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Arno Schmidt und der Kanon

Über einen von Axel Dunker und Sabina Kyora herausgegebenen Tagungsband zum Thema. Von Hannes Höfer

 

Arno Schmidt und der Kanon. Hrsg. von Axel Dunker und Sabine Kyora. München: Ed. Text + Kritik, 2015. 290 S. (Bargfelder Bote / Sonderlieferung). ISBN: 978-3-86916-441-0. Preis [A]: € 40,00.

 

Runde Schriftstellergeburtstage nach dem Ableben der betreffenden Autorin oder des betreffenden Autors sind immer ein guter Indikator, um festzustellen, was bleibt. Wird eher der Person gedacht oder des Werks, richtet sich das Gedenken möglicherweise nur auf ein einziges Buch oder überdauert das Gesamtwerk? Bleibt das Gedenken auf die jeweilige Fangemeinde beschränkt oder gibt es ein breiteres öffentliches Interesse in Form von Gedenkveranstaltungen, Medienbeiträgen, Ausstellungen oder Neuauflagen der Werke? 2014 jährte sich der Geburtstag von Arno Schmidt zum einhundertsten Mal und ihm wurden alle aufgezählten Weihen des öffentlichen Erinnerns zuteil. Anlässlich des Jubiläums machte es sich eine Tagung an der Universität Bremen zur Aufgabe, danach zu fragen, welchen Platz Arno Schmidt in der Literaturgeschichte einnimmt. Die Ergebnisse der Tagung liegen nun unter dem Titel Arno Schmidt und der Kanon als Sammelband vor. Der Begriff des ‚Kanons‘ eignet sich dabei wie kein anderer für eine literaturgeschichtliche Bestandsaufnahme in Sachen Schmidt. Denn neben der Frage, welchen Platz Schmidt nun eigentlich im Kanon der deutschsprachigen Literatur der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts einnimmt, rückt in jüngster Zeit auch zunehmend die Untersuchung von Kanonisierungsprozessen in den Fokus. Für diese Frageperspektive eignet sich Arno Schmidt – so führen die Herausgeber in ihrer gleichermaßen umfassenden wie prägnant übersichtlichen Einleitung aus – als Untersuchungsgegenstand der deutschen Nachkriegsliteratur deswegen so gut, weil einerseits bereits mit dem Erscheinen seiner ersten Romane in den 1950er Jahren Debatten um die Kanonizität Schmidts geführt werden und andererseits ebenso von Anfang an die (Selbst-)Stilisierung Schmidts zum Außenseiter des Literaturbetriebs hierbei eine große Rolle spielt (S. 7). Vor allem diese Selbststilisierung ist eng verknüpft mit Schmidts eigenen Kanonisierungsbestrebungen. Kein anderer deutschsprachiger Autor arbeitet so intensiv an der Kanonisierung von Autoren, die seiner Meinung nach zu Unrecht aus dem Kanon der Hochliteratur ausgeschlossen sind. Der Gegen- oder Privatkanon, den Schmidt damit entwirft, hat einerseits literaturpolitische Ziele, die im Falle von Autoren wie Wieland, Klopstock oder Tieck durchaus erfolgreich sind, und dient andererseits der Konstruktion von Schmidts eigenem Autorbild des Außenseiters, der sich in der guten Gesellschaft der nicht-kanonischen, aber eigentlich besseren Autoren weiß. Dieser Vielfältigkeit an möglichen Fragen und Forschungsperspektiven wird der Band durch eine gelungene Ausgewogenheit gerecht, sowohl was die Themen der 16 Beiträge als auch das Verhältnis von renommierten Schmidt-Forschern und neuen Stimmen betrifft.

