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Dramatische Theologie als Forschungsprogramm

Autor:Schwager Raymund, Niewiadomski Jozef, u.a. 
Veröffentlichung:
Kategorieartikel
Abstrakt:Dieser Text, der als erster von den Mitgliedern der Innsbrucker Forschungsgruppe "Religion-Gewalt-Kommunikation-Weltordnung" gemeinsam erarbeitet wurde, will die wissenschaftstheoretischen Grundlagen eines theologischen Forschungsprogramms klären. Er sit
Publiziert in:Zeitschrift für Katholische Theologie 118 (1996) 317-344 sowie in: Religion erzeugt Gewalt - Einspruch!, Hg. v. Schwager, R. und Niewiadomski, J. (BMT 15). Münster/Thaur 2003
Datum:1996-10-05

Inhalt

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[Anmerkung zu den Autoren: (1)]

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Die Theologie spielt in unserer modernen Welt nur noch eine Nebenrolle. Gerade im Bereich der Wissenschaft hat sie ihre privilegierte Stellung verloren und muß sich des öfteren mit dem Schicksal des Orchideenfaches zufriedengeben. Der tiefere Grund für diese veränderte Position liegt zum einen in der durch die Aufklärung herbeigeführten Neutralisierung religiöser Fragen im Bereich der bürgerlichen Öffentlichkeit, zum anderen aber in der Emanzipation der Naturwissenschaften von den Fragestellungen der Theologie und deren daraufhin einsetzenden faszinierenden Erfolgen. Die aufgrund der Religionskriege notwendig gewordene Neutralisierung des Religiösen in der Öffentlichkeit war zwar ein wichtiger Schritt zur Ausbildung der modernen politischen und auch wissenschaftlichen Kultur; dieser mit dem zunehmenden Erfolg der Naturwissenschaften Hand in Hand gehende Prozeß führte allerdings auch zu einer radikalen Formalisierung des wissenschaftlichen Denkens über die Naturwissenschaften hinaus. Eine überzeugende Begründung von Inhalten wie Gerechtigkeit, Toleranz, Mitleid oder Liebe gelingt der abendländischen wissenschaftlichen Vernunft nicht mehr. Diese als Dialektik der Aufklärung beschriebene Entwicklung führt dazu, daß angesichts der im 20. Jahrhundert sichtbar gewordenen Bedrohung des menschlichen Zusammenlebens immer neu nach jenen Inhalten gefragt wird, die mit der Neutralisierung der Religion aus dem Bereich der (politischen und wissenschaftlichen) Öffentlichkeit verdrängt worden sind. Ein solcher Wandel zeigt, daß die säkularen Wissenschaften inzwischen in einer Krise stecken und in ihrer gesellschaftspolitischen Bedeutung fragwürdig geworden sind. Ihr einst unhinterfragbarer Erfolg ist nicht mehr selbstverständlich; mehr noch: der wissenschaftskritische Trend, der der modernen Wissenschaft die Schuld für die gegenwärtigen Krisen gibt, ist nicht zu überhören.

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Eine solche Wende wird allerdings kaum eine automatische Veränderung für jene Theologie bringen, die seit Jahrzehnten unbeirrbar die Strategie der akademischen Isolation betreibt und im akademischen Niemandsland lebt; und sie ist auch kein Grund zur Schadenfreude. Die in unseren Tagen stattfindende religiöse Renaissance hinterläßt vorläufig kaum nennenswerte Spuren im Kontext der akademischen Öffentlichkeit. Fundamentalistische Konventikel, Sekten, neue Religionen und v.a. fremde Religionen präsentieren sich zuerst als ein wichtiger Sektor der medial konstruierten Öffentlichkeit unserer Zeit; allzuleicht bieten sie sich auch der formalisierten Vernunft der Gegenwart als inhaltliches „fast food" und als irrationale Entlastung an. Hat eine solche Renaissance überhaupt eine Bedeutung für die wissenschaftliche Kultur unserer Universitäten? Die Konventikelreligiosität dient in einem zunehmenden Ausmaß einem eng formulierten religiösen Bedürfnis der betroffenen Subjekte, sie stellt aber absolut keine Herausforderung für die wissenschaftliche Öffentlichkeit dar, schreibt nur die alten Fronten fort und bestätigt indirekt das Ethos der säkularen Wissenschaft. Die häufig vorkommenden Allianzen zwischen Fundamentalisten und (bestimmten) (Natur-) Wissenschaftlern bestätigen diesen Trend.

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Gerade aber wegen der vielfältigen Herausforderung der medial vermittelten religiösen Renaissance und v.a. der darin verborgenen Gefahren darf die akademische Öffentlichkeit die Frage nach der Rationalität der Religionen (deren Wahrheitsanpruch) und damit auch nach dem Wissenschaftscharakter der Theologie nicht mehr verdrängen. Die Antworten der Aufklärung müssen auch von den säkularen Wissenschaften neu überdacht werden, dürfen aber nicht über Bord geworfen werden, soll unsere (auch europäische) Welt nicht in die Epoche der Religionskriege zurückfallen. Will die Universität ihre gesellschaftliche Relevanz nicht noch mehr verlieren, muß sie konsequent an der Umorientierung der akademischen Kultur arbeiten und jene Aspekte der Vernunft wiedergewinnen, die eine kreative Integration sämtlicher Lebensbereiche der modernen Menschen (damit auch deren Religiosität) möglich machen. Für die Theologie bedeutet dies keineswegs, daß sie von den anderen human- und naturwissenschaftlichen Disziplinen (gerade angesichts der Krise) nur noch „abgeholt" und in ihre frühere Rolle inthronisiert werden muß. Die zukünftige Rolle der Theologie ist zwar noch keineswegs entschieden. Die Antwort auf die Frage, wie weit sie im akademischen und (gesellschaftspolitischen) Kontext eine Rolle spielen wird, wirft auch das Problem der Wandlungsfähigkeit theologischer Methoden und Denkgewohnheiten auf; sie hängt davon ab, ob es der Theologie gelingt, ihre genuine Verbundenheit mit der jüdisch-christlichen Offenbarung und der kirchlichen Tradition im Dialog mit der säkularisierten Wissenschaft und säkularisierten Öffentlichkeit (auch) im Rahmen der geltenden Rationalitätsstandards zum Ausdruck zu bringen, diese Standards damit auch mitzugestalten.

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In diesem Kontext verfolgt nun der vorliegende Text ein doppeltes Anliegen; er stellt eine wissenschaftstheoretische Selbstvergewisserung und ein wissenschaftspolitisches Programm dar. Seit 1979 sammelt sich an der Theologischen Fakultät in Innsbruck eine „lockere" Forschungsgruppe mit Vertretern verschiedener theologischer Disziplinen. Die Diskussionen, Symposien und Veröffentlichungen kreisen um die Fragen der Relevanz der Religion im Kontext der modernen Gesellschaft, sowie der modernen Rückbesinnung auf die zentralen Inhalte der biblischen Offenbarung und der kirchlichen Tradition zugleich. Auf diese oder jene Weise sind die Arbeiten durch die mimetische Theorie von René Girard inspiriert; der Grad der Identifikation mit der Theorie war und ist unter den Teilnehmerinnen und Teilnehmern des Kreises unterschiedlich. Im Anschluß an die wissenschaftstheoretische Diskussion, wie sie in der Theologie v.a. durch W. Pannenberg initiiert wurde, soll hier die Arbeit der „Freitagsrunde" im Kontext der gegenwärtigen wissenschaftstheoretischen Diskussion geortet werden. Diese Selbstvergewisserung soll der Motivation der jetzigen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zur Präzisierung und Kritik des bisher Erarbeiteten und der Einladung anderer zur Mitarbeit in der Zukunft dienen. Nicht zuletzt soll dadurch auch der Stellenwert der mimetischen Theorie für das „Forschungsprojekt: Dramatische Theologie" schrittweise näher geklärt werden.

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1. Wissenschaftstheoretische Diskussion

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Gemäß den neueren wissenschaftstheoretischen Auseinandersetzungen ist für die empirischen Human- und Gesellschaftswissenschaften und für die Naturwissenschaften entscheidend, daß sie keine letzten Fundamente mehr kennen, auf denen sie ihre Wissensgebäude aufbauen. Sie arbeiten mit Hypothesen und sind wohl gerade deshalb so erfolgreich. Zwar gab es Versuche, auch für die empirischen Wissenschaften unhinterfragbare Fundamente zu sichern (vgl. Positivismus); aber diese Versuche sind grundsätzlich gescheitert, wie vor allem die Diskussion um K.Popper (2) und Th.Kuhn (3) gezeigt hat, deren Werke im Zentrum der wissenschaftstheoretischen Auseinandersetzungen in den letzten Jahrzehnten standen.

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Gegen die Erwartungen des Positivismus hat Popper gezeigt, daß sich Theorien nie direkt von empirischen Fakten ableiten, ja nicht einmal durch diese verifizieren lassen. Wahrgenommene Fakten sind bereits theoriegeladen, und Theorien können deshalb nur schöpferisch entworfen werden. Nach Popper geht es in den Wissenschaften aber vor allem darum, durch Falsifizierung zwischen möglichen Theorien zu entscheiden. So lasse sich zwar keine letztlich begründende, wohl aber eine kritische Rationalität wahren. Gegen diese Position konnte Kuhn zeigen, daß in der Wissenschaftsgeschichte die Falsifizierung nie so funktioniert hat, wie Popper es fordert. Fakten, die gegen eine Theorie sprechen, wurden nämlich entweder als Anomalien außer Acht gelassen oder durch Zusatzhypothesen erklärt und so integriert. Manche Theorien wurden dennoch eindeutig überholt, weil in krisenhaften Situationen auf revolutionäre Weise neue Entwürfe entstanden sind und die Anhänger der alten Sicht langsam ausstarben. Die historische Sicht, wie Kuhn sie zeichnet, kann so den Gedanken nahelegen, die ganze Geschichte der Wissenschaften sei ziemlich irrational verlaufen.

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In dieser Situation hat I. Lakatos einen Vorschlag erarbeitet, der die Forderungen von Popper nach kritischer Rationalität und die historische Sicht von Kuhn durch die Idee vom Forschungsprogramm soweit als möglich zu versöhnen sucht. (4) Theorien würden sich zwar nie kurzfristig falsifizieren lassen, wohl aber gebe es rivalisierende Forschungsprogramme, zwischen denen man auf eine Weise wählen könne, die als rational gelten darf. Umbrüche in der Wissenschaftsgeschichte seien nicht rein irrational eingetreten, sondern progressive Forschungsprogramme hätten degenerierende verdrängt. Zu einem Forschungsprogramm gehört nach Lakatos ein Theoriegebäude und eine Sammlung von Daten. Das Theoriegebäude hat einen harten Kern (zentrale Hypothese) und eine größere Zahl von Hilfshypothesen, durch die die Daten auf den harten Kern bezogen werden. Progressiv und reif ist ein Wissenschaftsprogramm, das sich erstens nicht durch viele künstlich ersonnene Hypothesen gegen sperrige Fakten verteidigen muß, das zweitens eine positive Heuristik zur Erschließung neuer Fakten enthält und drittens durch tatsächlich gefundene Fakten eine Stützung erhält.

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Die Sicht von Lakatos wird von vielen als das Beste betrachtet, was heute in der wissenschaftstheoretischen Diskussion gesagt werden kann. (5) Eine Auseinandersetzung mit seinem Entwurf drängt sich deshalb für die Theologie auf. Eine solche Auseinandersetzung ist bisher v.a. im amerikanischen Sprachraum geführt worden. Es sind hier v.a. die Arbeiten von N. Murphy (6) und Ph. Clayton (7) zu nennen. Beide greifen - wenn auch auf etwas unterschiedliche Weise - Lakatos als Gesprächspartner für die Theologie auf. Für beide ist ihr zentraler theologischer Gesprächspartner allerdings W. Pannenberg und sein Versuch, den Graben zwischen den Natur- und Geisteswissenschaften (v.a. der Geschichtswissenschaften) zu überwinden und die Theologie als hypothetische Wissenschaft zu begründen. Sein schon vor mehr als zwei Jahrzehnten erschienenes Werk (8) verdient auch in unserem Zusammenhang immer noch große Beachtung.

