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Der Himmel kniet nieder. Predigt zum Weihnachtsgottesdienst
(... in der Jesuitenkirche am 25. Dezember 2014 um 11.00 Uhr und um 18.00 Uhr)

Autor:Niewiadomski Jozef
Veröffentlichung:
Kategoriepredigt
Abstrakt:
Publiziert in:
Datum:2014-12-29

Inhaltsverzeichnis

Inhalt

1
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Eine kostbare Erinnerung aus meiner Kindheit. In meiner Heimat Polen brechen wir zu Weihnachten Oblaten. Wohl als Zeichen dafür, dass all das Erstarrte, all das die Menschen Trennende zu Weihnachten gebrochen wird. Und ein neuer Anfang gewagt. Eine heilsame Unterbrechung. Jeder hält da seine Oblate in der Hand, bricht bei seinem Gegenüber ein Stück ab und isst ihn. Man wünscht sich frohe Weihnachten. Vor allem aber wünschen sich die Menschen, dass sie auch im nächsten Jahr miteinander Oblaten brechen können. Am Heiligen Abend in der Familie war es der Vater, der die Zeremonie begann mit den Worten: “Ich lade Euch ein, die geweihten Oblaten zu brechen!” Dann ging er auf die Mutter zu, sie flüsterten beim Brechen einander ein paar Worte, küssten einander; mein Bruder und icch schauten sie an.  Der Vater ging anschließend auf meinen älteren Bruder zu, der ja viel größer als ich war. Und schlussendlich kam er auch zu mir: dem Jüngsten und auch dem Kleinsten in der Familie. Und er kniete sich nieder vor mir. Er kniete nieder, um mir direkt in die Augen zu schauen, weil ich halt zu klein war, um seinen Blick direkt zu erwidern. Und an diesem Heiligen Abend sollte niemand dazu genötigt werden hinaufzuschauen. Nicht einmal die Tiere. Deswegen gingen wir dann in den Stall, wo der Vater die Oblate mit seinem Pferd brach. Und auch der einzigen Kuh, die wir besassen. Er steckte ihnen ein Stück Oblate ins Maul und blickte ihnen direkt in die Augen. Mensch und Tier auf Augenhöhe! Waren doch diese Tiere ein Teil der Familie.

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Liebe Schwestern und Brüder! “Ich weiß nicht, ob der Himmel niederkniet, wenn man zu schwach ist, um hinaufzukommen?” Diese bange Frage stellt Christine Lavant in ihrem Weihnachtsgedicht: “Es riecht nach Schnee”. Auf den ersten Blick war das Leben der großen österreichischen Dichterin alles andere als eine weihnachtliche Existenz. Nicht nur von der glückseligen familiären Geborgenheit keine Spur! Armut, Krankheit und Einsamkeit begleiteten sie ihr Leben lang. “Ich war selber nie jung, und nie auch nur ein bisschen anziehend”, schrieb sie einmal an eine Freundin. Von körperlichen Schmerzen geplagt, unter psychischen Depressionen leidend, von Selbstmordgedanken gequält und der Isolierung durch die Umwelt haderte sie zeitlebens mit Gott, verfluchte ihn und ersehnte ihn zugleich. Im Kerker ihrer Einsamkeit eingesperrt fragte sie sich immer wieder, ob Gott von ihr wisse. Und viele von uns verstehen das bestens. Gerade in der Weihnachtszeit.

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Gerade an jenen Tagen, an denen trotz aller Krisen und Brüche das Fest der Familie gefeiert wird, die Beziehungen in den Vordergrund rücken, und alle, alle Menschen des Glücks trunken zu sein scheinen (“alle, nur nicht ich” - denken sich viele), kämpfen da viele von uns mit Ängsten, sehen sich mit Sackgassen konfrontiert, erstarren deswegen in der Sprachlosigkeit und beneiden jene, die an diesen Tagen zumindest noch weinen können. All jene, die zu schwach sind, um hinaufzukommen auf das Niveau, das unsere Alltagskultur als normal definiert: sie alle können die Zweifel der Dichterin nachvollziehen und auch ihre bange Frage nach dem nieder kniendem Himmel. Ihr eigenes Erleben von Weihnachten provoziert ja bei ihr noch mehr Traurigkeit: “Durchs Dorf gehn heute wohl die Sternensinger/ und kommen sicher auch zu meinen Schwesteren/ Ein wenig bin ich trauriger als gestern” - bekennt Christine Lavant freimütig, weil sich “ihr Herz so eng zusammenzieht” und weil sie sich auch nach einer positiven Antwort sehnt auf ihre Frage, ob der Himmel niederkniet, wenn man zu schwach ist, um hinaufzukommen.