Die Beiträge lassen sich weitgehend vier Schwerpunkten zuordnen:

 

1. Arno Schmidts Ort im Kanon

Drei Beiträge befassen sich damit, in welchem Verhältnis Arno Schmidts Werke der 1950er Jahre zur deutschen Nachkriegsliteratur stehen. Norbert Otto Eke fragt konkret nach „Arno Schmidts ‚Ort‘ innerhalb der Nachkriegsliteratur“. Er untersucht hierfür thematische Bezugspunkte zur zeitgenössischen Literatur, Schmidts elitäres Literatur- und Selbstverständnis und den Topos der „Geistfeindlichkeit“ (S. 93), die Schmidt allem und jedem attestiert. In allen Punkten stellt Eke sowohl Übereinstimmungen als auch Unterschiede zu den zeitgenössischen Diskursen fest und sieht genau darin die Kanonizität Schmidts im Sinne perfekter Repräsentanz:

Schmidts Werk ist in der Gleichzeitigkeit von Abgrenzungsbewegungen und Annäherungen, von Traditionalismus und Avantgardismus ambivalent, selbst nicht berechenbar und verrechenbar – und letztlich genau in dieser Eigenschaft zeitgemäß. (S. 99)

Auch Georges Felten betont die Zeitgemäßheit Schmidts (wobei nicht thematisiert wird, nach welchen Parametern im Nachgang einem Werk attestiert werden kann, ‚zeitgemäß‘ zu sein) anhand eines Vergleichs von Luftkriegsszenen bei Schmidt, Böll und Jünger. Während Schmidt einerseits die moralisierende Darstellung Bölls vermeidet, aber gleichzeitig den kritischen Impetus übernimmt, widerspricht er Jüngers Ästhetisierung des Bombenkriegs, indem er seine eigene Darstellung ins Groteske und Parodistische verzerrt und so ein virtuoses Missverhältnis zwischen Geschehen und Darstellung erzeugt (S. 65-82). Gerade der Vergleich mit Jünger zeigt, dass man Schmidt nicht vorschnell eine Verherrlichung des Krieges vorwerfen kann. Allerdings muss man sich wohl dennoch fragen, ob die parodistische Darstellung eines Bombenangriffs in Aus dem Leben eines Fauns aus dem Jahr 1953 von Zeitgenossen mit Kriegserfahrung in ihrer vollen ästhetischen Qualität genossen werden konnte. Auch Axel Dunker beginnt seinen Beitrag mit einer Untersuchung des Fauns und zeigt davon ausgehend die große Bedeutung, die Metafiktion in Schmidts Werk hat. Hierfür bedient sich Dunker der Definition von Werner Wolf:

Metafiktional sind selbstreflexive Aussagen und Elemente einer Erzählung, die nicht auf Inhaltliches als scheinbare Wirklichkeit zielen, sondern zur Reflexion veranlassen über Textualität und ‚Fiktionalität‘ – im Sinne von ‚Künstlichkeit‘, ‚Gemachtheit‘ oder ‚Erfundenheit‘. (S. 154)

Dunker gelingt der erhellende Nachweis, dass Schmidt Metafiktion im Gegensatz zur Literatur der Moderne nicht dazu nutzt, das „Problem der Konstruktion von Realität“ (S. 146) auszustellen, und ebenso nicht wie postmoderne Literatur versucht, die Autorität und Zuverlässigkeit des Erzählers oder Autors zu untergraben. Ganz im Gegenteil dient Metafiktion Schmidt gerade zum „Entwurf eines Autor-Souveräns“ (S. 150), der stets im Hintergrund des Texts präsent ist. Metafiktion bei Schmidt heißt also nicht Problematisierung von Identität und Individualität, sondern gerade das Gegenteil. „Schmidt […] wäre also mit den metafiktionalen Partien seiner Zeit voraus und gleichzeitig ‚hinterher‘“ (S. 152), denn mit Bezug auf Wieland oder Jean Paul aktualisiert er gerade nicht die epistemologische Dimension metafiktionalen Schreibens, wie sie zum Beispiel in der klassischen Moderne vorkommt. Gleichzeitig setzt er bereits in den 1950er Jahren Metafiktion in einem Ausmaß ein, das erst Jahre später zum Konstruktionsprinzip postmoderner Literatur wird. Diesen Befund nutzt Dunker für eine literaturgeschichtliche Einordnung. Völlig richtig ist es, dass die Konstruktion eines starken ‚Autor-Souveräns‘ „zur Sonderstellung Schmidts innerhalb der deutschen Nachkriegszeit geführt“ (S. 150) hat, allerdings scheint es mir eine unzulässige Verallgemeinerung, wenn Dunker aus der ‚Sonderstellung‘ ein Alleinstellungsmerkmal ableitet: „Was die 1950er Jahre anbelangt, dürfte Schmidt mit seinen jedenfalls in Teilen ‚narcissistic narratives‘ in der deutschsprachigen Literatur ziemlich allein dastehen“ (S. 152). Das mag für die Konstruktion von Autorschaft noch stimmen, aber für die Verwendung von Metafiktion generell nicht. Die Blechtrommel von Günter Grass z. B. stellt gleich zu Beginn die Gemachtheit von Literatur aus, wenn Oskar Matzerath darüber spricht, woher er das Papier für seine Erinnerungen bezieht und wie er seinen Wärter immer wieder mit ausgedachten Geschichten unterhält. Und in Albert Vigoleis Thelens Roman Die Insel des zweiten Gesichts, der im selben Jahr erscheint wie Aus dem Leben eines Fauns, thematisiert der Ich-Erzähler andauernd und skrupulös die Unmöglichkeit des Schreibens und der Existenz als Schriftsteller, die ja insofern widerlegt wird, als der Roman in seiner über 900seitigen Vollständigkeit vorliegt, womit indirekt auch etwas über das Autorbild Thelens gesagt sein könnte.