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1.1 Wolfhart Pannenberg

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Die klassische Unterscheidung, wonach die Naturwissenschaften gesetzesmäßige (nomologische) Erklärungen, die Geisteswissenschaften aber ein hermeneutisches Verstehen anzielen, wird von Pannenberg kritisiert. Jedes Erklären setze einerseits ein Verstehen voraus, anderseits könne dieses aber auch als eine Vorform des Erklärens begriffen werden. (9) Deshalb tritt Pannenberg für einen „systemtheoretischen anstelle eines nomologischen Erklärungsbegriffs" (10) ein, der sich sachlich mit einem erweiterten Verstehensbegriff deckt. Bei einem systemtheoretischen Erklärungsbegriff geht es letztlich nicht darum, das einzelne unter allgemeine Gesetze zu subsumieren (Popper, Hempel etc.), sondern es in ein Ganzes einzuordnen, was ebenso vom erweiterten Verstehensbegriff gilt.(11) Bei einem derart erweiterten Erklärungsbegriff erweist sich auch die historische Erklärung „nicht mehr als einfacher Gegensatz zur naturgesetzlichen Erklärung, sondern bilde(t) wie diese einen Sonderfall eines allgemeineren Begriffs von systematischer Erklärung als Einordnung des zu Erklärenden in den ihm entsprechenden Systemzusammenhang, der bei der historischen Erklärung durch die Ereignisreihe, bei der naturwissenschaftlichen Erklärung durch den Theoriezusammenhang der ‚Naturordnung'... gegeben ist" (12). Auch das hermeneutische Verfahren läßt sich in diesem Kontext als ein Erklären auffassen, beim dem es „um die Einordnung eines Einzelphänomens in das Ganze geht, das den Charakter einer geordneten Klasse hat, in der das einzelne als ein in seiner Eigenart bedeutsames Glied aufgefaßt wird"(13).

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Konkret bedeutet dies für die Geisteswissenschaften, deren Stoff die menschlichen Sinnerfahrungen in ihren Objektivationen bilden, daß Sinneinheiten (Bedeutung der Worte und ihrer Kontexte) in immer größere Kontexte zu integrieren sind. Dabei muß, wenn man etwas wirklich verstehen und erklären will, bis zur letztumfassenden Bedeutungstotalität vorgegriffen werden. „Wegen der Abhängigkeit jeder Einzelbedeutung von dieser Sinntotalität wird letztere in jedem einzelnen Bedeutungserlebnis implizit mitbeansprucht". (14) Pannenberg findet damit auch eine Antwort auf die Frage nach der Wahrheit, denn diese fällt nach ihm mit der „alle Erfahrung umfassende(n) Sinntotalität in ihrer inneren Kohärenz" (15) zusammen. Damit wird zugleich auch deutlich, weshalb die Sinntotalität oder die Wahrheit wissenschaftlich gesehen einen hypothetischen Charakter hat. „Wenn zwar jede einzelne Bedeutungserfahrung eine Sinntotalität impliziert, aber nicht in vollständig bestimmter Gestalt, sondern allenfalls als Anweisung für hermeneutische Reflexion zu fortschreitendem Eindringen in ihre Sinnzusammenhänge, dann besagt die Tatsache einzelner Bedeutungserfahrungen noch keineswegs, daß die Wirklichkeit im ganzen einen sie tragenden positiven Gesamtsinn besitzen müsse. Vielmehr ist die in der einzelnen Bedeutungserfahrung implizierte Sinntotalität wegen ihrer Unbestimmtheit nur auf problematische Weise in ihr mitgesetzt, problematisiert damit allerdings auch die erlebte Einzelbedeutung. Dieser Sachverhalt macht verständlich, wie der Eindruck der Sinnlosigkeit überhaupt möglich ist."(16)

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Die Frage, ob die gesamte Geschichte einen Sinn hat und ob es tatsächlich eine umfassende Sinntotalität oder eine Wahrheit gibt, ist für Pannenberg identisch mit der Frage nach Gott. Auf formale Weise stellt er diese Problematik im Zusammenhang mit der Anthropologie, inhaltlich konkret von der Geschichte her. Wenn es einen Gott gibt, dann muß er jene Wirklichkeit sein, die alle (erfahrbare) Wirklichkeit bestimmt. Dieser Begriff Gottes als der „alles bestimmenden Wirklichkeit" läßt sich an seinen eigenen Implikationen messen, und er muß sich an der Erfahrung von Welt und Mensch bewähren. (17) Eine Wirklichkeit, die alles und damit auch den Menschen bestimmt, kann diesem letztlich nur widerfahren. Die Zeugnisse solcher Widerfahrnisse finden sich in der Religionsgeschichte, an die die Theologie deshalb verwiesen ist. Die Zeugnisse bleiben aber indirekt. „Die Wirklichkeit Gottes ist mitgegeben jeweils nur in subjektiven Antizipationen der Totalität der Wirklichkeit, in Entwürfen der in aller einzelnen Erfahrung mitgesetzten Sinntotalität, die ihrerseits geschichtlich sind, d.h. der Bestätigung oder Erschütterung durch den Fortgang der Erfahrung ausgesetzt bleiben." (18) Die Zeit und die Geschichte sind für Pannenberg deshalb zentral, weil sie die Art und Weise bestimmen, wie das letzte Geheimnis sich in der Welt manifestieren kann. „Jede neue Stufe, solange ihre Schranke noch verhüllt ist, erhebt sich als Erscheinung des allumfassenden, unendlichen Geheimnisses. Darum ist die Zeit die Bedingung und das Maß der Erscheinung des Unendlichen im Endlichen, weil der Unterschied der Zukunft von der Gegenwart die Schranke des Gegenwärtigen verhüllt und diese im vollen Schein des Unendlichen erstrahlen läßt, solange ihre Zeit währt." (19) Eine eindeutige Manifestation Gottes ist deshalb erst vom Ende der Geschichte her möglich.

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Im Kontext dieses Wissenschafts- und Weltverständnisses ist für die christliche Theologie wichtig, daß Jesus in einem apokalyptischen Horizont gewirkt hat, d.h. daß er in seiner Verkündigung von der nahen Gottesherrschaft auf das Ende der ganzen Menschheitsgeschichte und auf die Auferstehung aller Toten vorausgeschaut hat. Nur in diesem Kontext konnte er Gott als eine die ganze Geschichte bestimmende Wirklichkeit zur Sprache bringen. Da aber auch Jesus nicht am Ende der Welt auftrat, sondern auf die Totalität nur vorausblicken konnte, blieb seine Verkündigung eine subjektive Antizipation und damit problematisch und hypothetisch. Sie bedurfte einer Bestätigung durch Gott selber, durch die Auferweckung des Gekreuzigten, in der das Ende der Welt nicht nur hoffend antizipiert wurde, sondern in der sich die Auferweckung aller Toten tatsächlich im voraus ereignet hat.

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Für Pannenberg sind die historischen Argumente, die für die Auferweckung Christi sprechen, sehr wichtig. Dabei versucht er zu zeigen, wie die außergewöhnlichen neutestamentlichen Berichte in ihrem Kontext und zugleich von heutigen Erwartungen der Hoffnung her verstanden und glaubwürdig gemacht werden können. Sie bleiben aber historische Wahrscheinlichkeitsurteile und sind deshalb im Laufe der weiteren Geschichte strittig. Der Christ kann seinen Glauben, daß sich die Auferweckung Jesu tatsächlich ereignet hat, nur als Hypothese in die geistige Auseinandersetzung einbringen, und der Erfolg wird davon abhängen, ob der christliche Glaube die stets neuen Erfahrungen in der Geschichte in seine Sicht zu integrieren und damit tiefer zu deuten vermag.(20) 

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1.2 Nancey Murphy

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Gemäß dem Urteil von N. Murphy scheitert das wissenschaftstheoretische Projekt von Pannenberg gerade wegen des Vorgriffs auf die zukünftige Sinntotalität. Die amerikanische Theologin geht in ihrer Studie - im Anschluß an eine Arbeit von Jeffrey Stout (21) - vom Wahrscheinlichkeitsdenken aus, das in Port-Royal's Logique (1662) erstmals entwickelt wurde und das über verschiedene Stufen zur grundsätzlichen Kritik an der christlichen Theologie bei D. Hume geführt hat.(22) Dadurch sei die Theologie mit einer ganz neuen Herausforderung und einer neuen Art des Denkens konfrontiert worden. (23) Pannenberg habe sich zwar - fast als einziger Theologe - offen und ehrlich auf die Kritik Humes eingelassen. Beide träfen sich darin, daß sie konsequent von der Erfahrung und der Geschichte ausgehen. Als entscheidender Unterschied zeige sich aber, daß für Hume alles Wissen in Erzählungen oder invergangenen Erfahrungen gründe und alle Begriffe deshalb „past-entailing predicates" (24) seien. Für Pannenberg hingegen schließe alles Wissen einen Vorgriff auf eine künftige Sinntotalität ein. Seine Begriffe seien deshalb „future-entailing predicates"(25). Da die Grundlage für die Gewinnung aller Begriffe bei Hume und Pannenberg ganz verschieden sind, lassen sich nach Murphy beide Systeme nicht direkt miteinander vergleichen: sie sind inkommensurabel. Nach Pannenbergs Methodologie müßte nun sein System, um es kritisch geprüft anzunehmen, umfassender sein als das von Hume und das letztere integrieren können. Gerade dies sei aber nicht der Fall, denn Hume's System suspendiere die Grundlage von Pannenbergs Denken (26), weil dieser die Erkenntnistheorie des englischen Philosophen nicht integrieren könne (27). Von seinen eigenen Voraussetzungen her lasse sich deshalb nicht erklären, wieso man sein System dem Hume's vorziehen soll. (28) - Im übrigen sei die Methodologie von Pannenberg unbrauchbar, weil sie letztlich einer evolutionären Sicht folge. Auf diese Weise könne nämlich immer nur nachträglich beschrieben werden, wie die Entwicklung tatsächlich verlaufen sei, und es gebe keine klaren Kriterien, welche Theorie man für die Zukunft wählen und vorziehen solle. Ebenso hoffnungslos sei es, die Wahl zwischen zwei Systemen von totalen Deutungen der ganzen Geschichte abhängig zu machen. (29)

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Die Kritik von Murphy an Pannenberg ist unserer Ansicht nach in wichtigen Punkten nicht überzeugend. Zunächst ist der Vorgriff auf das Ende der Geschichte heute keine rein abstrakte oder gar abstruse Behauptung mehr. Weil die Menschheit die Möglichkeit geschaffen hat, sich selber ganz zu vernichten und das Ende der Menschheit herbeizuführen, geschieht heute jede bewußte Tat - ob sie es anerkennt oder nicht - auch unter der Rücksicht, ob sie eher zum möglichen Ende beiträgt oder weitere Zukunft eröffnet. Dieser empirisch aufzeigbare Vorgriff ist nicht nur ein klares Zeichen, daß die Frage der Totalität unabweisbar ist. Er zeigt auch, wie der begriffliche Raster, mit dem wir die Gegenwart beurteilen, notwendigerweise einen Vorgriff auf die Zukunft einschließt. Damit ist auf empirischer Ebene ein weiterer Punkt gegeben, der für die Wahl zwischen Hume und Pannenberg wichtig ist. In den vergangenen drei Jahrhunderten haben ungezählte Forscher stets neue Ideen projektiv entworfen und neue Erfindungen gemacht. In all diesen Forschungen waren zentrale Begriffe nie nur auf vergangene Erfahrungen gestützt (past-entailing), sondern sie enthielten immer auch vorausschauende Elemente (future-entailing). Nur so wurde der Fortschritt in Wissenschaft, Technik, Wirtschaft und Gesellschaft möglich. Die Epistemologie von Hume, die nur auf die Vergangenheit ausgerichtet ist, wurde folglich durch die ihm nachfolgende Geschichte empirisch eindeutig widerlegt. Schließlich ist die Epistemologie von Pannenberg nicht inkommensurabel zu der von Hume, sondern nur umfassender, denn sie ist nicht nur ‚past-entailing', sondern sowohl ‚past-'als auch ‚future-entailing'.

