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Abschiedsworte für Prof. George Vass SJ
(Requiem am 2. August 2013)

Autor:Guggenberger Wilhelm
Veröffentlichung:
Kategoriefak
Abstrakt:
Publiziert in:
Datum:2013-08-05

Inhaltsverzeichnis

Inhalt

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“Hiermit bewerbe ich mich für die am 15. 2. 1975 ausgeschriebene ordentliche Lehrkanzel für Dogmatik. Nach dem regulären Studium der Philosophie und Theologie und einem Doktoratsstudium in Rom habe ich 1962 begonnen, am Heythrop College in Chipping Norton Philosophie und Theologie zu dozieren. Nachdem das Heythrop College in die Londoner Universität integriert wurde, wurde ich recognized teacher of the University of London, was einem ordentlichen Professor nach der österreichischen Ordnung entspricht. Ich habe mich besonders in der Philosophie mit Fragen des zeitgenössischen Atheismus und in Theologie unter anderem mit systematischer Theologie, mit dogmengeschichtlichen Fragen des Mittelalters und der beiden letzten Jahrhunderte, mit kontroverstheologischer Literatur aus dem deutschen und angelsächsischen Raum beschäftigt.”

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So steht es knapp und unprätentiös im Bewerbungsschreiben, das Pater George Vass im Juni 1975 an das Dekanat der Theologischen Fakultät in Innsbruck adressierte.

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Dieser Bewerbung waren 47 bewegte Lebensjahre vorangegangen. Am 1. April 1928 in Budapest geboren, wuchs George Vass in einer politisch höchst wechselhaften, ja chaotischen Zeit auf. Nach Abschluss der Matura 1946 trat er in den Jesuitenorden ein und begann mit dem Philosophiestudium in Szeged. Bis hierhin war - den Umständen entsprechend - alles recht normal gelaufen, eine glatte Priester- und Ordensbiographie bahnte sich an.

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Im Dezember 1948 kam es dann aber ganz anders. Kardinal Mindszenty wurde inhaftiert. Der gesellschaftspolitisch aktive Kirchenmann, der sich bereits mit den Faschisten und der politischen Rechten in Ungarn angelegt hatte, war nach dem Ende des 2. Weltkriegs immer mehr in Konflikt mit den Kommunisten geraten. In der Situation rund um die Hexenjagd gegen den unbeugsamen Primas war die Fortführung der theologischen Ausbildung in Ungarn nun auch für den jungen George Vass nicht mehr möglich. So kam er nach Österreich und schließlich auch erstmals nach Innsbruck. Im März 1949 landete er hier als Flüchtling in einem besetzten Land. Diese Erfahrung brachte er später in die seelsorgliche Betreuung von Landsleuten ein, die insbesondere nach Niederschlagung des Aufstandes von 1956 ihr Land verlassen mussten. Zwei Studiensemestern in Innsbruck folgten Ausbildungszeiten in Chieri bei Turin, dem Geburtsort des einflussreichen Jesuitentheologen Giovanni Perrone, und Löwen in Belgien. Nach ordensinterner Tätigkeit in St. Blasien in Deutschland wurde Vass 1954 nach England geschickt. Dort erwarb er in Oxford das Lizentiat, anschließend 1961 in Rom das Doktorat der Theologie.

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Wie so viele andere war Pater Vass durch die politischen und militärischen Katastrophen des 20. Jahrhunderts zum rastlosen Wanderer geworden, quer durch den Kontinent: Ungarn, Österreich, Italien, Belgien, Deutschland, England, Italien, wieder England. Eingebettet in eine ignatianische Grundhaltung und in die Struktur der internationalen Ordensgemeinschaft führte das bei ihm aber nicht zu orientierungsloser Entwurzelung, sondern zu einer integrierten und erfahrungsgesättigten Ganzheit, die ihn ein Leben lang offen hielt für das Andere und das Neue.  Heute würde man eine solche Wesensart wohl mit der Aussage auf den Punkt bringen: er war ein wirklicher Europäer. Das manifestierte sich bei George Vass auch in einem großen Sprachtalent. Unverkennbar blieb immer sein ungarischer Akzent; mit dieser persönlichen Note versehen, die wohl Ausdruck von Verwurzelung war, bewegte er sich aber spielend in Englisch und Deutsch in Französisch und Italienisch.

