitten hast”, singen wir im Passionslied. Er befreite uns, versöhnte uns kraft seines Kreuzes, des Kreuzes, auf dem Beziehungen gestiftet wurden.

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Die bestbekannte Geschichte, die der Trappistenmönch und Märtyrer Christian de Chergé überliefert, möge uns in dieser Zeit des Fastens begleiten, damit diese Zeit uns zu einer Zeit der Gnade wird. “Wieviele Kreuze siehst Du, wenn Du das Kruzifix anschaust”, fragte Christian de Chergé einen muslimischen Suffi. “Zwei, eigentlich drei”, antwortete der Suffi. “Zuerst sehe ich das Kreuz der ausgebreiteten Arme. Es wurde von Gott selber erschaffen. Das ist das ursprüngliche Kreuz, es wurde geschaffen, um zu umarmen. Dann sehe ich das Kreuz der angenagelten Arme. Dieses wurde von Menschen erschaffen.” Sie erschaffen es, wenn sie selber erstarren, wenn sie ihre Mitmenschen festnageln, wenn dadurch Grenzen entstehen, Ausgrenzungen vollzogen werden und Ressentiment und Hass festgeschrieben werden, wenn versöhnende Umarmung unmöglich gemacht wird. “Und dann, dann gibt es noch das dritte Kreuz.” Das Kreuz jenes Menschen, der kraft seiner Liebe, kraft seiner Hingabe aus der Position der festgenagelten Arme in die Position der umarmenden Arme gelangt. Das Kreuz jenes Menschen, der kraft seiner Hingabe die festgenagelten Arme der anderen freimacht, um Umarmungen möglich zu machen und um Versöhnung zu stiften.

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Jetzt ist die Zeit der Gnade, kündet Paulus in der Lesung. Gott hat uns mit sich versöhnt und durch seinen Sohn uns fähig gemacht, sich auch untereinander zu versöhnen. Im Altdeutschen hat es den Ausdruck gegeben, die Sonne geht genaden. Sie geht unter, sie geht zur Ruhe und sie nimmt den alten Tag mit. Sie geht genaden und bringt dann den neuen Tag hervor. Gnade ist, würde Paulus heute sagen, wenn Christus mit uns genaden geht, wenn er in seinen Untergang, wenn er in seinem Tod uns alle mitnimmt und uns neu erstehen läßt. Laßt uns fasten, frei werden, frei für die versöhnende Aktion Christi, frei für das Genadengehen mit Christus.

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