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Nach ihrer Kritik an Pannenberg schlägt Murphy eine alternative Methode für die Theologie vor und stützt sich dabei auf I. Lakatos. Sie hält seine wissenschaftstheoretische Position für die beste, weil sie erstens durch die Geschichte der Wissenschaft empirisch gestützt wird (30), zweitens der bisher vorgetragenen Kritik standhält (31) und weil drittens keine bessere Alternative (32) vorhanden ist. Murphy präzisiert auch, was unter neuen Fakten zu verstehen ist, die gemäß der Methodologie von Lakatos von einem Forschungsprogramm entdeckt werden müssen, damit es als progressiv gelten kann. Damit sind für die meisten Forschungsbereiche nicht solche Tatsachen gemeint, die bisher total unbekannt waren. Neue Fakten im Sinne der Methodologie von Lakatos sind vielmehr solche, die zur Ausarbeitung jener Theorie nicht benützt wurden, zu deren Stützung sie nachträglich herangezogen werden.

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Murphy versucht dann durch empirische Beispiele aus der Vergangenheit zu zeigen, wie die Methodologie von Lakatos auf die Theologie anwendbar ist. So lasse sich z.B. die katholisch-modernistische Theologie (A. Loisy, G. Tyrrell, E. Buonaiuti, etc.) tendenziell als ein Forschungsprogramm verstehen, das im wesentlichen den Anforderungen von Lakatos entsprochen habe. Mit dieser Methode ließen sich aber auch neue Daten für die Theologie finden. Der harte Kern eines theologischen Forschungsprogramms könne z.B. lauten: Gott wirkt in der Geschichte. Als zusätzliche Hypothesen, wie stets neue spirituelle Erfahrungen auf diese Kernhypothese zu beziehen seien, könnten die Kriterien vom Erweckungstheologen Jonathan Edwards (1703-1758), vom Ordensgründer Ignatius von Loyola (1491-1556) und vom Wiedertäufer Pilgram Mareck (1495?-1556) benützt werden, sofern diese im Zusammenhang mit der ganzen christlichen Tradition der geistlichen Unterscheidung gesehen werden. (33) 

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1.3 Philip Clayton

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Die konstruktive Vermittlung der Ansätze von Pannenberg mit jenen von Lakatos gelingt erst Philip Clayton. In seiner Arbeit Rationalität und Religion behandelt er zunächst die Problematik der Erklärung in den Naturwissenschaften. Er stellt dabei dem, wie er ihn nennt, formalistischen Ansatz, der deduktiv-nomologisch vorgeht (Popper, Hempel), den kontextuellen Ansatz mit seiner Beachtung des gesamten Forschungskontextes (Toulmin, Hanson, Kuhn etc.) gegenüber. Beide sind nach ihm für sich allein ungenügend (34), und er sieht - wie Murphy - bei Lakatos eine konstruktive Vermittlung.

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Im Unterschied zu Murphy geht Clayton, bevor er eine Anwendung auf die Theologie versucht, auch auf die Sozialwissenschaften ein. In diesem Bereich versucht er ebenfalls zwischen formalistischen und hermeneutischen Entwürfen zu vermitteln, wobei er sich zunächst kritisch mit der kommunikativen Rationalität von J. Habermas auseinandersetzt. Diese habe zwar viele positive Seiten und könne auch Aspekte der religiösen Sprache gut beschreiben; „die kommunikative Wende" erweise sich aber als unangemessen, „wenn man den Versuch unternimmt, zu spezifizieren, was sozialwissenschaftliche Rationalität wirklich ist und in welcher Art von Diskurs sie fungiert" (35). Formale Bedingungen von Theorien und regulative Ideale könnten nicht aus der Pragmatik abgeleitet werden.

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Beim Verstehen im hermeneutischen Sinn geht es nach Clayton um das Erfassen von Sinnmustern, weil keine menschliche Handlung ohne Rücksicht auf ihren inhärenten Sinngehalt verstanden werden kann. Jede angemessene Theorie der Erklärung müsse aber „eine scharfe Unterscheidung zwischen zwei verschiedenen Ebenen beinhalten - zwischen den Handlungen, die wir zu verstehen suchen, und den Erklärungen, die wir über solche Handlungen formulieren." (36) Dabei begreift Clayton eine sozialwissenschaftliche Erklärung als eine Rekonstruktion spezifischer menschlicher Verhaltensweisen und Einstellungen. Eine solche Erklärung setze das Verstehen des Sinngehaltes voraus, sei damit aber nicht identisch.

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Der Schritt von der sozialwissenschaftlichen zur religiösen Thematik geschieht dort, wo alle Erfahrungen schrittweise in eine letzte Sinntotalität integriert werden (37), und diese mit einer religiösen Tradition in Verbindung gebracht wird (38). Wegen der Universalität des Sinnentwurfs wird es im religiösen Bereich zwar schwierig, aber nicht unmöglich, den Unterschied zwischen (einfühlendem) Verstehen und Erklären als Rekonstruktion aufrecht zu halten. (39) Von dieser Unterscheidung her versucht Clayton den wissenschaftlichen Charakter der Theologie zu begründen. Auf der Ebene des Verstehens würden religiöse Sinntotalitäten spontan und notwendigerweise dazu tendieren, Dissonanzen zu vermeiden und Erfahrungen, die der eigenen Sicht zu widersprechen scheinen, auf die eine oder andere Weise zu integrieren. Aufgabe theologischer Erklärungen sei es, solche Dissonanzen reflex bewußt zu machen und durch intersubjektiv nachvollziehbare Rekonstruktionen zu überwinden, wodurch die unmittelbar gelebte Sinntotalität zugleich differenziert und vertieft werde. Bei solchen Rekonstruktionen könne aber auch der Fall eintreten, daß sich Widersprüche nur durch eine solche Reinterpretation beheben lassen, die eine tiefgehende Transformation der ganzen bisherigen religiösen Tradition einschließe. Wie Pannenberg vertritt deshalb Clayton, daß der Gottesgedanke in wissenschaftlich-theologischen Erklärungen hypothetisch bleibt. Clayton sieht darin keinen Widerspruch zum unbedingten Glaubensengagement. Da jede Sinntotalität vielschichtig und geschichtlich begrenzt sei, mache jeder Gläubige spontan Erfahrungen, bei denen er seinem eigenen Glauben - mindestens für eine gewisse Zeit - wie von außen gegenüberstehe. In der heutigen Welt sei dies besonders stark der Fall, weil große Lebensbereiche nach eigenen autonomen Sinnsystemen (Psychologie, Soziologie, Ökonomie, etc.) gedeutet werden. Die meisten Menschen leben deshalb in verschiedenen Welten, die einander wechselseitig problematisieren. Dies gilt auch für die Großzahl der Gläubigen. Clayton spricht von ‚säkularen Gläubigen' (40), die heute in Sinnsystemen leben, denken und arbeiten müssen, die ihrem Glauben fremd sind. Solche Lebenswelten lassen den eigenen Glauben immer wieder als fraglich erscheinen, weshalb theologische Erklärungen oder Rekonstruktionen zur Überwindung der Dissonanz heute für religiöse Gemeinschaften besonders dringlich sind.

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Von diesen Überlegungen her vertritt Clayton, daß theologische Erklärungen einen wissenschaftlichen Charakter beanspruchen können, auch wenn sie sich nicht direkt verifizieren (41) oder unmittelbar falsifizieren lassen. Seine „fallibilistische Epistemologie" vermeidet „die vermeintliche Notwendigkeit, entweder ein Fundamentalist oder ein Antifundamentalist zu sein." (42) Er hält mit Pannenberg am Anspruch der Wissenschaftlichkeit der Theologie gerade im Kontext des Gottesgedankens fest. Deswegen bedürfen aber die theologischen Aussagen ständiger Revision im Lichte weiterer Forschung und Diskussion. (43) Trotz des grundsätzlich hypothetischen Charakters ist für die christliche Theologie dennoch eine Aussage über die Wahrheit möglich: „Um eine Einsicht von Lakatos' Arbeit über die Forschungsprogramme aufzunehmen: Wenn es keine lebendige rivalisierende Option gibt, wird man sich auch mit einer offensichtlich inadäquaten Erklärung zufriedengeben ... Heutzutage gibt es aber mehrere lebendige Optionen. Der Theologe ist daher ... verpflichtet, sich mit den anderen Positionen in einem ernsten und offenen Dialog auseinanderzusetzen. Wenn eine rivalisierende Auffassung eine zufriedenstellendere Erklärung anbieten kann, verdient sie eine rationale Betrachtung und mag entweder in ein bestehendes explanatives System aufgenommen werden oder dieses sogar ersetzen. Daher fallen auf dieser Ebene die Fragen nach Sinn und Wahrheit im christlichen Denken zusammen: Ich kann nicht meinen, daß die christliche Erklärung meiner totalen Erfahrung einen Sinn gibt, wenn ich nicht auch meine, daß sie wahr ist." (44)

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Im Nachwort zur deutschen Übersetzung bezieht sich Clayton noch ausdrücklich auf die Arbeit von Murphy. Er hebt zahlreiche Übereinstimmungen mit ihr hervor und spricht sogar von einem gemeinsamen Unternehmen. Unterschiede sieht er darin, daß Murphy „Lakatos' Kriterien als einen direkten Test für theologische Wahrheitsansprüche" versteht, während er „den Ansatz der Forschungsprogramme als Modell für eine Theorie der Rationalität"(45) deutet. Murphy springe ferner von der naturwissenschaftlichen Problematik direkt zu Theologie über, während ihm - Clayton - eine Vermittlung durch die Sinnfrage, wie sie sich in den Sozialwissenschaften stellt, wichtig sei. Er halte auch am Ideal der Korrespondenzwahrheit fest, und diese Sicht sei für die Theologie, wenn sie sich im bisherigen Sinn verstehen wolle, unaufgebbar.

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Entscheidend dürfte vor allem sein, daß Clayton - ähnlich wie Pannenberg - den Gedanken der Sinntotalität für unumgehbar hält und nur in diesem Rahmen eine Möglichkeit der indirekten Bewährung religiöser Aussagen sieht, was philosophische Überlegungen einschließt, während Murphy den Gedanken der Totalität für unpraktikabel hält (46) und eine direkte kritische Prüfung partikulärer Erfahrungen mittels der Kriterien von Lakatos anstrebt.

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2. „Dramatische Theologie"(47) als theologisches Forschungsprogramm

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Aus den bisherigen Ausführungen legt sich die Folgerung nahe, daß die Theologie, wenn sie im heutigen wissenschaftlichen Diskurs als Gesprächspartnerin teilnehmen will, zuerst die Unterscheidung zwischen unbedingtem Glaubensengagement und hypothetisch-erklärender Rekonstruktion, wie Clayton dies formuliert, verdeutlichen muß. Als hypothetische Rekonstruktionen können Forschungsprogramme im Sinne Lakatos' dienen, unter denen eine gewisse rationale Wahl gemäß ihrer Progressivität möglich ist. (48) 

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2.1 Unbedingtes Glaubensengagement und hypothetische Theologie

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Da zu einem vollen christlichen Glauben ein unbedingtes Engagement gehört, stellt sich die Frage, ob damit eine Theologie mit hypothetischem Charakter - wenn auch in einem ganz spezifischen Sinn - zu vereinbaren ist. Die frühere Theologie hat eine solche Unterscheidung nicht systematisch erarbeitet. Es läßt sich aber zeigen, daß eine solche Sicht dennoch mit dem christlichen Offenbarungsverständnis gut zusammenstimmt. Der christliche Glaube kann nämlich zu einem echten und unbedingten Engagement nur finden, wenn er auf die eine oder andere Weise den Weg Israels mit seinem Gott und die Erfahrungen der Jünger mit Jesus nachvollzieht. In diesem Prozeß wurde das frühere Gottesverständnis oft in Frage gestellt und transformiert; nur so konnte sich der Glaube in der Geschichte bewähren. Dabei war die Auseinandersetzung mit abweichenden Sinnentwürfen nichts Nachträgliches, sondern gehörte zum Offenbarungsgeschehen selber. Im Alten Testament fällt z.B. auf, daß entscheidende Durchbrüche sich immer in krisenhaften Auseinandersetzungen ereignet haben. So erinnert sich der Beter in Ps 89 angesichts des zerstörten Jerusalems und der vernichteten davidischen Dynastie an die alten unbedingten Verheißungen an David, und auf diesem Glaubenshintergrund muß er feststellen: „Nun aber hast du deinen Gesalbten verstoßen, ihn verworfen und mit Zorn überschüttet, hast den Bund mit deinem Knecht zerbrochen..." (Ps 89,39f). Die bittere Erfahrung, die sich hier meldet, schien den alten Verheißungen, auf die sich der Glaube bisher gestützt hatte, ganz zu widersprechen, und sie mußte sogar den zweifelnden Gedanken nahelegen, die Götter der siegreichen Babylonier hätten sich stärker als der Gott Israels erwiesen. Durch die geschichtliche Enttäuschung wurde folglich die eigene alte Verheißung den Menschen in Israel fremd, und diese konnte nur dadurch gerettet werden, daß die Anhänger Jahwes ihren Glauben an den Gesalbten Jahwes und an den Bund ganz neu deuteten und so den Widerspruch zu ihrer gegenwärtigen Erfahrung überwanden. - Ein ähnlicher Vorgang zeigt sich im Buch Ijob, in dem ein Gerechter ebenfalls die alte Theologie von Gottes Segen und Strafe radikal befragt, ja in Frage stellt, weil er sie mit seiner eigenen Erfahrung nicht mehr in Übereinstimmung bringen kann.