Hier liegt meines Erachtens der gewichtigste Kritikpunkt an dem Tagungsband Arno Schmidt und der Kanon: Erstaunlich viele Beiträge des Bandes meinen immer noch den prekären Status von Arno Schmidt im Kanon der deutschsprachigen Literatur verhandeln zu müssen. Der Eindruck des Prekären kann jedoch nur entstehen, wenn man Schmidt ausschließlich mit Autoren wie Böll, Grass, Lenz und Walser vergleicht. Das Besondere an Schmidt scheint aber doch zu sein, dass hier ein Autor Teil des Kanons geworden ist, und zwar nicht nur trotz, sondern auch wegen der Einschätzung, er sei ein Außenseiter und Solitär. Arno Schmidt ist präsent, das hat das Jubiläumsjahr 2014 eindrücklich gezeigt, und er ist präsent als der bekannteste Geheimtipp für die deutschsprachige Literatur nach dem Zweiten Weltkrieg. Insofern wäre es sinnvoll, diesen Autor einmal in Bezug zu tatsächlich weitgehend vergessenen Außenseitern und Solitären zu stellen. Warum ist der Außenseiter Schmidt um einiges kanonischer geworden als die Außenseiter Albert Vigoleis Thelen, Wolf von Niebelschütz, Albert Paris Gütersloh (die Aufzählung darf von jedem um weitere ‚Geheimtipps‘ ergänzt werden)? Allein am weniger exklusiven Namen wird es nicht liegen.

Immerhin: Einen Schritt in diese Richtung geht Friedhelm Rathjen, der die zeitgenössische und aktuelle Wahrnehmung und Bewertung Arno Schmidts in Westeuropa, Nord- und Südamerika beeindruckend materialreich und erhellend untersucht. Seine vielfältigen Beobachtungen kann er präzise bündeln, wenn er feststellt, dass Schmidt im Ausland, je nachdem, welche Werke von ihm übersetzt und gelesen werden, als Nachkriegsautor (Werk der 1950er Jahre), Science-Fiction-Autor (späte 1950er und 60er Jahre) oder Avantgardist (Spätwerk, v. a. Zettel’s Traum) wahrgenommen wird. Rathjen selbst optiert für den Avantgardisten Schmidt: „[P]roduktiver aber sind Kontextualisierungen, die Schmidt mit Autoren der Bolaño- und der Foster-Wallace-Generation in Verbindung bringen“ (S. 34). Mit seiner Kategorisierung der drei möglichen Schmidt-Bewertungen leistet Rathjen allerdings auch einen gewichtigen Beitrag für den zweiten Themenschwerpunkt des Bandes.