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Ich selber, liebe Schwestern und Brüder, darf mich ja glücklich schätzen, weil ich diese Antwort schon als kleines Kind bekommen habe: in dem Augenblick, als sich mein Vater vor mir - dem kleinen Scheißer - niedergekniet hat. Am Heiligen Abend hat mich mein Vater evangelisiert! Der einfache Bauer aus Ostpolen verstand den Kern der Glaubensbotschaft von Weihnachten und lebte ihn halt, so gut er konnte. Denn: Nicht das Hinauf steht ja zu Weihnacht im Mittelpunkt, nicht das Transzendieren nach oben, sondern das nach unten. Der lebendige Gott ist von sich aus und höchst persönlich heruntergekommen zu mir: ganz gleich, wer ich bin, wie ich lebe und in welchen Sackgassen ich stecke. Er kommt nicht mit dem erhobenen Zeigefinger und schon gar nicht mit der Moralinsäure daher. Er kommt herunter, weil ich selber zu schwach bin um hinaufzukommen. Zu ihm! Und in seinem Abstieg kennt er keine Grenze. Der Stall, die Krippe, der Esel und der Ochs: all die Bilder der Weihnachtsbotschaft stehen dieser theologischen Revolution Pate.

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Die Mystikerin Mechtild von Magdeburg brachte die Grenze dieses freiwilligen göttlichen Abstiegs derb mit einem kaum zu überbietenden Bild auf den Begriff: “Bis unter Luzifers Schwanz” ist Gott am Weihnachtstag hinabgestiegen, um denen aufzuhelfen, die zu schwach sind von alleine sich aus der vielfältigen Sklaverei zu befreien, damit sie schon auf das normale Niveau hinaufkommen, vom himmlischen Niveau schon ganz zu schweigen. Ja, liebe Schwestern und Brüder, der Himmel kniet nieder! So lautet die Frohbotschaft, das Weihnachtsevangelium, die Kunde des weltweit gefeierten Festes. Der Himmel kniet nieder, auch oder gerade, weil die globale Kultur des 21. Jahrhunderts nur noch den Aufstieg kennen will. Wie besessen, auf Teufel komm raus, strengen wir uns an, bringen uns außer Atem und rennen uns zu Tode im allgegenwärtigen Wettbewerb. Bei einer Meinungsumfrage nach den Vorsätzen für 2015 antworteten knapp 60%: “Stress vermeiden und abbauen”. Wir fahren ja inzwischen fast permanent in Überlast. Und dies oft schon nur, um mit dem normalen Niveau mithalten zu können.

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Uns allen, die wir hier versammelt sind drängt sich schon längst die zweifelnde Frage der Dichterin auf die Lippen: “Ich weiß nicht, ob der Himmel niederkniet, wenn man zu schwach ist um hinaufzukommen?” Und auch die Antwort müßte auf unseren Lippen da sein. Und auch unsere Reaktion auf die göttliche Revolution! Selbst niederknien! In anbetenden Haltung verharren! Unterbrechen! So wie dies etwa 100 000 Soldaten am Weihnachtstag 1914 getan haben, indem sie ihre Anbetung konkret werden ließen, indem sie sich weigerten an diesem Tage zu kämpfen und so den ersten weihnachtlichen Waffenstillstand der Geschichte “geboren” haben. Anbeten heute heißt: in der permanenten Bewegung verharren, innehalten. Bei Weihnachten geht es nicht um Überanstrengung. Heute geht es nur um Deszendenz, um den göttlichen Abstieg. Und weil der Himmel niederkniet, können auch wir niederknien, um bei jenen zu sein und jene aufzuheben, die ganz unten sind. Ein Freund erzählte mir, er kniet sich regelmäßig vor seinem behinderten Bruder nieder, um ihn die Schuhbänder zu binden. Unzählige Kinder knien sich heute buchstäblich vor ihren gealterten Eltern nieder. Pflegekräfte, Krankenschwestern in Krankenhäusern: sie alle stehen für den Himmel, der niederkniet da. Und auch all die Menschen, die Not lindern: wie halt jene die den Vinzibus fahren, oder auch den Fremden helfen, mögen es auch nur die sprichwörtlichen zwei Euro Spende für einen Bettler sein.

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Selbst niederknien und jene aufheben, die es selber nicht schaffen! Das ist die Folge des Wunders von Weihnachten. Verweigern wir dieses Wunder, so tut sich die destruktive Stimmung breit: in mir selber und in unserer Welt. Auf den unzähligen Kampffronten der Gegenwart, auf denen nicht nur die Islamisten dem Irrglauben verfallen, man könne mit Gewalt den Himmel erobern. Mit Selbstdestruktion und Destruktion wird der sich niederknieende Himmel bloß zerstört und nimmt die Form des Kreuzes an. Jenes Kreuzes an dem der Menschgewordene gelitten hat und gestorben ist. In Solidarität mit all den Opfern. Liebe Schwestern und Brüder, tagtäglich ereignet sich mitten unter uns das Wunder der Weihnacht, weil der Himmel niederkniet und unzählige Menschen uns immer wieder daran erinnern: anbetende Menschen, Menschen, die unterbrechen können, Menschen, die sich niederknien können. Sie erinnern uns daran, dass Gott von uns weiß! Er ist ja ein Gott mit uns. Der Emanuel!

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