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Auch das Neue Testament kennt die Problematik der tiefen Erschütterung. Die Jünger Jesu wollten ihrem Meister aufgrund erster überwältigender Erfahrungen unbedingt folgen. Seine Verhaftung und Kreuzigung widersprachen aber ganz jenen Erwartungen, die die Botschaft von der nahen Gottesherrschaft in ihnen geweckt hatte. Sie liefen deshalb im entscheidenden Augenblick davon, und noch an Ostern mußten zwei von ihnen auf dem Weg nach Emmaus rückblickend und trauernd feststellen: „Er (Jesus von Nazareth) war ein Prophet, mächtig in Wort und Tat vor Gott und dem ganzen Volk. Doch unsere Hohenpriester und Führer haben ihn zum Tod verurteilen und ans Kreuz schlagen lassen. Wir aber hatten gehofft, daß er der sei, der Israel erlösen werde" (Lk 24,19-21). Angesichts dieser enttäuschten Hoffnung konnte zunächst nicht einmal die Nachricht von der Auferweckung die Verwirrung lösen; sie weckte zunächst eher „Aufregung" (Lk 24,22), „große Angst" (Lk 24,37), ja „Schrecken und Entsetzen" (Mk 16,8) und stieß auf Unglauben (Mk 16,11; Mt 28,17; Lk 24,25.38; Joh 20,25).

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Da sich der christliche Glaube ganz auf den Weg Israels mit seinem Gott und auf das Zeugnis der Jünger und Apostel über das Leben und das Geschick Jesu stützt, muß er den langen Weg der Offenbarung immer neu innerlich nachvollziehen, wenn er zu einem unbedingten Engagement finden will. Da der Offenbarungsweg aber dramatisch war und Erfahrungen einschloß, durch die den Glaubenden ihre bisherigen Hoffnungen und Überzeugungen fremd, ja problematisch wurden, muß auch der Weg des nachvollziehenden Glaubens auf die eine oder andere Weise Erfahrungen der Krisen und der Enttäuschung einschließen. - Für die Theologie ergeben sich daraus zwei Möglichkeiten: sie kann eher aus der Perspektive der überwundenen Krise entworfen werden, die allerdings die Möglichkeit stets neuer Krisen einschließt, oder sie kann stärker den Weg durch die Krise und die Auseinandersetzung mit alternativen Entwürfen nachvollziehen. Tut sie das letztere, was in der heutigen Situation eines großen religiösen Pluralismus besonders gefordert ist, dann muß sie ausdrücklich eine hypothetische Form annehmen. Dies schließt jedoch keineswegs ein, daß der Glaube auch subjektiv dauernd zweifelhaft bleiben soll. (49) Mit ständigen Zweifeln könnte ja keine religiöse Gemeinschaft leben. Damit Überzeugungen wissenschaftstheoretisch als Hypothesen gelten, ist nicht der subjektive Zweifel, sondern nur die feste Bereitschaft gefordert, auf alle Fragen, die für die jeweilige Sache relevant sind, ehrlich einzugehen. Diese Haltung kann sehr wohl mit einem subjektiv festen Glauben in Einklang stehen. (50) 

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2.2 Hypothesen und Hilfshypothesen

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Zu einem Forschungsprogramm im Sinne Lakatos' gehört ein harter Kern und ein Gürtel von Hilfshypothesen, durch die die vielfältigen Phänomene auf den harten Kern bezogen werden. Die Unterscheidung zwischen Kern und Gürtel wurde im Blick auf die Naturwissenschaften erarbeitet. Für theologische Forschungsprogramme, die sich, wie wir gesehen haben, auf die Gesamtheit der Wirklichkeit beziehen müssen, legt sich eine weitere Differenzierung in der Methodologie von Lakatos nahe. Die allgemeine religiöse Sicht ist abzuheben von der Sicht einer konkreten Religion, und innerhalb dieser ist eine zentrale glaubensmäßige Perspektive nochmals von einzelnen Theologien im Sinne von Hilfshypothesen zu unterscheiden. Deshalb kann auch der Begriff Forschungsprogramm weiter oder enger gefaßt werden. Hier wird er in abgestufter Weise benützt, insofern (1) ganz allgemeine Hypothesen formuliert, (2) diese im Blick auf die christliche Religion und auf konkrete menschliche Erfahrungen spezifiziert, und (3) mit einem Gürtel von Hilfshypothesen umgeben werden. Ausgehend von dieser Unterscheidung wird die durch das Forschungsprogramm „Dramatische Theologie" rational zu begründende Glaubenseinsicht „Einheit ohne Polarisierung" durch folgende Hypothesen in dreifacher Abstufung (umfassender Rahmen, harter Kern der Hypothesen, Hilfshypothesen) formuliert. 

38
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2.2.1Umfassender Rahmen

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(1-1)Die gesamte Wirklichkeit ist umfassender als die materielle Welt, die sinnenhaften und die denkerischen Erfahrungen des Menschen.

40
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(1-2)Die gesamte erfahrbare Welt hat ihren Urgrund in einem Gott, der grundsätzlich als „Mysterium" (51) zu fassen ist, der von den Menschen auf widersprüchlichste Art und Weise wahrgenommen wird, doch über allen Veränderungen und Konflikten in der erfahrbaren Welt steht.

41
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(1-3)Die grundsätzliche Nicht-Einholbarkeit des göttlichen Mysteriums durch das endliche Denken und das nicht zu stillende Sinnverlangen stellen das eigentliche Movens der ständigen Reflexion über die Erkenntnisfähigkeit des Menschen und auch den Grund für die Entwicklung immer neuer Denkformen dar.

42
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Die in (1-1) und (1-2) formulierten Hypothesen stützen sich auf das Phänomen der vielfältigen Religionen in der ganzen Geschichte der Menschheit, auf ästhetische, künstlerische und innere Erfahrungen und auf grundsätzliche Überlegungen, die den Materialismus - auch in dessen neueren systemtheoretischen Formen - kritisieren. Die Hypothesen schließen die Prognose ein, daß die Menschen auch in Zukunft vielfältige religiöse Erfahrungen machen, und daß deshalb die Religionen weiterhin - auch in der Öffentlichkeit - eine wichtige Rolle spielen werden.

43
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Die Hypothesen (1-2) und (1-3) schließen ein, daß es zum Denken gehört, die unterschiedlichen Erfahrungen in der Welt (religiöse und nichtreligiöse) widerspruchsfrei auf einen einheitlichen und dennoch in sich differenzierten Nenner zu bringen (Universalität der Vernunft). Dem hier beschriebenen Forschungsprogramm legt sich eine noch zu leistende umfassende erkenntnistheoretische Reflexion über den Begriff und die tatsächlichen Formen des „dramatischen Denkens" (als eines für die Theologie doch neuen Organons) nahe. Vor allem muß die für die christliche Spezifizierung des Gottesgedankens zentrale Kategorie des „Handelns" im Kontext der „Dramatik" durchdacht und (im Hinblick auf die wissenschaftstheoretische Diskussion der „Wahrheitsproblematik") fruchtbar gemacht werden. In diesem Zusammenhang müßte aber auch das Anliegen der traditionellen Gottesbeweise neu aufgegriffen, (52) sowie die Frage, was mit dem Begriff Gott überhaupt gemeint sei, neu gestellt werden (53). Vor allem wird zu zeigen sein, daß dieser Begriff (gerade in einer widersprüchlichen und polarisierenden Wirklichkeit) nicht willkürlich entworfen wird, sondern daß sich seine Problematik notwendigerweise stellt, wenn die Frage nach dem menschlichen Denken vertieft wird (Gott als das, über das hinaus Größeres nicht gedacht werden kann). 

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2.2.2Der harte Kern

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Die folgenden Hypothesen betreffen die christliche Überzeugung vom Handeln Gottes in der Welt. Sie setzen den Glauben (das christliche Sinnsystem) voraus, der göttliche Urgrund der gesamten Wirklichkeit teile sich in seinem Handeln dieser Wirklichheit selber mit. Dieser aufgrund der jüdisch-christlichen Zeugnisse gewonnene Glaube wagt trotz aller prinzipiellen Nicht-Einholbarkeit des göttlichen Geheimnisses auch den Rückschluß auf das personale, gemeinschaftsbezogene Leben Gottes und die damit zusammenhängenden Aussagen über das göttliche Geheimnis selbst (Trinität als der Inbegriff einer interpersonalen Einheit ohne Polarisierung).

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Die hier als „harter Kern" des Forschungsprogramms formulierten Hypothesen stellen zentrale Dimensionen des christlichen Glaubens in einer ganz bestimmten Perspektive dar und klammern dabei auf den ersten Blick viele grundsätzliche theologische, sowie auch etliche andere konkret empirische Probleme aus. Diese Eingrenzung ist nicht beliebig und wurde bewußt vollzogen. Sie entspricht dem Ansatz bei einem kulturellen Phänomen, welches konkret-geschichtlich und zugleich universal ist, d.h. alle Menschen und alle Kulturen zutiefst prägt, das im Zeitalter der immer mehr zu einer einzigen weltweiten Gemeinschaft zusammenwachsenden Menschheit zu einer Überlebensbedingung wird, und das andere fundamentale Erfahrungen (bei denen die christliche Frage nach Gott auch ansetzen könnte) anscheinend überlagert. Deswegen soll die argumentative und „empirische" Überprüfung der Richtigkeit dieser Perspektive nicht beim permanenten „Abwägen" etwaiger Alternativen ansetzen, sondern durch die Zuordnung sowohl aller anderen theologischen Themen als auch empirischen Phänomene zu diesem „harten Kern" geschehen.

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(2-1)Ein tiefer, echter und dauerhafter Friede zwischen Menschen, der nicht auf Opferung Dritter aufgebaut ist und ohne Polarisierung auf Feinde auskommt, ist sehr schwierig, ja übersteigt menschliche Kräfte. Wenn er dennoch Wirklichkeit wird, ist dies ein klares Zeichen, daß Gott selber (der Hl. Geist) in den Menschen am Wirken ist. Diese inkarnatorische Logik ist sowohl an der biblischen Botschaft als auch an den zahlreichen ekklesialen „Zeichen der Zeit" in der menschlichen Geschichte ablesbar.

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(2-2)Beim Versagen echter Versöhnung wird das Unbewältigte - oft im Namen Gottes - auf Dritte abgeschoben. Da Jesus Christus in seiner gewaltfreien Feindesliebe (Aktionseinheit mit dem Vater) sich selber vom Bösen treffen ließ und da Gott ihn vom Tod erweckt hat (Einheit im Geschick), kann durch den Glauben an ihn auch das Versagen beim eigenen Bemühen um echte Versöhnung positiv aufgearbeitet (Verzeihen, Umkehr) und in das Bemühen um einen dauerhaften Frieden stets neu integriert werden. Der in der Spannung zwischen Abschiebung und Versöhnung immer wieder ermöglichte Lebensraum stellt den Ort aller anderen menschlichen und mitmenschlichen Erfahrungen (wie Endlichkeit, Sexualität) dar und transformiert selbst die Naturerfahrungen.