 

2. Arno Schmidt als Beispiel für Kanonisierungsprozesse

Sabine Kyora untersucht die Literaturkritik zu Arno Schmidts Werken zwischen 1960 und 1980 im Hinblick darauf, mit welchen kanontauglichen Bewertungen diese ausgestattet werden. Tatsächlich liefert bereits der Spiegel-Artikel von 1959 einen „erste[n] Deutungskanon für die Schmidt’schen Texte“ (S. 38), auf den sich folgende Bewertungen immer wieder beziehen: das Autorbild des Außenseiters, eine avantgardistische ästhetische Verfahrensweise und das Strukturmerkmal „permanenter Selbstbeschreibung“ (S. 39). Diese Zuschreibungen sind während der 1960er Jahre (und bis heute) präsent und werden erweitert und relativiert, mit dem Erscheinen von Zettel’s Traum kommen weitere hinzu, weil das Werk das Tagesgeschäft der Literaturkritik schlicht überfordert. Zettel’s Traum wird zum „Pop-Monstrum“ (S. 43), das Werk erst einmal in seiner schieren Materialität gewürdigt, die Wertungen werden vielfältiger. An Äußerungen von Helmut Heißenbüttel und Marcel Reich-Ranicki kann Kyora zeigen, dass bereits seit den mittleren 1960er Jahren diskutiert wird, ob Arno Schmidt als Nachkriegsautor oder als Avantgardist zu werten ist (die von Rathjen angeführte dritte Kategorie des Science-Fiction-Autors spielt in deutschen Debatten keine Rolle). „Ob inzwischen absehbar ist, welche Variante sich hier durchsetzt, wäre zu prüfen“ (S. 48). Möglicherweise muss es in dieser Frage zu keiner Entscheidung kommen, vielleicht müsste man eher untersuchen, ob diese beiden Bewertungsvarianten bestimmten Gruppen der literarischen Öffentlichkeit zuzuordnen sind. Eingeschworene Schmidt-Fans sehen in ihm sicherlich vor allem den Avantgardisten, die Literaturkritik ist auf beiden Seiten zu finden, die deutsche Literaturgeschichtsschreibung scheint eher in Richtung ‚Nachkriegsautor‘ zu votieren, zumindest ist für diese Bewertung Schmidts die Frage der Kanonizität inzwischen unstrittig und wird durch den vorliegenden Band weiter gestützt, beschäftigen sich doch die Beiträge überwiegend mit dem Frühwerk.

 

3. Arno Schmidts Auseinandersetzung mit dem Kanon und sein Gegen-Kanon

Lässt sich Schmidt je nach Perspektive als Nachkriegsautor oder Avantgardist kanonisieren, kann man ebenfalls Schmidts Selbstkanonisierung auf zwei Arten lesen: Zeigt sich Schmidt als Moderner oder Traditionalist? In diesem Fall lautet die Antwort wohl nicht ‚entweder-oder‘, sondern ‚sowohl-als-auch‘. Wolfgang Martynkewicz zeigt anhand von Schmidts Interviews und seinen Radioessays, dass hier ein Autor betont alle Merkmale des ‚Modernen‘ von sich weist, dabei allerdings seinen Nonkonformismus genauso inszeniert wie die historischen Avantgarden; Schmidt wird so zum „Avantgardist wider Willen“ (S. 109). Jan Süselbeck übt harsche Kritik an Schmidts Kanonisierungspraxis: Schmidts Kritik an kanonischen Autoren und sein Gegenkanon dienen der Selbststilisierung zum Führer Deutschlands in literarischen und geistigen Dingen (S. 131) und offenbaren, dass Schmidts eigenes Verständnis von ‚Kanon‘ dasselbe wertkonservative und elitäre ist, das Schmidt in seinen Verbalattacken auf die Kanonizität Goethes und Schillers kritisiert. So beweist Schmidt, dass „gewisse wertkonservative Grundannahmen über eine ‚deutsche Kultur‘, die bereits vor dem und im ‚Dritten Reich‘ Konsens waren, auch nach 1945 die seinen blieben“ (S. 137). Dieser Befund wird von Süselbeck genutzt, den Debatten, ob Schmidt nun konservativ sei oder nicht, eine sinnvolle Synthese anzubieten: „Erst wenn man mitliest, wie sehr sich das, was Schmidt attackierte, in seinen Texten selbst durchschreibt, werden sie zu veritablen Zeitbildern“ (S. 141). Zwei Beiträge des Bandes liefern sehr genaue Textanalysen, mit welchen Darstellungsverfahren Schmidt in seinen Erzähltexten Kanones entwirft: Jan Gerstner leistet dies für Tina oder über die Unsterblichkeit, Simone Brühl betrachtet Die Gelehrtenrepublik aus einer topologischen und topographischen Perspektive und macht den Text so „als Verräumlichung und Ver-Ortung des Kanons lesbar“ (S. 175; Hervorhebung im Original).