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Als solch sprach- und weltgewandter Europäer bewarb er sich nun - nach dem Abgang der Dogmatiker Gutwenger und Schupp - 1975 nach Innsbruck. Er war zu dieser Zeit bereits ein erfahrener Lehrender. Nach dem Doktorat war er ja nach London zurückgekehrt und dort seit 1971 Ordinarius für Christian Doctrine an der Universität London gewesen. Ich bin mir nicht sicher, ob Innsbruck nun wirklich seine erste Wahl war, oder ob er hierher nicht doch eher der Ordensdisziplin folgte. Soweit ich als junger Kollege Pater Vass später kennen lernen durfte - leider war das nicht sehr intensiv - hatte ich immer den Eindruck, dass er sowohl der englischen Sprache, als auch der englischen Wissenschaftskultur ein Wenig nachtrauerte. Mit seiner eleganten Art, seinem gepflegten, feinen Auftreten und seiner dezenten Ironie hätte er sich auch zweifellos gut als Professor an jedem britischen College gemacht.

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Noch als Student konnte ich bei ihm eine Spezialvorlesung über die Prozessphilosophie des britischen Denkers Alfred North Whitehead und dessen Integrierbarkeit in die Theologie miterleben. Ich nahm deutlich wahr: hier schlägt Professor Vass’ theologisches Herz. Auch dort, wo er sich mit genuin deutschsprachiger Theologie auseinandersetzte, fand er letztlich mehr Echo und Rezeption im englischsprachigen Raum, wie sein mehrbändiges Standardwerk “Understanding Karl Rahner” belegt; ein Faktum, das ihn wohl mitunter etwas kränkte.

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Wie dem auch sei, 1976 war Pater Vass nun jedenfalls zum zweiten Mal nach Innsbruck gekommen, diesmal nicht als Flüchtling und Student, sondern auf dringlichen Wunsch der Fakultät als Professor. Er bereicherte den Lehrbetrieb hier im Haus mit Vorlesungen und Seminaren über Schöpfungstheologie, Ekklesiologie, über Sakramententheologie, gerade auch Ehetheologie, mit systematisch-theologischen Methodenfragen, mit der Auseinandersetzung mit moderner Philosophie und dem Atheismus und dergleichen mehr. Er bereicherte die Fakultät aber auch mit Noblesse, geselliger Freundlichkeit und Lebensfreude. Einem Glas gutem Whisky konnte er immer etwas abgewinnen und auch seiner Pfeife, die er - in weniger gesundheits- und sicherheitsbewussten Zeiten als den gegenwärtigen - auch im Büro häufig rauchte. Als unser Institut Anfang der 90er-Jahre in die vormaligen Räumlichkeiten der Dogmatik übersiedelte, war über Jahre hinweg mit geschlossenen Augen zu erkennen, welches Zimmer Pater Vass mit seinem Geist und mit seinen Tabakswolken erfüllt hatte.

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In den Jahren 1979-89 war er Institutsvorstand und ab 1987 - gemäß damaliger Rechtslage - für 2 Jahre Dekan. In dieser Funktion leistete er wichtige Vorarbeiten für die großartige Sanierung der Gebäude unserer Fakultät, die dann 10 Jahre und drei DekanInnen später abgeschlossen werden konnte. Kirchenpolitisch bewies er rund um die sogenannte Kölner Erklärung von 1989 sowohl kritisches Bewusstsein als auch Behutsamkeit. Mit Oktober 1996 wurde Professor Vass emeritiert. Er hat aber auch weiterhin mit Interesse das Fakultätsleben verfolgt und mit Freude besonders an Feiern und Ausflügen seines Instituts teilgenommen, sofern es seine seelsorglichen Verpflichtungen, etwa in Reith bei Seefeld zuließen.

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Trotz massiver Gesundheitsprobleme, trotz jahrelanger Dialyse, einer Nierentransplantation und zuletzt einer Unterschenkelamputation ließ sich George Vass die Freude und den Genuss am Leben nicht nehmen - so hatte ich stets den Eindruck - und er vermittelte so weit über die akademische Theologie hinaus die Grundhaltung einer erlösten christlichen Existenz.

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Lieber George Vass ich möchte mich bei Dir für Dein Wirken an dieser Fakultät bedanken, für Dein Bemühen um eine Theologie, die stets auf dem Weg bleibt bei Ihrer rational verantworteten Annäherung an das unfassbare Geheimnis Gottes. Ich freue mich, dass Du nun in einem Leben angelangt bist jenseits aller menschengemachten Grenzen und jenseits aller physischen Gebrechlichkeit. Ich darf mich aber auch der Hoffnung deines ehemaligen Assistenten Walter Buder anschließen, der Hoffnung, dass doch auch in jenem Leben das eine oder andere Gläschen Glenfiddich für Dich bereit steht.

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