49
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Beide Hypothesen implizieren zuerst eine bestimmte Deutung der biblischen Schriften und folgen dem Grundduktus der inkarnatorischen Logik, damit diese auch für unsere Gegenwart fruchtbar wird. Ihr gemäß erweist sich Gott gerade dann als heilig, wenn er die Menschen sammelt. In einem dramatischen Prozeß wird der Gedanke der Sammlung in der biblischen Tradition immer wieder transformiert (von einer partikulären, auf Kosten von anderen lebenden, oder die Feinde vernichtenden bis hin zu einer neuen - auch Feinde integrierenden Sammlung) (54). Besonders deutlich wird dieser Zusammenhang im Neuen Testament, denn die Verkündigung Jesu von der nahen Gottesherrschaft war identisch mit seinem Bemühen, das innerlich gespaltene Israel neu zusammenzuführen.(55) Dieses Bemühen erfuhr zwar ein erstes Scheitern. Über die Zusammenrottung gegen ihn, bei der alles Böse auf ihn abgeschoben wurde (Kreuz), führte das Handeln Gottes durch ihn und mit ihm - Ostern und Pfingsten - dennoch konsequent zur tatsächlichen Sammlung eines neuen Volkes (= Kirche). Der zentrale Kern des hier vorgeschlagenen Forschungsprogramms versteht folglich die neue Sammlung (Volk Israel, Kirche) als Kriterium für das geschichtliche Handeln Gottes. Diese Sicht trifft sich sachlich mit dem Selbstverständnis der Kirche: „Die Kirche ist ja in Christus gleichsam das Sakrament, das heißt Zeichen und Werkzeug für die innigste Vereinigung mit Gott wie für die Einheit der ganzen Menschheit" (2. Vaticanum, Lumen gentium Nr. 1).

50
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Die Aussagen in (2-2) zeigen, wie die christliche Erlösungslehre in das hier als Forschungsprogramm formulierte Verständnis der Offenbarung und der Kirche integriert werden kann. Mit Hilfe einer dramatisch verstanden Erlösungslehre lassen sich aber auch andere theologischen Themen (Ekklesiologie, Sakramente: v.a. Eucharistie, Gnade, Eschatologie, schlußendlich auch die Trinitätstheologie) einander zuordnen und mit Konflikten und Versöhnungsprozessen im menschlichen Leben in Beziehung bringen.

51
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2.2.3Hilfshypothesen

52
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Der Gürtel der Hilfshypothesen bezieht sich in kritischer Weise auf die angezielte Totalität der geschichtlichen Erfahrungen und der Naturerfahrungen und versucht diese dem umfassenden Rahmen und dem harten Kern zuzuordnen.

53
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(3-1)Die Theorie René Girards bietet ein Instrumentarium, um in kritischer Auseinandersetzung mit den Human- und Gesellschaftswissenschaften die vielfältigen religiösen, politischen und psychischen Erfahrungen, die die Menschen im Laufe der Geschichte machen, den zentralen Hypothesen von (2-1) und (2-2) zuzu ordnen.

54
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(3-2)Das in diesem Forschungsprogramm implizierte Theologieverständnis steht als theologisch gewendete Anthropologie und als anthropologisch gewendete Theologie in der Linie des Denkens Karl Rahners. Die Einzelhypothesen sind von diesem Kontext her zu verstehen.

55
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(3-3)Zu diesen Hypothesen gehört auch die Auseinandersetzung mit den Ergebnissen der Naturwissenschaften, wobei die Sicht von Teilhard de Chardin, die eine letzte Konvergenz von geschichtlichen und naturhaften Prozessen erkennen läßt (Punkt Omega als Einheit der Menschheit in Christus und im Kosmos) als eine mögliche Leitlinie dient. Die Entwicklung des neuen Wissenschaftstypus (Strukturwissenschaften: Kybernetik, Informationstheorie, Spieltheorie, Chaos- und Katastrophentheorie) läßt vermuten, daß der Gegensatz zwischen Natur- und Geisteswissenschaft überwunden werden kann. Die hinter dieser Entwicklung stehende Hoffnung, die Einheit der Wirklichkeit als Einheit der universellen Strukturen zu begreifen, stellt eine explizite Herausforderung für das Forschungsprogramm „Einheit ohne Polarisierung" dar.

56
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Die wichtigsten Hilfshypothesen mittels der Theorie Girards (3-1) lauten: (1) Als mimetische Wesen bauen die Menschen in wechselseitiger Nachahmung Kulturen auf (vgl. Sprache) und tendieren - in ihrer empirischen Vorfindlichkeit - durch die Aneignungsmimesis zugleich zu Rivalität und Aggression. - (2) Verständigung ereignet sich gewöhnlich durch gemeinsame Polarisierung auf Opfer/Feinde (Sündenbockmechanismus). - (3) Aus der ekstatisch-gewalttätigen Polarisierung entspringen sakrale Projektionen (archaische Religion), durch die die empirischen Opfer verdeckt werden (Mythen). - (4) Die rituellen Opfer waren ursprünglich vor allem kontrollierte Nachvollzüge gewalttätiger Polarisierung zur Sicherung des Friedens. - (5) Die kulturellen Institutionen (zentrale Autorität, Königtum, Tauschwirtschaft, Geld etc) sind schrittweise aus den religiösen Riten entstanden. - (6) Alle Großreligionen stellen mühsame Versuche der Differenzierung und der Scheidung des eigentlich Religiösen von gewalttätigen Projektionen dar. - (7) In der jüdisch-christlichen Offenbarungsgeschichte kommt es - nach einen langen Weg mit vielen Mischformen - im Geschick Jesu zu einer vollen Aufdeckung und zu einer grundsätzlichen Überwindung der Projektionen und der Gewalt. - (8) Mittels der Kategorie ‚Mischform' oder ‚Mischtext' lassen sich die vielfältigen geschichtlichen Erfahrungen und jene Phänomene, die in den Humanwissenschaften bearbeitet werden, von den zwei Urszenen - nämlich dem Sündenbockmechanismus, sowie der Überwindung der Projektion und Gewalt im Geschick Christi - her beleuchten.

57
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In Hypothese (3-2) besagt die Rede von einer anthropologisch gewendeten Theologie, daß das Wirken Gottes an anthropologischen Phänomenen (etwa einem „tiefen, echten und dauerhaften Frieden" (56)) tatsächlich erfahrbar ist. Die Hypothese (2-1) ist in der Linie der suchenden Christologie von K. Rahner zu verstehen, (57) gemäß der für alle Menschen ein implizites Daseinsverständnis aufweisbar ist, welches auf Nächstenliebe, Zukunftshoffnung und Annahme des Todes ausgerichtet ist und auch durch die frei gewollte böse Tat nie ganz ausgelöscht werden kann; in einem „Appell" an diese unreflex gelebten Sinnansprüche kann das Heilshandeln Gottes als ein in Jesus Christus an sein Ziel gelangtes erschlossen werden. Dieser Ansatz wird mit der Hypothese (2-1) aufgegriffen, aber zugleich modifiziert, indem die unterscheidenden Erfahrungen stärker im gesellschaftlichen Bereich angesetzt werden, nämlich in der Sehnsucht und dem stets bedrohten Bemühen der Menschen um einen unbegrenzten (d.h. unbegrenzt dauerhaften und restlos alle Menschen einschließenden) Frieden. - Weiters besagt die Rede von einer theologisch gewendeten Anthropologie, daß die anthropologischen Kriterien für das Wirken Gottes (hier: der bleibende Friede) nicht einfach vortheologisch vorausgesetzt werden können, sondern daß sich ihr genauer Sinn erst in einem Prozeß des gläubigen Sicheinlassens auf die göttliche Offenbarung klärt. (58) Da auf diese Weise der genaue Sinn der Fundamentalthesen Hypothesen und ihrer Zentralbegriffe sich erst aus einer unabsehbaren Geschichte des Ringens um Wahrheit erschließt, die als Theologie zugleich theoretisches Programm und gelebtes Experiment ist, liegt hierin ein wichtiger Ansatzpunkt für eine dramatische Theologie, sowie für die Klärung des Verhältnisses zu den Thesen von René Girard (vgl. 3-1). (59)

58
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Bezüglich (3-3) sind die Hypothesen, die heute vorliegen, noch wenig ausgearbeitet. Nur Teilhard de Chardin (1881-1955) hat auf dem Wissensstand, der ihm damals zugänglich war, eine grundsätzliche Richtung aufgezeigt, wie eine kritische Zuordnung von naturwissenschaftlichen, geschichtlichen und theologischen Aussagen möglich ist. Das Grundprinzip seines evolutiven Denkens, nach dem wachsende Einheit zugleich differenziert, läßt sich gut mit allen Hypothesen in Einklang bringen, die hier formuliert wurden. Seine Sicht ist dennoch von den neuesten Ergebnissen der Naturwissenschaften her weiter zu klären. (60) Verglichen mit den mechanistischen Vorstellungen des 18. und 19. Jahrhunderts sind die neueren und neuesten Ergebnisse (Quantentheorie, Chaostheorie etc.) einer theologischen Sicht zwar eher zugänglich, aber es bleiben dennoch Probleme, die wohl nur besser gelöst werden können, wenn auch die Naturwissenschaften sich noch weiterentwickeln. (61)

59
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Der zentrale Kern des Forschungsprogramms ist in (2-1) und (2-2) bewußt so formuliert, daß er von den spezifischen Hilfshypothesen unabhängig ist. Im Gürtel der Hilfshypothesen, die hier keineswegs umfassend aufgeführt werden konnten, nimmt allerdings die mimetische Theorie von René Girard eine wichtige Stellung ein, und dies aus zweierlei Gründen. Zum einen wird jede christliche Gemeinschaft, die versucht, ihre Einheit ohne Polarisierung zu leben, mit Fragen konfrontiert, die sachlich eine Auseinandersetzung mit zentralen Elementen der Theorie Girards beinhalten. (62) Zum anderen wollen die vielen Thesen aus dem Blickwinkel dieser Theorie die ganze Breite der menschlichen Geschichte auf den zentralen Kern des Forschungsprogramms beziehen (positive Heuristik). Damit soll dem Kriterium der Sinntotalität, das in der wissenschaftlichen Methodologie von Pannenberg und Clayton eine zentrale Rolle spielt, Rechnung getragen werden. Die Möglichkeit, diese Hilfshypothesen ihrerseits durch neue Fakten zu bestätigen oder aber auch in Frage zu stellen, ist damit keineswegs bestritten. Girard hat seine Theorie von literarischen, ethnologischen und psychologischen Befunden her erarbeitet und mit der Bibel konfrontiert. Andere Forscher haben seine Hypothesen erklärend und erhellend für Texte und Phänomene gefunden, auf die Girard selber nie eingegangen ist. (63) Besonders aufschlußreich ist ferner, daß ganze Gebiete, die in seinen Schriften keine Rolle spielen, von seiner Theorie her ein neues Licht erhalten. So haben Vertreter der politischen Ökonomie wichtige Autoren ihrer Disziplin in seinem Licht neu dargestellt (64), sowie wesentliche Epochen in der Geschichte der Ökonomie aus dieser Sicht präziser zu deuten versucht. (65) Ferner konnten politische Ereignisse, die erst nach der Erarbeitung der Girardschen Theorie eingetreten sind, in ihrem Licht zusammenhängend gedeutet werden. (66) Seine Theorie enthält sogar eine systematische Herausforderung an alle Humanwissenschaften, weshalb F. Lagarde von einer Girardschen Verchristlichung dieser Wissenschaften spricht. (67) Damit meint er nicht ein dogmatisches Verfechten von christlichen Wahrheiten, sondern das Aufdecken innerer Probleme der betreffenden Wissenschaften, zu deren tieferer Deutung die biblische Botschaft Entscheidendes beitragen kann.

60
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Gemäß den Kriterien von Lakatos tragen somit die Hilfshypothesen der mimetischen Theorie vorläufig zur Progressivität des Forschungsprogramms bei. Selbstverständlich gibt es - wie bei jeder Theorie - auch sperrige Fakten, die Unterscheidungen notwendig machen. Die weitere Arbeit wird deshalb zeigen, ob durch diese Unterscheidungen auch die mimetische Theorie mit der Zeit so schwerfällig wird, daß sie für die Progressivität des Forschungsprogramms eine Gefahr darstellt. Sie bleibt eine - wenn auch sehr wichtigte - Hypothese aus dem Gürtel der Hilfshypothesen des Forschungsprogramms, die der ständigen Bewährung bedarf. Ihre privilegierte Sonderstellung im Gürtel der Hilfshypothesen ist ihr Gütesiegel und ihr Stolperstein zugleich.