 

4. Produktive Rezeption von Arno Schmidt bei anderen Autoren

Autoren, die sich in ihren Texten mit Schmidt oder seinem Werk auseinandersetzen wollen, stehen vor dem Problem, dass sie es – wie Rüdiger Zymner es formuliert – mit einem „Klassiker des Manierismus“ (S. 207) zu tun haben und somit jede Stilimitation immer Gefahr läuft, als billiger Abklatsch abqualifiziert zu werden. Insofern ist Schmidt mit seiner sehr speziellen Schreibweise nicht schulbildend geworden, was es wiederum für die Erforschung von Rezeptionsphänomenen schwierig macht festzulegen, auf welcher textlichen oder außertextlichen Ebene man überhaupt von Beeinflussung durch Schmidt sprechen möchte. Folglich gehen die Beiträge zu diesem Themenkomplex recht unterschiedliche Wege, liefern aber durchweg neue und gute Erkenntnisse. Zymner sieht die Spezifik von Schmidts Schreibweise in „ihrer Fokussierung auf die Darstellung von subjektiven Wahrnehmungen bzw. wahrnehmender Subjektivität“ (S. 216) und bezeichnet dies als „‚lyrische Prosa‘“ (ebd.), sieht er doch die produktive Weiterführung dieser Darstellungsweise vor allem bei Autoren wie Peter Rühmkorf, Thomas Kling und gegenwärtigen Lyrikern wie Reinhard Priessnitz, Christoph Schwarz, Thomas Steiner, Lars Arvid Brischke, Carolin Callies oder Lars Reyer. Friederike Reents widerspricht zurecht Zymners Behauptung und führt als Gegenbeweis Walter Kempowski an, wofür sie sowohl produktionsästhetische Argumente hat (Arbeit mit Zettelkästen) als auch Ähnlichkeiten im Darstellungsverfahren, wie z. B. Detailversessenheit und episodisches Erzählen. Zu betonen ist die Überlegung, dass Kempowski für sein Echolot Schmidts Gedanken zur Darstellungsweise des ‚Tagebuchs‘ aus den Berechnungen fortführt, um ein „kollektives Tagebuch“ (S. 227) zu schreiben. Das ist völlig einleuchtend und steht zu Zymners Überlegungen insofern nicht im Widerspruch, als einige von Schmidts literarischen Techniken für die Kurzform Gedicht geeignet sind, andere für ausufernde Prosa-Großprojekte. Jenseits der „‚Einflussforschung‘“ (S. 248) kann Alexandra Pontzen zeigen, dass der unzweifelhaft von männlichen Lesern präferierte Schmidt seinen Auftritt ebenfalls in Texten von Elfriede Jelinek und Marlene Streeruwitz hat. Beide Autorinnen integrieren Schmidts Übersetzungen von und Äußerungen zu Emily Brontë (Jelinek) und Edgar Allan Poe (Streeruwitz) virtuos in ihre „Intertextualitätspoetik als Spielart und Reflexion weiblicher Autorschaft“ (S. 248), was Pontzen ebenso virtuos und subtil nachzeichnet.

Wer also noch Argumente dafür braucht, dass Arno Schmidt eine gewichtige Stimme im Kanon der deutschsprachigen Nachkriegsliteratur ist, greife zu diesem Buch. Wer das schon weiß, findet darin materialreiche Anregungen für Arbeiten zur nationalen und internationalen Schmidt-Rezeption und zu Schmidts Fortleben in der Gegenwartsliteratur.

 

Hannes Höfer, 16.05.2016