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2.3 Glaubensengagement und Forschungsprogramm

62
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Der Glaube ist weit mehr als eine akademische Sache. Der zentrale Kern der Hypothesen (2-1 und 2-2) zeigt, daß das Forschungsprogramm in einem weiteren lebensmäßigen und in einem engeren akademischen Sinn verstanden werden kann. Jede christliche Gemeinschaft, die bewußt und konsequent über längere Zeit versucht, die Einheit in sich und den Frieden mit anderen zu fördern, muß Erfahrungen machen, die für das vorgeschlagene akademische Forschungsprogramm bedeutungsvoll, ja zentral sind. (68) Bei Bemühen um tiefere Einheit sind die traditionellen Kriterien zur Unterscheidung der Geister, auf die bereits N. Murphy als möglichen Ansatzpunkt für ein theologisches Forschungsprogramm hingewiesen hat, neu aufzugreifen. Gleichzeitig erhalten diese Kriterien, die traditionell eher auf den individuellen Bereich bezogen waren, eine größere Klarheit. Persönliche Erfahrungen von innerem Frieden bleiben nämlich vieldeutiger als ein gemeinschaftlich wahrgenommener Friede. Da viele innerlich übereinstimmen müssen, damit dieser Friede - ohne Polarisierung auf Feinde - möglich wird, bedarf es eines sehr intensiven und intersubjektiven Klärungs- , Prüfungs- und Vergewisserungsprozesses, bei dem auch die in der Tiefenpsychologie angesprochenen Probleme aufgearbeitet werden müssen. Die Rückbindung an erlebte und erlittene gemeinschaftliche Prozesse dürfte heute für jede Theologie bedeutungsvoll sein; für das hier vorgeschlagene Forschungsprogramm ist sie unverzichtbar.

63
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Mit dem beschriebenen Forschungsprogramm ist auch eine politische Aufgabe gegeben. Da religiöse Gemeinschaften leicht die Tendenz haben, nationalistischen und tribalistischen Kräften zu verfallen und politische Gemeinwesen gerade in ihrer Polarisierung auf Feinde ideologisch zu stärken, wendet sich das Forschungsprogramm Einheit ohne Polarisierung ausdrücklich gegen diese Tendenz. Dabei stellt sich die Aufgabe, eine politische Ordnung zu skizzieren, die einerseits mit den Schwächen der Menschen rechnet (praktische Unüberwindbarkeit des Sündenbockmechanismus) und dennoch diese Tendenzen eindämmt, etwa durch eine Weltordnung, die sowohl eine zentrale Autorität kennt, als auch eine starke föderale Struktur einschließt. (69)

64
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Da die Tendenz zur Rivalität und die Mechanismen der Verschleierung und der Projektion überall wirksam sind, ist das Forschungsprogramm Dramatische Theologie oder Einheit ohne Polarisierung sowohl in seiner lebensmäßigen als auch in seiner akademischen Form an keine bestimmte Kultur gebunden. Wo immer die negativen Kräfte tatsächlich überwunden werden, dort werden - gemäß den Voraussetzungen des Forschungsprogramms - Erfahrungen gemacht, die bis zu den tiefsten Wurzeln einer Kultur hinunterreichen, diese reinigen und erneuern und zugleich deren Grenzen auf Gott hin transzendieren. Das Forschungsprogramm greift folglich auch die interkulturelle Problematik auf.

65
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So wollen die Hypothesen des Forschungsprogramms - sowohl im weiteren als auch im engeren Sinne - eine Herausforderung für Menschen sein, die den nicht-christlichen Religionen angehören. Sie werden eingeladen, sich ebenfalls bewußt um wahre Einheit zu bemühen und dabei ausdrücklich festzuhalten, wie sie ihre positiven und negativen Erfahrungen bei diesem Bemühen mit ihrer Religion im Zusammenhang bringen. Daraus dürften sich präzisere Kriterien für den interreligiösen Dialog finden lassen, als sie bisher angewandt werden. (70) Auf diese Weise wird aber auch der harte Kern der Hypothesen (2-1 und 2-2) und damit das ganze Christentum bewußt einer ständigen kritischen Prüfung ausgesetzt. (71)

66
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Das beschriebene Forschungsprogramm legt schließlich jenen Menschen, die sich nur dem Humanismus verpflichtet fühlen, ausdrücklich nahe, Experimente der Falsifizierung des „harten Kerns" zu versuchen. Fundamentale Einwände gegen (1-2) und (2-1) würden sich dann aufdrängen, wenn es Menschen eindeutig gelingen sollte, unter ausdrücklichem Rückgriff auf nur eigene Kräfte über lange Zeit - und ohne Verdeckung und Polarisierung - einen wachsenden und je tieferen Frieden untereinander zu finden.

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2.4 Hypothese contra ‚Foundationalism'

68
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Murphy hebt ein hypothetisches Forschungsprogramm von dem ab, was sie foundationalism nennt. Damit richtet sie sich gegen ein Wissenschaftsverständnis, das entweder von letzten sogenannten ‚selbstevidenten' Wahrheiten oder von unerschütterlichen Sinnesdaten (Positivismus) ausgehen will. Im theologischen Bereich läßt sich das Werk von K. Barth in gewisser Weise dem foundationalism zuordnen. (72) Mit dem hier vorgeschlagenen hypothetischen Forschungsprogramm soll nun keinesweges eine globale Frontstellung gegen den Basler Theologen aufgebaut werden. Obwohl die theologische Arbeit von K. Barth unvermittelt beim Wort Gottes ansetzt, erweist sich die Durchführung seiner Theologie, wie sie in der Kirchlichen Dogmatik vorliegt, als weit differenzierter. Hier geht Barth ausdrücklich auf weite Bereiche der modernen Kultur und Gesellschaft ein und beleuchtet die vielfältigen Probleme aus seinem Verständnis des Wortes Gottes. Seine Theologie läßt deshalb auch eine andere Lesart zu. Was für den Gläubigen das Wort Gottes ist, auf das er sich unbedingt stützt, kann im Rahmen einer modernen intersubjektiv-kritischen und damit wissenschaftlichen Prüfung als Hypothese eingeführt werden, die daran zu messen ist, welche erklärende Kraft sie angesichts der vielfältigen Phänomene und Probleme hat. Unter gewissen Rücksichten hat das Forschungsprogramm, das hier skizziert wird, sogar eine Nähe zu Barth. Gemäß einer der Hypothesen Girards, die dem „Gürtel der Hilfshypothesen" zuzurechnen sind, ereignete sich nämlich erst im Tod und in der Auferweckung Christi eine volle Aufdeckung und grundsätzliche Überwindung jener gesellschaftlichen Mechanismen, die alle Kulturen der Welt unterschwellig mitbestimmen. Die starke Zentrierung von Barth auf Kreuz und Auferweckung ist deshalb aus der hier vorgeschlagenen Perspektive mehr als eine unbegründete fideistische Position. Sie enthält zugleich den analytischen - wenn zunächst auch nur hypothetisch zu verwendenden - Schlüssel zu einer umfassenden Kultur- und Gesellschaftskritik.

69
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Zum foundationalism im Sinne von Murphy scheint „Gottes letztes Wort" von H. Verweyen(73) zu gehören. Er vertritt nämlich entschieden, daß die Fundamentaltheologie mit einem klaren Begriff eines letztgültigen Sinnes, der erstphilosophisch zu erarbeiten ist, zu beginnen hat. Verweyen entfaltet seine Theologie auch in eindeutiger Entsprechung zu seinem so gewonnenen erstphilosophischen Begriff. Trotz dieser Gegenposition, die deutlich von Anselm, Descartes, Fichte und Blondel beeinflußt ist, gibt es in der inhaltlichen Durchführung viele Parallelen zum hier vorgeschlagenen Programm. Verweyen spricht sich klar dafür aus, daß die Einsicht in eine letztgültige geschichtliche Offenbarung Gottes nicht vom Standpunkt eines neutralen, unbeteiligten Beobachters aus gewonnen werden kann, sondern nur im Rahmen einer traditio aufleuchtet, in der Menschen ihr ganzes Leben auf andere hin einsetzen. Dieser Ausgangspunkt trifft sich sachlich mit dem zentralen Kern des dramatischen Forschungsprogramms, denn eine wahre Versöhnung - ohne Verschleierung und ohne Polarisierung auf andere - verlangt notwendigerweise einen immer umfassenderen Einsatz für andere. Der Begriff eines letztgültigen Sinnes, der für Verweyen ausschlaggebend ist, hat ferner eine sachliche Nähe zur Sinntotalität, die Pannenberg und Clayton als zentral erachten. (74) Schließlich gibt es - über weite Strecken - klare Übereinstimmungen zwischen jener Sicht des Geschicks Christi, wie Verweyen sie vom Begriff des letztverbindlichen Sinnes her erarbeitet, und wie sie sich vom dramatischen Forschungsprogramm her ergibt. Sogar im zentralsten Punkt besteht kein klarer Gegensatz, sondern hier ist eine präzisere Klärung nötig. Verweyen vertritt nämlich ausdrücklich, daß er erstphilosophisch nur den Begriff eines möglichen unbedingten Sinns aufweisen will, und es ist für ihn wichtig, seine „Bemerkung über den (erstphilosophisch unbehebbaren) hypothetischen Charakter des ‚Schlusses' auf die Existenz Gottes" (75) nicht zu übersehen. (76) Bezüglich des Begriffs vom letztgültigen Sinn bleiben allerdings Fragen, die im Folgenden noch kurz angesprochen werden sollen.

70
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2.5 Theologische Wissenschaft als gemeinschaftliche Arbeit

71
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Der Ausgang von einem letztgültigen Sinn setzt erstphilosophische Überlegungen voraus. Gerade in diesem Punkt gibt es aber sehr wenig Übereinstimmung, und überblickt man die philosophische Landschaft, dann ist in diesem Bereich auch für die Zukunft keine größere Einheitlichkeit zu erwarten. Bei Problemstellungen, in denen es um allerletzte Einsichten und Entscheidungen geht, divergieren die Menschen erfahrungsgemäß sehr stark, und deswegen gibt es in philosophischen Fragen auch wenig Einheitlichkeit. Jeder Forscher beginnt in gewisser Weise wieder von vorn.

72
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Im Unterschied zur Philosophie haben die Naturwissenschaften eine Methode gefunden, durch die viele Forscher - trotz gegensätzlicher letzter Anschauungen - eindeutig zusammenarbeiten und so einen kontinuierlichen Fortschritt erzielen können. Der einmalige Erfolg der Wissenschaft, der dazu geführt hat, daß die heutige Welt ganz anders aussieht als noch im 17. Jahrhundert, ist vor allem eine Frucht der Zusammenarbeit und der Tatsache, daß nicht jeder Forscher stets von neuem beginnen mußte, sondern auf anerkannten Ergebnissen seiner Vorgänger aufbauen konnte. In früheren Zeiten kannte die Theologie eine größere Einheitlichkeit, die allerdings dadurch gegeben war, daß man in einer kulturell und bildungsmäßig einheitlichen Tradition lebte und sich meistens stärker und unmittelbarer an die lehramtlichen Vorgaben hielt. Die heutige Vielfalt von Erfahrungen und theoretischen Ansätzen ruft nun immer wieder nach sinnvollen Integrationen. Diese werden besonders dringend angesichts der Herausforderung durch die medial vermittelte religiöse Renaissance, die wirtschaftlich-politischen Probleme und die für viele immer noch ungebrochene Faszination der Technik.

73
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Eine Reduktion der widersprüchlichen Vielfalt auf die allerletzten Fragen ist - wissenschaftspolitisch - schwer denkbar; deshalb drängt sich auch für die Theologie die Folgerung auf, bei solchen Erfahrungen und Problemstellungen zu beginnen, die von empirischen Erfahrungen und vom Vorletzten her zum Letzten vorzustoßen versuchen. Genau dies ist das Anliegen des beschriebenen theologischen Forschungsprogramms. Als Gemeinschaftsarbeit setzt es stärker im empirischen Bereich an (77), wo eine größere Kontrolle (und auch eine Übereinstimmung) möglich ist, und es bemüht sich, dank des Gürtels von Hilfshypothesen seine Sicht in Konfrontation mit allen Bereichen systematisch zu erarbeiten.

74
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Zu den Naturwissenschaften bleibt dennoch ein entscheidender Unterschied. Da dort die Phänomene meistens begrenzt und unter vielfacher Rücksicht mathematisch faßbar sind, ist ein Zusammenwirken vieler auch dann möglich, wenn Ehrgeiz und Rivalitäten zentrale Motive der einzelnen Forscher bleiben. In der Theologie ist unter solchen Voraussetzungen kaum etwas zu erreichen. Eine systematische und fruchtbare Zusammenarbeit wird hier nur möglich, wenn das Anliegen der Wahrheit zentraler bleibt als die Motive des Ehrgeizes. Was im zentralen Kern des Forschungsprogramms ausgesagt wird, muß deshalb mindestens ein stückweit auf die theologische Methodik und die Art der Zusammenarbeit zurückwirken. Auch dies ist eine große Herausforderung an die akademische Theologie.

75
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76
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Anmerkungen

77
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1. Prof. Raymund Schwager (Dogmatik), Prof. Herwig Büchele (christliche Soziallehre), Mag. Wilhelm Guggenberger (Moraltheologie), Dr. Silvia Hell (Dogmatik), Mag. Elmar Koziel (Dogmatik), Prof. Gerhard Larcher (Fundamentaltheologie/Graz), Prof. Otto Muck (Philosophie), Prof. Józef Niewiadomski (Dogmatik/Linz), Dr. Wolfgang Palaver (christliche Soziallehre), Mag. Dietmar Regensburger (Dogmatik/Politologie), Dr. Willibald Sandler (Dogmatik), Mag. Walter Schmolly (Fundamentaltheologie), Dr. Roman Siebenrock (Fundamentaltheologie), DDr. Peter Tschuggnall (Dogmatik/Literaturwissenschaften).

78
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Der Beitrag ist im Rahmen des Forschungsprojekts Religion-Gewalt-Kommunikation-Weltordnung, an dem die genannten Personen teilnehmen, entstanden.Dieses Forschungsprojekt steht einerseits in dauernder kritischer Auseinandersetzung mit dem Forschungsprojekt „Neue Aufklärung" an der Geisteswissenschaftlichen Fakultät Innsbruck unter der Leitung von Prof. H. Reinalter; anderseits gibt es ständige Kontakte zur internationalen wissenschaftlichen Gesellschaft „Colloquium on Violence and Religion (at Stanford)".

79
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2. K.R. Popper, Logik der Forschung (Die Einheit der Gesellschaftswissenschaften 4). Tübingen 51973; ders., Conjectures and Refutations. The Growth of Scientific Knowledge, London 31969.

80
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3. Th. Kuhn, Structure of Scientific Revolution, Chicago 21970.

81
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4. I. Lakatos, Falsification and the Methodology of Scientific Research Programms. In: Criticism and the Growth of Knowledge. Proceedings of the International Colloquium in the Philosophy of Science, London 1965. Hg. von I. Lakatos [u.a.]. Cambridge 1970, 91-195; drs., Die Methodologie der wissenschaftlichen Forschungsprogramme. Philosophische Schriften 1. Hg. von J.Worrall [u.a.]. Braunschweig 1982.

82
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5. „Lakatos' ‚raffinierter' Falsifikationismus wird der von T.S. Kuhn betonten Tatsache gerecht, daß jede neue wissenschaftliche Theorie von Beginn an mit einer Fülle von Anomalien konfrontiert ist, die gemäß der Kriterien eines ‚naiven' Falsifikationismus eigentlich sofort zu ihrer Widerlegung zwingen müßte, noch ehe die betreffende Theorie ihren Erfolg unter Beweis stellen konnte. Andererseits gelingt es Lakatos, die relativistischen Konsequenzen des Kuhnschen ‚Psychologismus' zu vermeiden, indem er die Anwendbarkeit des Falsifikationskriteriums konkretisiert." A. Kreiner. Ende der Wahrheit? Zum Wahrheitsverständnis in Philosophie und Theologie. Freiburg i.Br. 1992, 560f. - „The most elaborate and systematic attempt to formulate a ‚sophisticated falsificationisme' to meet these difficulties appears to be that of Imre Lakatos. In what follows I shall explore, and tentatively endorse, the suggestion that religious beliefs are falsifiable in Lakatos' sense." W.H. Austin. Religious Commitment and Logical Status of Doctrines. In: Religious Studies 9 (1973) 39-48, hier 43.

83
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6. N. Murphy, Theology in the Age of Scientific Reasoning. Ithaca 1990.

84
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7. Ph. Clayton, Rationalität und Religion. Erklärung in Naturwissenschaft und Theologie. Aus dem Amerikanischen von M. Laube mit einem Vorwort von W. Pannenberg. Paderborn 1992.

85
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8. W. Pannenberg, Wissenschaftstheorie und Theologie. Frankfurt a.M. 1973.

86
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9. „Das kann bedeuten, daß die wissenschaftliche Gesetzeserklärung nur eine spezielle Form des Verstehens darstellt oder gar einen ‚abkünftigen Modus' des Verstehens im Sinne Heideggers. Daß das Verstehen dem Erklären vorangeht, läßt sich aber auch so auffassen, daß das Verstehen nur eine Vorform des Erklärens ist, eine unvollkommene Erklärung." Pannenberg, Wissenschaftstheorie (s.Anm. 9) 139.

87
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10. Ebd. 141.

88
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11. Vgl. ebd. 138.

89
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12. Ebd. 150.

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13. Ebd. 141.

91
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14. Ebd. 216.

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15. Ebd. 219. - Diese Aussage bleibt allerdings etwas undeutlich, insofern Pannenberg nicht scharf genug zwischen dem Begriff der Wahrheit als Korrespondenz zwischen Aussage und gemeinter Wirklichkeit und den Kriterien (Kohärenz und Konsistenz), an denen Aussagen bezüglich ihrer Wahrheit gemessen werden, unterscheidet.

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16. Ebd. 217f.

94
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17. Ebd. 301-305.

95
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18. Ebd. 312f.

96
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19. W. Pannenberg, Erwägungen zu einer Theologie der Religionsgeschichte. In: ders., Grundfragen systematischer Theologie, Göttingen 1967, 252-295, hier 285.

97
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20. „Verhält sich ... jede Erfahrung von Bedeutung und Sinn, weil sie implizit auf das Ganze des noch nicht abgeschlossenen Prozesses der Erfahrung vorgreift, hypothetisch zu dem noch unentschiedenen, erst aus dem noch offenen Prozeß der Wirklichkeit resultierenden Bedeutungszusammenhang aller Erfahrung, so verhält sichreligiöses Bewußtsein noch einmal hypothetisch zur Gesamtheit der jeweils zugänglichen Sinnerfahrung hinsichtlich der in ihnen implizit antizipierten Sinntotalität der Wirklichkeit. Wenn nun theologische Aussagen sich, wie früher gezeigt, kritisch auf behauptete Selbstbekundungen göttlicher Wirklichkeit im religiösen Bewußtsein beziehen, so handelt es sich bei ihnen um Hypothesen dritter Ordnung: Sie sind Hypothesen über Hypothesen über Hypothesen." Pannenberg, Wissenschaftstheorie (s. Anm. 9) 336.

98
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21. J. Stout, Flight from Authority. Notre Dame 1981.

99
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22. „He (Stout) describes deism as consequence of applying the new probable reasoning to religious belief, distinguishing three stages of development seen most clearly in Britain roughly from 1640 to Hume's death in 1776. In the first stage, the argument from design was reformulated in such a way that the order of the universe, its mechanical design, was taken as evidence for a divine artisan... The concept of revelation was emphasized in a new way, and miracles were taken as the means to relate revelation to probable reasoning... In a second stage of post-Port-Royal development, deists such as John Toland and Matthew Tindal raised the question: if all evidence is to be taken into account, as urged in Port-Royal's Logic, why should not evidence for the content of putative revelation be taken into account as well? In fact, questions of the likelihood of the very idea of historical revelation were raised... Deism, in short, accepted only those tenets of traditional theology that could be established independently as probable hypotheses. In deism reason rendered revelation either improbable or redundant... Hume's critique of deism constituted a final stage of readjustment. First, he sharpened the deistic argument against using miracles to warrant belief in revelation... Having thus intensified the deistic argument against revelation, Hume turned to the remaining core of deism itself - the argument from design." Murphy, Theology (s. Anm. 7) 10-12.

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23. „Thus Hume represents a great divide separating us from traditional theism, for in his work the consequences of the new probable reasoning were played out in theology. The burden of proof has shifted. Theology from Hume's day to the present seeks to defend itself not in the court of authority, but in the court of internal evidence." ebd. 12.

101
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24. Ebd. 42; vgl. 41.

102
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25. Ebd. 41.

103
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26. „The trouble is that the acceptance of Humes understanding of the world - with the historical method it entails and couched in its past-entailing concepts - suspends Pannenberg'‚ fact-constituting principles." ebd. 44. - „For Hume, facts are constituted by the application of concepts that develop through repeated (past) impressions (of sensation and reflection). Knowledge is atomic, built up by conjunction of and reflection upon individual ideas... For Pannenberg, on the other hand, facts are meanings constituted by interpretations of experiences that always depend essentially upon anticipations of the future. Fact-constituting interpretation involves placing the thing to be understood in a context within which its meaning becomes apparent, and these subcontexts depend in turn upon a hypothesis about the meaning of the totality of history." ebd. 46.

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27. „Therefore, although Pannenberg can ‚critically reinterpret' and incorporate much of the content of Hume's thought, he cannot incorporate the epistemological theory upon which it is based without either changing Hume's view into something essentially non-Humean or else destroying the epistemological basis of his own system." ebd. 47.

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28. Zur persönlichen Reaktion von Pannenberg auf Murphy und zur Stellungnahme von Murphy dazu, vgl. ebd. 48, Anm.44.

106
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29. „Pannenberg claimed that what is needed to settle disputes such as that between Hume and himself is for the historians to get straight about the facts: was Jesus raised from the dead or not? But getting straight about this fact led to disputes about the proper method for historians to use, and the choice of method seemed to depend in the end on abstruse views about the meaning of history and whether or not one could account for it without assuming a transcendent ground of the unity of history - which brings us full circle" ebd. 49.

107
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30. Ebd. 61-65.

108
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31. Ebd. 65-74.

109
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32. Ebd. 74-79.

110
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33. Ebd. 130-173.

111
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34. „In einer Studie aus dem Jahre 1981 beispielsweise wurde eine Gruppe von Wissenschaftlern über Poppers Forderungen befragt; ihre Antworten unterstreichen den Konflikt zwischen der (sic) Poppers Theorie und der wissenschaftlichen Praxis... Umgekehrt erlauben konventionalistische Ansätze jegliches Verhalten und verbieten eine (begründete) Unterscheidung zwischen guter und schlechter Wissenschaft." Clayton, Rationalität (s. Anm. 8) 65.

112
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35. Clayton, Rationalität (s. Anm. 8) 98. - „Seinem Denken mangelt der Übergang von der Rationalität von Sprechhandlungen (als Einlösbarkeit von Geltungsansprüchen) zur Rationalität von Theorien." ebd. 98. - „Das bedeutet, daß er seinen Ansatz letztlich als Erwiderung auf die Hegemonie des Wahrheitsanspruches versteht und ihm die in gleicher Weise fundamentalen Geltungansprüche der Richtigkeit undWahrhaftigkeit zur Seite stellt." ebd. 90.

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36. Ebd. 106

114
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37. „Der Sinn - kontextuell bzw. kohärential verstanden - führt für die religiöse Person in einer immanenten Bewegung zu immer umfassenderen Sinnkontexten." ebd. 141; vgl. 143. - „Religiöse Überzeugungen thematisieren unsere Welt als ganze, die Totalität unserer Erfahrung." ebd. 182.

115
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38. Ebd. 148f.

116
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39. Vgl. ebd. 154.

117
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40. Ebd. 160-167.

118
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41. „Schließlich hat der Verifikationismus des Logischen Positivismus durch Popper und andere eine so gründliche Widerlegung erfahren, wie es bisher in solchen Debatten nur selten vorgekommen ist. Diese Widerlegung ermöglich es uns, alle Forderungen nach einer Punkt-für-Punkt Verifikation theologischer Aussagen als unangemessen zurückzuweisen." ebd. 176.

119
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42. Ebd. 177.

120
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43. Ebd. 194.

121
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44. Ebd. 207. - „Denn ex hypothesi ist nun die Erklärung, die sich am meisten den idealen Eigenschaften einer wissenschaftlichen Erklärung annähert, auch die Erklärung, deren Wahrheit am wahrscheinlichsten ist." ebd. 208.

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45. Ebd. 227f.

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46. „When detection of the action of God in the world is made to depend upon judgements of vast scope, such as that concerning which of two entire worldviews does a better job of giving meaning to the totality of experience, we must simply throw up our hands in despair." Murphy, Theology (s. Anm. 7) 49.

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47. Vgl. R. Schwager, Jesus im Heilsdrama. Innsbruck 1990; J. Niewiadomski, W. Palaver (Hg. ), Dramatische Erlösungslehre. Ein Symposion. Innsbruck 1992; J. Niewiadomski, W. Palaver (Hg.), Vom Fluch und Segen der Sündenböcke. Raymund Schwager zum 60. Geburtstag (Beiträge zur mimetischen Theorie 1). Thaur 1995.

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48. Lakatos rechnet allerdings mit der Möglichkeit, daß ein Forschungprogramm eine Zeitlang degenerieren kann und dann später doch wieder progressiv wird. Unmittelbare Entscheidungen sind deshalb längst nicht immer möglich. Jedes Programm, das als rational gelten will, steht aber vor der Aufgabe, sich nicht nur mit sich selber zu beschäftigen, sondern sich auch mit allen sperrigen Fakten auseinanderzusetzen.

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49. Vgl. auch: W. Austin, Religious Commitment (s. Anm. 6).

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50. Eine unbedingte und begründete Glaubensgewißheit, die über das Hypothetische hinausgeht, wird für den Gläubigen dann möglich, wenn ihm im nachvollziehenden Durchgang durch die großen Krisen und ihre Überwindungen innerhalb der Offenbarungsgeschichte jener Gott aufleuchtet, über den hinaus nichts Größeres gedacht werden kann (vgl. Anselm v. Canterbury). Von diesem Augenblick der vollen Einsicht an muß jede Alternative zum Glauben die Zuwendung zu einem kleineren Gottes- und Wirklichkeitsbild und damit zu einem Götzen bedeuten. Aber auch ein solcher Glaube kann offen und ehrliche auf alle relevaten Fragen eingehen und sich so - wissenschaftstheoretisch gesehen - als Hypothese verstehen. Er sollte dies um so eher können, als er (1) nichts zu fürchten hat und (2) durch Einwände lernen kann, seine eigene Überzeugung noch tiefer zu verstehen und besser von möglichen Mißverständnissen abzuheben.

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51. Die Rede von „Mysterium" bleibt auf dieser fundamentalen Ebene noch notwendig mißverständlich und klärungsbedürftig. Die Aufgabe einer theologisch zufriedenstellenden Klärung der in den Grundvoraussetzungen und Kernthesen verwendeten Begriffe ist Teil des Gürtels klärender Hilfshypothesen. Zum hier vorgeschlagenen Verständnis von „Mysterium" vgl. unten Fußnote 59?,

129
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52. Vgl. O. Muck, Philosophische Gotteslehre. Düsseldorf 1983.

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53. Dies kann durch eine „seinsphilosophisch integrative Erklärungsweise" geschehen (ebd. 140). - „Weil eine solche Deutung oder Erklärung [Aufzeigen des Zusammenhangs zwischen verschiedenen Bereichen] das vielfältige Begegnende in einer geordneten Ganzheit (lat: integrum) zu verstehen versucht, könnte man auch von einer integrativen Erklärung oder Interpretation sprechen. Sie ist für die Funktion der Weltanschauung eigentümlich und ist auch die spezifisch philosophische Erklärungsweise." ebd. 84.

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54. Ausführlicher: R. Schwager, Brauchen wir einen Sündenbock? Gewalt und Erlösung in den biblischen Schriften. Thaur 31994, 125-129.

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55. Ebd.172-188.

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56. Vgl. Hypothese (2-1).

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57. Vgl. K. Rahner, Grundkurs des Glaubens. Einführung in den Begriff des Christentums, Freiburg i.Br.-Basel-Wien 1976, 288-291.

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58. Durch diese Unabgeschlossenheit und Unabschließbarkeit des Sinnes von „wahrem Frieden" ist auch gewährleistet, daß die Erfahrung des Friedens (gemäß einer Grundunterscheidung der neuscholastischen Theologie) nicht einfach „gratia creata" ist, sondern „gratia increata", d.h. realsymbolischer Ausdruck der Selbstmitteilung Gottes, der sich gerade in seiner restlosen Selbstmitteilung als Mysterium erweist. Hierin liegt dann auch eine notwendige Verdeutlichung der Rede von „Mysterium" in Hypothese (1-2).

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59. Da ein Forschungsprogramm die innere Kohärenz ihrer Hypothesen voraussetzt, stellt sich hier die Aufgabe des Nachweises einer prinzipiellen Vermittelbarkeit Rahnerscher Theologie mit der Theorie René Girards. Vgl. dazu W. Sandler, Befreiung der Begierde. Theologie zwischen René Girard und Karl Rahner, in: Vom Fluch und Segen der Sündenböcke. Raymund Schwager zum 60. Geburtstag. Hg. J. Niewiadomski u. W. Palaver, Thaur: Kulturverlag 1995, 49-68.

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60. Vgl. L. Galleni. How Does the Teilhardian Vision of Evolution Compare with Contemporary Theories?. In: Zygon 30 (1995) 1, 25-45; - Evolution. Eine Kontroverse (Interdisziplinäre Forschungen 2). Hg. von G. Hasprunar u. R. Schwager. Thaur 1994; - R. Schwager, Evolution, Erbsünde und Erlösung. In: ZKTh 117 (1995) 1-24.

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61. Als Beispiel sei auf den Physiker und Nobelpreisträger Wolfgang Pauli hingewiesen, der betont, daß die Naturwissenschaften unvollständig sind, weil sie die Welt des gesamten Lebens nicht einbeziehen (Wolfgang Pauli und C.G. Jung. Ein Briefwechsel 1932-1958. Hg. von C.A. Meier. Berlin u.a. 1992, 50,192). Pauli ist überzeugt, daß alle zentralen naturwissenschaftlichen Begriffe - als Produkte der menschlichen Psyche - zugleich auch auf dieser psychischen Ebene eine Bedeutung haben, ja daß „die modernste Physik geeignet ist, sogar in feineren Details psychische Prozesse symbolisch darzustellen" (ebd. 24). Dennoch rechnet er mit einer „Weiterentwicklung aller Wissenschaften" (ebd. 192), durch die die Zusammenhänge besser deutlicher werden. Bei einer solchen Weiterentwicklung können auch die paranormale Erfahrungen integriert werden (ebd. 130).

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62. Welche Nachahmungen spielen in einer solchen Gemeinschaft? Welche komplexen Beziehungen stellen sich zwischen den Mitgliedern ein? Woher ergeben sich Rivalitäten und Aggressionen? Wie werden diese tatsächlich überwunden und nicht bloß zugedeckt? Welche Kompromisse und Rückfälle und Verschleierungen gibt es (Polarisierung gegen andere)?

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63. Vgl. C. Bandera, The Sacred Game. The Role of the Sacred in the Genesis of Modern Literary Fiction. Pennsylvania 1994; B. Dieckmann, Judas als Sündenbock. Eine verhängnisvolle Geschichte von Angst und Vergeltung. München 1991; R. Hammerton-Kelly, Sacred Violence. Pauls Hermeneutic of the Crosss. Minneapolis 1992; R. Kaptein, Violence in the Family. Coleraine 1994; J. Kufulu Mandunu, Das ‚'indoki' im Licht der Sündenbocktheologie (Studien zur interkulturellen Geschichte des Christentums 85). Frankfurt a.M. u.a. 1992; A. McKenna, Violence and Difference: Girard, Derrida, and Deconstruction. Urbana u.a. 1992; W. Palaver, Politik und Religion bei Thomas Hobbes. Eine Kritik aus der Sicht der Theorie René Girards. Innsbruck 1991; J.-M. Oughourlian, Un mime nommé désir. Hystérie, transe, possession, adorcisme. Paris 1982; S.Simonse, Kings of Disaster. Dualism, Centralisme and the Scapegoat King in the Southeastern Sudan. New York 1992.

141
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64. Vgl. J.P. Dupuy, Le sacrifice et l'envie. Le libéralisme aux prises avec la justice sociale. Paris 1992; drs., La panique. Paris 1991.

142
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65. P. Dumouchel, J.P. Dupuy, L'enfer des choses. René Girard et la logique de l'économie. Paris 1979; M. Aglietta, A. Orléan, La violence de la monnaie. Paris 1982.

143
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66. Vgl. G. Bailie, Violence Unveiled. Humanity at the Crossroads. New York 1995.

144
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67. F.Lagarde, René Girard, ou, La christianisation des sciences humaines. New York 1994.

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68. Es legt sich deshalb eine Zusammenarbeit zwischen akademischer Theologie und christlichen Gemeinschaften, in denen eine intensive Form der Nachfolge Jesu versucht wird, nahe.

146
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69. H. Büchele, Eine Welt oder keine. Sozialethische Grundfragen angesichts einer ausbleibenden Weltordnungspolitik. Innsbruck/Mainz 1996 - Da eine Weltordnung sich notwendigerweise auch auf Gewaltmittel stützen muß, ist sie immer klar von jener Einheit zu unterscheiden, die die Kirche anzielt. Die politische Weltordnung kann im Sinne von 2 Thess 2,6 als Katechon verstanden werden; vgl. W. Palaver, Hobbes and the Katéchon: The Secularization of Sacrificial Christianity. In: Contagion. Journal of Violence, Mimesis, and Culture. (Greenville, USA) 2 (1995) 57-74.

147
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70. Vgl. J. Niewiadomski, R. Schwager, G. Larcher, Dramatisches Konzept für die Begegnung der Religionen. In: Christus allein? Der Streit um die Pluralistische Religionstheologie (QD 160). Freiburg i.Br. 1996, 83-117.

148
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71. Aus wissenschaftstheoretischer Sicht kann das ganze Christentum als ein Forschungsprogramm innerhalb der Weltgeschichte verstanden werden. Dagegen spricht nicht, daß die Kirche Dogmen hat, denn jeder umfassende Sinnentwurf hat seine impliziten Voraussetzungen oder heimlichen Dogmen. Die Kirche ist anderen Sinnentwürfen sogar darin voraus, daß sie ihre Dogmen ausdrücklich macht und sie so einer dauernden kritischen Prüfung aussetzt.

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72. J. Stout (s. Anm. 22), auf den Murphy sich stützt, ordnet Barth nicht direkt dem foundationalism, wohl aber jener Theologie zu, die für ein Denken, das mit einer heute anerkannten Epistemologie arbeitet, unverständlich wird.

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73. H. Verweyen, Gottes letztes Wort. Grundriß der Fundamentaltheologie. Düsseldorf 1991.

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74. Verweyen wendet zwar gegen Pannenberg ein, daß seine „Antizipation dem Urteil Hegels über die ‚schlechte Unendlichkeit' eines Progresses verfalle(n), in dem die angestrebte Erfüllung auf den Nimmerleinstag verschoben wird" (ebd. 90).

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75. H. Verweyen, Glaubensverantwortung heute. Zu den ‚Anfragen von Thomas Pröpper. In: ThQ 174 (1994) 288-303, hier 290.

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76. Es ist auch zu fragen, ob ein erstphilosophisch erarbeiteter Begriff von letztgültigem Sinn nicht als Hypothese in die Diskussion mit empirischen Wissenschaften eingebracht werden kann. P. Berger, ein Altmeister der Soziologie, hat z.B. vor kurzem die Ansicht vertreten (in: Does Sociology still make Sense? Schweizerische Zeitschrift für Soziologie 10,1 /1994/ 3-12), die Soziologie, wie sie heute betrieben werde, habe keinen Sinn mehr. Könnte in dieser Situation nicht die Hypothese aufgestellt werden, die Soziologie in ihrer gegenwärtigen Form habe deshalb keinen Sinn mehr, weil ihr der Begriff eines letztgültigen Sinns fehlt?

154
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77. R. Siebenrock spricht vom notwendigen „Experimentalcharakter heutiger ‚Gottesfrage' und ‚Gotteserfahrung'", und er stellt schon bei Kardinal Newman eine „induktiv-empirische(n) Wende" der Theologie fest (Umgang mit der Wirklichkeit angesichts der Gottesfrage und Gotteserfahrung der Gegenwart. In PThI 14 [1994] 223-234). Diese induktiv-empirische Wende dürfte mittels der vorgeschlagenen theologischen Forschungsprogramme voll erreicht werden.

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